Immaterielle und unsichtbare Arbeit

Überlegungen zu einer queerfeministischen Ökonomiekritik

Die Frage, was Arbeit ist, ist eines der zentralen Themen (queer-) feministischer Ökonomiekritik und war häufig ein verbindendes Thema zwischen feminismusskeptischen Marxist_innen und marxismusskeptischen Feminist_innen. Nach der ausführlichen domestic labour debate und intensiven marxistischen und feministischen Diskussionen über den Zusammenhang von Patriarchat und Kapitalismus, Beispielsweise die Arbeiten von Mariarosa Dalla Costa, Michèle Barrett, Christine Delphy, Mary McIntosh, Claudia von Werlhof, Frigga Haug, Kornelia Hauser. hat die queerfeministische Ökonomiekritik seit kurzem Aufschwung bekommen. Dabei sind die postoperaistischen Arbeiten von Michael Hardt, Toni Negri und Maurizio Lazzarato besonders hervorzuheben, insofern als sie feministische Ansätze dezidiert in ihre gesellschaftskritischen Überlegungen einfließen lassen. Sie haben damit queerfeministische Ansätze wiederum inspiriert, darauf aufzubauen. Weil es sich somit um einen quasi utopischen Austausch zwischen antikapitalistischen und queerfeministischen Perspektiven handelt, aber auch weil die Diskussion um Arbeit sowohl in queerfeministischen als auch in marxistischen Kreisen (und häufig kann ein Kreis ja auch beides sein) weiterhin aktuell ist, zeichne ich im Folgenden zunächst nach, wie sich feministische Kritik im Arbeitsbegriff von Lazzarato und Hardt/Negri niederschlägt, um in einem zweiten Schritt zwei mehr oder weniger explizite Bezugnahmen darauf in der queerfeministischen Ökonomiekritik vorzustellen und abschließend zu fragen, welche Konsequenzen ein derartiger Arbeitsbegriff für die politische Praxis haben kann. Kann die Verschränkung von Subjektivitäts- und Warenproduktion auch gegen das Funktionieren der kapitalistischen Warenproduktion gewendet werden? Muss die Tatsache, dass beide Produktionsverhältnisse stark verschränkt sind, überhaupt zu einer einzigen sie bekämpfenden Strategie führen?

Immaterielle und affektive Arbeit

Maurizio Lazzarato Maurizio Lazzarato, Lavoro immateriale. Forme di vita e produzione di soggettività, Verona 1997 und Ders./Toni [Antonio] Negri, Travail immatériel et subjectivité (http://multitudes.samizdat.net/Travail-immateriel-et-subjectivite). und Antonio Negri beschreiben mit ihrem Begriff der ›immateriellen Arbeit‹ eine Verselbstständigung der produktiven Aktivität gegenüber der kapitalistischen Produktionsorganisation. Die Gesamtheit des fixen Kapitals transformiere sich in ihr Gegenteil, in Subjektivitätsproduktion. In Anlehnung an Marx, für den die Arbeit die ontologische Grundlage der Subjekte darstelle, gehen Lazzarato und Negri davon aus, dass die immaterielle Arbeit auch neue Subjekte hervorbringe, z.B. die Intellektuellen, die nun – im Gegensatz zu vorangegangenen Perioden des Kapitalismus – direkt in den Produktionsprozess einbezogen seien. Diese neuen und autonomen Subjektivitäten bildeten sich um die Massenintellektualität, die durch jene Veränderung der Arbeit hervorgebracht worden sei.

 In Empire greifen Antonio Negri und Michael Hardt diesen Begriff auf. Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Globalization as a New Roman Order, Awaiting its Early Christians, Cambridge 2000 [Dt.: Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt a.M. u.a. 2002]. Sie weisen auf eine neue zentrale Position von Informatik und Kommunikation innerhalb der Produktion hin. Ihrer Ansicht nach sei das fordistische Produktionsmodell in ein toyotistisches übergegangen, d.h. es habe eine Umkehrung der fordistischen Kommunikationsstruktur zwischen Produktion und Konsumtion stattgefunden. Immaterielle Arbeit beschreibt also Arbeit, die immaterielle Güter herstellt wie etwa Dienstleistungen, Wissen, kulturelle Produkte und Kommunikation. Durch Computerisierung würden sich die Unterschiede in der Arbeit reduzieren und die Arbeit sich tendenziell in Richtung »abstrakter Arbeit« verschieben (auf diese spezielle Verwendung des Marxschen Begriffs kann hier leider nicht eingegangen werden).

