Nicht erst seit Genua, seit dort aber verstärkt, mehren sich die verschiedenen Äußerungen zu den Gipfelevents. Neue Bewegung oder nicht, Militanz vermittelbar und wie und warum, Abgrenzung zu Reformisten, all together now oder lieber doch separated?
Die verschiedenen Stellungnahmen leiten sich meist aus einer unmittelbaren Betroffenheit ab. Die Pazifisten würden es gar nicht gut finden, dass andere Steine werfen, obwohl sie doch zu großem Dank verpflichtet sein müßten, da die Militanten ihnen erst die Möglichkeit eröffnet haben, sich in der Presse mit ihrem Anliegen zu äußern (und nichts anderes hatten die Militanten im Kopf als ihnen eine Stimme zu geben). Von Seiten der Reformer klingt an, dass man sich von den Militanten gar nicht distanzieren bräuchte, da sie eh nicht dazugehören usw.
Wenn der erste Schock Über die "Krassheit" des Erlebten erst wieder verflogen ist, beruhigen sich die meisten Gemüter schon wieder und betonen, dass es doch auch wichtig ist gemeinsam... zumindest gegen die Repression.
Diese Diskussionen entbehren nicht einer gewissen Langeweile, weil die Frage doch nicht ist ob sich die Militanten durch Militanz von anderen abgrenzen, sondern ob das, was bei den Gipfeln geschieht eine Perspektive für die radikale Linke darstellt. Diese Frage läßt sich aber nur beantworten, wenn man die Entwicklungslinien der Linken in die Bewertung der Gipfelbeugung mit einbezieht und nicht vom Erlebnis an sich ausgeht. Der nachfolgende Test will dazu einen Beitrag leisten und außerdem die Fragen aufwerfen, die uns für die weitere Orientierung wichtig erscheinen.
Der offizielle Startpunkt der Bewegung wird im November 1999 mit Seattle gesetzt, Der Grund ist offensichtlich, gab es doch in Seattle zum ersten Mal anläßlich eines (dort WTO) Gipfels so massive Ausschreitungen auf der Straße, dass zumindest der Gipfel beeinträchtigt wurde. Dem vorausgegangen waren verschiedene „unspektakuläre" Großdemonstrationen seit Anfang der 90er Jahre anläßlich EU-, WTO, Weltbanktreffen auf der ganzen Welt, allerdings, zumindest in Deutschland, noch mit wenig breiter öffentlicher Beachtung. Mit Seattle wurde deutlich, dass die Kritik am globalisierten Kapitalismus nicht weiter ignoriert werden konnte. Medienkompatible Bilder gingen um die Welt, es wurde über einen Protest gestaunt, der aus dem Nichts auf die Straße getreten zu sein schien.
Where do you come from...?
Zu Beginn der 90er Jahre befindet sich die Linke in Westeuropa im permanenten Abwärtstrend. Das Verschwinden der Systemkonfrontation (Kapitalismus vs. real existierendem Sozialismus) läßt die Linke utopielos und desorientiert zurück – selbst diejenigen, die sich nicht auf den real existierenden Sozialismus bezogen haben. Die Welt verändert sich, doch die Linke schaff es nicht in ihren Analysen und Strategien mit dieser Entwicklung Schritt zuhalten.
Die klassischen Analysen und Lösungsansätze schienen antiquiert. Der Klassenkampf als entscheidender Konflikt kapitalistischer Gesellschaften wurde verworfen - somit auch die Bestimmung der Arbeitenden als revolutionäres Subjekt. deren historische Bestimmung die Errichtung des Sozialismus sei, Es war nicht mehr denkbar, dass der Umsturz des Kapitalismus durch den Sturz der herrschenden Klasse erreicht werden konnte. In linken Diskursen wurde schon in der 80ern versucht, das klassische revolutionäre Subjekt durch andere Subjekte w wie Frauen oder MigrantInnen zu ersetzen, his die Absurdität dieser Subjektsuche in Additionen wie Frau plus Arbeiter plus Migrantin
ihren Höhepunkt fand und sich schließlich darin auflöste, dass die Suche nach einem bestimmten Subjekt, welches zur Revolution besonders geeignet schien, im Zuge von Diskussionen um Identität allgemein, aufgegeben wurde. Es setzte sich mehr die Auffassung durch, dass es nicht an „den Herrschenden" in persona läge, sondern der Kapitalismus als eine Struktur, unabhängig von Personen, zu bekämpfen sei.
