Der Kommunismus, den Marx 1848 noch als sich andeutende, in der bürgerlichen Revolution anschleichende Bedrohung der kapitalistischen Gesellschaft sah, ist derzeit kein Schreckgespenst mehr. Er ist eher eine Chiffre: Reminiszenz an frühere Zeiten, als das Wünschen noch geholfen habe. Heute spricht man gern über ihn – wahlweise mit Naserümpfen oder Sehnsucht – als jener heroischen Vision einer besseren Welt in einer glorreichen Zukunft, die so vielen Menschen die Leidenschaft ins Herz gepflanzt hat. Und in Ermangelung großer Gefühle stellt man sich auch schon mal die Frage, ob die abstrakte Utopie, das ganz Andere des Status Quo, nicht eine interessante und notwendige Denksportaufgabe ist – doch eher zur Ankurbelung systemverbessernder Kreativität denn als soziale Alternative. So zumindest lässt sich die Beteiligung der Bundeskulturstiftung an der Finanzierung eines Kongresses mit dem Gegenstand Kommunismus verstehen.
»Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.«
Realexistierende Utopie?
In Marx Nicht-Bestimmung des Kommunismus liegt bereits die Kritik des »realexistierenden Sozialismus« oder »Kommunismus«. Dieser wollte nämlich die Wirklichkeit nach dem abstrakten Ideal richten, statt die Abstraktion aus der Kritik der Wirklichkeit zu entwickeln. Wer sich erst die Welt und die Menschen ausmalt, wie sie sein sollen, fragt sich schnell, wer in dieses Schema nicht passt. Ein Sozialismus, der als »Verwirklichung« der Utopie gedacht wird, findet genauso schnell die »Schädlinge«, für die es in der Realisierung der geschichtlichen Bestimmung keinen Platz jenseits des Straflagers gibt. Dialektisches Denken (nach Marx) – das im Bestehenden die Möglichkeiten denkt – ist kalt gestellt und zum »Diamat«(1) erstarrt. Der Nicht-Ort der Befreiung findet sich in nationalen Grenzen lokalisiert, geschichtliche Entwicklung wird als Realisierung von Naturgesetzen gesehen und kürzt so die Subjektivität, die von Menschen gemachte Dynamik von Veränderung aus den eigenen Denkmöglichkeiten. Doch auch hier gilt »abstrakt negiert ist halb kapiert«: Wer glaubt, mit der wohlfeilen Geste der Distanzierung und der Beteiligung an der gesellschaftlichen Entnennung sozialistischer Erfahrungen kann einfach ein neuer Einsatz in die Debatte gefunden werden, hat seinerseits die Dialektik, das Denken von Möglichkeiten statt toter Fakten, erledigt und ein neues abstraktes Ideal geschaffen: reden über Kommunismus ja, aber selbstverständlich ohne Hintergehung der bürgerlichen Errungenschaften. Die Geste erlaubt keinen Widerspruch und auch wir wollen uns ihr nicht versperren – selbstverständlich. Nur bietet sie weniger Distinguiertheit, als man auf den ersten Blick meinen würde, vollzog sie doch die SED bereits mit ihrer Umbenennung in PDS. Offene Fragen, etwa was an den bürgerlichen Errungenschaften fest mit Kapitalismus verschweißt ist und wie sich Formen bürgerlicher Herrschaft in der Negierung von Herrschaft transformieren lassen, so dass die bewahrenswerten Güter »übrig bleiben«, werden hier gar nicht erst gestellt, sondern hinter der Geste der Selbstverständlichkeit verborgen. Wer sich also lieber auf den Richterstuhl wiederfindet und mit dem Recht der (Sieger-)Geschichte im Rücken entscheidet, wer zum Thema Kommunismus beitragen darf und geläutert genug ist, statt aus den zum Teil grauenvollen Fehlern der kommunistischen Geschichte für ein zukünftiges Projekt der Befreiung zu lernen, zu ihrer Aufarbeitung von links, jenseits von totalitarismustheoretischen Armseligkeiten und im Interesse der Befreiung beizutragen, der erinnert doch stärker an das Komitee zur Hütung zentraler Wahrheiten, als jede Geste der Distanzierung verwischen kann. Gleichzeitig wäre zu fragen, was das Scheitern des Kommunismus mit dem Scheitern des sozialstaatlichen Kapitalismus, d.h. der »sozialen Marktwirtschaft«, und auch dem Scheitern der Demokratie zu tun hat.