 Mit ›affektiver Arbeit‹ beschreiben Negri/Hardt die Herstellung und das Unterhalten zwischenmenschlicher Kontakte und Interaktionen. Ihr komme eine immer wichtigere Rolle zu. Zentral ist bei Negri/Hardt vor allem, dass sie in der Kooperation, die der Arbeitstätigkeit selbst inhärent sei und die Netzwerke produziere, eine Widerstandsmöglichkeit ausmachen: »Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit.« Hardt/Negri, Empire, 305. Was der »elementare Kommunismus« sein soll, und ob er etwa dem Engelsschen ›ursprünglichen Kommunismus‹ nahe kommt, bleibt unklar. Für Negri/Hardt ist damit die »Anthropologie des Cyberspace [...] in Wirklichkeit das Erkennen der neuen Menschlichkeit«. Ebd., 303.

 Der Einfluss feministischer Theoriebildung auf die postoperaistische Theoriebildung lässt sich an diesem Beispiel gut zeigen: Affektive Arbeit baut als Konzept auf die feministische Kritik an der Gegenüberstellung von Produktion und Reproduktion auf. Daher fordern Negri/Hardt auch einen »sozialen Lohn« an Stelle des bisherigen Familienlohns einzuführen. In ihrem neuen Buch Common Wealth Antonio Negri/Michael Hardt: Commonwealth, Cambridge 2009 [Dt.: Common Wealth. Das Ende des Eigentums, Frankfurt a.M. u.a. 2010]. erklären Negri/Hardt was das, was auch »Feminisierung der Arbeit« genannt wird, bedeutet: eine veränderte Zeitökonomie, in der sich die Grenze zwischen Arbeitszeit und Nichtarbeitszeit immer mehr auflöse, mit dem Ergebnis, dass die arbeitenden Subjekte schließlich gar keine Verfügung mehr über ihre Zeit haben und ständig auf Abruf stehen. Auch dieses Element ist an der feministischen Kritik entwickelt, die eine Ausweitung des Arbeitsbegriffes gefordert hatte, unter anderem, um die ökonomische Bedeutung von Hausarbeit sichtbar zu machen.

Sexuelle Arbeit

Die Struktur der Produktion von neuen Subjekten wie den produktiven Intellektuellen entspricht analytisch jener des Begriffs des »sexuellen Arbeitens« bei Lorenz/Kuster. Sie beschreiben das sexuelle Arbeiten als doppelt produktiv: Einerseits würden verkörperte, vergeschlechtlichte und sexuelle Subjektivitäten hergestellt, andererseits auch Produkte. Die Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit ist hier fließend. In ihrem Buch Sexuell arbeiten von 2007 Renate Lorenz/Brigitta Kuster, Sexuell arbeiten. Eine queere Perspektive auf Arbeit und prekäres Leben, Berlin 2007. spezifizieren sie diesen bereits 1999 in Reproduktionskonten fälschen! Renate Lorenz/Brigitta Kuster/Pauline Boudry (Hrsg.), Reproduktionskonten fälschen! Heterosexualität, Arbeit & Zuhause, Berlin 1999. vorgestellten Begriff. Nun unterstreichen sie, dass sexuelle Arbeit nicht nur als individueller, sondern auch als kollektiver Prozess zu verstehen ist, der einerseits Gruppen von Individuen, andererseits dem Wissen und der Praxis gesellschaftlicher Gruppen zugrunde liege. Sexuelle Arbeit beschreibt damit einen »Aufwand«. Das illustrieren sie am Beispiel eines bulgarischen Sprichwortes: Eine Frau müsse drei Wassermelonen unter einem Arm tragen können: Sie habe eine gute Arbeiterin, eine gute Ehefrau und eine gute Aktivistin zu sein. Damit wird für Lorenz/Kuster deutlich, dass auch Widerstandsstrategien nur kollektiv zu denken sind. Das Subjekt sei nicht Autorin ihrer sexuellen Arbeit. Das Konzept der Heteronormativität aufs Feld der Arbeit angewandt zeigt, wie in diesem Aufwand, in der Arbeit an der Identität, Identitäten nicht eingenommen werden, sondern wie die Identitäten Menschen durchqueren. »Sexuelle Arbeit ist eine Machttechnologie, mittels der gesellschaftliche Regeln individuell oder kollektiv subjektiviert werden.« Lorenz/Kuster, Sexuell Arbeiten, 155. Sie »vermag aber auch Normalisierung und Hierarchien entgegenzuarbeiten und die Arbeitsbedingungen ebenso wie die Bedingungen zu verändern, die Körper ›bewohnbar‹ machen. Sexuelle Arbeit kann dann als eine Praxis des ›queerings‹ verstanden werden.« Ebd.

