Wenn wie in Köln, Berlin oder Frankfurt eine Moschee gebaut werden soll, sind die möglichen Positionen einer politischen Gruppe zu diesem Vorhaben: Sie kann dafür sein oder dagegen oder sie kann das Ganze als für sie gleichgültig betrachten. Die normale Reaktion für eine Gruppe der radikalen Linken wäre – zumindest seit die Religionskritik deutlich an Dringlichkeit abgenommen hatte – die dritte Option gewesen, d.h. Gleichgültigkeit. Zwei Gründe sprechen aber seit 2001 zunehmend gegen eine solche einstmals vollkommen angemessen scheinende Haltung. Erstens, der politische Islam hat mit den Anschlägen auf das World Trade Centre in New York und das Pentagon in Washington deutlich gemacht, dass er die Welt auch dort zu verändern sucht, wo es die hiesige radikale Linke selbst unmittelbar betrifft. Zweitens, die durch diese Anschläge ausgelöste Angst eröffnet dem Rassismus ein neues Argumentationsrepertoire auf seinem ureigensten Betätigungsfeld – dem Kampf gegen die islamische Immigration, die das alte Europa (siehe erstens) bedroht.
Leider folgt aus diesen beiden Gründen Gegensätzliches, was die offensichtlichen Positionen etwa zu einem Moscheebau betrifft. Grund eins legt es durchaus nahe, die Regression zurückzudrängen, wo auch immer sie droht, ihr Haupt zu erheben. Und da eine Religion, insbesondere der Islam, wenig an emanzipatorischem Potenzial, dafür aber viele Rechtfertigungen für Unterdrückung zu bieten hat, wäre einem Moscheebau mit Misstrauen, wenn nicht gar mit offener Ablehnung zu begegnen. Grund zwei aber lässt die um eine Moschee bemühte Gemeinde als rassistisch unterdrückte Gruppe erscheinen. Der soll ein weiteres Recht, das für die »Volksdeutschen« selbstverständlich ist – die freie Religionsausübung – abgesprochen werden. Also gelte es, sich diesem rassistischen Angriff auf Diskriminierte entgegenzustellen und notfalls sogar zu helfen, den Moscheebau durchzusetzen.
Wo Gleichgültigkeit keine Option ist und die sich in der Situation offenbarende Alternative ausschließend, kann es nicht wundern, dass Debatten angezettelt, Heftschwerpunkte gefüllt, Kongresse veranstaltet und immer wieder auch Tischtücher zerschnitten werden. Mit großem Engagement wird für jede der beiden Seiten geworben. Nur werden leider die Argumente der einen Seite nicht schon dadurch schlechter, dass auch die andere gute Gründe für ihre Positionierung geltend machen kann. Und deshalb gibt es – wenn auch mit nachlassender Intensität – weiter Diskussionsveranstaltungen und Kongresse zu diesem Thema.
Ob sich dabei tatsächlich etwas Neues sagen lässt, mag dahingestellt sein. Aber vielleicht reicht es schon, das bereits Gesagte zu wiederholen, zu sortieren und auf seine Überzeugungskraft hin zu befragen.
Begriffe der Verschleierung
Was in der ganzen Debatte am allerwenigsten zu überzeugen vermag, ist der Begriff »Islamophobie« bzw. seine Variante, die Bezeichnung »antimuslimischer Rassismus«. »Islamophobie« und »antimuslimischer Rassismus« sind Begriffe der Verschleierung. Sie machen den Rassismus, auf den sie sich beziehen, genauso unkenntlich, wie sie versuchen, die Kritik am Islam als Religion oder Kultur zu delegitimieren.
