Erfolgreiche Symbolpolitik und Proteste, die »für einen kurzen Moment eine reale und nicht mehr nur symbolische Konfliktlinie deutlich gemacht [haben] zwischen denen, die an den herrschenden Verhältnissen festhalten, und denen, die etwas Besseres wollen«. Erkennbar soll dies am großen Aufwand gewesen sein, die die staatlichen Repressionsorgane zur Störung der machtvollen Demonstrationen aufgefahren hatten. So in etwa lautet die Zusammenfassung der beiden Auswertungspapiere von TOP Berlin und dem ums Ganze (UG) Bündnis zu M31 und Blockupy. … Ums Ganze!, We haven’t even started yet! Zum Stand der antikapitalistischen Proteste im Sommer 2012 – Auswertung und Einschätzung der Krisenproteste M31 & Blockupy http://umsganze.org/we-havent-even-started-yet/ –?soweit nicht anders angegeben sind die Zitate dieses Artikels aus einem der beiden Papiere.
Eine Selbsteinschätzung, unter der die wenigen inhaltlichen Aussagen der Papiere durchaus zu leiden hatten. Denn mit einer gelungenen Skizze der herrschenden Reaktionen auf die Krise haben diese wenig zu tun. So hat das Bundesverfassungsgericht gerade Ich argumentiere der Einfachheit halber mit der Situation zum Zeitpunkt der Formulierung dieser Erwiderung (Mitte September). Die Konstellation, um die es mir geht, besteht nun aber schon mindestens zwei Jahre, weshalb es letztlich nichts zur Sache tut, dass einige der Ereignisse, die ich anführe, neueren Datums sind als die Papiere. JM. die diversen Klagen gegen ESM und Fiskalpakt ebenso zurückgewiesen wie die Eilklage des CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler gegen den Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB), in Zukunft Anleihen von Euro-Staaten, denen auf dem freien Markt nur gegen hohe Zinsen Geld angeboten wird, direkt zu kaufen. Dass es also gegen die Anti-Krisen-Maßnahmen der Bundesregierung bzw. der EU nicht mehr nur skeptisches Gegrummel gegen »die da oben« gibt, sondern auch sehr breiten Widerstand innerhalb der staatstragenden Institutionen, wird in keinem der Papiere als grundlegender Widerspruch der Krisenreaktionen auch nur bemerkt. Vielmehr werden die Hetze der Bild-Zeitung gegen die »Pleite-Griechen« und die Forderung nach »›Durchgriffsrechten‹ auf Haushalte fremder Staaten« direkt zu Beginn in einem Atemzug genannt, und im Anschluss daran zusammenfassend als »neu in Stellung gebrachte[r] deutsche[r] Chauvinismus« charakterisiert. Kein Wort dazu, dass die Bild-Fraktion aus ihren Ressentiments eher folgert, Griechenland mit seinem Haushalt verrecken zu lassen, anstatt »Durchgriffsrechte« auf diesen zu fordern. Keineswegs wird das, was UG genau wie der linke Mainstream als »neoliberale Krisenpolitik« und »Austeritätsprogramm« bezeichnen, von allen deutschen ChauvinistInnen als Mittel zur Wahrung ihrer nationalen Interessen verstanden und unterstützt. Ganz im Gegenteil. Über 50% der Landsleute sprechen sich derzeit gegen ESM und Fiskalpakt aus. Vgl. Umfrage zur Euro-Rettung Deutsche hoffen auf ESM-Verbot aus Karlsruhe, aus SZ Online, http://www.sueddeutsche.de/politik/umfrage-zur-eurorettung-deutsche-hoffen-auf-esm-verbot-aus-karlsruhe-1.1461347 Dagegen erscheint die Regierungslinie geradezu als »europafreundlich«, weil sie ihre Position gegen die in der öffentlichen Debatte hegemonialen reaktionären Einwände verteidigen muss. Auch wenn sich etwa die SZ Mühe gibt, die ablehnende Haltung als Resultat eines linken Gerechtigkeitsideals zu interpretieren, indem sie herausstellt, dass die Ablehnung unter AnhängerInnen der Linkspartei relativ am größten sei, richtet sich die Struktur der Debatte doch nach den absoluten Zahlen. Ebd. Zwar ohne direkten Zugang zur Entscheidungsgewalt, aber durchaus in der Offensive, ist etwa die Ansicht des CSU-Generalsekretärs Dobrindt, beim EZB-Präsidenten handele es sich um einen »Falschmünzer«. Diese KritikerInnen der praktizierten Anti-Krisen-Programme entstehen in der Mitte der Gesellschaft und sammeln sich weit rechts.
