»Tatort Globalisierung. Internationalismus nach Seattle, Genua und dem 11. September« lautete der Titel des 25. BUKO-Kongresses (Bundeskoordination Internationalismus; zur Geschichte der BUKO s. Kasten), der vom 9.-12. Mai in Frankfurt/Main stattfand. In zahlreichen Arbeitsgruppen und Podien diskutierten die Teilnehmerinnen über die unterschiedlichsten Aspekte neoliberaler Globalisierung. Themen waren u.a. die Situation in Israel/Palästina, Globalisierung und Imperialismus; Formen der Gegenöffentlichkeit und der Organisierung, die zunehmende Repression nach dem 11. September u.v.m.
Der diesjährige Kongress war nicht nur deswegen, weil es sich um einen Jubiläumskongress handelte bemerkenswert. Der Kongress hatte auch einen Testcharakter. Die Vorbereitungsgruppe hatte sich insbesondere drei Ziele gesteckt:
* die Öffnung der BUKO in Richtung feministischer, antimilitaristischer, antirassistischer und antifaschistischer Gruppen;
* den Aufbau einer linke Netzwerkstruktur innerhalb der internationalen Protestbewegung zu forcieren und schließlich
* den TeilnehmerInnenkreis gegenüber den vorangehenden Kongressen deutlich zu erhöhen.
Aufbruchstimmung
Zumindest Letzteres ist ohne Abstriche gelungen. Bis zu tausend Menschen beteiligten sich am Kongress. Damit wurden alle internen Schätzungen weit übertroffen. Die These, dass es nach den Demonstrationen in Seattle und Genua gegen die WTO und den G 8-Gipfel einen Aufbruch der internationalen Protestbewegung auch in Deutschland gegeben hat, wurde durch diesen Zulauf bestätigt. Auch die Attentate vom 11. September haben zu keinem Abbruch geführt. Vom Aufbruch profitieren nicht nur Netzwerke wie ATTAC, sondern auch linkere Strukturen wie die BUKO. Die Aufbruchstimmung war auch auf dem Kongress überall zu spüren.
Die Demonstrationen von Seattle und Genua haben die politische Landschaft somit deutlich verändert. Es kam zu einer bemerkenswerten »Rehabilitierung von Protest«, Die Straße als Terrain politischer Auseinandersetzung wurde wieder aufgewertet. Im Gegensatz dazu waren in den 90er Jahren die Konferenzsäle die bevorzugten Orte politischen Handelns. Es war die hohe Zeit des »Liberalismus der Erschöpften« (W.-D. Narr), in der NGO-Experten den Ton angaben und den gepflegten Dialog in Lobbygesprächen mit den Herrschenden in Politik und Wirtschaft suchten. Nach dem Epochenbruch von 1989 hatte die übergroße Mehrheit der entwicklungspolitischen Community Abschied genommen von der Analyse und der Kritik von Machtstrukturen. Stattdessen gewann der Diskurs der »Einen-Welt« an Bedeutung. Man imaginierte sich in eine globale Zivilgesellschaft, in der die VertreterInnen der NGOs mit den Herrschenden an Runden Tischen sitzen und durch die Macht des besseren Arguments im herrschaftsfreien Diskurs die Welt zu verbessern hofften. Der Platz des politischen Gegners war verwaist. Machtund herrschaftskritische Positionen wie die des BUKO führten ein Schattendasein. In Seattle und Genua gelang es, mit der Kritik an zentralen Institutionen (IWF, WTO, G 8) der neoliberalen Globalisierung die Hegemonie des konsensorientierten Politikmodells zu brechen und somit nach langer Zeit wieder einen politischen Gegner zu konstituieren. Dadurch eröffneten sich wieder neue Handlungs- und Denkräume. Die zahlreichen Demonstrationen seit Seattle belegen dies genauso wie der Umstand, dass eine Kapitalismuskritik wieder möglich ist. In der nachvollziehbaren
Zuspitzung der Kritik auf Institutionen wie IWF, WTO und G 8 droht allerdings die Gefahr einer verkürzten Kapitalismusanalyse oder einer Personalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse.