Als Religion wie als System kultureller Überzeugungen ist der Islam etwas, zu dem sich die Menschen, die ihn ausüben, verhalten können. Sie können ihn auf eine pseudo-traditionelle Art interpretieren, wie der Islamismus. Sie können ihn aufgeben. Sie können ihn bekämpfen, liberalisieren, reformieren usw. In einer rassistischen Interpretation verschwinden diese Möglichkeiten ganz oder teilweise. Wird sich rassistisch auf den Islam bezogen, dann geht es um die Fremden, deren ureigenste Kultur das Abendland überschwemmt und sich mit ihren Kindern und den immer neu Einwandernden immer weiter vermehrt. Das ist etwa die Botschaft des Endes von Geert Wilders Film Fitna – die Überfremdung Europas. Dieser Rassismus richtet sich aber gegen die Menschen als Fremde, seien sie Eingewanderte oder Eingeborene. Der Islam ist im Rassismus nur ein Vehikel, um die Unvereinbarkeit zu demonstrieren. Der Ruf nach »islamfreien« Städten ist wie der Ruf nach »judenfreien« Städten nicht in erster Linie gegen kulturelle oder religiöse Überzeugungen gerichtet, sondern gegen die Menschen, die unabänderlich mit ihnen identifiziert werden. »Islamfrei« meint »türkenfrei«, »marokkanerfrei«, »algerierfrei«, »araberfrei«, ... und auch das bezieht sich natürlich alles nicht auf den Pass. Wie in Geert Wilders Fitna mag dabei viel Richtiges über den Hass auf den Westen, den islamischen Antisemitismus, Homophobie und Frauenverachtung gesagt werden, aber am Ende geht es nicht darum, wie der einzelne Mensch sich zu all dem stellt, sondern einzig und allein um seine (kulturelle) Herkunft.
Und das unterscheidet den Rassismus wesentlich von der Kritik am Islam als Kultur und Religion. Wie viele Übereinstimmungen sich in den inhaltlichen Aussagen auch immer finden mögen, eine Kritik der Kultur bzw. Religion richtet sich gegen das was die Menschen glauben, gegen ihre Überzeugungen und gegen das, was sie diesen Überzeugungen folgend tun. Die Islamkritik kann dabei immer noch alles Mögliche sein: richtig oder falsch, absolut und radikal oder partiell und auf Verständigung ausgerichtet. Aber sie wird durch all das nicht zum Rassismus, weil sie auf einer anderen Ebene ansetzt als die RassistInnen. Diejenigen aber, die den Islam gern gegen jede Kritik immunisieren wollen, benutzen den Begriff »Islamophobie« bzw. »antimuslimischer Rassismus« als Hinweis, die Kritik am Islam sei eine besondere Spielart des Rassismus.
Es ist aber absolut nichts Rassistisches an einem Film wie Theo van Goghs und Ayan Hirsi Alis Submission, der konkrete Leidensgeschichten von Frauen mit den Koransuren in Verbindung bringt, die im Islam zur Rechtfertigung für Vergewaltigung, Folter und Mord zitiert werden. Es mag den muslimischen Gläubigen schockierend und provozierend vorkommen, die Verse auf nackter Frauenhaut zu sehen, aber rassistisch ist daran überhaupt nichts. Es stimmt zwar, dass beispielsweise Vergewaltigungen in der Familie auch in nicht-muslimischen Familien vorkommen und geduldet werden. Der konkrete Zusammenhang zur islamischen Kultur, der in Submission aufgezeigt wird, bleibt jedoch trotzdem real – und damit legitimer Anlass zur Kritik. Wenn diese Kritik mit den Schlagworten »Islamophobie« und »antimuslimischer Rassismus« abgetan wird, dann offenbaren sie erneut ihren verschleiernden Charakter.
Um es also ganz klar zu sagen: Furcht vor dem Islam oder Hass auf ihn sind etwas anderes als Rassismus, solange der Islam nicht zu einer unabänderlichen Ausstattung der Menschen erklärt wird, die ihn ausüben.
Nun gibt es aber Stimmen, die behaupten, die Angst vor der Ausbreitung des Islams sei zwar tatsächlich etwas anderes als Rassismus, nähme aber wahnhafte Züge an und sei gerade deshalb als »Islamophobie« ganz richtig bezeichnet. »Islamophobie« herrsche dort, wo, wie im Antisemitismus den Juden, auch den AnhängerInnen des Islams, das Streben nach der Weltherrschaft unterstellt würde.
