Der Kapitalismus ist, obwohl bis jetzt noch das Ende der Geschichte, nicht das Gelbe vom Ei. Seine Überwindung ist deshalb ein Gebot der Vernunft. Doch die Abschaffung des Kapitalismus bietet bei ihrer Umsetzung nicht nur technische Probleme, sie wirft auch die Frage auf, was dann? In Zeiten, in denen islamische Gottesstaaten sich als Alternative präsentieren, wird aus Fachkreisen für die Fragen des Kommunismus vehement darauf hingewiesen, der Kommunismus habe zwar den Kapitalismus abzulösen, dabei aber das bereits erreichte Niveau der Emanzipation nicht zu unterbieten. Nun eignet sich dieses Kriterium zwar hervorragend zur Kritik historischer, mit dem Kommunismus verbundener Gesellschaften und auch zur Ablehnung vieler der aktuell propagierten Vorstellungen einer nachkapitalistischen Ordnung des Zusammenlebens, wo aber die Erhaltung des bisher Erreichten als positive Vorgabe verstanden wird, muss das erhaltende Überwinden fast zwangsläufig Widersprüche erzeugen. Solche Widersprüche sind nicht zufällig, sie finden sich vielmehr im Herzen der gängigen Vorstellung von Emanzipation, die sich fest an die Institution des Individuums bindet, weil sie Freiheit als dessen persönliche Freiheit versteht.
Warum ist das Individuum frei?
Die unmittelbare Verbindung der Vorstellungen von Emanzipation und des Individuums setzte sich nicht zufällig gemeinsam mit dem Kapitalismus endgültig durch. Nachdem sie durch die religiösen Praktiken christlicher Selbsterkundung und personaler Erlösung vorbereitet worden war, befreite der Kapitalismus nicht mehr bloß den Glauben der Menschen, sondern löste sie zunehmend auch aus traditionellen sozialen Unterdrückungsverhältnissen. Der Mensch im Kapitalismus galt als frei geborenes Individuum, das für sich selbst der Gesellschaft nichts schuldig war, mithin über seinen Körper, seine Arbeitskraft und seine Fähigkeiten frei verfügen konnte. Was, da die Befreiung nicht nur Befreiung aus sozialen Zwängen, sondern auch von den Mitteln zur Reproduktion bedeutete, in der reinen Freiheit mündete, die freigestellte Arbeitskraft zum Verkauf anzubieten, um das eigene Leben zu fristen.
Ohne den Grundsatz aber, das Individuum habe unmittelbar die alleinige Gewalt über seinen Körper und dessen Fertigkeiten, hätte die Armut schon bald eine Restauration der feudalen Verhältnisse erzeugt. Die Verschuldung der zwar freien, aber armen Individuen hätte entweder unmittelbar zur Wiedereinführung der Leibeigenschaft oder nach den antiken Vorbildern zu einer Sklavenökonomie geführt, sobald die Not den Verkauf des eigenen Leibes samt aller Nachkommen erzwungen hätte. Die Besitzenden hätten durch den Einsatz der wieder direkt von ihnen Abhängigen die Grundlagen der Produktion nicht mehr verlieren können, weil die Hauptlast der notwendigen Reproduktion von direkt abhängiger statt frei erkaufter Arbeit getragen worden wäre. Die Möglichkeit eines im Kreislauf von Ankauf von Arbeitskraft und Verkauf von Produkten angelegten Verlustes von Produktionsmitteln, wie Gebäuden, Feldern oder Maschinen, die nicht dem gesellschaftlichen Standard von Produktivität entsprechend genutzt werden, trägt aber entscheidend zur Dynamik der Eigentumsökonomie des Kapitalismus bei. Der Schutz der Individuen vor der Gefahr der Sklaverei verbindet sich so mit der Durchsetzung der kapitalistischen Ökonomie, weil er eine Bewirtschaftung der Ressourcen erzwingt, die dem Tausch dient statt der Subsistenz von Besitzenden und Abhängigen. Zugleich ist die allgemeine Möglichkeit des Erwerbs und Verlustes auch ein wesentliches Kennzeichen bürgerlicher Gleichheit. Denn in einer Gesellschaft der freien Individuen, in der die Ungleichheit in der Ressourcenverteilung nur durch den Erwerb an über das Selbst hinausgehendem Eigentum entsteht, der zumindest theoretisch allen möglich (gewesen) ist, gibt es keine geschützten Bereiche an Produktionsmitteln mehr, denen die sie besitzende Person, weil sie ihr aufgrund ihrer sozialen Stellung zugeordnet sind, nicht verlustig gehen kann. Die fundamentale Gleichheit, die im bürgerlichen Befreiungsakt liegt, verwandelt den Besitz in veräußerbares Eigentum, über dessen Veräußerung nur der persönliche, in der Rechtsform des Vertrages ausgedrückte Wille zu entscheiden hat. Auch in seinen Eigentumsverhältnissen ist das bürgerliche Individuum folglich frei.