Hier sieht man deutlich die Parallelen zum postoperaistischen Modell: Der machtförmigen Gesellschafts- und Produktionsstruktur (in diesem Fall auch von Subjektivität) wohnt selbst schon das Potential ihrer Überwindung inne. Zitiert werden Negri/Hardt allerdings nicht.

Der pharmakopornographische Komplex und die Pornifizierung der Arbeit

In ihrem Buch Testo Junkie Beatriz Preciado, Testo yonqui [Testo junkie], Madrid 2008. kritisiert Beatriz Preciado den Ausschluss der sexuellen Arbeit aus der politischen Ökonomie von Marx bis Lazzarato/Negri. Ihrer Ansicht nach führe der Begriff der »Feminisierung der Arbeit« im Zusammenhang mit der affektiven Arbeit in die Irre und verschleiere, dass Frauen schon immer gearbeitet haben (und zum Beispiel nach Frigga Haug 2/3 des ersten Proletariats in England ausmachten). Zudem liege diesem Begriff eine beschränkte Auffassung des Femininen zugrunde.

Wenn es rechts wie links notwendig erscheine zu negieren, dass Sex Gegenstand von Arbeit, von Tausch, von Diensten und Verträgen sein kann, so Preciado, dann weil eine solche Öffnung des Arbeitsbegriffs die puritanischen Werte des Kapitalismus in Frage stellen würde, oder schlimmer: ihre tatsächlichen Porno-Werte sichtbar machen würde. Bei Lazzarato/Hardt erscheine der Körper der immateriellen Arbeiter_in als entsexualisiert. Statt immateriell schlägt sie vor, von übermaterial oder hypermaterial zu sprechen. Prekarisierung und Feminisierung seien nur die Effekte einer Pornografisierung der Arbeit. Mit Pornografisierung der Arbeit will Preciado das Sex-werden der Arbeit aber auch das Arbeit-werden des Sexes begrifflich fassen. Sexuelle Arbeit und reproduktive Arbeit wurden bis jetzt häufig als Gratisakte verstanden, die einer weiblichen Würde zu Grunde lägen, die über deren Vermarktung radikal erniedrigt werde. In diesem Zusammenhang von Arbeitsteilung zu sprechen, kritisiert Preciado. Die Voraussetzung von Biokörpern führe zu einer Unterteilung in Produktion und Reproduktion. Dem hält sie entgegen, dass das Verhältnis zwischen Weiblichkeit und Reproduktion asymmetrisch sei: Nicht alles Weibliche reproduziere auch. Beispielhaft für die Fehlleitungen einer solchen Perspektive sei der Mythos einer sexuellen Befreiung durch die Pille. Tatsächlich wurde damit Sexarbeit zur obligatorischen Reproduktionsarbeit hinzugefügt, was zuvor mit dem Argument einer ungewollten Schwangerschaft noch verweigert werden konnte.

 Diese Kritik lässt sich im Anschluss an Engels' Schrift Der Ursprung der Familie Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Marx-Engels-Werke 21, 25–173. verstehen, in der er schreibt, dass die bürgerliche Ehe von Anfang an eine einseitige Monogamie beinhalte, nämlich jene der Ehefrau. Ehe und Prostitution sind für Engels zwei Seiten einer Medaille. Als einer der wenigen thematisiert Engels Sexarbeit als entlohnte Arbeit, die damit explizit nicht der Ehefrau zufällt.