Banker, Bonzen und andere Naturphänomene
Nichts von alledem hatte offenbar Auswirkungen auf die Auswertungspapiere. Dabei wäre es durchaus interessant zu erfahren, wie die BündnisstrategInnen ihr Wirken in Bezug auf diese Phänomene einschätzen. Stattdessen irritieren Behauptungen wie die: M31 und Blockupy hätten darauf hingewiesen, »dass die gegenwärtigen Finanz- und Staatskrisen ebenso wenig wie die neoliberale Verelendungspolitik unabänderbare Naturphänomene sind«. Gut gemacht, nur fragt sich, wer dieses Hinweises eigentlich bedurfte. Diejenigen, bei denen für eine grundsätzliche Kapitalismuskritik gesorgt werden soll, »pöbeln« jedenfalls – auch UG zufolge – »noch immer allzu oft gegen Banker und Bonzen und die Gier der Finanzmärkte«. Wer also Banker, Bonzen und Gier nicht gerade auf Bäumen wachsen sieht, dürfte sich von UG unterstützt fühlen in der fixen Idee, dass die Krise keine naturwüchsige Konsequenz der Gesetze der gesellschaftlichen Natur ist, sondern Machenschaft. Wie UG mit solchen Behauptungen »einer Gegenhegemonie vernünftiger Kapitalismuskritik« näher kommen will, wird daher ihr Geheimnis bleiben müssen. Zumal im Satz von den »Naturphänomenen« im Fortgang auch noch die Rede davon ist, dass Krisen »Teil des kapitalistischen Exzesses« seien, »der für die Mehrheit der Menschen schon immer eine Krise in Permanenz gewesen ist«. Akkumulation und Krise werden hier kaum noch unterschieden, weswegen es nicht sonderlich verwundert, dass im Fortgang nicht nur kein Wort verloren wird zum Aufbruch unvermittelbarer Widersprüche in den herrschenden Institutionen, sondern auch keine Berücksichtigung der krisenspezifischen Bedingungen des Regierungshandelns. Weil StrategInnen einen eindeutigen Gegner bevorzugen, lassen UG den ganzen Kapitalismus kulminieren in der »Hüterin der Geldwertstabilität, die eine Politik verkörpert, die die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit des europäischen Kapitalismus auf Kosten der Arbeitenden und Arbeitslosen Europas betreibt«.
Statt in einer Situation Position zu beziehen, in der das Hüten gar nicht so leicht fällt, werden erste Erfolge bei einer »umfassenden Repolitisierung der Krise und der Krisenerfahrung« verkündet. Hiermit verhält es sich genauso wie mit den Naturphänomenen. Gegen die Ontologisierung des Sachzwangs macht es Sinn zu bemerken, dass bürgerliche Ökonomie politische Ökonomie ist. Aber BürgerInnen gegenüber, denen die Krise nichts anderes ist als Anlass zum realitätsverleugnenden und panischen Schluss, dass das Politische in der Vergangenheit vernachlässigt worden sei, ist ein solcher Hinweis im besten Fall überflüssig. »Repolitisierung« ist im Rahmen der Krisenbekämpfung unvermeidlich, denn die Aufrechterhaltung der Sachgesetze des Kapitals und der Wertform seiner Erscheinungen ist ohne Staatsaktion nicht denkbar. »Repolitisierung von Krisenerfahrung« kann es nicht geben, weil die in der Krise machbaren Erfahrungen gerade auf die gesellschaftlich konstituierte Objektivität der Wertform verweisen, die von keinem Teilbereich der Gesellschaft, auch nicht dem politischen System, im Griff gehalten werden kann.