Öffnung der BUKO
Ein zweites wichtiges Anliegen war die verstärkte Öffnung der BUKO in Richtung feministischer, antirassistischer, antimilitaristischer und antifaschistischer Gruppen. Zu den Vorbereitungstreffen wurde deshalb breit eingeladen. Der Umstand, dass sich u.a. die MigrantInnenorganisation kanak attak, die Antifaschistische Aktion Berlin, die DFG-VK Hessen, die feministische Gruppe respect-los oder Libertad aktiv am Kongress beteiligten, zeigt, dass diese Öffnung angenommen wurde. Der Kongress wurde von vielen Menschen besucht, die bisher der BUKO fern standen - auch aus dem antifaschistischen Spektrum. Der Versuch der Öffnung war nicht nur dem Wunsch nach verstärkter Zusammenarbeit mit anderen linken Spektren geschuldet. Dies ergibt sich aus der immer stärkeren Überschneidung der Handlungsfelder. Neoliberale Globalisierung ist ein umfassendes, wenn auch in all seinen Bereichen widersprüchliches Projekt, das mittlerweile alle Poren des Alltags durchdringt. Im Mittelpunkt der Analysen stand die gegenseitige Durchdringung von politischen und ökonomischen Prozessen. Kritisiert wurde die gängige Vorstellung, wonach sich »die Ökonomie« von »der Politik« verselbstständigt hätte und nun wieder an die Leine der Politik gelegt werden müsste. Die Politik ist nicht das Gegenüber einer neoliberalen Ökonomie, sondern hat diesen Prozess über staatliche und suprastaatliche Institutionen moderiert, kanalisiert und vorangetrieben. Der Prozess neoliberaler Globalisierung wird gestützt durch ein ganzes Bündel von Sicherungsmechanismen. Auf der militärischen Ebene spielen die Krisenreaktionskräfte bzw. Schnellen Eingreifstruppen eine zentrale Rolle. Kriege bekommen immer stärker den Charakter von Polizeieinsätzen, mit denen die Hegemonie der NATO-Staaten abgesichert werden soll. Eine zentrale Rolle spielen die Grenz- und Migrationsregime (Schengen-Abkommen) mit denen unerwünschte Migrationsbewegungen verhindert werden
sollen. Immer mehr Menschen werden dadurch in die Illegalität getrieben. Anhand der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Illegalisierten kann man deutlich die Folgen einer neoliberalen Globalisierung im Alltag aufzeigen. In ihnen verdichten sich die patriarchalen und rassistischen Strukturen. Folgerichtig wurde von kanak attak zu einer Legalisierungskampagne aufgerufen. Die in den letzten Jahren relativ starke Ausdifferenzierung in Teilbereichslinke muss auf Grund dieser Entwicklungen überwunden werden. Auch die zunehmende rechte bis rechtsradikale Globalisierungskritik zwingt die internationalistische Szene, sich damit stärker auseinanderzusetzen. Umgekehrt ist es folgerichtig, dass auch im Antifa-Spektrum zunehmend über die neoliberale Globalisierung diskutiert wird. Es ist also sinnvoll, Strukturen zu schaffen, mit denen der begonnene Öffnungs- und Austauschprozess verstetigt und intensiviert werden kann.
