Vom 20. bis 22.05.2022 fand an der Universität Oldenburg der Kongress Klimawandel & Gesellschaftskritik statt, organisiert von einem Bündnis der jeweiligen Referate des lokalen AStA, der Forschungsstelle Kritische Naturphilosophie und der überregionalen, studentischen Arbeitsgemeinschaft Rosa Salon. Für die Tagung wurden in 30 Vorträgen, 13 Panels und mehreren Podiumsdiskussionen über 50 Referent:innen zusammengebracht. Nicht nur des großen Umfangs, sondern auch der Auswahl der Teilnehmer:innen wegen bot die Veranstaltung einen Querschnitt durch die deutschsprachige Theorie-Linke und deren Auffassungen zum Klimaproblem. Die Phase 2 hat mit den Organisator:innen gesprochen und nach Ansprüchen, Herausforderungen und Ergebnissen der Tagung gefragt.
Phase 2: Bitte stellt Euch kurz vor: Wer seid Ihr und für wen sprecht Ihr? Welchen Zulauf hatte die Tagung und wie war das Presseecho?
K & G: Unser Bündnis setzt sich von verschiedenen Ausgangspunkten aus mit Gesellschaftskritik auseinander: auf der Ebene der Studierendenschaft, der Forschung und der »Zivilgesellschaft«. Aus dem Organisationsteam des Kongresses ist nun eine kleinere Redaktionsgruppe hervorgegangen, die Mitglieder aus allen der von Euch genannten Gruppen umfasst und die sich derzeit mit der Herausgabe eines Tagungsbandes beschäftigt. Wir haben über 400 TeilnehmerInnen gezählt, viele sind sogar bundesweit angereist. Es gab auch ein überregionales Echo in den Medien, die Jungle World druckte beispielsweise zwei Artikel zum Kongress ab.
Phase 2: In eurer Pressemitteilung habt Ihr geschrieben, dass alle interessierten Menschen eingeladen seien, um nachfolgend einzuschränken, das damit Studierende, Schüler:innen und politische Aktivist:innen gemeint seien. Wie kam es zu dieser Einschränkung – könnt Ihr euch keine weiteren interessierten Menschen vorstellen, obwohl es sich doch um eine die Gattung bedrohende Katastrophe handelt?
K & G: Für uns sollte es vielmehr eine Konkretisierung des Fokus sein, weil wir diese Zielgruppen insbesondere ansprechen wollten. Es war dann erfreulicherweise auch ein sehr heterogenes Publikum vor Ort.
Phase 2: Ihr habt für die Tagung den Titel Klimawandel & Gesellschaftskritik gewählt. Die Konjunktion »und« lässt zunächst offen, wie das Verhältnis beider Begriffe zueinander ist. Wie würdet ihr es bestimmen?
K & G: Der Klimawandel ist ein Prozess, der sich zunächst naturwissenschaftlich darstellen lässt. Die Naturwissenschaften heute verstehen sich als wertneutral: Normative Forderungen lassen sich demnach aus Forschungsergebnissen nicht ableiten, sie gehören in die Sphäre der Politik. Das Selbstverständnis der (Real-)Politik bewegt sich wiederum im Modus der Verwaltung von »Sachzwängen«, radikale, an die Wurzel gehende Veränderungen sind ihr Anathema. Wie auf diese Weise in Naturwissenschaft und Politik je der Klimawandel zum Gegenstand gemacht wird, wollten wir mit Einsichten der Gesellschaftskritik verbinden, auch um den im Rekurs auf Sachzwänge entstehenden Schein der Alternativlosigkeit aufzulösen. Gesellschaftskritik ist notwendig, um sowohl die strukturellen Ursachen des Klimawandels als auch die produzierte Handlungsohnmacht in den Blick zu bekommen und um die nötigen praktischen Konsequenzen daraus ziehen zu können. Es geht also gerade nicht um eine disparate Aufzählung – Klimawandel, Gesellschaftskritik –, sondern um ein Anknüpfungsverhältnis.
Phase 2: Unterschiedlichste Redner:innen – Aktivist:innen, Gesellschaftskritiker:innen und Wissenschaftler:innen – wurden von Euch zu der Tagung eingeladen. Ihr habt damit versucht, ein breites Spektrum von linken und gesellschaftskritischen Positionen zum Klimawandel abzubilden. Inzwischen ist das Thema längst in nahezu allen übrigen politischen Lagern angekommen. Gibt es Eurer Ansicht nach eine Schnittmenge in der Linken, die das Thema »Klima« durch eine kritische Fragestellung erschließt?