Preciado bezieht sich jedoch nicht auf Engels sondern auf Georg Simmel und Norbert Elias. Der erste habe in einem Aufsatz von 1892 Prostitution als konstitutiven Teil urbaner Ökonomie beschrieben. Der Körper der Prostituierten funktioniert für ihn als Ejakulationsmechanismus. Die undankbare Arbeit der Prostituierten verglich Simmel mit jener von Minenarbeitern. Auf vergleichbare Weise habe Elias in seiner Sittengeschichte die Sexarbeit mit der Arbeit des Henkers beschrieben. Sie sei undankbar, aber gut bezahlt.

Preciado fügt hinzu, dass die technische und mechanisierte Dimension der Sexarbeit, die hier für das 19. Jahrhundert beschrieben wird, das Tor zur Industrialisierung des Sex öffne. Diese Technisierung verlaufe nicht über technisches Werkzeug in der Sexualität, sondern durch die biotechnische Produktion des kulturellen Körpers des Sexarbeiters:

 «Die beste Hightech-Schwanzlutschmaschine ist der silikonisierte schweigende Mund eines politisch unaktiven Transsexuellen ohne Zugang zu einem Geschlechtswechsel und Identitätspapieren. Die sexuellen Maschinen des dritten Jahrtausends sind lebendige Körper denen der Zugang zur politischen Sphäre versperrt ist, denen der politische Diskurs versagt wird, ohne gewerkschaftliche Rechte, Streikrecht, ohne medizinische Hilfe, ohne Arbeitslosenversicherung. Hier gibt es keine Konkurrenz zwischen Maschine und Arbeiter (wie im Fordismus); der Arbeiter wird die sexuelle Biomaschine.« Preciado, Testo Junkie, 262, Übersetzung der Autorin.

Trotz dieser von ihr beobachteten Industrialisierung und Technisierung von Haus- und Sexarbeit habe sich dennoch keine Emanzipation der Arbeiter_innen eingestellt. Vielmehr würde Arbeit von feminisierten, prekarisierten, rassifizierten Körpern verrichtet, denen der Zugang zu anderen besser bewerteten Tätigkeiten durch beispielsweise Immigrationsgesetze und rassistische Segregation auf dem Arbeitsmarkt blockiert würde. Wichtig ist hier ihr antinaturalistischer Zugang. Statt von einer natürlichen Determinierung durch sex, gender und race auszugehen, behauptet Preciado, dass durch einen pharmakopornographischen Transformationsprozess der Lumpenproletarisierung aus jedem Körper von Bio-Mann oder -Frau eine technisch leistungsfähige Hure hergestellt werden kann.

In diesem Zusammenhang bestimmt Preciado sexuelle Differenz auf dekonstruktive Weise. Nicht eine biologisch festgeschriebene Zweiheit liege ihr zugrunde. Vielmehr werde sie über penetrierbare Öffnungen und penetrierende Extremitäten bestimmt. Alle Körper sind für sie penetrierbar, alle Körper können penetrieren, es werden aber nur bestimmte als penetrierbar oder penetrierend betrachtet. Die sexuelle Division hänge nicht von einer condition naturelle ab, sondern von der technischen Spezialisierung des Körpers, seiner »somato-politischen Programmierung«. Diese findet im Rahmen gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse statt, dem pharmakopornographischen Komplex. Porno und Knast seien dabei die einzigen Industrien, die nach einer dem Sklavenregime ähnlichen Ökonomie verfahren. Das europäische Strafrecht mit seiner Illegalisierung von Drogen, Sexarbeit und Pornographie sei eine Technik der Delegitimierung und Entsubjektivierung der Pharmakoporno-Arbeiter_innen. Da sie kriminalisiert werden, müssen sie billig oder gratis arbeiten.