Die Gründe für die Blindheit der AutorInnen der Papiere den unmittelbaren politischen und ökonomischen Erscheinungen gegenüber ergeben sich aus ihren Bündnisoptionen. Denn der Hinweis darauf, dass die Krise kein Naturphänomen ist, entspricht selbstverständlich dem Selbstbild derjenigen, denen UG die Rolle der ReformistInnen zugeteilt hat: »Blockupy [war] keine dezidiert antikapitalistische Protestform« und »wendete sich an alle, die gegen das Spardiktat von IWF und Troika protestieren wollten.« In diesem Spektrum gilt falsche, von Profitinteressen geleitete Wirtschafts- und Sozialpolitik ganz offen als der zentrale Krisengrund. Zwar soll der eigene »antinationale Internationalismus« des M31 Programms mit seinem »antikapitalistischen, antinationalen, antietatistischen, selbstorganisierten und spektrenübergreifenden Charakter« grundsätzlich eigenständig sein. Aber nur, indem er über die a priori als »reformistisch« wahrgenommenen Forderungen der BündnispartnerInnen hinaus geht. Weshalb diesen eine »grundsätzlich sinnvolle Unternehmung« unterstellt wird.
Sobald aber die reaktionären Varianten der Kritik der Maßnahmen, die die Sparpolitik vermitteln sollen, einer Analyse unterzogen werden, geht die Selbstinszenierung nicht mehr auf. Denn die Einwände der BündnispartnerInnen gegen ESM und Fiskalpakt sind gar nicht so klar von den hegemonialen reaktionären Varianten zu unterscheiden. Auch hier wird etwa vom Verlust demokratischer Souveränität geredet. Obwohl sich etwa die Linkspartei große Mühe gibt, darunter etwas anderes zu verstehen als »deutsches Geld den Deutschen«, begründet sie ihre eigene Klage vor dem Bundesverfassungsgericht doch damit, dass »mit dem ESM sichergestellt [wird], dass weitere Milliarden an Steuergeldern für die Rettung von Banken zur Verfügung stehen.« Die Bundesregierung lasse »die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für den ESM haften«. https://www.die-linke.de/politik/themen/fiskalpakt/.
Dabei handelt es sich um mehr als opportunistische Anbiederung, denn ein Erfolg vor Gericht hätte weitreichende institutionelle Auswirkungen gehabt. Selbstverständlich gibt es in den Begründungen beider Seiten auch Unterschiede, denn die Linkspartei beurteilt den ESM, wie alle Maßnahmen seit 2008, die dem Werterhalt des Geldes und damit der Aufrechterhaltung der Zirkulation dienen sollen, als weiteren Schritt beim Abbau des Sozialstaates. In einer Machtphantasie, die ihre Regierungsbeteiligung einschließt, denkt sie souverän setzen zu können, dass die Steuergelder, die durch den ESM verloren zu gehen drohen, unmittelbar als Mittel zu dessen Wiederaufbau dienen können. Die beiden Alternativen, die in diesem Setting einzig bestehen, sind entweder »unser Geld für die Banken«, oder aber »unser Geld für uns«. Von der lautstark geforderten Solidarität mit Griechenland ist dies noch viel weiter entfernt als es die herrschenden Anti-Krisen-Maßnahmen selbst sind. Dass sich die europäische Politik überhaupt so um den griechischen Staatshaushalt sorgt wie die Linkspartei um den deutschen, liegt einzig daran, dass zukünftiger Verzicht auf die Finanzierung der Reproduktion des griechischen Kapitals auch die anteilige Entwertung des deutschen zur Folge hätte. Die innerkapitalistische Notwendigkeit der Bankenrettung kommt Griechenland als Erpressungspotenzial zugute.