K & G: Nahezu alle Linken beschäftigen sich mit der Klimaproblematik, einige auch mit gesellschaftskritischem Anspruch. Wie dann der Gesellschaftsbegriff und die Kritik im Detail aussehen, unterscheidet sich aber beträchtlich. Die Heterogenität dieser Ansätze haben wir in Teilen versucht auf dem Kongress abzubilden und zu vernetzen – in Teilen deswegen, weil Theoriepluralität kein Selbstzweck ist, sondern nur insofern sinnvoll, als man etwas voneinander lernen kann. Auch indem wir Schwerpunkte gesetzt haben, die unseres Erachtens bislang vernachlässigt werden, hat der Kongress hoffentlich dazu beigetragen, dass sich die Leute in Bezug auf das Thema »Klima« zukünftig auch neue und andere Fragen stellen.
Phase 2: In Eurer Pressemitteilung lässt sich die Referentin für Nachhaltigkeit des AStA der Universität Oldenburg, Helena Post, die ebenfalls an der Organisation der Konferenz beteiligt war, unter anderem mit folgender Aussage zitieren: »Das Thema Klimawandel ist im Privaten wie im Politischen inzwischen allgegenwärtig, auch globale Protestbewegungen und verbindliche multilaterale Beschlüsse zum Klimaschutz existieren – trotzdem steigen die Emissionen. Der Kongress sucht nach einer möglichen Erklärung für diesen Widerspruch.« Wie ist das gemeint – ist das Thema wirklich allgegenwärtig?
K & G: Ja. Man kann heute kein Haarpflegeprodukt mehr kaufen, ohne auf dessen Klimaverträglichkeit hingewiesen zu werden. Die zitierte Aussage verweist darauf, dass die weit verbreitete Auffassung, es bedürfe einer besseren Information über die bereits beobachtbaren und möglichen Folgen des Klimawandels, angesichts der breiten medialen und politischen Aufmerksamkeit, die das Thema erfährt, zu bezweifeln ist. Dass eine Reduktion der globalen Emissionen ausbleibt, liegt weniger an einem mangelnden Bewusstsein für die physikalischen Ursachen, meteorologischen Funktionsweisen und Gefahren des Klimawandels – diese werden, mindestens seit Fridays For Future, ausgiebig diskutiert – als an der systematischen »Unkenntnis« (Gerhard Stapelfeldt) über seine gesellschaftlichen und ökonomischen Ursachen.
Phase 2: Im Ankündigungstext auf der Website macht Ihr einige Gegensätze auf: Das Verständnis von und das Verhältnis zur Natur, moralische Verwerflichkeit oder gesellschaftliche Notwendigkeit von Naturbeherrschung oder auch das Dreieck von Natur-, Klima und (völkischem) Heimatschutz. Wo liegen Eurer Ansicht nach die Bruchlinien in der linken und gesellschaftskritischen Auseinandersetzung rund um das Thema »Klima«?
K & G: Die zentrale Bruchlinie innerhalb der (im weitesten Sinne) Linken ist vermutlich Systemwechsel versus Einzelverantwortung. Innerhalb einer dezidiert gesellschaftskritischen Auseinandersetzung stellen sich andere Fragen. Nur ein Beispiel: Auch eine sozialistische Ökonomie hat prospektiv einen schlechten »ökologischen Fußabdruck«, weil arbeitssparende Technologien sehr energieintensiv sind. Die Alternative zum Technokratismus kann aber auch kein back to the roots sein, wie es im Postwachstums-Diskurs teilweise gefordert wird. Darum müssen Modelle gefunden werden, wie natürliche Ressourcen genutzt werden können, ohne sie dabei zu vernichten – und das ist innerhalb der kapitalistischen Ökonomie unter dem Konkurrenzdruck der Mehrwertproduktion nicht möglich.
Phase 2: Die unterschiedlichen Redner:innen und Akteur:innen haben unterschiedliche Verständnisse von individuellem Handeln und kollektiven Praktiken, die wiederum von den unterschiedlichen Organisationsformen abhängen. Kam es hinsichtlich der unterschiedlichen Vorstellungen von konkreter Praxis zu Auseinandersetzungen?
