Robert Kurz strapaziert. Neuerdings mit knapp 450 Seiten Zusammenbruchsstimmung im altbekannten Krisis-Jargon: »Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung«(1) ist seit kurzem fürs allgemeine Äquivalent auf dem Markt erhältlich.
Kaum eine Facette des globalen Kapitalismus, die Kurz in seinem neuen Buch nicht kritisch unter die Lupe nehmen würde: Interventions-Bellizismus, Kapitalismus als zerstörerische Wirtschaftsform, postmoderne Weltpolizei, Naher Osten und Antisemitismus, globale Apartheid, Ende der staatlichen Souveränität, Imperialismusdiskussion ... und dies sind nur die wichtigsten Großthemen, um die es in »Weltordnungskrieg« geht.
Als roter Faden zieht sich dabei die durchaus vertraute These durch das Buch, der Kapitalismus habe nun endlich seine »innere historischen Schranke« erreicht.(2) Die Globalisierung wird »als Zersetzungsprozeß der herrschenden Produktions- und Lebensweise« dechiffriert.(3) Diese zerfällt »in einen schrumpfenden globalen Minderheitskapitalismus einerseits und dessen Barbarisierungsprodukte andererseits«(4). Der weltweit betriebenen Ausbeutung entspricht im Zustand der Krise eine substaatliche Terror- und Plünderungsökonomie. Der von den USA angeführte »Weltordnungskrieg« ist letztlich aussichtslos und nicht zu gewinnen,(5) denn es kämpft der »ideelle Gesamtimperialismus«(6) gegen seine eigenen »Gespenster«(7). Was er in der Gestalt von Schurkenstaaten und Gotteskriegern ausrotten will, wird von ihm Tag für Tag neu produziert.
Einerseits fasziniert Kurz, indem er gnadenlos – scheinbar unzulässig – zuspitzt. Dazu ein Beispiel aus dem Kapitel »Gemeinsamkeit der Demokraten«(8) über den Umgang »unserer« Gesellschaft mit Fremden: »Dieselben demokratischen Apparatschiks und Mandarine, christliche, sozialdemokratische, liberale, grüne, die für Menschenjagd und Flüchtlings-KZs verantwortlich zeichnen, deren Schergen Kinder quälen und Menschen bewusst zurück in die Folterkeller ihrer verbündeten Alptraum-Regimes jagen – just diese Ausgeburten der Unwahrheit und Enthumanisierung erdreisten sich, an der irregulären Mordlust ihrer eigenen Brut einen gewissen bürgerlichen Anstoß zu nehmen, weil hier der Dienstweg nicht eingehalten wird.«(9) Was sich zunächst wie ein verbaler Amoklauf liest, ist eingebettet in eine detailreiche Kritik. Die Schärfe der Ansage erweist sich als gerechtfertigt, wenn das Zitat nicht aus dem Kontext der Schilderung der real-existierenden Migrationspraxis gerissen wird. Und diese kompakte Schilderung ist wertvoll. Vor allem in Rechnung gestellt, dass eine Publizität, wie Kurz sie erreicht, für linksradikales Schriftgut durchaus nicht die Regel ist. In diesem Sinne kann Kurz mit seinem Buch nach obigem Muster wertvolle diskursive Schneisen für einige der wichtigsten linksradikalen Themenfelder schlagen, von denen aus auch Nicht-Krisis-VertreterInnen weiterarbeiten können.
Um so enttäuschender ist es, dass jedes Argument und jede Diagnose ins altbewährte holzschnittartige Untergangsszenario gepresst werden muss. Für Kurz ist klar: Die »neuen Weltordnungskriege« stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der »Weltkrise an der historischen Grenze des Verwertungsprozesses«(10). »Die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik«, so Kurz, »hat seit den 80er Jahren damit begonnen, der Verwertung lebendiger Arbeit eine innere historische Schranke zu setzen«(11). Warum das so ist, bleibt in »Weltordnungskrieg« – und auch in Kurz’ Beitrag in Phase 2.07 – weitgehend unklar. Offensichtlich reicht es dem Autor an dieser Stelle völlig aus, das herbeigesehnte Ende des Kapitalismus möglichst wortgewaltig anzukündigen. Der Rest erledigt sich dann schon von selbst.
