Antiziganismus überall
In nahezu allen Staaten Europas werden Menschen als »Zigeuner« diskriminiert und teilweise verfolgt. Es scheint unmöglich, eine Beschreibung von Roma, also der Gruppe, die am stärksten von Ausgrenzungen betroffen ist, jenseits romantisierender oder ablehnender Stereotype zu finden. Auf diesen Zustand trifft eine auffällige Leerstelle politischer und theoretischer Analysen. Das gilt auch für eine linke Kritik, die oft nicht über moralische Empörung hinaus geht. Im April 2009 ist bei Unrast ein Buch erschienen, das unter dem Titel Antiziganistische Zustände – Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments neue Ansätze für eine gesellschaftskritische Diskussion versammelt. Das AutorInnenkollektiv, in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Initiative Bremen, wird auf einer Veranstaltung dazu einige der Beiträge des Bandes vorstellen sowie daran anknüpfende Themenbereiche bearbeiten. Im ersten Teil der Veranstaltung sollen die gesellschaftlichen Ursachen des Antiziganismus und eine strukturelle Verkopplung zwischen Antiziganismus und Kapitalismus verdeutlicht werden. Des Weiteren wird in Arbeitsgruppen diskutiert, u.a. zu aktuellen Erscheinungen des Antiziganismus, Formen medialer Repräsentationen und die Möglichkeit des Hinterfragens stereotyper Abbildungen und gedenkpolitischen Auseinandersetzungen. Den Abschluss bilden eine Filmvorführung und begleitende Diskussion zur Situation von Roma-Flüchtlingen, deren prekärer Status in der BRD und Folgen von Abschiebungen in sogenannte Herkunftsländer.
Antiziganistische Zustände – Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments. Bookrelease, Vorträge und Diskussionen am Samstag, den 6. Juni 2009, 10.30–19.00 Uhr im Kommunikationszentrum paradox, Bernhardstr. 12, 28203 Bremen. Das Programm ist in Kürze unter www.rosa-luxemburg.com abrufbar.
Linkes Lesen und queeres Diskutieren
Schluss mit dem Geblogge und Getwitter! Es wird mal wieder Zeit ein ordentliches Buch in die Hand zu nehmen und den revolutionären Horizont zu erweitern. Die Ordentlichkeit neuer linker Publikationen kann die interessierte Leserin auf den 7. Linken Buchtagen vom 10.–12. Juli 2009 im Mehringhof in der Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, überprüfen - die eigene Diskursfestigkeit dann bei der Diskussionsveranstaltung der Phase 2 zum Queer-Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe. Das genaue Thema, Zeit und Ort finden sich demnächst auf www.linkebuchtage.de.
Räumung in Erfurt
Unangenehme FrühaufsteherInnen sind daran Schuld, dass der Osten noch trostloser wird. Um 5.30 morgens am 16. April räumte die aufgeweckte Polizei mit einem Großaufgebot und schwerster Kampfausrüstung das seit acht Jahren besetzte ehemalige Topf und Söhne-Gelände in Erfurt. Zimperlich ging sie nicht vor und nahm ca. 60 Personen fest. Die Firma Topf und Söhne hatte während des NS die Krematoriumsöfen für Konzentrations- und Vernichtungslager wie Buchenwald und Auschwitz und Be- und Entlüftungsanlagen für die Gaskammern hergestellt. Ein Teil des Firmengeländes war am 12. April 2001 besetzt worden und seitdem Ort für verschiedene linke Wohn-, Polit- und Kulturprojekte. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes und deren Bekanntmachung stellte eine Konstante in der Geschichte des Projekts dar. Jetzt will ein Investor dort Wohngebäude, Geschäfte und – wie löblich – eine Erinnerungsstätte errichten. Dass dort vorher auch Leute gewohnt und erinnert haben, interessiert natürlich nicht. Die ehemaligen BesetzerInnen hatten das Angebot der Stadt, in ein anderes Gebäude zu ziehen, abgelehnt und das Landgericht Erfurt ordnete Anfang April die Räumung an. In den Wochen vor und an den Tagen nach der Räumung gab es in mehreren Städten Solidaritätsveranstaltungen und Proteste.
Militante Beamte
So schlimm es natürlich ist, dass die im Prozess als angebliche Mitglieder der »militanten gruppe« (mg) Angeklagten seit Monaten ihrer Freiheit beraubt werden, hat der mg-Prozess doch einigen Unterhaltungswert ob der Unfähigkeit der Bundesanwaltschaft und des BKA und deren krampfhaften Bemühens, eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren.