Offensichtlich hinkt dieser Vergleich mit dem Antisemitismus gleich in mehrfacher Hinsicht. Zunächst unterscheiden sich die Ängste und Vorwürfe, die im Antisemitismus ihren Ausdruck finden erheblich von denen, die selbst einer übertriebenen Angst vor einer fortschreitenden Durchsetzung des Islams eigen sind. Der Antisemitismus schreibt Verwerfungen der modernen Gesellschaften der untergründig wirkenden Macht eines jüdischen, und das heißt letztlich immer rassisch konstruierten Kollektivs zu. Die Angst vor einem zunehmenden Einfluss des Islams macht diesen aber nicht für Herrschaft von Kapital und Wert über die Produktion verantwortlich. Sie identifiziert ihn auch nicht mit allen möglichen politischen Strömungen, wie der Antisemitismus, der das Jüdische im bürgerlichen Liberalismus ebenso vermutet wie in der kommunistischen Bewegung, sondern verbindet ihn höchstens mit seinem politischen Ausdruck: dem Islamismus. Was dem mit dem Islam verbundenen Gesellschaftsbild und seiner kämpferischen Avantgarde im politischen Islam vorgeworfen wird, ist dabei gerade nicht, die (verborgene) Ursache der modernen Gesellschaft und ihrer Entwicklung zu sein, sondern aus dieser Entwicklung aussteigen zu wollen. Dies ist aber, wie die verschiedenen, vom Islam beherrschten Gesellschaften zeigen, ein tatsächliches politisches Projekt. Zusammen mit dem missionarischen Anspruch der islamischen Religion besteht damit durchaus eine Bewegung, die den Pseudotraditionalismus islamischer Kultur als Lebensmodell propagiert und durchzusetzen bestrebt ist.
Der reale Gehalt des Projekts einer weltweiten, islamischen Gesellschaftsordnung unterscheidet die Angst vor der Durchsetzung des Islam wesentlich von den Projektionen des Antisemitismus. Letzteren kennzeichnete schon in seiner Entstehung die Ersetzung fehlender realer Kräfte durch halluzinierte. So waren die nationalen Minderheiten im Europa der sich auflösenden Kaiserreiche am Anfang des 20. Jahrhunderts durch ihre Anbindung an die fremden Nationalstaaten tatsächliche Kräfte der Zersetzung für die neu entstandenen, staatlichen Gebilde. Die jüdischen Gemeinden aber wurden nur wie Teile einer solchen nationalen Minderheit behandelt. Wo echte nationale Minderheiten einen »Mutterstaat« hatten, der ihnen politisches Gewicht verlieh, gab es für die jüdischen Minderheiten jedoch keine Macht, die ihren Schutz hätte erzwingen können. Statt diesen Unterschied als Mangel wahrzunehmen, macht der Antisemitismus aus dem Fehlen eines »Mutterlandes« aber das Bestehen einer besonders großen, verborgenen Macht, die allein das Fortbestehen des Judentums garantiert haben könne.
Für den Islam trifft all das nicht zu. Hier sind die Kräfte, die seine Erhaltung, Verbreitung und Durchsetzung unterstützen, klar erkennbar. Sei es Saudi-Arabien, das Islamisierungsprojekte in der ganzen Welt fördert oder der Iran, der die Parteien Gottes unterstützt. Sich dagegen zu wenden, heißt, eine politische Haltung zu haben und nicht geistig verwirrt oder krank zu sein. Erst wenn eine solche Haltung gegen die islamischen Gesellschaftsmodelle in ihren verschiedenen Ausprägungen mit dem Rassismus einhergeht, wird aus der politischen Auseinandersetzung ein projektiver Hass.
Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, dass es auch in der Debatte um die Ausbreitung und Gefährlichkeit des Islams offenkundig übertriebene Befürchtungen geben kann. Die Übernahme des Abendlandes durch den Islam ist offenkundig weit weniger vorangeschritten, als es so manche Meldung über die »Kapitulation« des Westens vermuten lassen würde. Aber aus den in politischen Debatten durchaus nicht unüblichen Alarmismen gleich ein eigenständiges Diskriminierungsverhältnis ableiten zu wollen, ist unangemessen. Zwar ist auch vorstellbar, dass sich für einzelne Menschen die Ablösung des Alarmismus von jeglichem Bezug zur Realität vollzieht, aber die Debatte, in die der Begriff »Islamophobie« eingeführt wird, ist eine Debatte über politische Bewertungen und nicht über individuelle Psychosen. Weil der Begriff einer politischen Bewertung, aber psychotische Gründe unterstellt, ist er so geeignet, den politischen Charakter der Auseinandersetzung zu verschleiern.
