Solidarität ist ein Kampfbegriff, Solidarität ist eine Waffe, Internationale Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker, kritische Solidarität – das ist so das, was Linken bei dem Stichwort zuerst einfällt. Bei der Suchmaschine google ist das anders: "Solidarität" bringt 10.000 Resultate, aber als erstes "www.cdu-solidaritaet.de". Jeder Klick spendet für die CDU. Das belegt mal wieder, dass Solidarität ein eng an politische Interessen und Praxis gebundener Begriff ist, er muss immer wieder reflektiert und gegen solche Karikierungen wie "cdu-solidaritaet" verteidigt werden.
Der Fremdwörterduden erklärt Solidarität als "Zusammengehörigkeitsgefühl, Kameradschaftsgeist, Übereinstimmung". Aber wenn Solidarität nur ein Gefühl wäre, wäre sie unreflektiert, vielleicht gar dumpf. Kameradschaftsgeist findet sich bei Soldaten, Bullen und Nazis. Und wäre Solidarität nur Übereinstimmung, wäre sie unkritisch. Bei diesen Definitionen ist kein linkes Verständnis dabei.
Dass das Hemd näher ist als die Jacke und jeder sich selbst der Nächste, gehört zu den Wahrheiten, Grundlagen und Lernzielen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Wer das falsch findet, engagiert sich sozial, besser noch linksradikal. Wer davon ausgeht, dass das Individuum selbstverantwortlich und frei – aber nicht isoliert – sein sollte, steht dem stummen Zwang der kapitalistischen Verhältnisse ablehnend gegenüber. Wer Verhältnisse wie Krieg, Ausbeutung und Hunger nicht hinzunehmen gewillt ist, sucht nach Möglichkeiten, sie zu ändern. Wer bemerkt, dass das nur gemeinsam geht, organisiert sich und trifft Entscheidungen kollektiv. Entsprechend war und ist Solidarität eine Existenzbedingung linker Organisierung – im Alltagsleben linker Gruppen und darüber hinaus.
Solidarität ist von der Geschichte der Linken nicht zu trennen. Auch für die der Stadtguerilla war sie zentral. Ohne sie hätte es keine illegale Organisierung und keinen Widerstand gegen die Staatsmacht geben können.
Von Brot für die Welt zu Rot für die Welt
Von der Caritas unterscheidet sich internationale Solidarität dadurch, dass sie Subjekte sucht, die auf der Basis gegenseitigen Respekts diskutieren und zusammenarbeiten, keine bemitleideten Objekte, die nur artig Danke sagen sollen. 1967 erschien Ches berühmte "Botschaft an die trikontinentale Konferenz" in Havanna, in der er zum weltweiten – bewaffneten – Kampf gegen den Imperialismus, vor allem die USA, aufrief. Dort kritisierte er aber: "Die Solidarität der fortschrittlichen Mächte der Welt mit dem vietnamesischen Volk ähnelt der bitteren Ironie, die der Beifall des Pöbels für die Gladiatoren im römischen Zirkus bedeutete. Es geht nicht darum, den Opfern der Aggression Erfolg zu wünschen, sondern an ihrem Schicksal teilzunehmen, sie bis zum Tode oder bis zum Sieg zu begleiten."
Auch in der BRD wurde Ches Botschaft aufgegriffen und Ende der 60er suchten Teile des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes SDS Kontakte zu militanten Organisationen wie der Black Panther Party in den USA, dem Vietcong, der ETA oder IRA und auch der PFLP.
