Eine Rubrik, die sich mit dem Titel »InMotion« schmückt und die dokumentieren möchte, wo Dinge in Bewegung geraten, steht nicht erst dieser Tage (aber vor allem in den letzten Wochen und Monaten) vor einem Problem. Wenn sich tatsächlich, sei es auch nur punktuell, einmal so etwas wie eine »Bewegung« konstituiert und diese nicht sofort und offensichtlich ins Reaktionäre abdriftet, es ihr sogar gelingt, ihre Herrscher zu vertreiben und einen politischen Prozess der Demokratisierung wenigstens in Gang zu setzen, dann wird die Marginalität dessen, was man hierzulande als Bewegungspolitik dokumentiert oder kritisiert, mehr als deutlich.
Ob der Begriff »Revolution« für die Ereignisse in der arabischen Welt wirklich angemessen ist, ob am Ende mehr bleibt als eine antiautoritäre Revolte, ist derzeit noch nicht vollkommen klar. Jedoch scheint die Hoffnung auf einen Dominoeffekt nicht ganz ins Leere zu gehen. Neben den Aufständen in Tunesien im Januar und in Ägypten im Februar, kam es auch zu Unruhen in Bahrain, Jemen und zuletzt Libyen. Dass Revolutionen – vor allem wenn man sie lediglich als affektiver Beobachter wahrnimmt – einem aber zunächst eher den Atem rauben anstatt das romantische Herz erwärmen sollten, daran erinnerte Georg Büchner bereits 1835 als er seinen Saint-Just sagen lässt: »Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort ›Blut‹ nicht wohl vertragen.« Mag der gegenwärtige Herrscher Libyens Muammar al-Gaddafi noch so sehr einer Militärkomödie entsprungen scheinen, der Verlauf der Revolte bis dato macht aus der Skurrilität seiner Fantasieuniformen blutigen Ernst; allein in der Stadt Benghasi wurden rund 400 Menschen getötet, insgesamt – so der französische Beauftragte für Menschenrechte – könnte die Zahl der Opfer auf 2000 gestiegen sein.
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Während in der arabischen Welt also einiges »in motion« ist, ist man hierzulande scheinbar eher mit der Wiederkehr des Ewiggleichen konfrontiert. Nicht erst heute müsste man sich fragen, ob der Untertitel dieser Zeitschrift – »für die linksradikale Bewegung« – auf einen realen oder verschwundenen Adressaten zeigt, ein zukünftig zu konstituierendes Projekt designiert (so man dies denn will) oder vielleicht alles zusammen. Der kleinste gemeinsame Nenner, der Linke auf die Straße bringt, ist und bleibt das Engagement gegen Nazis. Das Dresdner Brimborium um den 13. Februar ist dahingehend ein Pflichttermin. Dass es sich bei den offiziellen, bürgerlichen Trauerfeierlichkeiten und dem dazugehörigen Wahlpflichtfach »Menschenketten gegen Nazis« um nichts als ein großes, gutmenschliches Spektakel handelt, das sich die Trauer nicht von den Ewiggestrigen kaputt machen lassen mag, ist weithin common sense. Das möglicherweise auch die alljährliche Mobilisierung der Antifa nach Dresden immer mehr zum Familientreffen wird, das an der konkreten Bedrohung, die von Nazis in den ostdeutschen Provinz ausgeht, wenig bis gar nichts ändert, ist bisher noch Minderheitenposition.http://afg.blogsport.de/2011/01/24/die-linke-formierung Deutlich ist allerdings auch, dass die diversen Nazi-Gruppen um die »Junge Landsmannschaft Ostdeutschland« (JLO) zwar mit jedem Jahr weniger Kameradenbeine in die sächsische Landeshauptstadt karren, dafür aber umso kämpferischer auftreten und brutaler vorgehen. Ein Nebeneffekt des antifaschistischen Dresden-Spektakels dürfte deswegen auch sein, dass die Polizei ihre Einsatzkräfte lieber dazu verwendet, linke Blockaden aufzubrechen und Antifa-Straßenkämpfer in Schach zu halten, als einzuschreiten, wenn Nazis, wie am 19. Februar geschehen, ein linkes Kulturzentrum wie die »Praxis« angreifen. Diese fragwürdige Prioritätensetzung symbolisiert nicht zuletzt der am selben Abend erfolgte Besuch eines Sondereinsatzkommandos im Presse- und Informationsbüro des Bündnisses »Dresden Nazifrei«. Türen wurden eingetreten, anwesende Personen mussten sich teilweise bis auf die Unterwäsche ausziehen und wurden mit Kabelbindern gefesselt.