Wo die Rede von der »Islamophobie« jenseits der pathologischen Diagnose überhaupt auf etwas jenseits der Zurückweisung der Kritik am Islam verweist, benennt sie Rassismus, der als solcher aber genauer bezeichnet ist.
Spielarten des Rassismus
Ein Beispiel soll das näher erläutern: Ralph Giordano mag es zugutegehalten werden, dass er bei seiner Kritik am Moscheebau die Grenze zwischen Rassismus und Islamkritik nicht überschreiten will, wenn er etwa erklärt: »Ich jedenfalls stehe an der Seite aller säkularisierten Muslimas und Muslime, die mit Reformen den Weg zu einer Integration frei machen wollen, die diesen Namen verdient – ein Ziel, von dem wir noch weit entfernt sind.« Aber er überschreitet sie definitiv mit der Kritik: »Ein solches Großprojekt wird hier mitten in Köln errichtet als Religionsausdruck einer fremden Kultur, und die Bevölkerung wird überhaupt nicht gefragt, ob sie damit einverstanden ist.«
Dass er »fremd« sei, ist keine legitime Kritik des Islams, ebenso wenig wie die gescheiterte Integration, die Giordano beklagt. Die Konstruktion der autochthonen Bevölkerung, die vor dem Bau einer Moschee gefragt werden solle, was sie von den Plänen der »Fremden« halte, die nicht nur in derselben Stadt leben, sondern zum Teil auch dort geboren wurden, ist typisch deutscher Rassismus.
Die Verquickung der Kritik am Islam mit rassistischen Stereotypen und Konstruktionen scheint all jenen Recht zu geben, die in ihr eine Domäne der Rechten sehen. Aber – anders als es der Ausdruck »Islamophobie« vermuten lässt – sieht es in Bezug auf Rassismus bei den KritikerInnen der Islamkritik nicht besser aus. Das dort beliebte Argument, bei den muslimischen Gläubigen handle es sich um eine Minderheit, die aufgrund des allgegenwärtigen Rassismus eines besonderen Schutzes vor (Religions-)Kritik bedürfe, ist nämlich selbst auch bloß eine rassistische Konstruktion. Hier wird den Menschen die Verantwortung für ihre Überzeugungen erheblich reduziert. Damit werden sie aber auf den Status der Opfer und Fremden zurechtgestutzt. Gerade der normale Umgang, die Ernsthaftigkeit einer politischen Auseinandersetzung unter gleichberechtigten Subjekten wird ihnen abgesprochen. So kann es auch nicht verwundern, dass die Entscheidung für den Islamismus immer wieder mit der schlechten sozialen Lage, den fehlenden Chancen und dem Scheitern der Integration erklärt wird.
Wohlgemerkt, es gibt die Ausgrenzung, von der das Argument spricht. Es gibt schlechtere Ausbildungen, schlechtere oder auch gar keine Jobs samt der entsprechenden Siedlungen für die, die sich nichts anderes leisten können. Aber keine soziale Lage der Welt kann es rechtfertigen, dass Zuflucht bei autoritären und menschenverachtenden Weltbildern gesucht wird. Das galt schon für Nazis, denen die tatsächliche oder auch nur drohende Arbeitslosigkeit angeblich so zu schaffen machte, dass sie zur regressiven Gewalt greifen mussten. Und das gilt auch für diejenigen, die dem (politischen) Islam anhängen. Es handelt sich um politische Subjekte, die die Wahl haben, wie sie ihr Verhältnis zu anderen gestalten.