Im Februar 1968 wurde auf dem von einigen tausend Leuten besuchten Internationalen Vietnam-Kongress in Westberlin offen über eine "Zerschlagt die NATO"-Kampagne debattiert. Peter Weiss –Autor der "Ästhetik des Widerstands" – sprach dort davon, dass sich "die Aufgabe der Organisation des Widerstands in den Metropolen" stelle, und "dieses Handeln muss zur Sabotage führen, wo immer dies möglich ist. Dies fordert persönliche Entscheidungen. Dies verändert unser privates politisches Leben. Lasst uns den Widerstand entfalten auf breitester Front. (...) Scheuen wir keine Opfer, um eine neue internationale proletarische Solidarität zu schaffen." Hans-Jürgen Krahl, einer der theoretischen Köpfe des SDS: "Die innerkapitalistischen Widersprüche zu einer qualitativen Verbreiterung der Massenbasis, zur Bildung einer zweiten Front gegen den Imperialismus in den Metropolen ausbilden! (...) Zwar kann sich in den Metropolen der Kampf nicht als eine unkritische Übertragung der Guerillastrategie darstellen – diese liefert aber ein Modell kompromisslosen Kampfes, von dem die traditionelle Politik der verfestigten Institutionen verurteilt werden kann." Krahl verlangte "die organisatorischen Bedingungen zu schaffen, dass wir den Kampf gegen die NATO-Stützpunkte in ganz Westeuropa aufnehmen können, dass wir Maßnahmen treffen können gegen den Transport amerikanischen Kriegsmaterials für den Krieg in Vietnam und schließlich Aktionen gegen die Niederlassungen der amerikanischen Rüstungsindustrie in Westeuropa führen werden. (...) Es kommt darauf an, in solidarischer Aktion und in konkreter Solidarität mit der revolutionären Befreiungsbewegung in der 3. Welt den gigantischen militärischen und staatlichen Machtapparat in den spätkapitalistischen Ländern zu zerschlagen." Rudi Dutschke sagte in seinem Grundsatzreferat: "Wir wagen es schon, den amerikanischen Imperialismus politisch anzugreifen, aber wir haben noch nicht den Willen, mit unserem eigenen Herrschaftsapparat zu brechen, militante Aktionen gegen die Manipulationszentren, z.B. gegen die unmenschliche Maschinerie des Springer-Konzerns, durchzuführen, unmenschliche Kriegsmaschinerie zu vernichten. (...) Es lebe die Weltrevolution und die daraus entstehende freie Gesellschaft freier Individuen!"
Die propagierte "Zerschlagt die NATO"-Kampagne hat die zerfallende APO nicht mehr realisiert. Aber vier Jahre später fanden Aktionen statt, die auf der Linie "konkreter Solidarität" des Kongresses lagen. Die RAF zündete am 11. Mai 1972 einen Sprengsatz vor dem Heidelberger US-Hauptquartier, bei dem technische Einrichtungen der US-Luftwaffe, genutzt für die Bombardierung Vietnams, beschädigt wurden. In ihrer Erklärung hieß es: "Für die Ausrottungsstrategen von Vietnam sollen Westdeutschland und Westberlin kein sicheres Hinterland mehr sein. Sie müssen wissen, dass es für sie keinen Platz mehr geben wird in der Welt, an dem sie vor Angriffen revolutionärer Guerilla-Einheiten sicher sein können."
Dieses linksradikale Verständnis von internationaler Solidarität, nämlich die "Bestie in ihrem Herzen", den Metropolen, anzugreifen, findet sich noch 1983 in der Erklärung einer RZ zu einem eher symbolischen Anschlag gegen die alliierte Truppenparade in Westberlin. Sie zitierte den 1973 vom portugiesischen Geheimdienst ermordeten afrikanischen Revolutionär Amilcar Cabral: "Wir verlangen von euch einzig und allein, dass ihr euch an eurem Platz bewährt, denn wenn ihr dem Kapitalismus seine eigentliche Grundlage entzieht, helft ihr uns am meisten. Die Länder der Dritten Welt hoffen gleichsam auf die Schwächung, die der Klassenkampf im eigenen Land für den Aggressor bedeutet. Die Stütze der Befreiungsbewegungen durch den innerkapitalistischen Konflikt (Klassenkampf) sollten durch direkte Interventionen im Land der Imperialisten ergänzt werden: durch den Druck auf die öffentliche Meinung bis hin zu Aktionen gegen die Versorgungseinrichtungen oder Nachschubwege der US-Armee."