Die Linkspartei und der Reformismus
Die Linkspartei ist die mit Abstand größte Organisation im Blockupy-Bündnis und daher Maßstab für die Politik, die die anderen Bündnisgruppen zumindest vermittelt mitzutragen bereit sind. Daher lässt sich also durchaus sagen, dass die Blockupy-BündnispartnerInnen nicht nur keine antinationalen Inhalte vertreten. Dies allein wäre kein Vorwurf, denn UG gestehen dies durchaus ein, und ihre Strategie ergibt sich ja gerade aus dieser Differenz. Und es spricht nichts gegen den Anspruch, Menschen von Kritik zu überzeugen, die diese noch nicht teilen. Doch zum trauten Zusammenkommen von Linkspartei und Gauweiler vorm höchsten Gericht führte die gleiche Verweigerung der Anerkennung des Standes der Krise, der die UG-Formulierungen, die Akkumulation und Krise verwischen, ebenfalls zuarbeiten. Auf der konservativen Seite ist die Verweigerung offensichtlich. Die dortigen KlägerInnen phantasieren gegen den Souveränitätsverlust, die Möglichkeit einer autarken nationalen Währung. Jede Währung stellt ihren Wert aber in Relation zu allen anderen Währungen dar und die Stärke einer Währung steht für die Fähigkeit des jeweiligen nationalen Kapitals, Anteile des gesamtgesellschaftlichen, d. h. vom Weltkapital produzierten Mehrwerts an sich zu ziehen. Bleibt diese Relation nicht stabil, verliert auch die starke Währung an Wert, weil die Waren, deren Import in ihr bezahlt werden muss, so einfach nur teuer werden. Der partielle Ausgleich der Staatsschulden, in denen sich die Kosten für den Erhalt der Kapitalstandorte reflektieren und den vorzunehmen sich die Euro-Staaten gegen Deutschland gedrängt sehen, dient daher auch dem zumindest kurzfristigen Werterhalt deutscher Vermögen. Nationale Autarkie war schon immer ein völkisches Hirngespinst und sie ist es erst recht, wenn es gar nicht mehr um eine fiskalisch und geldpolitisch eigenständige Währung geht, sondern um den exklusiven Erhalt des Werts der von – in diesem Fall – Deutschen besessenen Euros. Es entfalten sich hier die gleichen Widersprüche zwischen Produktion und Reproduktion des Kapitals, wie ich sie in »Krise – Rettung – Krisestrich« (Phase2.41 bzw. http://www.beatpunk.org/stories/krise-rettung-krisestrich/) dargestellt habe. Allerdings mit dem Unterschied, dass inzwischen die Ebene der Geldpolitik erreicht ist.
Der Sozialstaat ist in dieser Konstellation also nicht nur eine nationale Angelegenheit, gegen die ein antinationales Bündnis polemisieren müsste. Es handelt sich auch noch um unrealisierbare Phantasien, denn sein Erhalt ist nur denkbar, wenn auch der Wert der Währung, in der er seine Sozialleistungen auszahlen soll, erhalten bleibt. Es geht in der Geldpolitik nicht um die Verteilung bestehenden Geldes, sondern um die Bedingungen seiner sachgerechten Entstehung. Im Fiskalpakt geht es um die Bedingungen, die die GeldpolitikerInnen gegeben sehen wollen, wenn sie sich schon auf die seit einiger Zeit geforderte »Repolitisierung« ihres Tuns zugunsten einzelner Staatshaushalte einlassen. Sie fordern Schuldengrenzen, weil sie denken, die so erzwungenen unsachgemäßen Maßnahmen in Zukunft vermeiden zu können. Erfolg versprechend ist das zwar nicht, aber doch realistischer im Sinne vergangener Realität als die Idee, das prekäre Geld den Banken zu nehmen – die es ohnehin nur zu einem kleinen Teil als Eigenkapital besitzen – um es den SozialhilfeempfängerInnen zu geben. Denn immerhin sind in der Form der Mittel, die zum Hüten zur Verfügung stehen, Reste von Wissen darüber enthalten, wie Kapitalismus einmal funktioniert hat.