Ausführlicher finden sich die Begründungen für die Zusammenbruchsprognose in früheren Texten von Robert Kurz und anderen AutorInnen aus dem Umfeld der Gruppe Krisis.(12) Argumentiert wird hier, dass die technische Revolutionierung der Produktionsmittel (hier: die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik) menschliche Arbeitskraft zunehmend ersetze. Da der Kapitalismus jedoch auf der Ausbeutung lebendiger Arbeit beruhe, unterminiere er damit notwendigerweise seine eigene Existenzbedingung. Unausweichlich führe dies zu einem Zusammenbruch des gesamten kapitalistischen Systems.
Kurz und Konsorten beziehen sich mit dieser Argumentation wesentlich auf Passagen in den Marxschen Grundrissen. Dass eben diese Zusammenbruchsbegründung ziemlich kritisch diskutiert wurde, scheint dem Autor auf seinen knapp 450 Seiten jedoch nicht weiter erwähnenswert. So hatten in der Debatte um das »Manifest gegen die Arbeit« eine Reihe von AutorInnen Einspruch erhoben, dass die von der Krisis ins Feld geführten Argumente einer Marxschen Zusammenbruchstheorie durchaus nicht so schlüssig und kohärent sind, wie sie vorgetragen werden.(13) Schon Marx selbst hatte seine krisentheoretischen Ansätze aus den Grundrissen im Kapital stark überarbeitet. Dort lassen sich tatsächlich kaum noch Hinweise auf eine Zusammenbruchstheorie finden.
So stellt Marx etwa im Abschnitt über den Relativen Mehrwert fest: Das Kapital »muß die technischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses, also die Produktionsweise selbst umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu erhöhen, durch die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit den Wert der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduktion dieses Werts notwendigen Teil des Arbeitstages zu verkürzen. [...] Den Mehrwert [...], der aus der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit [...] entspringt (nenne ich) relativen Mehrwert. [...] Er steigt mit steigender und fällt mit fallender Produktivkraft.«(14)
Was in den Grundrissen noch zum Zusammenbruch führen sollte, ist nun zu einem funktionalen Mechanismus geworden. Die »Prozess-Innovation«, wie es die Krisis nennt, bewirkt die Steigerung der allgemeinen Rate des Mehrwerts. Dem einzelnen Kapitalisten erlaubt sie unter Umständen noch die zeitweise Realisierung eines Extra-Mehrwerts, nämlich insoweit er seine Ware mit weniger Arbeitsaufwand produziert, als der gesellschaftliche Durchschnitt der Produzenten. Solange, bis sich die betreffende Innovation über die Konkurrenz allgemein durchgesetzt hat, kann er die Wertdifferenz, die durch den Unterschied zwischen gesellschaftlich-notwendiger Arbeitszeit zur Herstellung der Ware und seiner real-aufgewandten Arbeitszeit entsteht, auf den allgemeinen Mehrwert aufschlagen. So begründet Marx in seiner Untersuchung des relativen Mehrwerts auch die für den Kapitalismus spezifische mächtige Tendenz zur Revolutionierung der Produktivkräfte.