Die Zusammenarbeit von Stadtguerillagruppen mit einer Abspaltung der PFLP war ein spezieller Teil damaliger internationaler Solidarität. Sie hatte 1976/77 erhebliche Konsequenzen, sowohl was die Entführung einer Lufthansa-Maschine nach Mogadischu als auch die Entführung einer EL-AL-Maschine nach Entebbe betrifft. Beide Aktionen sollten politische Gefangene befreien, aber selbst dieses Ziel rechtfertigt nicht die Geiselnahme von Unbeteiligten, und schon gar nicht von Überlebenden des Holocaust, wie sie in Flügen nach Israel mit einiger Wahrscheinlichkeit anzutreffen waren. Beide Aktionen waren schon damals umstritten, auch in RAF und RZ selbst, weil sie ZivilistInnen trafen und ihre Planung mit politisch kaum einschätzbaren geheimdienstähnlichen palästinensisch-arabischen Strukturen erfolgte. (Die PFLP selbst lehnte 1976 Flugzeugentführungen bereits ab.) In frühen RZ- und RAF-Erklärungen finden sich auch relativierende Vergleiche zwischen Holocaust und israelischer Besatzungspolitik, wie sie in Teilen der Linken in den 70er Jahren üblich waren. Solche Aussagen und vor allem die Flugzeugentführung nach Entebbe wurden später von den RZ öffentlich verurteilt, nachdem sie, 1991 als einer der ersten linken Zusammenhänge, eine genauere Analyse und Kritik von Antisemitismus und Antizionismus entwickelt hatten. Aktionen gegen israelische Ziele waren schon Jahre vorher eingestellt worden.
Wer heutzutage die damalige Linke und die Stadtguerillagruppen schlichtweg als antisemitisch abtut, bemüht sich nicht, den damaligen Kontext, die Gründe der damaligen Fehler und die historische Entwicklung seither zu verstehen. Dieses Verständnis würde es aber eher erleichtern, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Zu berücksichtigen bei der Beurteilung der damaligen Linken/Stadtguerilla ist auch, dass für sie der Kampf gegen die Kriegsverbrechen der USA im Vietnamkrieg, die Solidarität mit den von faschistischen Militärdiktaturen Verfolgten in Chile, Spanien oder Griechenland erheblich wichtiger waren als die Palästinasolidarität. Aktionen gegen das rassistische Südafrika mobilisierten viel mehr Menschen als die Palästinademos und die Auflagenzahlen der Solizeitungen lassen die Stellenwerte erkennen, alleine die "Chile-Nachrichten" brachten es Mitte der 70er auf 20.000 Exemplare, alle Blätter zu Palästina zusammen auf weniger als ein Zehntel.
Neue Solidarität: Flüchtlingskampagne und Frauenkämpfe
Ende 1983 erschien das RZ-Papier "Krieg-Krise-Friedensbewegung", in dem ein neues Verständnis von internationalistischer Solidarität formuliert wird: "Die 3. Welt kann in ihrer Gesamtheit nicht mehr als historisches Subjekt verstanden werden, von dem revolutionäre Veränderungen auch in den Zentren der Kapitalakkumulation ausgehen und als dessen »verlängerter Arm« der Widerstand hier sich definiert. Die unterdrückten Völker und Länder können nur partielle Befreiungsprozesse aus kolonialer Abhängigkeit machen. Die Konsolidierung dieses Prozesses ist an die Bedingung des »Kampfes im Herzen der Bestie«, an die Zerstörung des Imperialismus in seinen Kernländern gebunden. Gleichzeitig scheint die Ära nationaler Befreiungskämpfe zu Ende zu gehen. In den Hungerrevolten und Plünderungen in Sao Paulo deutet sich an, dass die nationalistische Klammer zwischen einheimischen Eliten und Unterklassen brüchig geworden ist und der gemeinsame Kampf um soziale Befreiung in den Metropolen wie in der 3. Welt zur materiellen Grundlage eines neuen Internationalismus wird. (...) Kämpfende Revolutionäre in den Metropolen sind Teil einer internationalen Front gegen den Imperialismus. Es bleibt eine Tatsache, dass erfolgreiche Befreiungskämpfe in der 3. Welt (Vietnam, Nicaragua) auch in den Metropolen ihre Wirkung erzielen. Bedingung für eine politisch effiziente Solidarität, die über gut gemeinte Absichtserklärungen hinausgeht, ist ein starkes revolutionäres Widerstandspotential. Der Kampf gegen den Imperialismus in den Metropolenländern entwickelt sich erst an den Bedingungen, die hier die Lebens und Arbeitsbedingungen prägen, zu seiner eigentlichen Schärfe. Nur ein klassenbewusster Kampf, der den imperialistischen Angriff auf die Menschen hier aufzeigt, kann perspektivisch gesellschaftliche Gegenmacht gegen die Herrschaft des Geldes und der weißen Männer über den Rest der Welt entwickeln. Das ist wesentlicher Bestandteil einer revolutionären Bewegung im Kampf gegen den heutigen Imperialismus – sich auf die weltweiten Befreiungskämpfe zu beziehen, deren positive Wechselwirkung allen revolutionären Prozessen neue Kraft gibt. Die aktuellsten Beispiele für diese Wechselwirkung sind die Kämpfe der Unterklassen in Südafrika und die fast gleichzeitig stattfindenden Ghettoaufstände in den englischen Städten Tottenham, Brixton usw."