K & G: Ein Bedürfnis nach verändernder Praxis war vermutlich allen TeilnehmerInnen wie OrganisatorInnen gemein. Hinsichtlich der Erwartungen gab es die üblichen Differenzen: Denjenigen, die fordern, dass jetzt etwas getan werden muss, standen die gegenüber, die auf den Grenzen praktischer Gestaltungsmöglichkeit unter den gegebenen Verhältnissen beharren und auf die Gefahren übereilten Handelns hinweisen: Solange emanzipatorische Bestrebungen derart marginalisiert sind, wie sie es eben zurzeit sind, läuft jede Forderung danach, jetzt sofort zu handeln, auf eine Krisenbearbeitung hinaus, die entweder zu den bürgerlichen Vermittlungsformen Staat und Kapital gar nicht in Widerspruch gerät und darum höchstens Symptome und nicht die Ursache des Problems adressiert, oder noch schlimmer, hinter die Freiheitsgrade bürgerlich-liberaler Herrschaft zurückfällt. Eine Kontroverse drehte sich zudem um die Rolle der Apokalyptik in der Klimabewegung. Auf den Vorwurf, dass der Handlungsdrang vieler AktivistInnen aus einer apokalyptischen Angstlust entspringen würde, wurde geantwortet: Nein, unsere Apokalyptik steht nicht im Zeichen des Lust-, sondern des Realitätsprinzips. Sie fußt auf Realangst und ist der Wirklichkeit angemessen.
Phase 2: Organisationsbündnisse erfordern von allen Beteiligten Kompromisse, die von heftigen wie intensiven Aushandlungsprozessen begleitet werden. Welche Positionen und/oder Themen sind in der Rückschau aus Eurer Perspektive zu kurz gekommen?
K & G: Kompromisse spielten eine gewisse Rolle, wichtiger war jedoch die Schwierigkeit, zu bestimmten Themen überhaupt passende ReferentInnen zu finden. Klimaangst ist beispielsweise in der Psychologie ein großes Thema, zu dem ganze Sammelbände erscheinen und an dem etwa Psychologists for Future laborieren. Aber auch hier wird das Problem zumeist individualistisch behandelt. Es gibt kaum jemanden, der sozialpsychologisch nach den gesellschaftlichen Gründen der allgemeinen Ohnmachtserfahrung fragt. Zu kurz gekommen ist außerdem die Rahmung des Klimawandels aus einer Perspektive, die die Produktionsverhältnisse und die internationalen politischen Beziehungen berücksichtigen. Einige der Leerstellen wollen wir in dem Sammelband, an dem wir momentan arbeiten, schließen.
Phase 2: Häufig erscheint es so, dass zwischen politischem Aktivismus und Gesellschaftskritik eine tiefe Kluft besteht und jeweils unterschiedliche wie voneinander losgelöste Praxen gefolgt werden. Daraus wird schnell die Beobachtung abgeleitet, dass sich beide entweder nicht zur Kenntnis nehmen und/oder argwöhnisch beobachten. Ihr habt nun Akteur:innen aus beiden Lagern zusammengebracht. Wie hat das im Fall Eurer Konferenz funktioniert und ist eine solche strikte Unterscheidung überhaupt legitim?
K & G: Jemand fragte einmal rhetorisch: »Ist nicht Theorie auch eine genuine Gestalt der Praxis?« In diesem Sinne sollte der Kongress auch vermitteln: Keine Angst vorm Elfenbeinturm. Rückzug in Theorie kommt nicht Defätismus gleich, sondern ist die Voraussetzung gelingender Praxis. Andererseits sind Bewegungen, die sich um Commons, Solidarische Landwirtschaft u.a. formieren – so ungenügend sie ihre Ziele unter gegebenen Verhältnissen durchsetzen (und überhaupt formulieren) können –, notwendige Ansatzpunkte, »Keimzellen«, um es pathetisch auszudrücken.
Phase 2: Im Aufruf vertritt das Organisationsbündnis die inzwischen wissenschaftlich unstrittige Ansicht, dass die bisherigen Anstrengungen, um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen nicht ausreichend sind. Wie kann politischer Aktivismus konkret dazu beitragen, die Klimaziele doch noch zu erreichen? Wie sehen praktische Aktionen aus?
K & G: Leidenschaftlich diskutiert werden ja zurzeit die sogenannten Klimakleber. Über Sinn und Unsinn dieser Aktionsform lässt sich streiten. Eine Aktion, die uns gut gefallen hat, kam von AktivistInnen in Toulouse, die dort Golflöcher mit Zement gefüllt haben. Solche Maßnahmen können lustig und cool sein, sie können Aufmerksamkeit erzeugen. Doch was, wenn die Aufmerksamkeit da ist, aber trotzdem nichts passiert? Für die nötigen tiefgreifenden Veränderungen braucht es revolutionäre Praxis. So fühlt sich zum Unmut von CDU/CSU und anderen BesitzstandswahrerInnen der Verfassungsschutz nicht für die Letzte Generation zuständig. Sie begeht Ordnungswidrigkeiten – die auch eine große Symbolwirkung entfalten können –, aber steht im Grunde mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Verfassung. Das ist ein Problem. Politischer Aktivismus kann nur darauf aufmerksam machen, dass die Klimaziele mit den bisherigen Maßnahmen unerreichbar bleiben. Um sie eventuell doch noch (annähernd) zu erreichen, müsste weltweit die Produktionsweise – und damit das gesellschaftliche Leben – verändert werden.