Im Abschnitt »Der Akkumulationsprozess des Kapitals« beschäftigt sich Marx unter anderem mit der durch die Produktivkraftsteigerung erzeugten »überflüssigen Arbeitsbevölkerung«. Ähnlich wie im Falle des relativen Mehrwerts wird auch dieses Phänomen im Kapital in einen funktionalen Zusammenhang gestellt. Im Gegensatz zu früheren krisentheoretischen Überlegungen ist nun nicht mehr von einer absoluten Verdrängung menschlicher Arbeitskraft aus dem Arbeitsprozess die Rede, sondern von einer »relativen Überzähligmachung«(15) – relativ gemessen an den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals.(16) Zudem kommt diesen »überflüssigen Arbeitern« eine spezifische Aufgabe zu: »Die mit dem Fortschritt der Akkumulation überschwellende und in Zusatzkapital verwandelbare Masse des gesellschaftlichen Reichtums drängt sich mit Frenesie [Wut, Raserei] in alte Produktionszweige, deren Markt sich plötzlich erweitert, oder in neu eröffnete [...], deren Bedürfnisse aus der Entwicklung der alten entspringen. In allen solchen Fällen müssen große Menschenmassen plötzlich und ohne Abbruch der Produktionsleiter in andren Sphären auf die entscheidenden Punkte werfbar sein. Die Überbevölkerung liefert sie.«(17) Davon, dass menschliche Arbeit ganz allgemein aufhört, die Quelle des Reichtums zu sein, wie dies noch in den Grundrissen behauptet wurde,(18) kann hier nun nicht mehr die Rede sein.
Doch in der Kapitalismuskritik des Robert Kurz ist offensichtlich für solcherlei Widersprüche wenig Platz. Wenn Kurz feststellt, dass »die Anwendung der Mikroelektronik zu einer strukturellen Massenarbeitslosigkeit« führt, so ist das für ihn praktisch gleichbedeutend mit »finaler Krise«. Dass eine überflüssige Arbeitsbevölkerung zwar zum politischen Problem werden kann, doch deswegen keineswegs dysfunktional für den Kapitalismus sein muss, will Kurz nicht recht verstehen.
Ähnlich verquer wie die Ankündigung des ökonomischen Zusammenbruchs klingt auch die Kurzsche Diagnose einer finalen Krise des politischen Weltsystems. Imperiale Kriege, die Privatisierung von Gewalt und das Ende nationalstaatlicher und völkerrechtlicher Regulierung bedeuten, so der Autor, »das Ende aller bürgerlichen Vertragsverhältnisse überhaupt«(19). Auch hier stellt sich die Frage, worin und für wen eigentlich die Krise besteht. Für die betroffenen Menschen bedeutet die gegenwärtige Deregulierung der markt- und gewaltförmigen Konkurrenz zwischen Staaten und Kapitalen ohne Frage eine Katastrophe. Doch ist das notwendigerweise gleichbedeutend mit einem Untergang der kapitalistischen Weltgesellschaft? Die Kurzsche These, dass die derzeitig einzige Supermacht USA ihre Führung als »ideeller Gesamtimperialist« bald verlieren wird und der Kapitalismus deswegen gleich weltweit und komplett mit den Bach hinunter gehen muss, überzeugt jedenfalls kaum. Das Kurzsche Bemühen, den Begriff des »ideellen Gesamtkapitalisten« für eine Beschreibung zwischenstaatlicher Konkurrenzverhältnisse in Dienst zu nehmen, hinkt. Und zu sehr klingt das alles doch nach einer ziemlich gängigen Globalisierungsthese vom universellen Bedeutungsverlust des Staates. Nur eben als linksradikale Zusammenbruchsversion.
Dabei hat Kurz es angesichts seines reichen und eindrucksvoll scharf präsentierten Materials eigentlich gar nicht nötig, die komplette Darstellung diesem theoretischen Großrahmen zu unterwerfen. Dass er es trotzdem tut, ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zunächst bleibt einfach nur der schale Beigeschmack des »großen Wurfs« bzw. der »großen Erzählung« – wahrheitsheischend. Absurd wird’s jedoch dann, wenn man den Kurzschen Politik- und Krisenbegriff auf seine Implikationen für die politische Praxis befragt. Denn wenn man Robert Kurz Glauben schenken darf, dann hängt das Ende des Kapitalismus offensichtlich eher am »Reifegrad des Weltsystems«(20) als an einer emanzipativen politischen Praxis. Die finale Krise wird’s schon richten. Jede Form politischer Intervention wird so zur Farce.