 Statt wie Paolo Virno Paolo Virno, Grammatik der Multitude. Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen, mit einem Anhang: Die Engel und der General Intellect. Individuation bei Duns Scots und Gilbert Simondon, hg., übers. und eingel. von Klaus Neundlinger, Wien 2005. die politische Arbeit als Paradebeispiel unproduktiver Arbeit zu betrachten, setzt Preciado die sexuelle Arbeit an diese Stelle. In der Begehrenskooperation des General Sex (statt General Intellect Vgl. auch: Maurizio Lazzarato, General Intellect. Towards an Inquiry into Immaterial Labour (http://multitudes.samizdat.net/General-intellect).) würden Moleküle und Lust durch organische Ströme vom pharmakopornographischen Kapitalismus mobilisiert. Im Gegensatz zur immateriellen Kommunikationsarbeit bleibe sexuelle und massentoxikologische Arbeit eine Schattenwirtschaft, marginalisiert, ohne Gewerkschaft, illegalisiert. Als Schatten der kommunikationellen, immateriellen Arbeit hält und unterhält die pharmakopornographische Arbeit alle anderen produktiven Ökonomien am Laufen.

Queerfeministische Ökonomiekritik

Zunächst fällt auf, dass sich Lorenz/Kuster mit ihrem Begriff des »sexuellen Arbeitens« positiver auf die Konzepte der »immateriellen« und »affektiven« Arbeit beziehen als Preciado, die diese Konzepte offen für ihren Ausschluss der sexuellen Arbeit kritisiert. Bei näherer Betrachtung finden sich bei Preciados Begrifflichkeiten aber doch zahlreiche Bezüge auf die Postoperaisten. Da diese Bezüge sich in einer ironisch performativen Weise der postoperaistischen Begriffe bedienen (z.B. General Sex) kann dies allerdings auch als Form der Kritik verstanden werden.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Preciados und Lorenz/Kusters Perspektiven liegt in der Auffassung der sexuellen Arbeit. Bei Lorenz/Kuster ist sie doppelt produktiv (Produkte/Subjektivitäten), bei Preciado ist demgegenüber sexuelle Arbeit als unproduktive Arbeit par excellence herausgestellt. Des Weiteren unterscheidet sich das Verständnis von Sexualität in beiden Ansätzen: Preciado beschreibt die pharmakopornographische Sexualität als techno-organische Aktivität, die jenem Praxistypus entspricht, in dem – der Formulierung von Marx folgend – Produktion vom Produzenten untrennbar wird. Werken ohne Werk, Praxis, die in sich selbst ihre Erfüllung findet, ohne sich in einem Werk zu objektivieren, das über sie hinausginge. Sexualität bei Lorenz/Kuster wird demgegenüber als Set gesellschaftlicher Vorschriften und Möglichkeiten, Zwänge und Wünsche im System Heterosexualität beschrieben, in dem das Begehren als regulierende Kraft auftritt. Damit ist paradoxerweise letzterer Sexualitätsbegriff deutlich unökonomischer gefasst als jener von Preciado. Sexuelles Arbeiten ist für Lorenz/Kuster zwar doppelt produktiv, Sexualität aber scheint sich lediglich auf der Ebene von Vorschriften, Möglichkeiten und Zwängen abzuspielen und wird weniger als Praxis selbst betrachtet.

Das heißt, dass Preciados Begriff von Sexualität weitaus ökonomischer gefasst ist. Sie beschreibt, wie die sexuelle Ökonomie quasi unter den anderen Ökonomien, unter der immateriellen und der Kommunikationsökonomie, liegen würde und diese stütze. Diese Darstellung eignet sich zur Kritik von Marxist_innen der »repressiven Feminisierung« (Ernst Lohoff), die sich vor der Kapitalisierung des Innersten und Intimsten fürchten. Ihnen kann mit Preciado erklärt werden, dass diese Sphäre schon immer konstitutiver Teil der Ökonomie war. Wenn Preciado von Sexueller Arbeit spricht, dann meint sie Sexarbeit, die von ihr ebenfalls beschriebenen Wechselbeziehung zwischen sämtlichen Arbeitsverhältnissen und Sex bezeichnet sie mit ihrem Begriff der Pornifizierung der Arbeit. Während der Lorenz/Kuster Ansatz die sexuelle Arbeit an jedem Arbeitsplatz als Aufwand der Darstellung von sexuellen Identitäten begreift, geht es Preciado vielmehr um das Herausstellen der Funktionsweisen und des Motors gesellschaftlicher Begehrens- und Produktionsverhältnisse, welche sie mit dem Zyklus „excitation-frustration-excitation" umschreibt. Die gesamte gesellschaftliche Ökonomie wird in Preciados Modell durch diese Zyklus angetrieben, dessen Motor maßgeblich im Drogenmarkt, Produktion, Zirkulation und Konsumtion von Pornographie und drittens Sexarbeit liege.