In der Ökonomie des Tausches, die ihre Rechte und Vergleichsmaßstäbe aus individuell erbrachten, als produktiv ausgezeichneten Akten herleitet, bilden die freien Individuen die notwendigen Subjekte des Tausches, die ihre Arbeitskraft entfalten, teils unmittelbar für sich selbst, in überwiegendem Maße aber veräußert gegen einen Lohn, der ihnen ihr Leben ermöglicht und über die Dinge als Eigentum verfügen, dessen Zuordnung zu Personen frei unter ihnen zirkulieren kann. Ein solches Subjekt muss nicht nur individuell sein, in dem Sinne, dass sich die aus den Verträgen ergebenden Rechte und Pflichten eindeutig genau einer Person zuordnen lassen, es muss auch deutlich von allen anderen Subjekten unterschieden sein, damit sich seine Leistungen bewerten lassen, seine Arbeit mess- und tauschbar wird. So wird nicht nur sein Wille zu einer eigenen Substanz, auch seine Fähigkeiten verdichten sich zum individuellen Charakter, der zwar in Kontakt zu seiner sozialen Umwelt steht, von dieser auch Impulse und Prägungen empfängt und dennoch nur individuelles Merkmal sein soll. Kein Wunder also, dass mit dem Aufblühen der bürgerlichen Kultur das Genie zu einer zentralen Institution des Geisteslebens wird.
Das frei über sich und sein Eigentum verfügende bürgerliche Individuum wird deshalb nicht nur im Anschluss an die religiösen Reformationsbewegungen auch geistig frei. Seine geistige Freiheit wird vielmehr in der bürgerlichen Situation entscheidend befördert. War zuvor noch Gott die Instanz, die durch ihre Gnade, den einzelnen an einer Wahrheit teilhaben lassen konnte, die jener der Kirche zuwider lief, konstituiert sich das bürgerliche Subjekt als geschlossene Einheit, frei in ihrem Willen und geistig nur sich selbst und ihrer Vernunft verpflichtet. Die Forderung nach »Gedankenfreiheit« wird im Zuge der Definition jeder Tätigkeit als individueller zum Postulat: »Die Gedanken sind frei.« Verbindlichkeit erzeugt in diesem freien Gewirr aller möglichen Ideen dann nur noch die Rationalität. Sie sortiert die Gedanken scheinbar ohne Dogmen in gültige und unvernünftige und setzt so trotz aller Freiheit schließlich doch die bürgerliche Ordnung als einzig denkbare durch, neben der es nur noch Sekten und Irrenhäuser gibt.
Die Garantie der bürgerlichen Ordnung ist es aber auch, die der Ausweitung der Emanzipation in der frühbürgerlichen Situation Grenzen setzte. Die Verfügung über den eigenen Körper und ein freier Wille, der sich jedoch verkaufen muss, um zu überleben, selbst ein freier Geist begründeten noch nicht die politischen Freiheiten der Moderne. Denn dass Leute, die ihr Leben nicht aus eigenem Eigentum heraus fristen konnten, wählen durften, war keine Selbstverständlichkeit. Erst die feste Einfügung derer, die darauf angewiesen sind, dass andere sie arbeiten lassen, machte es möglich, dass diese inzwischen Wahlberechtigten sich den Gegebenheiten im Rahmen bürgerlicher Partizipation verpflichtet fühlen und so ihr Wahlrecht nicht dazu benutzen, die bürgerliche Ordnung zu schwächen.