Immernoch gibt es keine stichhaltigen Belege für eine mg-Mitgliedschaft der drei Angeklagten. Ende März kam nun noch raus, dass zwei von der Anklage zitierten Texte der in der Interim geführten Militanzdebatte von BKA-Beamten selbst stammten, um eine Reaktion der mg zu provozieren. Wenn die BKAlerInnen schon solches Potential hatten, warum mussten sie sich auf die falsche Seite schlagen? Vielleicht wäre auch eine linksradikale Karriere drin gewesen statt des öden Beamtentums. Aber vermutlich passten ihre sicherlich nicht progressiven Militanzphantasien einfach besser zur Staatsgewalt selbst. Peinlich waren diese Eskapaden dem zuständigen BKA-Ermittlungsführer aber wohl schon, da sie ihn zunächst zu einer Falschaussage vor Gericht bewegten.
Militante Abrüstung
Während die mg-Angeklagten weiterhin festsitzen und Schuldzuweisungen wegen versuchter Brandstiftung über sich ergehen lassen müssen, gab es einen erfolgreichen Beitrag zur militärischen Abrüstung in der Nähe von Dresden. In der Nacht zum Ostermontag hatten Unbekannte auf dem Gelände der Offiziersschule des Heeres im Stadtteil Albertstadt Brandsätze gezündet und 42 Fahrzeuge beschädigt. Die innovative Abwrackprämie greift hier wohl zum Leidwesen der Regierung nicht. Verletzt wurde niemand. Die Offiziersschule in Dresden ist die zentrale Ausbildungsstätte für Offiziere des Heeres. Jährlich werden dort rund 4.000 Offiziere, Offiziersanwärter und zivile Angehörige der Bundeswehr aus- und fortgebildet. Ein Bekennerschreiben einer »Initiative für ein neues blaues Wunder«, die Verantwortung für die Brandstiftung übernimmt und die sich u.a. gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und für die Abrüstung ausspricht, ließ BILD gleich die mg dahinter vermuten. Obwohl »linkstypische« Argumente und Ausdrucksweisen verwendet wurden, bezweifeln die Staatsanwaltschaft Dresden und das Landeskriminalamt Sachsen jedoch die Echtheit des Schreibens und vermuten »Trittbrettfahrer«. Wahrscheinlich also doch wieder die echte, aber höchst ominöse mg. Es bleibt weiterhin spannend, vor allem wohl für die linksradikale Szene in Dresden, die sich in nächster Zeit auf hohe behördliche Aufmerksamkeit gefasst machen kann.
Zeitparadoxa
Immer wieder kommt der Mai (um es mit Nietzsche zu sagen), und für die Phase 2 fällt die damit einhergehende Verwirrung besonders heftig aus: Wenn wir letzte Hand an die Sommerausgabe legen, haben die jeweils aktuellen Maitermine noch nicht stattgefunden, und wenn die Ausgabe erscheint, sind sie bereits vorbei. Der 1. Mai ist für uns also immer zugleich Zukunft und Vergangenheit. Optimistisch ließe sich das auch mit »ich war, ich bin, ich werde sein« umschreiben. Na ja.
Die Berliner Mayday-Parade fügt dem Schlagwort Prekarität im Aufruf diesmal das der Krise hinzu (wer hätte es gedacht), kann aber zumindest damit bestechen, dass sie diesmal in Mitte startet anstatt in Kreuzberg. Was dabei herausgekommen ist, wissen wir noch nicht, ihr wahrscheinlich schon. Die Berliner Traditionsantifa um ALB und ARAB mobilisiert dann um 18 Uhr zum Kottbusser Tor, wo man gerne auf die Zusammenhänge zwischen »Krise, Krieg und Kapitalismus« aufmerksam machen will. Für uns ist das ebenfalls noch Zukunftsmusik, doch wir rechnen nicht damit, dass interessante neue Töne angeschlagen werden.
Immerhin bricht die Gruppe TOP aus Berlin das Verhängnis der ewigen Wiederkehr auf, indem sie sich aus den diesjährigen Maifeierlichkeiten ausklinkt und stattdessen für den 23. Mai unter dem Motto »Etwas Besseres als die Nation« zu einer »antinationalen Parade« aufruft, bei der der 60. Geburtstag des Grundgesetzes nicht gefeiert wird.
Der 64. Jahrestag der militärischen Zerschlagung des Nationalsozialismus schließlich kann (konnte) dieses Jahr am 8. Mai hervorragend in Leipzig begangen werden, wo die Leipziger Antifa LeA feststellt: »Es gibt nichts zu feiern – außer dem 8. Mai!«
Wir wünschen, gute Unterhaltung gehabt zu haben.
Noch mehr Gründe, nicht zu feiern ...
Hält das Supergedenkjahr 2009 (60 Jahre Grundgesetz, 20 Jahre Ende der DDR) bereit. Deshalb organisiert ein Zusammenschluss verschiedener Leipziger Gruppen, die Gruppe TOP und die Dresdner Gruppe Venceremos eine Reihe von Gegenaktionen zum deutschen Nationaltaumel. In Berlin, Dresden und Leipzig wird es bis Ende 2009 etliche kritische Aktionen am Rande von Jubelfeierlichkeiten, Demonstrationen und Veranstaltungen zum Thema geben. Am 10. Oktober 2009 findet schließlich eine bundesweite Demonstration der vorbereitenden Gruppen in Leipzig statt. Einzelheiten zu den vielfältigen Aktionen gibt es demnächst auf einer eigenen Webpage.