Vom Feminismus lernen …
Nun scheint das Bestehen auf der freien Wahl der Einzelnen sofort absurd zu werden, wenn an »Ehrenmorde«, Zwangsheirat oder auch nur die auf Züchtigkeit bedachte Kopftuchordnung bei den Kassiererinnen im türkischen Supermarkt gedacht wird. Die Trägerin einer Burka, beispielsweise, demonstriert ein Weltbild, das anzugreifen es noch nicht einmal einer linken Position bedarf. Denn eine Burka steht nicht für einen etwas extravaganten, individuellen Kleidungsstil. Sie ist zweifelsohne Ausdruck einer bestimmten religiösen Überzeugung, genauer einer extrem reaktionären Auslegung des Islams. Die Abwehr sexueller Selbstbestimmung – die sich nicht nur auf muslimische Frauen erstreckt, sondern beispielsweise auch in Angriffen auf Lesben und Schwule ihren Ausdruck findet – ist nur eine unerträgliche Erscheinung dieser Auslegung, die darauf ausgerichtet ist, keine bloß private Überzeugung zu bleiben. Vielmehr stehen die Frauen mit ihrer Burka für eine Kultur des Zwangs, der sich auch auf andere (etwa die bereits erwähnten Kassiererinnen) erstrecken soll. Dass dieser Anspruch auf die Durchsetzung einer sittlichen Ordnung des privaten und öffentlichen Lebens aber auch schon im Hier und Heute nicht an den Grenzen der islamischen Gemeinden Halt macht, zeigen die Angriffe auf Lesben und Schwule in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln in diesem Jahr.
Dabei sind die Frauen nicht nur Kleiderständer der Überzeugungen von sie und andere unterdrückenden Männern – deren Existenz unbestritten bleibt. Die Frauen selbst üben ebenfalls aktiv den Zwang zur Sittenkonformität aus, von der Denunziation bis hin zur vollzogenen Verstümmelung. Wenn über das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen diskutiert wird, steht rationalerweise ein solcher Zwangszusammenhang im Hintergrund.
Was läge – bezogen auf die demonstrierte, reaktionäre Einstellung – also näher, als Burkas aus der öffentlichen Sphäre zu vertreiben, indem ihren Trägerinnen klar gemacht wird, dass ihre Position inakzeptabel ist? Zumindest einer antifaschistischen Linken, die sonst bereits angedeutete Nazisymbolik auf Kleidungsstücken nicht zu tolerieren bereit ist, müsste das doch einleuchten. Müsste, wenn nicht – mit Sicherheit zu Recht – bei einem guten Teil der Kopftuch und Verschleierung Tragenden angenommen werden könnte, dass ihren Entscheidungen auch Zwang von außen – von der Familie, der Gemeinde, den Chefs – zugrunde liegt.
Mit einigem Rigorismus, um nicht zu sagen: einiger Brutalität, löste früher manche Feministin solche Widersprüche. So erklärte etwa Doris Lessing Anfang der siebziger Jahre, sie könne kein Mitleid mit Frauen empfinden, die von ihren Männern beschimpft oder geschlagen würden. Schließlich sei selbst schuld, wer sich in den damaligen Zeiten mit einem solchen Mann verbinde. Die Idee ist augenscheinlich, die Frauen zu zwingen, voll verantwortliche Subjekte zu sein, statt sie auf einen Opferstatus zu reduzieren, durch den sie ewig auf die Gnade von Männern angewiesen bleiben und damit zur Erduldung von Leid verurteilt sind. Doch genauso augenscheinlich ist, wie wenig sich bei einer solchen Aussage über die realen, im Unterschied zu den formal gesetzlichen Abhängigkeiten und Möglichkeiten von Frauen Gedanken gemacht wird. Das ist die im politischen Anspruch enthaltene Unbarmherzigkeit.
Selbst wenn diese Unbarmherzigkeit des rigorosen, politischen Anspruchs zurückgenommen wird, bleibt die Erkenntnis des Feminismus wichtig, dass auch die unter Zwängen agierenden Subjekte Handlungsmöglichkeiten haben. Und sei es nur, wie sie sich zu den Zwängen, denen sie ausgesetzt sind, stellen; Unterstützen und rechtfertigen sie das Zwangssystem oder fügen sie sich ihm nur, wo sie keinen anderen Ausweg sehen, und versuchen seine Wirkungen soweit als möglich von Dritten abzuwenden. Die öffentliche Konfrontation mit der politischen Ablehnung der Zwangskultur hat in diesem Zusammenhang auch die Funktion, die bestehenden Wahlmöglichkeiten zu thematisieren und schon durch eine solche Thematisierung zu erweitern.