Es folgten Anschläge wie der gegen den Lebensmittelgroßhandel REWE: "Auch REWE verdient an der Unterdrückung der schwarzen Frauen! Weltweit bestimmten frühkapitalistische Ausbeutungsverhältnisse das Bild in den Weltmarktfabriken, den Außenstellen der Multis oder den riesigen Agrarplantagen. Immer wieder sind es die Frauen, die diese Unterdrückung doppelt und dreifach ertragen müssen. Eines der gravierendsten Beispiele dafür ist die Obst, Gemüse und Konservenproduktion in Südafrika. Die Früchte, die in den Zeitungsannoncen der hiesigen Supermarktketten als Sonderangebot offeriert werden, sind das Produkt von Frauenarbeit, unter Bedingungen, die die gesamte Breite der kapitalistischen und sexistischen Unterdrückung darstellen."
1987 wurden von der Roten Zora mehrere Filialen der Kleidungsfirma Adler angesteckt. Es gab Schäden durch Löschwasser und vor allem Umsatzeinbußen, aber keine Verletzten. Adler ließ Kleidung von koreanischen Frauen in einer Freihandelszonenfirma zu Billigstlöhnen und unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen, die mit sexuellen Angriffen verknüpft waren, herstellen. Die Arbeiterinnen hatten sich dagegen zur Wehr gesetzt, ihre Protestaktionen waren jedoch von südkoreanischer Polizei niedergeschlagen worden. In der Erklärung zu der Aktion heißt es: "Wie funktioniert der Mechanismus der imperialistischen Frauenunterdrückung hier und in den Ländern der 3. Welt? Bei dieser Frage mussten wir feststellen, dass Analysen des Imperialismus sich meist darauf beschränkten, die politischen, ökonomischen und militärischen Machtstrukturen des Imperialismus zu untersuchen, vernachlässigt wird die Analyse der Strategie gegenüber den Frauen hier und in der 3. Welt. Uns reicht es nicht aus zu sagen: Aus der Analyse des Imperialismus ergibt sich das Angriffsziel Nato und indem wir Frauen die Nato angreifen, bekommt der Frauenkampf seine revolutionäre Stoßrichtung. Der Befreiungskampf besteht bei dieser Sichtweise wieder nur im Angriff auf die zentralen Machtstrukturen des Imperialismus; die alltäglichen Gewaltverhältnisse, in denen Zerstörung, Unterdrückung und Ausbeutung erfahrbar wird, werden ausgeklammert."
Die Zitate lassen erkennen, dass die internationale Solidarität sich nicht mehr auf die inzwischen oft an die Staatsmacht gekommenen Befreiungsbewegungen bezieht, sondern auf Klassen- und Frauenkämpfe – sowohl im Trikont als auch in der Metropole BRD.