Emanzipation bedeutet in der frühbürgerlichen Situation, jeder Person eine Wahlstimme zu geben. Seitdem ist Emanzipation damit verbunden, Individuen Rechte zu verleihen. Sei es, dass sie ihrem individualisierten Willen unbeschränkt Ausdruck verleihen können, in der Lage sind, ihren Angelegenheiten ungestört nachzugehen, oder über ihren Körper frei verfügen dürfen. Das Maß der Emanzipation ergibt sich dabei nicht selten durch den Vergleich mit anderen bürgerlichen Subjekten, die durch die Attribute weiß, männlich, Mittelklasse, heterosexuell, ... gekennzeichnet sind. Der Verdacht liegt nahe, die Verwirklichung einer universellen Emanzipation auf der Höhe der Zeit fordere nichts als die Vollendung der Eingliederung aller in die bürgerliche Gesellschaft durch die Verleihung bürgerlicher Rechte. Eine Forderung, der sich in der gegenwärtigen Situation sicher einiges abgewinnen lässt, zumal wenn ihre Verwirklichung, wie einige glauben, den Kapitalismus an seine Grenze treiben würde. Aber als Maßgabe für den Kommunismus kann die Eingliederung in die bürgerliche Gesellschaft kaum sinnvoll sein.
Die Realität des Individuums
Skepsis gegenüber dem bürgerlichen Emanzipationsprogramm heißt nicht die Vorteile eines Abbaus von Diskriminierungen zu bezweifeln. Sie rührt aus der Betrachtung dessen her, was als Ziel der Antidiskriminierungskampagnen universalisiert werden soll. In diesem Zustand erweist sich das bürgerliche Subjekt nämlich als weitaus weniger individuell und frei, als es angenommen wurde. Die gesellschaftliche Situation bestimmt umfassend seine Fähigkeiten und Fertigkeiten, indem sie es einem Bildungsprozess unterwerfen, durch den diese genauso entstehen, wie die Vorstellungen des Individuums über seinen Charakter und Körper (angefangen von den Idealen einer Schönheit, nach denen es strebt, bis hin zu seinem Geschlecht, dessen Vorstellung es an sich reproduziert). Am Ende schuldet das Individuum der Gesellschaft zwar nichts für sich selbst, doch das, worüber es frei verfügen kann, ist nichts desto trotz ein Produkt, das nur zum kleinsten Teil der Arbeit des Subjektes selbst oder dem Ablauf eines natürlichen Prozesses zugeschrieben werden kann.
Und mit der freien Verfügung des bürgerlichen Ideals ist es ohnehin nicht weit her. Nicht nur, dass die Lohnabhängigen einem fremden Willen zu folgen haben, wenn sie ihre produktive Tätigkeit ausüben, selbst Eigentum an Produktionsmitteln zwingt ja im Kapitalismus dazu, seinen Einsatz den im Tausch durchgesetzten Normen der als effizient erwiesenen Produktionsweisen zu unterwerfen. Dieser Zwang, der sich im Kapitalismus über die produktiven Tätigkeiten der Individuen ausbreitet, bleibt nicht abstrakt. Er entfaltet seine Wirklichkeit bis in die Organisation der Tätigkeiten hinein. Kapitalistische Produktion ist, anders als es die Maßgabe des freien Individuums voraussetzt, nicht die individuelle Auseinandersetzung und Aneignung von Vorgefundenem. Sie ist in der Regel kollektiver Akt, ob in dieser Kollektivität auch noch selbst organisiert oder wie in der klassischen Situation als Kooperation reglementiert. Denn auch da wo ein Reglement regelt, wie die Produktion abzulaufen hat, ist dessen Erfindung als produktiver Prozess nur in Ausnahmefällen das Werk eines einzelnen Individuums. Die Realität der Entwicklung sieht auch hier die Teams, selbst organisiert als produktive Einheiten für Wissen und Verfahren, in denen sich das individuelle Genie als romantische Verklärung erweist.
