Inszenierung der Durchschnittlichkeit

Die Ausstellung Anthologie der Künstlerin Miriam Visaczki zeigt die Ästhetik der Biografie

Anthologie zeigt die seit 2006 entstandenen Arbeiten der Künstlerin Miriam Visaczki, die sich alle auf anderen Wegen dem Ort Waldmünchen nähern. Feindbilder, Mythen, Tradition, Heimatbilder und das dörfliche Narrativ drücken sich in Vergessen und Verschweigen aus. Hier beweist der Ort seine Durchschnittlichkeit. Waldmünchen ist eine Kleinstadt im Bayerischen Wald, nahe der tschechischen Grenze. Eine durchschnittliche Ortschaft, die sich vielleicht gerade wegen dieser Durchschnittlichkeit eine »andere« Geschichte schuf. Nachdem das Dorf während des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle im Gau Bayerische Ostmark mit der Annexion von Gemeinden im Westen Tschechiens einnahm, ging es mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bergab: die Alliierten »zerstörten« die Stadt zu 30 Prozent (hier lohnt sich keine Fußnote zu Wikipedia, obwohl ich es bewusst zitiere. Über dieses Medium zeigt sich Heimatgeschichte in all ihren Unklarheiten und Auslassungen), Flüchtlinge kamen aus dem Osten und letztlich schottete der »eiserne Vorhang« die Region von jeder Möglichkeit wirtschaftlicher Partizipation ab. So das Selbst-Narrativ der Waldmünchner. Auch hier ist es nicht einmal eine besondere Geschichte, sondern eine mäßige Involviertheit in den Nationalsozialismus, nicht mehr und nicht weniger als viele deutsche Kleinstädte sie der Gegenwart vererben. Dies bedeutet, dass auch hier die Tätergeschichte in der dörflich-gemeinschaftlichen Selbstinszenierung und in der eigenen Chronik ausgeblendet wird.

Miriam Visaczki richtet ihren Blick, so möchte man es einfach zusammenfassen, auf die Stadt während des Nationalsozialismus und auf die Tätergeschichte. Vielmehr noch: auf das Entstehen, das Aussprechen und Manifestieren von Heimatgeschichte in Form einer Konservierung eines positiven Narratives. Die Kunstwerke, Zeitdokumente und Texte bieten einen klaren Zugang zu einer im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegenen Geschichte. Es könnte sich um ein Fallbeispiel handeln, das in Form fotografischer und dokumentarischer Arbeiten aufzeigt, wie sich die dörfliche Selbstinszenierung als Gemeinschaft heute in Heimatfestspiel, Heimatmuseum und Stadtarchiv gebiert. Doch ist bemerkenswert, dass Miriam Visaczki dies zeigt, nicht indem sie anklagt, sondern den Opfern und Verschwiegenen Raum schafft. Indem sie lediglich die Möglichkeit der kritischen Annäherung an Heimat und Familie bietet, überlässt sie die Anklage bewusst oder unbewusst dem/der BetrachterIn. Keine Wertung wird gewagt und obwohl die ungelenkte Interpretation eindeutig ausfallen mag, handelt es sich eben doch nicht um vertuschte Pädagogik.

Medien der Erinnerung

Die verschiedenen Medien, Fotografie, Film, Installation, die in der Ausstellung gezeigt wurden, bilden ein Konzept, das sich nicht mit einem sozial- und kulturwissenschaftlichen Begriffskatalog wie kollektives vs. individuelles Gedenken, Konstruktion, Narrativ und Erinnerungskultur allein fassen lässt. Miriam Visaczki nähert sich dem Ort der Heimat ästhetisch und zugleich kritisch: Ein distanzierter Blick auf die Stadt aus sicherer Entfernung im trüben Licht und durch das fotografische Objektiv ist Programm und visueller Titel von Anthologie. Der Titel ist einer der letzten Arbeiten der Serie Waldmünchen entnommen: die Mikrofiche-Anthologie zeigt analog verschiedenen Aufnahmen aus Archiven und aus privater Sammlung, die mit der Geschichte des Bayerischen Waldes und Waldmünchens zu tun haben.Ich verweise im Folgenden auf die im Internet ausgestellten Arbeiten. Die Mikrofiche-Anthologie findet sich unter http://www.miriamvisaczki.de/Anthologie1.html [30. April 2010].

