Anlässlich des Aktionstages gegen autoritäre Krisenpolitik am 31. März und Blockupy zeigten sich in der radikalen Linken verstärkt Bemühungen, sowohl übernationale als auch strömungsübergreifende Bündnisse einzugehen – diese bündnispolitische Öffnung hatte bereits im Vorfeld der Aktionstage für Diskussionen gesorgt. In der Phase 2 möchten wir diese Diskussion über die aktuelle Bündnispolitik in der radikalen Linken sowie angemessene politische Reaktionen auf die anhaltende Krise weiterführen. Als Einstieg in die Debatte veröffentlichen wir, anders als üblicherweise in der Rubrik »In Motion«, einen Beitrag eines Mitglieds der Gruppe TOP B3erlin.
Dank M31 und Blockupy fiel das Frühjahr in bloody old Germany etwas bewegter aus als sonst. Erstmals fanden mit dem »Aktionstag gegen autoritäre Krisenpolitik – M31« im Krisengewinnerland Deutschland größere Proteste im Rahmen der europäischen Fiskal-, Finanz- und Staatsschuldenkrise statt, initiiert unter anderem vom …ums Ganze!-Bündnis, der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU) und einer Vielzahl an Gruppen von Flensburg bis München. Der Aktionstag war als europäisches Projekt konzipiert, um unterschiedliche linksradikale Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen, auch und gerade abseits der Großstädte. Mit nur zwei Monaten Vorlauf kam M31 einem voluntaristischen Akt gleich, der jedoch einen Nerv traf: In über 40 Städten in ganz Europa beteiligten sich linksradikale Gruppen an den Protesten, von Athen bis Madrid, von Kiew bis Wien. Five common goals waren Bedingung: staats- und kapitalismuskritisch, antinationalistisch, strömungsübergreifend sollten die Proteste sein, zudem abseits der staatstragenden Parteien organisiert. Wichtig war dem Vorbereitungskreis aus spanischen, polnischen, italienischen und deutschen Gruppen von Anfang an, die nationale Beschränktheit der Proteste sowohl inhaltlich als auch organisatorisch zu überwinden.
Die Proteste in Deutschland fanden zentral in Frankfurt a.M. statt, vor allem weil hier die Europäische Zentralbank (EZB) sitzt. Über 5000 Menschen gingen dort am 31. März auf die Straße, um gegen die autoritäre Krisenpolitik der Bundesregierung und der EU-Kommission sowie gegen die EZB als politischen Akteur der Krise zu demonstrieren. Angesichts der deutschnationalen Stimmungsmache gegen die »Pleitegriechen« und die als alternativlos dargestellte Durchgriffspolitik der deutschen Regierung sollte an die Möglichkeit einer solidarischen, mithin vernünftigen Einrichtung der Gesellschaft erinnert werden. Die Demonstrationsszenen hatten mit den üblichen partei- und gewerkschaftsnahen »Sozialprotesten« wenig zu tun. Farbflaschen flogen gleich zu Beginn auf das Gebäude der alten EZB, und wenig später gingen eine Reihe symbolträchtiger Scheiben zu Bruch, unter anderem bei einer Arbeitsagentur, einer Polizeiwache, einer Leiharbeitsfirma und einem Brautmodenladen. Das löste zwar kaum das grundsätzliche Dilemma aller radikalen Kapitalismuskritik, die letztlich einem ungreifbaren sozialen Verhältnis gleichwohl praktisch begegnen muss. Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist jedenfalls reagierte: Die Polizei kesselte etwa 500 Menschen ein, und die Demonstration selbst wurde kurze Zeit später wegen angeblicher Gewalttätigkeit aufgelöst. Die Botschaft von M31 immerhin kam an: Der Nachrichtensprecher der Tagesschau meldete am Ende des Tages »Proteste in Frankfurt gegen den Kapitalismus«, begleitet von Bildern, die den Eindruck erweckten, M31 sei ein zweites Heiligendamm gewesen.
Sechs Wochen später stand dann mit Blockupy Teil II der militanten Untersuchung in Sachen antikapitalistische Krisenproteste an, ausgerichtet von der Interventionistischen Linken, der Linkspartei, Attac und einigen Gewerkschaftsjugenden. Im Gegensatz zu M31 wendete sich Blockupy mit einem breiten Aktionskonsens nicht zuerst an linksradikale Aktivist_innen, stellte aber ebenfalls die Folgen kapitalistischer Vergesellschaftung in den Mittelpunkt. Das Bündnis richtete sich gegen die autoritäre Krisenpolitik der Troika und setzte ein Signal der Solidarität mit den von der Krise besonders betroffenen Griechen.
Aus dem Plan, Frankfurt für drei Tage in eine Art antikapitalistisches Wendland zu verwandeln, wurde jedoch nichts. Stattdessen hielt der Staat eine regelrechte Notstandsübung ab. Begründet wurde dies zum einen mit den zerdepperten Scheiben vom 31. März sowie mit einem von Vermummten niedergeschlagenen Polizisten, zum anderen mit der Ankündigung der Blockupy-Veranstalter_innen, in der Innenstadt mit mehreren 1000 Menschen Protestcamps zu veranstalten. Im Vorfeld wurden 500 Stadtverbote ausgesprochen (und dann von den Gerichten als gesetzeswidrig kassiert) und während Blockupy dann über 1.400 Personen in Gewahrsam genommen. Dass sich die Stimmung in der Frankfurter Öffentlichkeit in den sechs Wochen zwischen M31 und Blockupy bis zur Paranoia hochputschte, war gerade mit Blick auf den Stand des deutschen Krisennationalismus aufschlussreich: Während die Polizei autoritär Handlungsmacht demonstrierte, heizten selbst linksliberale Medien die Verbotsdiskussionen an mit Horrorszenarien von entfesselter Randale einerseits und einfühlsamen Firmenporträts von bankrottbedrohten Einzelhändler_innen der Innenstadt andererseits. Dahinter stand offenbar die Angst, die Krisenproteste könnten wirklich die Funktionsfähigkeit der Finanzmetropole Frankfurt einschränken, was angesichts der Mobilisierungsstärke der Organisator_innen abwegig war. Auch die anderen Staatsapparate waren auf Linie: Die sonst so grundrechtsfixierten Gerichte waren über mehrere Instanzen hinweg bereit, sogar die Großdemonstration am Samstag zu verbieten, und die Leitung der Frankfurter Universität schloss in einer vorauseilenden Unterwerfungsgeste mit Verweis auf eine »akute Bedrohungslage« vorübergehend alle Institute. Wie schnell Berichterstattung zu reaktionären Selbstermächtigungen führen kann, zeigte ein Übergriff auf Demonstrant_innen durch Hooligans, die sich als »Blockupy-Jäger« und selbsternannte Bürgerwehr vorstellten.
Doch es wäre voreilig, das Vorgehen der Staatsapparate in Frankfurt einfach nur als »überzogen« zu betrachten. Denn obwohl, oder vielmehr gerade weil die Demonstration am Samstag gerade weder von Banken- und Zinskritiker_innen noch von den korporatistischen Gewerkschaften dominiert wurde und mit 30.000 Menschen eine der größten antikapitalistischen Demonstrationen seit vielen Jahren gewesen sein dürfte, drängt sich die Frage auf: Wie wird der autoritäre Staat des Neoliberalismus erst reagieren, wenn die Krise – und die Krisenproteste – auch in Deutschland ankommen?
Hannes Sommer
Der Autor ist Mitglied der Gruppe TOP B3rlin.