Ohne Realismus aber kein Reformismus, denn Reformen müssen unter Beibehaltung der Gesellschaftsform verwirklichbar sein. Blockupy war gar nicht dominiert von »üblichen linksreformistischen Verkürzungen«. Gysi etwa hat den Brückenschlag zu den Euro-SkeptikerInnen auch bezüglich des EZB-Beschlusses zum Anleihenkauf gemacht: »Wenn er damit Erfolg hat, ist es letztendlich auch ein Erfolg für uns«, bemerkte er zur Klage Gauweilers. Manfred Schäfers, Berlin schaut nach Karlsruhe. Politiker erwarten ein „Ja, aber“, FAZ Online vom 10. September 2012, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/berlin-schaut-nach-karlsruhe-politiker-erwarten-ein-ja-aber-11885557.html. Der Parteivorsitzende Riexinger kündigte an, im Bundestag eine Klage der Bundesregierung gegen den EZB-Beschluss zu beantragen. »Unser Volksvermögen steht auf dem Spiel« http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/unbegrenzte-anleihenkaeufe-unser-volksvermoegen-steht-auf-dem-spiel/7138436-2.html Er wendet sich damit gegen einen Beschluss, der eindeutig gefällt worden ist, und gegen die »deutsche Regierung, die sich zum Zuchtmeister der Europäischen Union aufschwingt«. Und dagegen will UG sich, nach eigenen Aussagen, »insbesondere« wenden.
Es mag ja sein, dass UG der Ansicht ist, dass derartige Kleinigkeiten nicht von Interesse sein müssen, wenn es darum geht, »beyond national borders and against state and capital« zu mobilisieren. Und müssten sie auch tatsächlich nicht, wenn zur Beseitigung der verantwortlichen Zustände andere Mittel zur Verfügung stünden als »Symbolpolitik«. Voraussetzung dafür, dass auch »reale Konfliktlinien« »deutlich« werden, wären aber zumindest Symbole, die sich auf keiner Seite des herrschenden Unsinns bewegen. Und hier herrschte bei der praktizierten Stilisierung der Europäischen Zentralbank zum Gesamtkapital dann doch erheblicher Mangel.
Deutlich wurde nur, dass die deutsche Linke noch immer bereit ist, jeden Unsinn zu verklären und dessen reaktionären Gehalt zu übertünchen. Denn genau wie M31/UG zu Blockupy verhält sich auch Blockupy zu Occupy. Das Bild vom »Falschmünzer« und all die anderen Ressentiments rund um das Phantasma der »Schuldknechtschaft« waren es, die die deutschen Occupy-Proteste im öffentlichen Bewusstsein als antikapitalistische Speerspitze haben erscheinen lassen. Zwar wurden die Demonstrationen tatsächlich nicht wieder »von Banken- und Zinskritiker_innen dominiert«, wie TOP hervorhebt. Und es mag sein, dass es heute bereits als Erfolg zu werten ist, wenn antiökonomisch-völkische Ressentiments auf »unseren« Demos nicht dominieren. Nur wäre das erst recht ein Grund, sie in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen, damit wenigstens dies so bleibt. Völlig unabhängig von dem, was die beiden Bündnisse tatsächlich auf die Beine gestellt haben, ist es von vornherein falsch gewesen, an Occupy anzuknüpfen. Nicht, dass UG hätte voraussehen müssen, welcher CSU-Hansel mit welcher Wortwahl aus der nationalen Luft greifen wird, was die deutsche Occupy-Variante in diese hineinventiliert hat. Zur ideologie- und subjektkritischen Leistung zu erkennen, dass diese Ressentiments zirkulieren, sollte aber fähig sein, wer an sich selbst den Anspruch stellt, »soziale und intellektuelle Gegenmacht zu entwickeln«. Zumal es sich hierbei nicht um ein neues Phänomen handelt und die aktuellen, institutionellen Konflikte unmittelbare VorgängerInnen haben. Als Anschauungsmaterial hätte etwa die Klage von Gauweiler und Co von 2011 (gegen den ESM-Vorgänger EFSF) dienen können, die bereits ähnlich motiviert waren.