Phase 2: In Eurem Ankündigungstext habt Ihr geschrieben, dass der sogenannte »point of no return« noch nicht eingetreten ist und damit noch in der Zukunft liegt. Verschiedene Stimmen aus der Wissenschaft wie etwa Mark Bennecke vertreten die Position, dass dieser bereits überschritten wurde und es nur noch darum gehen kann, die katastrophalen Folgen so gering wie möglich zu halten. Wie kommt Ihr zu Eurer Einschätzung?
K & G: Bezüglich des »point of no return« gibt es eine grundsätzliche erkenntnistheoretische Schwierigkeit, die darin besteht, dass man den Zeitpunkt des Übertretens der Schwelle nicht genau bestimmen kann. Über diesen Punkt kann man vorerst nur im Futur II sprechen: Irgendwann wird die Schwelle übertreten worden sein – wann genau, lässt sich jedoch nur retrospektiv sagen. Der Point of no Return bezüglich des 1,5-Grad-Ziels scheint laut den IPCC-Berichten bereits erreicht zu sein (außer, wir würden den CO2-Ausstoß auf einen Minuswert bringen, indem mit bislang technisch noch nicht entwickelten Methoden CO2 in großem Maßstab aus der Atmosphäre gefiltert werden würde). Für den Klimawandel insgesamt halten wir die Frage, ob es nun fünf vor oder schon fünf nach zwölf ist, für nicht zu beantworten und auch für praktisch unerheblich, denn die Notwendigkeit zur Veränderung der Verhältnisse besteht unabhängig von einem »point of no return«. Die Katastrophe ist nicht (nur) etwas, das in der Zukunft auf uns wartet, sondern jetzt schon Wirklichkeit für viele Menschen, die zum Teil der VerliererInnen gehören, den die ökonomischen Verhältnisse notwendig hervorbringt, und für die Armut, Hunger, Gewalt, Unsicherheit usw. eine alltägliche Erfahrung ist. Dass diese Verhältnisse nun für jedermann offensichtlich in die Selbstzerstörung der Gattung münden, bringt viele, die die katastrophalen Folgen des Weiter-so bisher getrost ignorieren konnten, dazu, nun genauer hinzusehen und für ihre Zukunft zu streiten. Sie muss man erstens darüber aufklären, dass der Staat kein geeigneter Adressat ist, weil er ko-konstitutiv für die kapitalistische Form der Herrschaft ist. Zweitens sollte der Slogan »System Change, Not Climate Change!« inhaltlich gefüllt werden: Das herrschende System besteht nicht in irgendwelchen »Machthierarchien von Männern über Frauen, von weißen Menschen über People of Colour und von Männern über die Natur« (Luisa Neubauer), sondern heißt Kapitalismus. Der wiederum ist kein bloßes Mindset oder die Ausgeburt gieriger Eliten, sondern eine unpersönliche ökonomische und soziale Logik, die jeden und jede dazu zwingt, seine oder ihre Arbeitskraft zu verkaufen oder Arbeitskraft unter Konkurrenzbedingungen zur Mehrwertakkumulation einzusetzen. Drittens muss man zeigen, dass menschenfreundlichere Verhältnisse möglich sind, selbst wenn inzwischen einige Kipppunkte erreicht und bestimmte Prozesse unumkehrbar sein sollten.
Phase 2: Die Tagung liegt nun beinahe ein Jahr hinter Euch. Wie fällt Euer Fazit der Tagung aus? Gibt es aus der Tagung entstandene Strukturen, die gemeinsam das Thema weiterbearbeiten?
K & G: Auf einige Leerstellen haben wir bereits hingewiesen. Es sind darüber hinaus spannende und produktive Diskussionen entstanden, wo wir es nicht unbedingt erwartet hatten, beispielsweise zu geschichtsphilosophischen Fragen von Utopie und Apokalyptik. Die HerausgeberInnengruppe des Klimabandes ist in diesem Sinne keine feste Struktur. Unsere gemeinsame Arbeit wird im nächsten Jahr hauptsächlich darin bestehen, bei Buchvorstellungen an möglichst vielen schönen Orten in der Bundesrepublik mit interessierten Menschen ins Gespräch zu kommen.