Zugerichtet an Körper und Geist, von der Kollektivität in seinen produktiven Äußerungen bestimmt, findet sich das bürgerliche Subjekt auch in der Sphäre des öffentlichen Lebens schon lange nicht mehr als Individuum vor. Die das gemeinsame Leben des Bürgertums betreffenden Fragen sind zwar heute durch die Mitbestimmungsrechte der bürgerlichen Demokratie allgemeine Angelegenheit, doch verhindern nicht nur die repräsentativen Elemente individuelles Handeln weitgehend. Entscheidender ist die Verwaltung der gemeinsamen Welt durch eine Bürokratie, deren Merkmal die Zergliederung aller Aktionen ist, so dass die eigentliche Handlung in einer Vielzahl von Akten untergeht. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass im bürokratischen Zusammenhang der Begriff der Verantwortung seine Bedeutung verliert. Wenn Vorgesetzte wegen des Versagens ihrer Behörden zurücktreten, liegt ihr Fehler nie in der Aktion, die das Versagen offenkundig werden ließ, sondern auf der Ebene der Organisation von Handlungsabläufen und deren Kontrolle. Was eigentlich falsch am Verhalten der Person war, die die Verantwortung für unerwünschte Geschehnisse übernimmt, bleibt deshalb zwangsläufig nebulös. Aber deswegen garantiert diese Art der Regelung öffentlicher Angelegenheiten als bürokratische Verwaltung die Stabilität des Bestehenden. Weil Änderungen des Verhaltens dieser Apparate nicht durch einzelne zu erwirken sind, stehen sie auch an ihrer Spitze, sichern sie die Herrschaft des Bestehenden und bilden im eigentlichen Sinn den Staat.
Definitionen der Entfremdung
Konfrontiert mit seiner Realität empfindet sich das bürgerliche Subjekt, das nicht Individuum sein kann, als beherrschtes und unterdrücktes. Die Phänomene, die es eingliedern, treten ihm als Zwang der Verhältnisse entgegen, denen es sich fügen muss. Seine Freiheit ist ihm entwertet, weil selbst seine Handeln und Streben ihm fremd wird. Ein Umstand, der in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als der Kapitalismus schon seine letzte Form des Spätkapitalismus erreicht zu haben schien, der Sozialismus aber auch noch nicht als Verwirklichung der Emanzipation auf der Höhe des entwickelten Spätkapitalismus gesehen werden konnte, zu einer Renaissance des Begriffs »Entfremdung« führte.
Heftig umstritten wegen einer Begriffsgeschichte, in der einige Verwendungen von Entfremdung durchaus nahe legen, es gäbe neben dem jetzt beobachtbaren Leben der bürgerlichen Subjekte eine wahre Natur des Menschen, der es zur Geltung zu verschaffen gelte, beschreibt Entfremdung zunächst den Unterschied zwischen dem Willen des Individuums und dem Willen, dem es mit seinen Handlungen Ausdruck verleiht. Im Kapitalismus bedeutet dies vor allem, dass es durch die Ausführung seiner produktiven Tätigkeiten nicht nur etwas erzeugt, was ihm herzustellen aufgetragen wurde, sondern mit seiner Arbeit auch die Bedingungen reproduziert, in denen es gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen und sich ausbeuten zu lassen. Doch der Herrschaftszusammenhang, der somit reproduziert wird, bleibt nicht so allgemein. Er vergegenständlicht sich in den konkreten Abläufen der Produktion, in deren Organisation und materielle Ausgestaltung hinein, die sich alle dem Primat der kapitalistischen Ökonomie entsprechend entwickelt haben. So dass Entfremdung auch bedeutet, sich in einer Umgebung wiederzufinden, die auf das Individuum materiellen Zwang ausübt.
