Das Jahrbuch für Islamophobieforschung 2010 möchte »eine sachlich fundierte und wissenschaftlich systematische Analyse islamophober Geschehnisse« für die Länder Österreich, Schweiz und Deutschland liefern. Den einleitenden Worten und dem Versuch einer Begriffsbestimmung des Herausgebers folgen einzelne Beispiele aus den drei Ländern, die den Großteil des Buches einnehmen, den Abschluss bilden vier Buchbesprechungen.
Autorinnen des ersten Beitrags sind Iman Attia und Yasemin Shoomann. Sie befassen sich eingehend mit der Rezeption des Mordes an Marwa el-Sherbini im Juli 2009, die während eines Verfahrens im Dresdener Landgericht vom Angeklagten niedergestochen wurde. Attia und Shoomann untersuchen in deutschen Printmedien und Internetseiten vor allem die Darstellung des Falls und heben hervor, dass der muslimfeindliche Hintergrund der Tat zunächst kaum thematisiert wurde und der Konflikt zwischen Angeklagtem und Klägerin durch Betonung oder Vernachlässigung bestimmter Aspekte entweder als Einzelfall oder als Auseinandersetzung zwischen Zugewanderten erschien. Gesellschaftlich weit verbreitete antimuslimische Ressentiments kamen hingegen kaum zur Sprache. Die folgenden Beiträge befassen sich mit islamophoben Tendenzen in der Schweizer öffentlichen Meinung im Zusammenhang mit dem Verbot von Minaretten, mit Wahlkampfbeiträgen der FPÖ und dem österreichischen Blog Islamkritik.at. In den ersten beiden Artikeln wird vor allem nach internationalen und länderspezifischen Ursachen für zunehmende Islamfeindlichkeit gefragt sowie die Art und Weise ihres Auftretens betrachtet. Die AutorInnen stellen eine zunehmende Betonung religiöser Aspekte in politischen Diskursen fest. Außerdem heben sie hervor, dass wahlkampftaktische antimuslimische Stimmungsmache rechtspopulistischer Par-teien in der Schweiz und in Österreich zu-nehmend allgemein ausländerfeindliche In-halte ablösen. Thomas Schönberger stellt inseinem Artikel anhand von Gruppendis-kussionen aktuelle Inklusions- und Exklusionsmechanismen unter dem Fokus einer kritischen Konfliktforschung dar. Er be-schreibt stereotype Inhalte, die momentan mit Islam und MuslimInnen in Verbindung gebracht werden. Bei der Analyse endet er allerdings mit einem Fazit, das das Erkennen und Beschreiben von Negativstereotypen schon als Teil ihrer Überwindung in Aussicht stellt und verkennt, dass sich Vorurteile nicht einfach korrigieren lassen, sondern eine gesellschaftsimmanente Funktion erfüllen und deshalb oftmals große Resistenz aufweisen.
Alexander Steffek, Vorstand des Dokumentationsarchivs Islamophobie (DAI), liefert nicht nur eine bündige Definition des Begriffs Islamophobie. Er macht außerdem durch die kurze Darstellung einiger Felder (Politik, Internet, öffentlicher Raum) sowie durch Beschreibung individueller Diskriminierungsfälle die Aktualität antimuslimischer und islamophober Ressentiments in der österreichischen Gesellschaft greifbar. Islamophobie wird als »gesellschaftsdiagnostischer Begriff« von den drei AutorInnen des letzten Beitrags aus tiefenpsychologischer Perspektive betrachtet. Individuelle und kollektive Aspekte des Phänomens Islamophobie werden von ihnen benannt, einmal individuelle Ängste und ihre politische Instrumentalisierbarkeit sowie Islamophobie als Massenphänomen und als »Bündel an strukturell verankerter Diskriminierung von Muslimen in Europa«. Es wird konstatiert, dass die öffentliche Beschäftigung mit tatsächlichen Integrationsschwierigkeiten auf Seiten von MuslimInnen ebenso wie die Ängste angesichts gesellschaftlicher Veränderungen und sozioökonomischer Unsicherheit auf Seiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft hinter einer imaginierten Bedrohung durch den Islam verschwinden. Wirklichkeitsverzerrende islamophobe Einstellungen verhindern so einen wirklichen Dialog, eine Annäherung und eine Beschäftigung mit Veränderungen im kollektiven und nationalen deutschen Selbstbild.
Das Jahrbuch wird seinem Namen insofern gerecht, als es durch die Sammlung und die Vielfalt der länderübergreifenden Forschungsbeiträge Erkenntnisse bezüglich der Verbreitung und dem Charakter islamophober und antimuslimischer Einstellungen liefert. Dadurch wird nicht nur die Aktualität dieses gesellschaftlichen Phänomens deutlich, es lassen sich auch länderspezifische Ähnlichkeiten und Unterschiede feststellen. Ob man allerdings bereits von Islamophobieforschung als selbstständigem Forschungszweig sprechen kann, sei dahin gestellt. Auch kritische Auseinandersetzungen mit dem Begriff der Islamophobie finden sich im Sammelband. Trotzdem halten die meisten AutorInnen an dieser Bezeichnung fest, vor allem aus pragmatischen Gründen, weil sie, wie Alexander Steffek es formuliert, »international am etabliertesten ist […] [und] neben der lokalen und nationalen Ebene auch die europäische und globale Dimension mit einbezieh[t].« So machen sich die meisten AutorInnen lieber daran brauchbare Definitionen zu formulieren, als den Begriff zu verwerfen. Leider findet sich in einigen Beiträgen des Buches – u.a. in denen des Herausgebers – eine unzureichend plausibel gemachte Parallelisierung zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Diese Vergleiche erfüllen nicht den Zweck des besseren Verständnisses, sondern lassen den Verdacht entstehen, dass vor allem der Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit antimuslimischen Einstellungen Nachdruck verliehen werden soll. Einerseits leidet darunter die Glaubhaftigkeit der einzelnen Forschungsbeiträge und andererseits haben die nicht ausreichend spezifizierten Vergleiche eher relativierende als erklärende Wirkung.