Auf dieser neuen Linie lag auch die "Flüchtlingskampagne" der RZ, die sie im Oktober 1986 so begründeten: " Noch wissen wir nicht, ob sich an der Flüchtlingsfrage antiimperialistische Politik mit Konfrontationslinien im entgarantierten Sektor verbinden wird, aber der Kampf um das faktische Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge ist auch dann richtig, wenn er vorerst von den weißen Schichten des Proletariats weitgehend isoliert bleibt. (...) Die Flüchtlingsfrage (...) ist Teil eines globalen Klassenkampfes und Ausdruck eines vom imperialistischen Weltsystem gesetzten Widerspruchs, der ein Proletariat neuen Typs hervorbringt; die mobilisierten, vertriebenen, entwurzelten Massen der 3. Welt. So wie die Flüchtlingsbewegungen die Grenzen zwischen dritter und erster Welt überschreiten, muss heute der antiimperialistische Kampf auf die Metropole zurückbezogen werden. Es ist das gleiche imperialistische System, das die Menschen dort vertreibt, sie hier in Lager sperrt und ihnen als Sozialpolitik gegenübertritt. Antiimperialismus wird konkret, wo er Bezug auf die gesellschaftspolitischen Konflikte nimmt (...). Antiimperialistische Politik in der BRD hat sich bisher an den beiden Polen der Solidarität mit den Befreiungsbewegungen der 3. Welt und der Bekämpfung der imperialistischen Kriegsmaschinerien orientiert. (...) Die ersten Aufgaben antiimperialistischer Politik liegen vielmehr darin, die staatliche Regulation der Flüchtlingsbewegungen, die Abgrenzungen der BRD vor der Armut der 3. Welt, zu unterlaufen und die polizeilichen und sozialpolitischen Restriktionen gegenüber Flüchtlingen zurückzudrängen. Unser Ziel muss es sein, ein faktisches Aufenthaltsrecht für alle Immigranten und Flüchtlinge in der BRD durchzusetzen. Der Weg dorthin führt nicht über Forderungen an den Staat, sondern bestimmt sich nach dem Ausmaß unserer eigenen Widerstandsaktionen. Unser Vorschlag richtet sich an die autonome und sozialrevolutionäre Linke in der BRD, die Flüchtlingsfrage aus einer antiimperialistischen Perspektive heraus aufzugreifen und zum Prüfstein des politischen Handelns auf verschiedenen Ebenen zu machen."
Fünf Jahre später schrieb eine RZ: "Wir haben in der Verbindung von sozialer Thematik und Flüchtlingskampagne Möglichkeiten gesehen, einen neuen Handlungsspielraum für internationale Solidarität in den Metropolen selbst zu eröffnen." Anschläge auf das rassistische Ausländerzentralregister, auf für Abschiebungen verantwortliche Ausländerpolizeistellen und verantwortliche Richter waren der militante Ausdruck dieser internationalen Solidarität mit den Flüchtlingen und MigrantInnen in der BRD. Allerdings organisierten sich Flüchtlinge nicht so wie erhofft als eigene politische Kraft, wie es sich die RZ für diese Kampagne erhofft hatten. Dadurch fehlten ihr die erwähnten "Subjekte" der Solidarität, mit denen auf der Basis gegenseitigen Respekts diskutiert und zusammenarbeitet werden sollte. Das war sicherlich eine wesentliche Ursache für das Ende der Flüchtlingskampagne – und auch der RZ.
Linke Organisierung: Solidarität ist eine Waffe
Die Bedeutung, die Solidarität für den Aufbau einer Organisation hat, war auch der RAF von Anfang an klar. 1972 schrieb sie: "Solidarität, indem sie nicht von den Kriterien des Marktes ausgeht, setzt diese außer Kraft. Solidarität ist politisch, nicht erst als Solidarität mit Politischen, sondern als Weigerung, nur unter dem Büttel des Wertgesetzes, nur unter dem Aspekt von Tauschwert zu handeln. Solidarität ist ihrem Wesen nach herrschaftsfreies Handeln, als solches immer Widerstand gegen den Einfluss der herrschenden Klasse auf die Beziehungen der Menschen zueinander, als Widerstand gegen die herrschende Klasse immer richtig. Im Sinne des Systems sind Leute, deren Handlungen sich nicht an den Erfolgskriterien des Systems orientieren, Ausgeflippte und Trottel oder Versager. Im Sinne der Revolution ist jeder, der sich solidarisch verhält, wer es auch sei, ein Genosse. Solidarität wird zur Waffe, wenn sie organisiert und konsequent angewendet wird: gegenüber Gerichten, Polizei, Behörden, Vorgesetzten, Spitzeln, Verrätern. Wenn jede Zusammenarbeit mit denen verweigert wird, ihnen keine Mühe erspart, kein Beweis erleichtert, keine Information geschenkt, kein Aufwand abgenommen wird. (...) Jede politische Arbeit ist auf Solidarität angewiesen. Ohne Solidarität ist sie der Repression schutzlos ausgeliefert."