Entfremdung als Verstoß gegen die menschliche Natur verstanden, kann den durch den Kapitalismus produzierten feindlichen Zustand zwar als objektiven Widerspruch zur Humanität geißeln, entwirft aber zugleich ein problematisches Bild der nichtentfremdeten Utopie. Wo eine Natur herrscht, haben die konkreten Menschen nur die Chance dieser zu entsprechen. Der Zwang der damit ausgeübt wird, kann sich leicht mit dem Zwang kapitalistischer Verhältnisse messen, weil er die Besonderheiten zu Gunsten allgemeiner Grundsätze unterdrückt. Nicht zuletzt deshalb kann das Individuum mit seinen bürgerlichen Rechten einer solchen Situation als Fortschritt der Emanzipation entgegengehalten werden. Bieten doch die Rechte zumindest einen Rahmen in dem Besonderheiten unbeschränkt ausgelebt werden können, ohne sich vor der Partei verantworten zu müssen.
Deshalb setzten andere Emanzipationsvorstellungen bei der weiteren Stärkung des Individuums an. Dessen privaten Willen soll endgültig Geltung verschafft werden, indem die Schranken, die ihm die bürgerlich-kapitalistische Ordnung setzt, aufgehoben werden. Das bürgerliche Subjekt wird so gedanklich auf die Spitze getrieben, ohne zu sehen, dass es nicht einfach finstere Mächte sind, die solche Beschränkungen immer wieder in die Welt setzten und das Individuum so in Fesseln halten. Der Mensch lebt nicht allein. Er ist in seinem Leben auf andere angewiesen und muss sein gemeinsames Leben organisieren. Das Ideal der Freiheit, dass das Bürgertum gegen den Feudalismus mobilisierte, trägt diesem Umstand keine Rechnung. Ihm gilt die Kooperation nicht als Notwendigkeit, sondern als Ausdruck einer abwägenden Vernunft, die darin persönliche Vorteile erkennt. Doch da Kooperation immer auch mit Abstrichen von der individuell verstandenen Freiheit einhergeht, muss durch die Radikalisierung des individuellen Freiheitsgedankens schließlich die Kooperation in Frage gestellt werden. Der Protest gegen die kapitalistischen Produktionsformen wird zur Kritik wesentlich arbeitsteiliger Produktionsformen überhaupt. Das komplexe gesellschaftliche Leben, dessen Organisation als Beschränkung der eigenen Freiheit empfunden wird, soll durch die ländliche Idylle des einfachen Lebens ersetzt werden. Im Extremfall wird jede menschliche Bindung als Zwang definiert.
Das bürgerliche Pendant zu einer solchen Vorstellung allgemeiner Freiheit ist aber auch nicht besser. Hier wird der Zwang einfach zur Vernunft. Die freiwillige Einwilligung in die Unterdrückung wird zum Beleg für die Abwesenheit von Zwang. Und freiwillig heißt nichts anderes, als sich der Rationalität der gegebenen Situation zu fügen. Zwang und Herrschaft sollen in kommunikativen Prozessen internalisiert werden, damit am Ende die Individuen nicht mehr von außen unterdrückt werden müssen, sondern ihre Zurichtung selbst übernehmen. Wer sich der Wahrheit des kapitalistischen Systems aber nicht fügen kann, muss in diesem, wie im Naturmodell, ausgeschlossen werden. Für Fremdes ist in dieser entfremdungsfreien Ordnung kein Platz mehr und wo der Ausschluss nicht gelingt, gilt ihm der blanke Hass.
Es ist die Vorstellung vom Individuum als Quelle und Ziel der Emanzipation, die in dieses Denken führt, das entweder die Sozialität als Merkmal des Menschlichen leugnet, oder Herrschaft und Zwang hinter einer höheren Instanz, sei es Natur oder die allgemeine Vernunft, verbirgt. Eine tatsächliche Vorstellung von Emanzipation, die über das Bestehende hinausweisen soll, kann sich nicht an der Vorstellung individueller Rechte im Verhältnis zu einer allgemeinen Ordnung orientieren. Sie muss sich statt dessen fragen, unter welchen Bedingungen das gemeinsame Leben organisiert werden kann, so dass Zwänge als Ausdruck menschlichen Handelns erkennbar werden und die Entscheidung zu ihrer Abschaffung oder Hinnahme im Rahmen kollektiver Prozesse gleichermaßen als Möglichkeit entstehen.
Thomas Hauke
Der Autor ist Mitglied im Bündnis gegen Rechts (BgR) Leipzig