Die Debatten um die Kopftücher und die Verschleierung nehmen in der Auseinandersetzung um den (politischen) Islam aber nicht nur wegen der Ambivalenz von Zwang und Bekenntnis einen so breiten Raum ein. Sie werden auch durch die symbolische Aufladung der Kleidungsvorschriften angetrieben. Durch Kopftuch und Burka wird jenseits aller rassistischen Identifikationen eine Ideologie in der Öffentlichkeit sichtbar, von der sich die nicht-muslimische Mehrheit der Gesellschaft sonst nicht betroffen fühlt. Denn abgesehen von den weltweiten Anschlägen bleiben die meisten Wirkungen einer Islamisierung für diesen Teil der Gesellschaft in den Privatsphären von anderen verborgen. Auch für die Linke in der BRD sind Islamisierungsbestrebungen abgesehen von verschleierten Frauen auf westdeutschen Straßen und symbolischen Orten, wie neu errichteten Moscheen, unsichtbar.
Der Bezug auf den Feminismus, durch den die Grenze zwischen Privatem und Politischem infrage gestellt wird, ist deshalb in der Auseinandersetzung mit Islam und Islamismus im Westen nicht zufällig. Wenn dagegen das »… ums Ganze!«-Bündnis in seinem Aufruf zu den Gegenaktivitäten um den Kölner »Anti-Islam-Kongress« schreibt: »Eine Linke, die es nicht schafft, zwischen Moslems – die wie ChristInnen oder Hindus in der Regel ›bloß‹ kritikwürdige Religiöse sind – und IslamistInnen (als den AkteurInnen einer extrem regressiven politischen Bewegung) zu unterscheiden, ist Teil des Problems«, dann plädiert es für eine Einhaltung der liberalen Trennung zwischen privater und politischer Sphäre.
Diese Trennung mögen einzelne muslimische Gläubige zwar auch für sich selbst in Anspruch nehmen, sie ist im Islam als Religion aber alles andere als durchgesetzt. Daher sind auch die Wechselwirkungen zwischen dem Islam als politischer Bewegung und als kulturellem oder religiösem Überzeugungssystem so unmittelbar. Der Islam hegt immer noch den Anspruch auf seine politische und rechtliche Durchsetzung. Aus einem politischen Feld aber einen Teil isolieren zu wollen, obwohl dieser nicht offensiv bekämpft wird, mag sich juristisch begründen lassen, politisch ist es Unsinn. Wenn »… ums Ganze!« also feststellt, nicht »die« Religion sei das Problem, dann stimmt das zwar abstrakt. Aber die Diskussion dreht sich auch nicht um »die« Religion als Abstraktum, sondern um den Islam in seinen dominanten Ausprägungen, wie sie aktuell und konkret statt bloß vorstellbar sind.
Dieser Bezug auf die tatsächlich dominanten Interpretationen ist gerade dann wichtig, wenn der Islam nicht als unveränderlich feststehende Kultur, sondern als Feld kultureller und politischer Projekte begriffen wird. Dass Religionen und Kulturen solche Projekte sind, heißt nämlich nicht, dass ihre Namen – etwa »Islam« – nichts bezeichnen. Vielmehr kennzeichnen sie den Bezugsrahmen mehr oder weniger umkämpfter Überzeugungen und Normen. Auf einem solchen Feld die dominanten Strömungen zu bestimmen, bedeutet auch zu sehen, von welchen Kräften heute liberalere oder stärker um Säkularisierung bemühte, muslimische Gläubige bestimmt werden. Die liberalen Strömungen müssen dabei nicht notwendigerweise dem dominanten Islam verfallen, doch auch sie können der Gefahr einer Orientierung an den dominanten Normen höchstens durch einen ständigen Kampf gegen ihn entgehen.