Wir demonstrieren ...
Drei Tage vor dem offiziellen »internationalen Aktionstag« zur Wirtschaftkrise beim G20-Treffen in London am 1. April, nahmen ungefähr 55.000 »wir« an einem eigenen Aktionstag gegen »eure Krise« teil. Bei der »Wir zahlen nicht für eure Krise«-Demo in Berlin am 28. März waren die 30.000 »wir« zwar gespalten in die Unglücklichen (»Where is my fuckin' happiness?!«) - bestehend aus verschiedenen Antifa-Gruppen, und TOP, die nichts mehr fordern, weil es ja ums Ganze geht – und die forsch Fordernden (»Wir wollen eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft und deren Ausrichtung an den Bedürfnissen der Menschen statt an Profiten. Sofortige Enteignung und Vergesellschaftung der Banken statt Verstaatlichung der Verluste!«) – bestehend aus Gruppen wie ALB, Fels, attac, Gewerkschaften, die LINKE und NGOs - gemeinsam ging es aber doch dagegen. Die üblichen Zutaten einer großen Bündnisdemo mit mehr oder weniger radikalen Blöcken, jeder Menge Bullenstress und schwer einschätzbarer Außenwirkung waren auch dabei. Die zeitgleich stattfindende Demo in Frankfurt am Main mit 25.000 TeilnehmerInnen konnte zusätzlich noch mit spektakulären Eierwürfen der Antifa F auf Lafontaine punkten, was den Dominierenden der Demos, die LINKE und der DGB, natürlich nicht gefiel. Sind »wir« etwa doch nicht alle »wir«? Die 2.000 TeilnehmerInnen des sozialrevolutionären und antinationalen Blocks fanden »Staat, Nation, Kapital« jedenfalls »Scheiße«, anstatt sie wieder aufpäppeln zu wollen.
...gegen die Regierenden...
Ab dem 1. April war es dann für unsere VolksvertreterInnen so weit, sich der Krise zu widmen. In London tagten die G20, die zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, um den Kapitalismus zu retten. Über 4000 Menschen demonstrierten gegen die Ursachen und vermeintlichen Verursacher der Krise und zogen in Londons Bankenviertel, zerstörten aber kaum etwas. Die britische Polizei, die mit einem Riesenchaos gerechnet hatte, bemühte sich stattdessen, selbst größtmögliches Unheil zu stiften und ging äußerst rabiat gegen die Demonstrierenden vor. Sie verletzte mehrere Menschen schwer, räumte ein 24-Stunden-Klimacamp, stürmte das Convergence Center »rampART« und hinterließ sogar einen Toten. Ein Polizist prügelte am Rande der Proteste auf einen unbeteiligten Mann ein, der daraufhin an inneren Blutungen starb. Der Zeitungsverkäufer war gerade auf dem Weg nach Hause, als er zufällig an der Demoroute vorbeikam. Dank eines Amateurvideos konnte die ursprüngliche offizielle Version, dass der Mann nur an einem Herzfehler gestorben sei, aufgedeckt werden.
Die Staatsgewalt will es einfach nicht wahrhaben, dass das Scheitern der kapitalistischen Wohlstandsversprechen auch Unmut hervorrufen mag und bereitet sich mit äußerster Härte auf einen vermeintlichen »Summer of Rage« vor. Dass dieser kommt, bleibt nur zu hoffen, wenn er dann tatsächlich in den Umsturz der Verhältnisse mündet und nicht die Falschen trifft.
...und Krieg
In Frankreich weiß man dafür, wie es richtig geht mit der Revolution. Diese fand während der Proteste gegen das NATO-Treffen in Strasbourg Anfang April zwar nicht statt, aber gebrannt hat es immerhin und es gab ordentlich Krawalle. Dabei hatten die Sicherheitsorgane alles Mögliche getan, um Ausschreitungen zu verhindern. Das Schengen-Abkommen wurde für zwei Wochen außer Kraft gesetzt, es gab intensive Einreise- und Personenkontrollen, Aussetzungen von Zugverbindungen und teilweise Ausgangssperren für bestimmte EinwohnerInnen Strasbourgs. Dass es dennoch zu Ausschreitungen kam, wird inzwischen als Strategie der Polizei verhandelt, die angeblich militante DemonstrantInnen gewähren ließ, um den Rest besser kontrollieren zu können. Letzterer musste teilweise Tränengasbeschuss erleiden. Das alles um ungestört über das kriselnde Militärbündnis beraten zu können. Aber wer schon so gut gegen die eigene Bevölkerung kämpfen kann, wird das bestimmt auch gegen andere schaffen.
~Phase 2.