Da nützt es auch nichts mehr, wenn Kurz in der letzten Kapitelüberschrift quasi-friedensschwanzgleich »die Renaissance radikaler Gesellschaftskritik«(21) fordert. Die abschließenden Ausführungen dort legen eher den Verdacht nahe, dass Kurz tatsächlich nur das Label einer »radikalen Kritik« bemüht. Denn mitnichten belässt er die radikale Kritik bei einer konsequenten Negation. Dem besten bürgerlichen Verständnis von der Notwendigkeit einer »konstruktiven Kritik« als quasi Existenzberechtigung von Kritik überhaupt verhaftet, wird Kurz denn auch tatsächlich konstruktiv. Der konsequente Kapitalismus-Kritiker präsentiert – »um zu einer gesamt- und weltgesellschaftlichen Lösung jenseits von Markt und Staat zu gelangen«(22) – eine Vision, die zwar nicht überrascht, aber seltsam anmutet. Kurz erinnert an verschüttete Traditionen der Kibbuzim, die er zu den besten und weitreichendsten Modellen genossenschaftlicher Selbstverwaltung zählt. Sie müssten allerdings von der heute für Israel verhängnisvollen Siedler-Ideologie befreit, gesamtgesellschaftlich und transnational ausgeweitet werden. Welt-Genossenschaften zur »Entwicklung qualitativ neuer sozialökonomischer Beziehungen jenseits von Markt und Staat«(23).
Tatsächlich finden sich die Kurzschen Ausführungen vom Zusammenbruch beinahe auf jedem attac-Büchertisch wieder. Denn dort, wo es einer globalisierungsregulatorischen Bewegung um die Rettung des vermeintlich zarten Kapitalismus geht, wirkt die drohende Apokalypse mobilisierend: Seht her, wir müssen was tun! Ehe alles zusammenbricht, demonstriert man lieber für einen regulierten, domestizierten, gebändigten Kapitalismus. Vielleicht liegt genau hier das schwerwiegendste Problem der Zusammenbruchsidee. Sie untergräbt den Gedanken, dass auch der »ganz normale Kapitalismus« nie den Menschen und seine Bedürfnisbefriedigung zum Zweck hat, sondern Menschen und Natur immer nur zum Mittel der Kapitalverwertung degradiert. Ohne es zu wollen, bedient Kurz so alle bürgerlichen Alpträume von Anarchie und Apokalypse. Schade eigentlich.
Literatur
Heinrich, Michael (1999): Untergang des Kapitalismus? Die »Krisis« und die Krise, in: Streifzüge 1/1999, 1-5. (http://www.trend.partisan.net/trd7899/t697899.html)
Huisken, Freerk (2000): Untergang mit Perspektiven. Bemerkungen zum ›Manifest gegen die Arbeit‹ der Gruppe »Krisis«, in: konkret 3/2000, 33-39, (http://www.fhuisken.de/krisis.htm).
Krisis (1999): Manifest gegen die Arbeit, Erlangen.
Kurz, Robert (2003a): Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus in Zeitalter der Globalisierung, Bad Honnef.
Kurz, Robert (2003b): Krisenimperialismus. 6 Thesen zum Charakter der neuen Weltordnungskriege, in: Phase 2.07.
Kurz, Robert (1994): Fetisch Arbeit. Der Marxismus und die Logik der Modernisierung, in: Helmut Fleischer (Hg.): Der Marxismus in seinem Zeitalter, Leipzig, 162-184.
Karl Marx, Friedrich Engels (1956 ff): Werke (MEW), Berlin.
Trenkle, Norbert: »Was ist der Wert? Was soll die Krise?« in: Streifzüge 3/1998. 7-10.