»Die Einmütigkeit ist überwältigend, der Konsens beinahe erdrückend: Doping ist ein Teufelszeug, eine globale Seuche, [...] Mittlerweile hat sich die Politik endgültig des Themas bemächtigt. Doping hat aufgehört, ein ›Sportthema‹ zu sein. Doping drängt die Welt an den Rand des moralischen Abgrunds. Antidopingpolitik ist Weltrettungspolitik«.
Dieses Zitat des Sammelbandes Wer macht den Sport kaputt? Doping, Kontrolle und Menschenwürde beschreibt eindrücklich die Einseitigkeit der aktuellen Doping-Diskussion. Gleichzeitig impliziert sie ein Bild des Sports, das immer überformter und unrealer wird, und je nach Belieben zwischen den Ebenen Moral, Gesundheit, Politik und (Un)Recht hin- und herverhandelt wird. Denn die Welt des Sports muss einfach immer nur schön sein. Perfektion, Ästhetik, Leistung, EPO, Nadrolon, Anabolika sind Vokabeln bei denen VerbandsfunktionärInnen und PolitikerInnen zusammenzucken.
Den exemplarischen Satz »Doping macht den Sport kaputt« versuchen Rolf-Günther Schulze und Martin Krauss, Herausgeber des Buches mit Texten von weiteren acht Autoren, umzukehren. Exemplarisch versuchen dies u.a. Konkret-Macher Hermann L. Gremliza, der Popkultur-Guru Diedrich Diederichsen, der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht oder der Autor Thomas Ebermann. Allesamt äußerst angenehm, jenseits klassisch doppelzüngiger Beiträge auf Sportseiten oder im Feuilleton.
Insgesamt kristallisiert sich – als gemeinsamer Nenner der Autoren und Ausnahme vom medialen Anti-Dopingwahn – Ablehnung gegenüber den alltäglichen Umgangs- und Verfahrensweisen um das Thema Doping heraus. Ganz klar werden die immer wieder auftauchenden vehementen Forderungen nach Repressionen gegenüber »DopingsünderInnen« kritisiert. Die Begründungen fallen jedoch von Autor zu Autor unterschiedlich aus.
Thomas Ebermann stellt in seinem Beitrag fest, dass »Doping [...] zum Sport wie Korruption zur Gesellschaft [gehört]« und eine immanente Kritik deshalb kaum möglich sei. Sport unterliegt einem Leistungsethos, der mit der Gesellschaft vergleichbar ist, frei nach dem Motto »Besser als die Anderen«. Doping ist natürlich und alltäglich. Selbst SportlerInnen, die sich an die »Liste« der verbotenen Substanzen der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) halten, kennen und konsumieren, mit oder ohne sportärztlicher- und ernährungswissenschaftlicher Beratung, das ein oder andere »legale« Mittelchen. Hans Ulrich Gumbrecht stellt in seinem Text »Geheuchelte Wut« die Querverbindung von LeistungssportlerInnen zu »normalen« Menschen des Alltags her: »Wer nimmt denn wirklich keine Tablette, wenn er mit Kopfweh [...] aufwacht? Anstelle von uns physischen Normalverbrauchern wollen wir die Spitzensportler auf die selbstregulierenden Kräfte ihres Körpers beschränken«.
Im Aufsatz »Mehrwert und Werbung« von Stefan Chatrath geht es insbesondere um Doping im Radsport. Radprofis werden bei positiven A- und B-Proben von Presse und Öffentlichkeit angeprangert, während das breite Publikum aber vor dem heimischen Fernsehgerät sitzt und »packende Duelle am Berg« verlangt. Chatrath widmet sich dabei auch den Sponsoren der Rad-Rennställe, untersucht ihre Rolle im Dopingspiel und kommt dabei zu der nicht ganz neuen Erkenntnis: »Sponsoren sind nicht Schuld am Doping [...]. Aber auch Antidoping liegt nicht unbedingt in ihrem Interesse«.
Zum Thema Freigabe von Doping-Mitteln gehen die Meinungen unter den Autoren auseinander. Der Fokus liegt aber nicht auf den gesundheitlichen Konsequenzen für SportlerInnen, sondern auf den Schäden, die die Doping-Repression anrichtet, wie Eingriffe in die Privatsphäre, Berufsverbote durch Sportverbände, und dass dabei eine Gratwanderung stattfindet, zwischen menschenverachtenden Anti-Doping-Praktiken, Leistungsethos, mystifizierter Chancengleichheit und propagiertem Betrug an der »nacheifernden Jugend«. Hinzu kommt der pathetische Glauben im Anti-Doping-Krieg, es gäbe »saubere« und »reine« Körper – ein völkischer Reflex, der aus der Angst vor dem vergesellschafteten Körper resultiert.
Sollte es wirklich einmal eine ernsthafte Dopingdebatte geben, müsste dieses Buch Grundlage dafür sein. Das Thema Doping ist komplizierter und diffiziler, als es in den meisten bisherigen Veröffentlichungen und Diskussionen dargestellt wird. Hier rüttelt Wer macht den Sport kaputt? durchaus auch an den Grundfesten. Denn die angeblichen Selbstverständlichkeiten der Doping-Bekämpfung werden als zumeist reine Glaubensfragen enttarnt.
Rolf-Günther Schulze und Martin Krauss (Hrsg.): Wer macht den Sport kaputt? Doping, Kontrolle und Menschenwürde. Verbrecher Verlag, Berlin 2008. 176 S., € 13,00.
CONSTANTIN MENZE