Oskar Negt, heute Kanzler-Freund, damals schon einer der Sozialdemokraten, die sich selbst noch Sozialist nennen, ärgerte sich 1972: "Die Mechanik der Solidarität [mit der RAF] zerstört jede sozialistische Politik. Sie ist das schlechteste Erbteil der Protestbewegung."
Tatsächlich gab es nie eine mechanische, sondern fast immer eine kritische Solidarität, die reflektiert und nicht bedingungslos die Auseinandersetzung suchte. Wer wie Negt diese Solidarität denunzierte wollte eigentlich Distanzierung und Entsolidarisierung. (Was einigen Altlinken auch das Etikett "Entsolidarisierungslinke" eintrug). In derselben Zeit entstand übrigens die Floskel von der "Solidarität der Demokraten", wie die bürgerlichen Parteien ihre Einheitsfront heute noch nennen.
Ein paar Jahre später versuchten es solche "Entsolidarisierungslinke", von denen mindestens einer heute im SPD-Bundesvorstand sitzt, mit einem Flugblatt, das fett gedruckt zur "Solidarität mit den Opfern" aufrief. Gemeintes Opfer war allen Ernstes der von der Bewegung 2. Juni entführte CDU-Politiker Peter Lorenz, der später im Austausch gegen mehrere politische Gefangene und eingeknastete Demonstranten freigelassen wurde. Dieser Versuch linke Solidarität umzuwidmen erntete nur Spott und Hohn. Allerdings war Solidarität, wer mit wem wie solidarisch sein sollte und wollte, auch früher in der Linken umstritten. Entsprechend ist in der RZ-Zeitung "Revolutionärer Zorn" 1975 zu lesen: "Die Selbstverständlichkeit, mit der jede revolutionäre Gruppe oder Bewegung Solidarität auf ihre Fahnen schreibt, steht im Widerspruch zu den Schwierigkeiten, sie einzulösen. Existenz und Gewalt des gemeinsamen Gegners reichen nicht aus, um die Gegensätze und Konflikte in den eigenen Reihen einzudämmen."
Das Problem ist heute ja auch nicht gerade unbekannt ...
Gegen die Repression: Solidarität bricht die Macht
Politische Gefangene spielten zu allen Zeiten eine wichtige Rolle, die französische Revolution begann mit der Befreiung der Gefangenen aus der Bastille, die Solidarität mit den in den USA später hingerichteten Anarchisten Sacco und Vanzetti war eine der wichtigsten internationalen Solidaritätskampagnen in den zwanziger Jahren. Die internationale Spendenkampagne für die junge Sowjetunion und gegen die Klassenjustiz der Weimarer Republik führten zur Bildung der ersten Roten Hilfe in Deutschland. 50 Jahre später, nach den Verhaftungen von StudentInnen wegen Demonstrations- und Widerstandsverfahren, wurde die Rote Hilfe neu gegründet und kümmerte sich bald ziemlich gleichmäßig um politische und sogenannte soziale Gefangene. Die praktische Arbeit war eigentlich unspektakulär: Briefe schreiben, Knastbesuche organisieren, Geld und Anwälte auftreiben, Veranstaltungen zur Lage in den Knästen, Prozessberichte veröffentlichen. Die Bedeutung dieser Solidarität für die Gefangenen war allerdings enorm. Die Isolation wurde durchbrochen, die verborgene Dreckswelt der Knäste öffentlich, Schließer mussten mit Reaktionen vor ihrer Haustür rechnen und Knast wurde als politisches Terrain erkannt. Für die Gefangenen war und ist eine Kraft jenseits der Mauer, die ihre Isolation und ihre tendenzielle Ausgeliefertsein an die Staatsmacht begrenzt, der beste Schutz. Alle Gefangenen wissen sehr genau, dass sie ohne Solidarität eingemacht werden.
Die RAF-Gefangenen hatten ab 1972/73 weitergehende Interessen als die Solidarität, die ihnen die RH bieten wollte, und initiierten die "Komitees gegen die Folter", die ihre Solidarität mit den Gefangenen gelegentlich so verstanden, dass sie deren Platz im bewaffneten Kampf einnahmen. Auch die RZ formulierten damals: "Solidarität mit gefangenen Revolutionären kann nur heißen: Ihre Politik konsequent fortsetzen!" Von diesem Verständnis hat sich Solidarität mit den politischen Gefangenen zumindest in der BRD weit entfernt Wahrscheinlich aber auch nur so weit, wie sich die politischen Gefangenen im Lauf der Zeit von ihrer bewaffneten Politik entfernt haben.