Basierend auf einem Rassismusbegriff, in dem nicht Natur, sondern Kultur die zentrale Differenzierungskategorie darstellt, untersucht Ilka Eickhof in ihrem Buch das Vorhandensein eines Antimuslimischen Rassismus in Deutschland und geht der Frage nach, wie dieser analysiert werden kann. Ihr Ziel ist es, einen Analyserahmen zu erarbeiten und die gewonnenen theoretischen Annahmen an konkreten Themen und Diskursen zu überprüfen. Hierzu zieht sie zunächst nicht nur neuere Rassismustheorien, sondern auch postkoloniale Forschungsansätze wie Orientalismus, kritischen Okzidentalismus, Theorien zum sogenannten Othering sowie den Critical Whiteness Studies (CWS) heran. Sie verfolgt auch die Frage, wie sich ethnisch-kulturelle und religiöse Kategorien in der Kollektivbezeichnung »Muslime« überlagern. Eickhofs zentrales Anliegen ist es nicht nur zu zeigen, wie diese spezifische Form der Zuschreibung funktioniert, sondern auch wie die Markierung und Sichtbarmachung von Anderen »ein normiertes Weiß-Sein verbirgt, das der deutschen nationalen Identität inhärent ist« Eickhof definiert kurz und bündig ihren Begriffsapparat, liefert ebenso eine Kritik am Begriff der Islamophobie und begründet umfassend ihr theoretisches Konzept eines antimuslimischen Rassismus. Dieses sei der Bezeichnung Islamophobie vor allem deshalb vorzuziehen, weil sich damit Alltagsrassismus benennen lasse. Der Begriff Islamophobie betone hingegen generelle Ängste gegenüber dem Islam und lege Erklärungen nahe, die weniger gesellschaftlich-strukturell als vielmehr individuell-psychologisierend seien. Gerade die Entkopplung des antimuslimischen Rassismus vom Islam erachtet Eickhof aber als wichtig, denn auch »Menschen, die sich selbst nicht als MuslimInnen verstehen, aber aufgrund signifikanter Merkmale, wie Aussehen, Name, Akzent oder Kopftuch als solche kategorisiert werden, sind mit diesem Rassismus konfrontiert.« Die Feststellung von Differenz entlang einer kulturell-religiösen Grenzlinie finde anhand sichtbarer Merkmale statt und etabliere eine Hierarchie und Distanz zwischen Minderheit und Mehrheitsgesellschaft als normal und natürlich. So entstehe der Eindruck scheinbar homogener Gruppen und erkennbarer Gruppenzugehörigkeiten. Angehörige der Minderheit seien dadurch immer wieder dazu gezwungen, sich zum Islam zu positionieren, weil dieser als eigentlicher Grund ihrer Andersartigkeit betrachtet werde. Antimuslimischer Rassismus sei deshalb weder als Religionskritik noch als Kritik am politischen Islam zu werten, sondern richte sich durch Negativ- Stereotype über eine tatsächliche Religionszugehörigkeit hinaus gegen alle Personen, die als türkisch, arabisch oder muslimisch kategorisiert werden.
Konkrete Diskriminierungs- und Ausgrenzungspraxen beruhen nach Eickhof auf einem teils unbewussten Wissen über Andersheit und bewegen sich innerhalb eines Koordinatensystems, das die Privilegierung und die Positionierung der eigenen Gruppe/Mehrheitsgesellschaft im Dunkeln lässt. Ansätze aus den Critical Whiteness Studies rücken gerade diese unsichtbare dominante Position ins Blickfeld. Erst die Betonung beider Pole lässt sie als gesellschaftliches Verhältnis hervortreten, denn »Normalität und Rassismus treffen gerade da aufeinander, wo eigene Privilegien und Zugehörigkeiten nicht mehr gesehen werden«. Eickhof macht den aus US-amerikanischen Sozialwissenschaften stammenden Ansatz der CWS fruchtbar für Prozesse der gesellschaftlichen Dichotomisierung im deutschen Kontext und überträgt das binäre Verhältnis Weiß und Nicht-Weiß auf die Gegenüberstellung von Deutsch und Nicht-Deutsch. Deutsch-Sein stehe hierbei für die unmarkierte Position, die ein Set an Normen verkörpere, das nicht explizit gemacht wird. Eickhofs Veröffentlichung ist Ergebnis einer Abschlussarbeit und weist trotz oder gerade wegen des begrenzten Umfangs eine bestechende Klarheit in der Darlegung theoretischer Ansätze und ihrer Verknüpfung auf. Das Buch eignet sich gerade durch seine Knappheit sehr gut als einführende Literatur und lässt auf weitere Publikationen der Autorin hoffen.
Farid Hafez (Hrsg.): Jahrbuch für Islamophobieforschung 2010. Deutschland – Österreich – Schweiz, StudienVerlag, Innsbruck 2010, 144 S., € 22,90.
Ilka Eickhof: Antimuslimischer Rassismus in Deutschland. Theoretische Überlegungen, WVB, Berlin 2010, 123 S., € 17,90.
JANA SCHEURING