Jeder Versuch unsererseits, diese Diskussion im Vorfeld oder auf dem Kongress zu implementieren, ist bisher gescheitert. Keine Person, die die Theorien des ehemaligen Sozialismus vertritt, konnte als ReferentIn durchgesetzt werden (auch nicht für die Kulturdiskussion, in der Traditionen von Brecht und Benjamin, Eissler, Heiner Müller u.v.m. zu diskutieren gewesen wären) und man fragt sich, ob die schon die Berufsverbote der siebziger Jahre mit so sicherem Instinkt die Nähe zu kommunistischen Organisationen und Parteien gefunden haben, wie sie jetzt in der Vorbereitung des Kongresses aufgespürt wird.
Die Notwendigkeit der Analyse
Marx hat wenig über Kommunismus und viel über Kapitalismus geschrieben, was als Fingerzeig gelesen werden kann, auf welchem Feld die Schlacht um den Kommunismus als Negation des Status Quo geschlagen wird. Die Aufhebung des jetzigen Zustands ist für keine Bewegung ohne seine Analyse zu haben. Der Verweis auf die Grundstrukturen des Kapitalismus, die sich mit Marx analysieren lassen, erscheint nur denen »ewig gestrig«, die sich der Kritik des Kapitalismus zugunsten des Status Quo entledigen wollen. Auch hier gilt es, sich dem Mainstream zu verweigern: Die Gleichsetzung von Kapitalismus mit Ökonomie und von Bestehen auf Kapitalismuskritik mit Ökonomismus und Hauptwiderspruchsdenken macht sich gar nicht erst die Mühe, das Ganze in seiner Überdeterminiertheit zu denken. Die Frage nach den Produktionsverhältnissen ist keine ökonomische, sondern eine der Anordnung der verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnisse zur Ökonomie, zur Produktion von Wissen, von Subjektformen, die Frage nach einer Logik, die sich in verschiedenen Bereichen artikuliert ohne eine Ableitung aus ökonomischen »Grundlagen« zu sein. Das ist schwierig zu denken und sollte daher sorgfältig diskutiert werden – die Herausforderung zurückzuweisen würde nur bedeuten, sich einem neuen Reduktionismus anzudienen.
Analyse und Kritik des Ist-Zustandes unterscheiden sich wesentlich von denen aus der Zeit des »klassischen Kommunismus«. Die Einzwängung der Subjekte ins eiserne Korsett der Hörigkeit zum Zwecke der Ausübung kleinteilig aufgefalteter Arbeitsschritte ohne geistige Herausforderung(2) kann als Paradigma des Fordismus gesehen werden. Damit einher gingen die Anforderungen von Anpassung, Pünktlichkeit, Sexualunterdrückung, Zwangsheterosexualität usw. Ihre Negation wurde vor allem von der Bewegung der 68er vorangetrieben, die sich in vielen ihrer Strömungen auch gegen den realen Sozialismus richtete, der dem fordistischen Paradigma verhaftet war und nicht mit dessen sozialen Formen gebrochen hatte. Die Zurückweisung der fordistischen Einpassung schien die Grundlagen der Gesellschaft zu erschüttern. Der Fordismus schien eins mit dem Kapitalismus, und doch hat die Bewegung der 68er für zentrale (Subjekt-)Anforderungen im Neoliberalismus gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen. Die Kompetenzen, die die 68er Bewegung forderte und förderte, gehören zum »general intellect« (das, was jeder können muss) der neoliberalen Formation: Heute fordert die herrschende Ideologie, Lust, Kreativität und Individualität in die Arbeit einzubringen, und in Sachen Sexualität ist vor allem wichtig, dass man sie hat und dass man gut darin ist – quasi ein Gradmesser gesellschaftlicher Leistungsfähigkeit. Der Einbruch der new economy an der Börse hat die überfliegenden Wohlstandsfantasien vielleicht etwas zurückgefahren, nach wie vor unsichtbar bleibt aber das Gegenstück neoliberaler Utopie, der Sweatshop, die Maquiladora und damit die Kontinuität von repetitiven, geistlosen Tätigkeiten, von extremer Ausbeutung, die Abschaffung von sozialen Mindeststandards, die Privatisierung des Existenzrisikos.