Bezogen auf den konkreten und aktuellen Islam in seinen dominanten Formen ist das Plädoyer für die Trennung zwischen privater und politischer Sphäre nun aber problematisch. Der Gedanke der religiösen Toleranz funktioniert nur in einer säkularen Gesellschaft, in der ohnehin klar ist, dass jeder religiöse Anspruch, will er Geltung über jene hinaus erlangen, die sich ihm freiwillig unterwerfen, politisch begründet und durchgesetzt werden muss. An der europäischen Geschichte des Toleranzgedankens lässt sich das durchaus nachvollziehen. Solange die Kirchen noch als unabänderlicher Bestandteil der Staatsgewalt angesehen wurden, bezog sich die religiöse Toleranz nur auf die private Beziehung der Einzelnen zu Gott. Öffentliche religiöse Äußerungen oder gar Gottesdienste hatten mit der Staatsreligion konform zu gehen. Erst die weitgehende Trennung von Religion und Herrschaft, das heißt die Privatisierung auch der öffentlichen Ausübung von Religion, erweiterten die Liberalität bezüglich des Religiösen. Seitdem müssen sich aber auch Familienangehörige damit abfinden, wenn Einzelne den religiösen Regeln oder gar der Religion insgesamt abtrünnig werden. Wo, wie im Islamismus, aber auch in der islamischen Kultur insgesamt, solche Grenzen nicht anerkannt werden, ist die Voraussetzung der religiösen Toleranz nicht gegeben.
Als sie im Christentum noch nicht gegeben war, war es im Übrigen nicht zuletzt die Linke, die vehement gegen religiöse Toleranz auftrat. Gerade in den konservativen, katholischen Milieus ist die Zeit noch gar nicht so lange her, dass vielen Linken der Kampf gegen Rom und seine Vasallen eine Herzensangelegenheit war. Dass heute der Kampf gegen den christlichen Fundamentalismus in der BRD so wenig dringlich erscheint, hat etwas mit der veränderten Lage zu tun. Insofern unterscheiden sich Kardinäle, Nonnen und Mönche in ihren religiösen Trachten von der Trägerin einer Burka. Die Religion, die sie vertreten, hat sich mit ihrem Dasein als Institution in einer säkularen Gesellschaft längst abgefunden.
Insofern scheint das Bundesinnenministerium noch konsequenter zu sein, als das »… ums Ganze!«-Bündnis. Denn dort wird wenigstens immer wieder betont, dass die Anerkennung der säkularen Gesetzesordnung der BRD als Grundlage jeder Auseinandersetzung angesehen wird. Allerdings zielen die staatlichen Versuche bei den »Integrationsgipfeln«, den Islamismus zu bekämpfen, zugleich auf eine Stärkung des Islams. Er soll »aus den Hinterhöfen« geholt werden und in den Schulen einen Platz finden. Ziel dieser Aufwertung des Islams ist zum einen die Kontrolle. Ihn aus den Hinterhöfen herauszuholen, heißt mit anderen Worten, ihn auf der öffentlichen Bühne stärker zu Wort kommen zu lassen, wo er – analog zur Logik des Arguments von »… ums Ganze!« - in seinen politischen Ansprüchen sicht- und kritisierbar wird.
Gleichzeitig werden mit dieser Unterstützung islamischer Gruppen Strategien der Unterwanderung verbunden. So diskutiert der Staat auf behördlicher, aber auch auf der Ebene der Intellektuellen, wie »wir« eine Reformation des Islams befördern können, die ihn zum Status quo der westlichen Gesellschaftsordnung kompatibel macht. Die Debatte darüber, ob Tariq Ramadan den europäischen Islam oder die Islamisierung Europas bringen wird oder wie der Lehrplan für eine staatlich überwachte Einführung in den Islam aussehen soll, dauert an. Aber abgesehen vom Paternalismus, der zwangsläufig in solchen Debatten mitschwingt, gehen sie immer mit einer Stärkung aller islamischen Strömungen einher, mit denen der »Dialog« gesucht wird. Warum es aber für Leute, die einer Religion gar nicht anhängen, geboten sein soll, sich für innerreligiöse Reformen einzusetzen, statt wo nötig an den Überzeugungen und Praktiken Kritik zu üben, bleibt unklar.
Auf ins Minenfeld!