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Auf den ersten Blick musste es als grotesk erscheinen, mit welchem Großaufgebot die Polizei sich am 2. Februar an die Räumung des linken Hausprojektes »Liebig 14« in Friedrichshain machte. Mehr als 2000 Polizist_innen sollten darüber wachen, dass der Abschied von einem der letzten Symbole glorreicher Hausbesetzertage, das in Friedrichshain inzwischen so deplatziert wirkt wie ein Punk bei Peek&Cloppenburg, friedlich über die Bühne geht. Die Räumung erfolgte – wenig überraschend – durchaus brutal. Ob aus Wut über den staatlich geschützten Triumph sogenannter »privater Interessen« oder als nachträgliche Bestätigung, dass die Menge an Polizisten durchaus gerechtfertigt war, jedenfalls gingen mehr als 2000 Menschen im Zuge wie im Nachgang der Räumung auf die Berliner Straßen. Bis in die Morgenstunden kam es zu heftigen Ausschreitungen. Diese Szene scheint es zu sein, die die Staatsmacht trotz gesamtgesellschaftlicher Marginalität so ernst nimmt, dass sie sogar auf das unter Linken gefürchtete Mittel des Spitzels zurückgriff. Innerhalb weniger Wochen wurde sowohl der Fall »Simon Brenner« in Heidelberg als auch der Fall »Mark ›Stone‹ Kennedy« aufgedeckt und aufwendig medial diskutiert. In Heidelberg wurde »Simon von der Polizei« in linke Strukturen im Umfeld der Universität eingeschleust. Mit dem Ziel, ein umfassendes Szeneprofil zu erstellen, trieb sich der junge Mann auf Ökologie- und Anti-Castor-Protesten herum und nahm an antifaschistischen Demonstrationen teil. Mark Stone war hingegen über einen Zeitraum von neun Jahren in verschiedenen linksradikalen Zusammenhängen in ganz Europa aktiv, vor allem im Zusammenhang mit diversen Gipfel-Mobilisierungen. Eine Zeit lang hielt er sich auch in Berlin auf. Der Frage, ob Stone möglicherweise gar als agent provocateur unterwegs war, verwirrte sogar die deutschen Behörden, die zumindest zugaben, für die Proteste in Heiligendamm einen Kontaktmann im Untergrund angefordert zu haben. In linken Kreisen bezeichnet man dies als Repression. Auf links-parlamentarisch spricht man von einer »ausufernden Praxis grenzüberschreitender polizeilicher Spitzeleinsätze«.http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-76397376.html Der Parlamentarier von der Partei Die Linke gibt damit unfreiwillig preis, dass es auch Spitzeleinsätze geben kann, deren Praxis nicht »ausufernd« und »grenzüberschreitend« ist. An dieser Differenz verläuft dann wohl auch die Grenze zwischen »links« und »linksextremistisch«.
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Residenzpflicht ist nicht nur eine hässliche Angelegenheit, sondern wird objektiv zur Drohung wenn es um die Landstriche der ostdeutschen Provinz geht. Sachsen hatte im Januar immerhin erlaubt, die Residenzpflicht dahingehend zu lockern, dass sich geduldete Asylbewerber_innen im gesamten Freistaat bewegen dürfen. Die FDP in Thüringen wollte es dem Nachbarn gleichtun und reichte einen Antrag zur Lockerung der Regelung ein, wurde allerdings von CDU und SPD zurückgewiesen. Im europäischen Maßstab ist die Bewegungsfreiheit das zentrale Thema von Afrique-Europe-Interact. Das Netzwerk startete Anfang Februar die Bamako-Dakar-Karawane für Bewegungsfreiheit und selbstbestimmte Entwicklung. Neben zahlreichen Workshops und Aktionen im Rahmen des Weltsozialforums in Dakar fand am 10. Februar auch eine Demonstration von etwa 600 Menschen vor dem Büro von Frontex statt. Thematisch ähnlich gelagert war im Januar der Entsichern-Kongress über den derzeitigen Abschottungs- und Staatswerdungsprozess der Europäischen Union. Konzipiert war die Veranstaltung als Gegenprogramm zum 14. Europäischen Polizeikongress in Berlin. Dort werden jedes Jahr Sicherheitspolitik, zivil-militärische Strategien und Fragen der Migrationspolitik – verstanden als Sicherheitsrisiko – verhandelt. Wer für das Verständnis der Konstitution Europas als de facto Souverän das Handwerkszeug der Kritik der politischen Ökonomie zu Rate ziehen möchte, dem sei vom 20. bis zum 22. Mai in an der HU-Berlin der Kongress Re-Thinking Marx ans Herz gelegt. Es sprechen u.a. Moishe Postone, Axel Honneth, Michael Heinrich u.v.m.