Und hier findet sich auch ein letzter wesentlicher Unterschied: Lorenz/Kuster denken die queerende sexuelle Arbeit als widerständige Praxis, das heißt: kollektiv, während sich der »Genderterrorismus« bei Preciado eher als individuelle Praxis ausnimmt. Preciado führt die Geschichte von »Agnès« an, die den betroffenen Mediziner_innen und Psycholog_innen ein Lehrbuch-Beispiel für Hermaphrodismus war und nach dem erreichten Geschlechtswechsel eben jene Biomedizintechnokrat_innen mit der Geschichte bloß stellte, dass sie seit jungen Jahren Östrogene, die ihrer Mutter verschrieben worden waren, eingenommen hatte, weil sie eine Frau sein wollte.

Preciados dekonstruktivistische Auffassung der Produktion von vergeschlechtlichten Körpern könnte beispielsweise in den neuen Kampagnen zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbruch helfen, mit dem alten Vokabular von »Mein Bauch gehört mir!« und »Wo Sex passiert, gibt es auch immer das Risiko von Schwangerschaft!« zu brechen, und statt dessen die neueren und genaueren Analysen und Perspektiven auch in die Slogans und Kampagnentexte einfließen zu lassen. Mit einer Auffassung, die in der aktuellen Kriminalisierung von Abbruch die biopolitische Herstellung von »Frauenkörpern« ausmacht, ließen sich auch breitere Bündnisse auf anti-heteronormativer Basis gründen, die gemeinsam gegen die Herstellung von Frauen- und Männerkörpern in dieser Praxis, aber auch zahlreichen anderen, vorgehen. Das betrifft zum Beispiel auch den verweigerten Zugang von als Frau identifizierten Personen zu Testosteron, während eben jener Gruppe von Personen systematisch und flächendeckend Östrogene verabreicht werden (Preciado spricht hier treffend vom »Bio-Drag« der Östrogen-produzierten-Frauen), aber auch der Festschreibung von sexueller Identität durch Gesetze und Identitätspapiere.

 Das Queering bei Kuster/Lorenz bietet sich als subversive Strategie gegen die Herstellung von sexuellen, vergeschlechtlichten Subjektivitäten an. Doch eignet es sich auch als subversive Strategie gegen kapitalistische Verwertung? Nachdem der Zusammenhang von Sexualität und Ökonomie auf verschiedenen Ebenen (der Subjektivitätsebene, der Praxis, der Sexarbeit aber auch der affektiven und emotionalen Arbeit) gezeigt wurde, stellt sich die Eingangsfrage, was dies für die queerfeministische Ökonomiekritik bedeutet? Einem verbreiteten Urteil nach verändert queerfeministische Praxis zwar sexuelle Identitäten, würde aber damit lediglich den Kapitalismus reformieren, statt ihn zu bekämpfen. Diese Einschätzung ist insofern idealistisch, als sie die nachgewiesene Interdependenz von Sexualität und Ökonomie dahingehend auflöst, dass m Ende queerfeministische und antikapitalistische Praxis unvermittelt nebeneinander stehen, was nicht ihrer realen Verwobenheit gerecht wird. Demgegenüber versucht eine queerfeministische Ökonomiekritik sich in ihrer politischen Kritik und Praxis nicht auf Einzelphänomene des Kapitalismus, wie beispielsweise die Konkurrenz, einzuschießen, weil damit ein umfassenderes Gesellschaftsverständnis verfehlt wird. Stattdessen werden die beschriebenen Interdependenzen zum Ausgangspunkt von Überlegungen und Aktionen gemacht. Sexualität und Ökonomie sind damit nicht lediglich Aspekte, die bei Bedarf zur Betrachtung hinzugefügt werden können oder aber auch nicht. Sie sind immer schon strukturierend wirkmächtig.

Von Cornelia Möser. Die Autorin lebt in Berlin und Paris.