Was bedeutet aber all das für die eingangs aufgezeigte Alternative einer linken Positionierung zur Errichtung eines islamischen Zentrums? Es kann für die Linke in der BRD nicht darum gehen, die aktuell unsinnige Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus mitzumachen. Wo findet sich denn die maßgebliche islamische Gruppierung, die dem Islamismus aus linker Sicht so überlegen ist? Etwa in Saudi-Arabien, wo Al Quaida heftig bekämpft wird? Oder in Nigeria, wo ein Scharia-Gericht die Todesstrafe durch Steinigung auch 2008 verhängt?
Es kann einer Linken nicht darum gehen, die einmal schon zur Selbstverständlichkeit gewordene Zurückweisung der Religion zugunsten von Kampagnen für Moscheebauten aufzugeben, nur weil diese von RassistInnen mit rassistischen Motiven verhindert werden sollen. Das heißt nicht, dass auf dem Feld, wo Übel und Übel aufeinandertreffen, handeln unmöglich wäre. Wie immer in solchen politischen Situationen ist dann die Entscheidung zu treffen, welches Übel im Moment überwiegt. Der Rassismus ist dabei eine politische Ausdrucksform, gegen die zu mobilisieren der Linken in der BRD auch deshalb leichter fällt, weil sie die Auseinandersetzungen kennt und über entsprechende Strategien verfügt. Gegen Rassismus ist die Linke, so wie sie gegen Nazis ist, immer dann, wenn sie ihn erkennt, aus Prinzip. Analytisch mag es mitunter Schwierigkeiten geben, Rassismus als solchen zu erkennen, aber die Positionierung selbst bereitet einer Linken keine Schwierigkeiten mehr. Dass die Auseinandersetzungen mit dem Islamismus dagegen weitgehend unbekanntes Terrain sind, erklärt zwar die Bevorzugung der Auseinandersetzungen mit den RassistInnen begründet sie aber politisch nicht. Zudem ist die Gleichung, gegen Rassismus zu sein, heißt für Moscheebau zu sein, falsch.
Dass es neben der linken Tradition aber auch die Struktur der Islamisierung selbst ist, die eine Auseinandersetzung unbequem macht, sollte deutlich geworden sein. Noch immer fühlt sich die Linke in der BRD am stärksten vom Islamismus betroffen, wenn er sich auf der internationalen Bühne zeigt, sei es in Form von Terroranschlägen oder als das islamistische Regime im Iran. Beides sind aber Felder, in denen es eher um staatliche, genauer geheimdienstliche, polizeiliche oder militärische Reaktionen geht. Auf dieser Ebene ist linkes Engagement auf eine zuschauende Kommentierung beschränkt. Die andere Ebene, die die traditionell öffentliche Sphäre verlässt und in den privaten Bereich der Lebensgestaltung übergreift, ist ein nicht minder schwieriges Feld. Unmittelbar geht es hier um die Entscheidungen der Subjekte, die dann praktisch unterstützt oder öffentlich thematisiert werden können. Nur letztes könnte eine Domäne der BRD-Linken in ihrer gegenwärtigen personellen Zusammensetzung sein, weshalb es in absehbarer Zeit auf diesem Feld der Politik wohl bei Verlautbarungen und Appellen à la »Stop the bomb!« bleiben wird. Als Ergebnis der Debatte würden wir dennoch gern festhalten:
1. Der Begriff der »Islamophobie« ist für die politische Debatte untauglich.
2. Die Trennung von Islamismus bzw. politischem Islam und dem Islam als Religion gaukelt eine bestehende Trennung von politischer und privater Sphäre vor, die linkem Emanzipationsstreben unangemessen ist.
3. Die Auseinandersetzung mit islamischen Gesellschaftsmodellen ist als politische Auseinandersetzung zu führen.
4. Die Analyse der rassistischen Elemente in der Debatte um den Islam bleibt wichtig.
5. Reaktionäre Gruppen wegen ihrer rassistischen Diskriminierung in ihren politischen Zielen zu unterstützen, ist selbst eine Form des Rassismus.
Daraus ergibt sich:
6. Das Zurückschrecken vor einer Auseinandersetzung mit realen antiemanzipatorischen Bewegungen – bloß weil auf diesem Feld der Vorwurf des Rassismus droht – ist inakzeptabel.
PHASE 2 LEIPZIG