Aufbau eines linken Netzwerkes
Die seit Seattle neu entfachte Bewegungsdynamik hat neue Organisationsformen entstehen lassen. Am bekanntesten ist derzeit ATTAC. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk, das sich ursprünglich die Besteuerung Finanzspekulationen auf die Fahne geschrieben hat. Von den Forderungen her kann man ATTAC als Sammlungsbewegung einer »außerparlamentarischen Sozialdemokratie« bezeichnen, die den Platz besetzt, der durch die neoliberale Wendung der meisten sozialdemokratischen Parteien frei geworden ist. ATTAC hat innerhalb kürzester Zeit eine rasante Entwicklung gemacht. Der ATTAC-Hype hat viele Gründe: zum einen betreibt ATTAC eine professionelle Medienarbeit und wird deshalb als Sprachrohr der »Globalisierungsgegnerlnnen« wahrgenommen. Zum anderen analysiert es die neoliberale Globalisierung nicht als ein umfassendes soziales und politisches Projekt, sondern betont vor allem die Schattenseiten und die Defizite der Globalisierung, die vor allem durch die Finanzökonomie verursacht würden. Schließlich macht ATTAC scheinbar oder tatsächlich konkrete Vorschläge, die dem herrschenden Politikverständnis von »Konstruktivität« entsprechen. Der Netzwerkcharakter bedeutet auf der anderen Seite aber auch, dass ATTAC keine homogene Organisation ist. Die Dynamik der internationalen Protestbewegung hat ATTAC nicht nur konstituiert, sondern auch transformiert. Trotz aller Kritik ist nicht zu übersehen, dass die Analysen der neoliberalen Globalisierung bei ATTAC differenzierter geworden sind. Die von Ort zu Ort sehr unterschiedlichen Bedingungen eröffnen auch Räume für linke Interventionen. Allerdings kann eine radikal herrschaftskritische Linke m.E. nicht in ATTAC aufgehen, sondern muss sich eine eigene Netzwerkstruktur schaffen, die vor allem zwei Funktionen erfüllen könnte: Zum einen soll es über Seminare und Kongresse ein Forum des Austausches sein, auf der die diskussionsbereiten Strömungen in der radikalen Linken ihre Differenzen diskutieren können ohne diese vereinheitlichen zu müssen. Zum anderen soll - wenn möglich - auch in politische Debatten interveniert werden. Die BUKO will ein wichtiger Teil dieser Netzwerkstruktur sein. Ein Anfang wurde mit dem diesjährigen Kongress gemacht. Ob dies ein einmaliges Ereignis bleibt, hängt auch davon ab, ob es gelingt, einen gemeinsamen inhaltlichen Austauschprozess auf Seminaren und Kongressen voranzutreiben.
Die BUKO (Bundeskoordination Internationalismus)
Auf Anregung des damaligen Entwicklungshilfeministers Erhard Eppler, der sich einen zentralen Ansprechpartner für die zahlreichen Dritte-Welt-Gruppen und Solidaritätskomitees wünschte, wurde der BUK0 (Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen wie er 25 Jahre lang hieß) 1977 gegründet. Der BUKO emanzipierte sich schnell von seinem politischen Ziehvater und beging einen Vatermord als er zu Beginn der 80er Jahre im Rahmen der Aktivitäten der Friedensbewegung zur Blockade des BMZ (Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) aufrief. Seinen Höhepunkt und größten Einfluss hatte er bei der Kampagne gegen IWF und Weltbank als ca. 80000 Menschen in Berlin gegen diese beiden Institutionen demonstrierten. Mit dem Epochenbruch von 1989, der Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua und dem Erstarken einer konsensorientierten Lobbypolitik stürzte der BUK0 zu Beginn der 90er Jahre in eine tiefe Krise. Der BUKO hielt zum einen an einer radikalen Macht- und Herrschaftskritik fest. Auf der anderen Seite begann man aber das eigene Selbstverständnis von Solidarität zu hinterfragen, das oft von sehr eurozentrischen und patriarchalen Vorstellungen von Befreiung, Entwicklung und Fortschritt geprägt war. Dies führte zum Abschied von der klassischen »Dritte-Welt-Solidarität« und zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit der Situation im eigenen Land. In der diesjährigen Umbenennung in »Bundeskoordination Internationalismus« wurden der Abschied von Entwicklungspolitik auch in der Namensgebung sichtbar.
Ef.
Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft im BUKO