Die Selbstversicherung der Subjekte dagegen bedient sich ideologisch der Identitäten, seien es »(sub)kulturelle« oder »nationale«. Ihr ist mit radikaler Kritik der neoliberalen Produktionsweise und des Kapitalismus zu begegnen. Auch hier ist es eine Funktion von Analyse sicherzustellen, dass die Gegenbewegungen gegen den Status Quo nicht einfach das ideologisch Nahegelegte verdoppeln – und gleichzeitig zu fragen, was konkrete Negationen/Gegenbilder dieser Formen sein könnten, die sich einer Inanspruchnahme für »modernisierten« Kapitalismus verweigern.
Die Notwendigkeit der Bewegung
Die Bewegung bedarf der Analyse, doch befindet sich zwischen beiden keine Einbahnstraße. Eine Analyse der Möglichkeiten von Kommunismus geht nicht ohne die Reflexion der Bewegung »die diesen Zustand aufhebt« – und gleichzeitig der Frage, ob die Bewegung den Zustand überhaupt aufhebt: Kann Linux als Unterlaufen der kapitalistischen Produktionsweise, quasi als subversive Guerilla-Taktik verstanden werden? Einige Bewegungen hoffen auf eine Radikalisierung von Demokratie, die kapitalistische Besitzverhältnisse verunmöglichen soll, andere Bewegungen hoffen durch internationale Steuern dem Kapitalismus Fesseln anzulegen. Ist das Politische in der Kunst mit dem Fordimus gestorben? Ist das Internet die Vorwegnahme kommunistischer Kommunikation? ...
Das Reden über Kommunismus bleibt abstrakt und damit wohlfeil, wenn die Sprechenden die Widersprüche nur von außen analysiert und nicht auch in ihnen agieren, sie zuspitzen – oder zumindest mit denen kommunizieren, und sei es in Form von Büchern, die in den Widersprüchen agieren. Die Bewegungen machen neue Felder der Auseinandersetzung auf. Erst damit öffnet sich auch der Horizont für neue theoretische Fragen und Analysen – die immer auch Analysen des (partiellen) Scheiterns und der Integration sind. Eine solche Analyse der 68er hätte der Linken vielleicht zehn Jahre des hinter dem Neoliberalismus Herhinkens erspart.
So muss die Analyse des Ist-Zustandes, zumindest sofern sie zur Aufhebung des Kapitalismus dienlich sein soll, soziale Widersprüche und die Formen, wie sich Subjekte und Gegenbewegungen in ihnen, gegen sie bewegen, in den Blick nehmen. Gleichzeitig ist das Ringen um die Bedeutungen des Begriffs Kommunismus ein Eingriff in die Denkmöglichkeiten unserer Gesellschaft und ihrer Gegenbilder. Ist die Negation des Ganzen überhaupt denkbar? Das Streiten um »Kommunismus« kann hierzu beitragen und eine Utopie ermöglichen, die nicht die fordistische Ausprägung des Kapitalismus negiert, sondern den Kapitalismus mitsamt seiner neoliberalen Freiheitsversprechen. Eine konkrete Utopie der Negation des Kapitalismus bedarf der Thematisierung sozialer Widersprüche durch Bewegungen und ihrer schrittweise vorangetriebenen Infragestellung. Die Begriffe Lohn, Gewerkschaften, Gesundheitssystem, Ausbeutung, Klassen, Kapital, Subsumtion unter Waren und Wert etwa – allesamt Begriffe, die im Zusammenhang der Kongressvorbereitung nicht so gern gehört wurden – sind Begriffe, die aus dem hübschen Gedankenspiel des Kommunismus wieder das Schreckgespenst im Status Quo machen.
Fußnoten:
(1) Dialektischer Materialismus (Anm. d. Red.).
(2) Schon Marx wusste, dass solche Tätigkeiten den Menschen
am meisten abverlangen, weil sie bei ihnen am meisten »abschalten« müssen.
Kongressvorbereitungsgruppe
von Kritik & Praxis Berlin (KP)