 Die in der Sigismundkapelle in Regensburg versammelten Arbeiten schließen also den Prozess der Auseinandersetzung der Künstlerin. Sie zeigen auf einem großen Portrait in einem Eichenrahmen Johann Evangelist Lechner, der als einziger Bewohner des Orts ins Konzentrationslager Dachau gekommen ist, weil er sozialdemokratische Flugschriften schmuggelte. Ein Interview mit einem ehemaligen Genossen Lechners, der im Jahr 2009 starb, ist ausgelegt, gedruckt auf dünnem Papier, auf dem damals auch die illegalen Zeitungen gedruckt wurden. Zu dieser durch fiktives und reales Material unternommenen Annäherung an die Person Lechner gehört auch eine mitten im Raum aufgebaute Uniform, Schnitt und Stil ähneln denen der Wehrmacht. Der Ausstellungsraum, im Vordergrund die Uniform vor dem Portrait Lechners: http://www.miriamvisaczki.de/JEL2.html [30 April 2010]. Diese Uniformen wurden während des Kriegs in der Waldmünchner Tuchfabrik Wessely & Spaett hergestellt. Der Stoff der Jacke ist allerdings aus einem groben, grauen Wollstoff im Fischgrätenmuster – wie sie die Tuchfirma nach dem Krieg, getreu deutscher Kontinuitäten verwendete. Miriam Visaczkis Großvater arbeitete nach dem Krieg in der Fabrik. Hier zeigt sich einmal mehr die Verknüpfung von Geschichte, Ästhetik und eigener Biografie.

 Diesen Arbeiten stehen im Besonderen Fotos gegenüber, die sie 2008 von der Polizeischule im Ortsteil Herzogau bei Waldmünchen machte. Die Polizeihundeschule ist im ehemaligen Grenzlandhotel Bayerische Ostmark untergebracht; damals ein Land- und Erholungsheim der Nationalsozialisten. Heute wurde der Hundeschule ungewollt Aufmerksamkeit zu Teil. In einem anonymen Brief eines Auszubildenden wurde bekannt, dass Neuankommende entwürdigende Aufgaben, spießrutenähnliche Mutproben erfüllen müssen. Die Medien stürzten sich auf den Ort und waren empört. Nur ein Beispiel unter vielen soll reichen: Schließung der Hundeschule gefordert, Süddeutsche Zeitung vom 31. Oktober 2007. Ein Verweis auf die Ironie der Geschichte des Ortes blieb allerdings aus.

 Die Architektur des Gebäudes, der folkloristische Schmuck des Bayerischen Waldes wirkt umso finsterer, betrachtet man das Foto, auf dem die Fensterornamente offensichtlich »beschönigt« wurden: Die beiden Hakenkreuze aus Metallstreben auf der Eingangstür wurden in rechteckige Fenster »verwandelt«. Bilder, aufgenommen in der Polizeihundeschule: http://www.miriamvisaczki.de/Herz8.html [30. April 2010]. Was geradezu als grotesk-absurder nice try herhalten könnte, ist im Rahmen der Anthologie-Ausstellung ein weiterer Aspekt der Gewaltsamkeit der Durchschnittlichkeit, der für sich spricht. Eine Besonderheit ist, dass diese Darstellung das Schaulustige meidet – der konkrete Gegenstand, das konkrete Ereignis wird fiktionalisiert und der ästhetischen Erzählung im Film oder auch den fotografischen Darstellung überlassen.