Dass Solidarität mit politischen Gefangenen immer noch mobilisieren kann, zeigte die Kampagne für Mumia Abu Jamal. Bei ihr wurde der Rassismus in den USA in den Mittelpunkt gestellt und dementsprechend politisch mobilisiert. Die juristischen Schweinereien gegen Mumia spielten sicher auch eine Rolle, hätten aber als solche kaum so viele Menschen bewegt.
Im Gegensatz dazu hat der laufende RZ-Prozess in Berlin, in dem es um Rassismus in der BRD, bzw. um Aktionen gegen ihn geht, den Mangel, nicht politisch als Prozess gegen militante antirassistische Politik verstanden und entsprechend begleitet zu werden. Weil einige Angeklagte diese Entpolitisierung wollten, ist der Prozess nur ein schaler Nachgeschmack auf die dort angeklagte RZ-Flüchtlingskampagne. Notgedrungen beschränkte sich die Solidaritätsgruppe auf die unmittelbare Unterstützung der Gefangenen, die Erstellung von Prozessberichten sowie den Versuch, eine (tatsächlich schon lange entschwundene) liberale Öffentlichkeit zu mobilisieren.
In solchen Staatsschutzverfahren ist gut zu erkennen, dass die Solidarität getroffen werden soll. Sie verstößt gegen gewichtige Interessen der Herrschenden. Sie finden es gefährlich, wenn sich ihre Untertanen gegen den Hirten und seine Köter zusammentun. Ein Kronzeuge oder eine Distanzierung muss her, nicht nur um irgendeine "Straftat" aufzuklären, sondern um das vertrauensvolle solidarische Leben, Arbeiten und Kämpfen, was ein linkes Kollektiv mal ausgemacht hat und was jede linke Organisierung herstellen will, zu beenden und das eigennützige bürgerliche Individuum wieder herzustellen. In dessen Kopf soll ein ganz mieser Film laufen: "Wie war das noch mit der Solidarität? Was hatte mein eigenes Verhalten noch mal mit der linken Geschichte zu tun? Was verbindet mich eigentlich mit diesen Antifas, die sich da im Fernsehen immer mit den Nazis hauen? Und diese ganzen Flüchtlinge, die kenne ich doch gar nicht. Was war das noch mal für eine Organisation, der ich angehörte? Heute ist alles anders. Man kann doch eh nichts ändern."
Solche Selbstverarschungen können durch Diskussionen und (selbst-)kritisches Denken verhindert werden. Aber vor allem – und das gilt nicht nur für Gefangene – dadurch, dass man Solidarität konkret und praktisch ausübt. Sobald man sich mit halbherzigen Lippenbekenntnissen begnügt, bleibt von der Solidarität nur noch Verdrängung und Zynismus und der Verrat an den alten Idealen und Überzeugungen, an den alten GenossInnen und FreundInnen.
Solidarity forever
Solidarität beruht auf gegenseitigem Respekt, auch auf Respekt vor dem Wissen anderer über Unterdrückungen. Der Begriff der (internationalen) Solidarität ist ständig neu zu füllen. Solidarität kann individuell etwas kosten, z.B. Beugehaft wegen Aussageverweigerung. Solidarität steht im Gegensatz zur egoistischen Konkurrenz aller gegen aller, wie sie der kapitalistische Markt verlangt, zu den zunehmend individualisierten Risiken des Überlebens, wo nur die Fitten und Reichen gut wegkommen, zur Kumpanei von Männerbünden, zum Nationalismus, der Flüchtlinge und Nicht-Deutsche ausschließt und verfolgt, zu Sozialdarwinismus, der Behinderten ein Lebensrecht in dieser Gesellschaft abspricht und sie noch weiter an den Rand drängen will. Die Unterprivilegierten sind um überhaupt eine Chance auf Veränderung ihrer Lage zu bekommen, auf Zusammenarbeit und Organisierung angewiesen, also auf Solidarität.
Allein machen sie dich ein ...
Klaus Viehmann