Kader und Deppen
Das Wort »kapitalismuskritisch« wird seit Occupy (bzw. seit Münteferings »Heuschrecken«) in der deutschen Öffentlichkeit mit dem gleichen wohligen Schaudern in den Mund genommen wie »israelkritisch«. Bemerkungen wie die, dass neben den LinksreformistInnen auch »ein paar antisemitische Deppen« anwesend waren, die sich »sogar Boykottaufrufe gegen Israel auf den Bauch gemalt hatten«, müssen gedeutet werden als flapsige Form, das Problem klein zu reden. »Hey, regt euch mal nicht so auf, es hat doch gar nicht die ganze Demo skandiert, dass Israel Schuld an der Krise hat. Das machen die doch nur, wenn es um den Weltfrieden geht.« »Wir«, ergänzt die dahinter steckende schlaumeiernde Geste, wissen es selbstverständlich besser, sind aber bereit und vor allem taktisch geschickt genug, darüber hinweg zu sehen. Es ist dies die formvollendete Geste eines Kaders, der auf seine Machtbasis nichts kommen lässt. Nicht weil seine Mitglieder der Basis nicht jede Schandtat zutrauen, sondern weil sie denken, sie im Griff zu haben. Dies ist der Filter, durch den hindurch das in den Auswertungspapieren dargestellte Bild der Realität zustande kommt. Es handelt sich um Kaderrealität.
Auch wenn der Kaderauftrag »antinational« lautet, endet er zumindest in diesem Fall, ganz wie im alten »Internationalismus«, an den Landesgrenzen. Die dortige Machtbasis haben andere Kader im Griff, denen man besser nicht ins Vermittlungsgeschäft hineinredet. Wie wenig die internationalen Kontakte, die M31 tragen, wert sind, zeigte sich daran, dass über diese Kanäle offenbar nicht einmal mitgeteilt wurde, dass der hierzulande viel gepriesene »griechische Widerstand gegen das Spardiktat« nicht nur an antinationaler Haltung spart. Dass die Demonstrationen nationalistische Aufläufe waren, war auch der Tagesschau zu entnehmen. Dass auf die nationalistischen Proteste aber Pogrome im ganzen Land folgten, auf die die Regierung mit einer massiven Verschärfung der Abschiebepraxis und die griechische Linke wie die deutsche nach den Pogromen in den 1990er Jahren mit Verständnis bis Verharmlosung reagierte, wäre dann doch mitteilenswert gewesen.
Die selbst verordnete Theorieabstinenz, die der Kaderorganisation immanent ist, ist auch Verrat an notwendiger Praxis, weil die gefilterte Wahrnehmung tatsächliche, aber weniger zu heroischen Illusionen verleitende, Einsatzfelder nur noch am Rande realisiert. Die Symbolpolitik kann ihre Bedeutung nur noch aus zumeist völlig unnützen militanten Aktionen herleiten. Wenn der Staat ein riesiges Aufgebot schickt, müssen wir ihm wohl bedrohlich geworden sein. Das in diesem Kontext entstehende Ressentiment gegen »praxisferne Theorie« schützt vor der Wahrnehmung der Sinnlosigkeit und ist gleichzeitig Ablehnung der Öde der eigenen ahistorischen und erfahrungsresistenten Theorie, die dem Zweck unterworfen wird, »Änderungsmöglichkeiten« »auszuloten«. Kritische Theorie ist aber kein Weg zu einem Plan, der verwirklicht werden muss, sondern Reflexion auf die Konstitutionsbedingungen der Hindernisse, die revolutionärer Praxis im Weg stehen. Diese Hindernisse werden in den Auswertungspapieren nur noch als staatliche Repression wahrgenommen, weshalb deren Beurteilung einen so breiten Platz einnimmt. Einzig die Reaktion der Staatsapparate soll »ideologiekritisch gesehen durchaus interessant« gewesen sein. Auch eine Ansage. Ich warte auf das Papier zum Fetischcharakter des Wasserwerfers und seinem Geheimnis.
~ Von JustIn Monday. Der Autor lebt in Hamburg und schrieb zur aktuellen Anti-Krisenpolitik u.a. in der Zeitschrift Exit! sowie im konkret-Sammelband No way out? 14 Versuche, die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zu verstehen.