Besonders deutlich wird der Ansatz ihrer Arbeit in dem zur Ausstellung gehörenden Film »750 und 12 Jahre Waldmünchen«. Landschafts- und Ortsaufnahmen wechseln sich ab mit Interviewmontagen etablierter Heimatkundler und ihnen inhaltlichen widersprechenden Textauszügen, die als Lauftexte auf der Leinwand erscheinen. In den Lauftexten kommt eine andere Perspektive zum Ausdruck, die sich aus Archivdokumenten zusammensetzt sowie aus Interviews mit Opfern der Waldmünchner Geschichte und Aussagen aus den Spruchkammerverfahren der unmittelbaren Nachkriegszeit. Marina Sawall, Der Traum vom Widerstand, in: Miriam Visaczki (Hrsg.): 750 und 12 Jahren Waldmünchen, Berlin 2008, 3. Der Katalog gibt zudem einen Überblick über Visaczkis Arbeiten, die auch in Regensburg ausgestellt wurden.

Vergessene Orte

Der Film gibt noch einen weiteren geografischen, aber auch vergessenen Teil von Waldmünchens Geschichte wieder: die Annexion des Sudentenlandes. Die Grenze zu Tschechien verläuft heute etwa drei Kilometer vom Ort entfernt – 1938 wurde sie aufgehoben und Deutschland verleibte sich Gemeinden ein, Waldmünchen wurde größer. Diese heute als »verschwundene Orte« bezeichneten Dörfer, die erst unter tschechoslowakischer, dann unter deutscher Verwaltung waren und daraufhin im Grenzgebiet bzw. Sperrgebiet zwischen Tschechien und Deutschland »verschwanden«, werden im Film aufgesucht und durch das Auge der Betrachterin rekonstruiert.

Viele, die das »Sudetenland« verlassen mussten, kamen nach Waldmünchen. Wiederum in kritischer Distanz zur eigenen Heimat begibt sich Miriam Visaczki auf deren Pfade, nur in entgegengesetzte Richtung und mit einer anderen Perspektive: Ihr Blick gilt den verschwundenen jüdischen Gemeinden, die im Taumel von Annexion und Rückgabe, Flucht und Vertreibungen den Rahmen der Heimatforschung gesprengt hätten und keine Beachtung fanden. Auch die im Film erstmals konkret erwähnten Todesmärsche von Flossenbürg über Waldmünchen Richtung Dachau hatten allein in den Erinnerungen der Überlebenden Platz. Einen Gedenkstein hat Waldmünchen nie in Erwägung gezogen.

Technisch spielt der Film mit verschiedenen Mitteln, die letztlich auch eine kritische Perspektive auf Ereignis-Dokumentationen zulassen. Reißerische Effekte, Ein- und Ausblenden besonders in Korrespondenz mit den Heimaterzählungen distanzieren die Arbeit gleichzeitig von jenem Genre und betonen nur noch einmal mehr den ästhetischen Ansatz der Arbeit, wobei diejenigen Aufnahmen und Bilder am eindrücklichsten sind, die weniger zeigen: die wenig erleuchteten Straßen des Dorfes, Kirchturm und Natur.

Regensburg ist bewusst gewählter Ort für die abschließende Ausstellung der Waldmünchen-Serie: Miriam Visaczki kommt aus der Stadt. Es scheint als schließe sie so die Anthologie in ihrem Geburtsort.

Die Ausstellung Anthologie von Miriam Visaczki wurde vom 16.4.-7.5.2010 im Ausstellungsraum Sigismundkapelle in Regensburg gezeigt. Der Film »750 und 12 Jahre Waldmünchen« lief am 19.04.2010 im Kunstverein GRAZ in Regensburg. Im Juli findet eine Vorführung im Rahmen einer Veranstaltung der Zeitschrift Bahamas im Max und Moritz in Berlin-Kreuzberg statt.

~Von Lena Kahle. Die Autorin ist Mitglied der Phase 2-Redaktion Berlin.