Auch die internationalen Bezugspunkte, in denen sich stets eine Linke konstituiert hatte, verschwanden. Die nationalen Befreiungsbewegungen stellten für die Linke keine Perspektive mehr dar. Zum einen schien es ab 1990 unmöglich, ohne wirtschaftliche Unterstützung bzw. Anschluss an einen sozialistischen Handelsverbund den Sozialismus i n einem Land zu errichten und andererseits konnten die nationalen Befreiungsbewegungen die Hoffnungen, die zumindest die deutsche Linke in sie gesetzt hatte, nicht erfüllen. Das Nationale siegte über das sozialistische Anliegen und der Kapitalismus konnte weder abgeschafft werden noch wurde das „befreite Leben" eingeführt. Diese fehlenden Orientierungspunkte stellten auch einen Grund der Auflösung der bewaffneten Gruppen in Westeuropa dar, die sich als verlängerter Arm der Befreiungsbewegungen im „Herzen der Bestie" verstanden hatten.
Verbindliche linke Ideen sind in dieser Situation nicht mehr vorhanden, die Linke auf der Straße ist je nach Bewegungsschwerpunkt mal stärket mal schwächer sichtbar (,Anti-AKW, Antifa... ), die Aufsplitterung der politischen Konzepte wurde nicht aufgehoben. Der Kapitalismus wird am des 21, Jahrhunderts als Sieger der Geschichte als einzig umsetzbares Gesellschaftssystem gefeiert –
niemand scheint an der Beseitigung dessen interessiert zu sein oder die für eine Neukonzeption der Möglichkeiten der Überwindung des Kapitalismus notwendige Stärke entwickeln zu können.
Where do you want to go tomorrow?
Der Aufstand der Zapatisten 1996 stellte für einen Teil der Linken den Beginn einer neuen zeitgemäßen Widerstandsbewegung dar, charakterisiert durch internationalen Austausch, den Aufbau von Netzwerken anhand moderner Kommunikationsmittel wie Internet. „Es geht nicht um die Eroberung der Macht oder die Einsetzung (auf friedlichem oder gewaltsamen Weg) eines neuen Gesellschaftssystems, sondern um etwas, das dem einen und anderen vorgelagert ist. Es geht darum, das Vorzimmer der neuen Welt aufzubauen, einen Raum, in dem die verschiedenen politischen Kräfte mit gleichen Rechten und Pflichten um die Unterstützung der Mehrheit der Gesellschaft kämpfen ( . .) Wir schlagen keine orthodoxe Revolution vor, sondern etwas viel Schwierigeres: eine Revolution, die eine Revolution ermöglicht. " (Subcommandante Marcos). Die Zapatisten sind seit längerem die erste Bewegung, die einen globalen Anspruch vertritt. Intergalaktische Treffen, die von den Zapatisten initiiert wurden, hatten internationale Ausstrahlung auf diejenigen, die auf der Suche nach neuen Bezugspunkten waren. Erstmals wurde die Entwicklung des Kapitalismus als Neoliberalismus benannt und angegriffen. Dies war der Initialpunkt für Gruppen wie PGA (peoples global action) die sich international koordinierten und auch agierten. Sie nahmen Gipfeltreffen zum Anlass, ihren Protest zu artikulieren und propagierten früh den zivilen Ungehorsam, der die Gesetze der kapitalistischen bürgerlichen Gesellschaften nicht anerkennen solle, da diese eine Politik betreibe, die nicht für die Menschen sondern für den Profit von Wirtschaftsunternehmen von Nutzen ist.
Smash capitalism!
Auch wir als Antifa sind seit 1998 bemüht internationale Kontakte herzustellen um einen Austausch über die verschiedenen Bedingungen linksradikaler, kapitalismuskritischer Politik herzustellen. Durch die EU und die Angleichung der gesellschaftlichen Verhältnisse überall in Europa und erstarkende faschistische Bewegungen befinden sich viele antifaschistische Gruppen in ähnlichen Situationen was sich auf die Art und Themen ihrer Politik auswirkt. Ab Mitte der 90er, anläßlich der Gipfeltreffen der internationalen Regierungs- und Wirtschaftsgremien treten internationale Antifa-Blöcke unter dem Motto „fight fortress europe" und „smash capitalism" auf.
Zumindest für die deutsche Linke stellten sich wieder Bedingungen ein, bei denen mehr als 10 000 Menschen auf die Straße gingen. Die öffentliche Resonanz ging jedoch gegen Null, ähnlich gering war die Übereinstimmung der Ziele und Anliegen der verschiedenen Gruppierungen und Organisationen. So liefen Tierschützerinnen, die um den Erhalt einer bestimmten Art besorgt waren, neben Gewerkschafterinnen, die für europäische Standards der Beschäftigungssicherheit demonstrierten, durch die Straßen der Tagungsorte - jeweils gestärkt vom Gefühl „Viele" zu sein. Um so größer die Enttäuschung, dass sich niemand dafür interessierte; die Demonstrationen fanden oft nur in einer Randnotiz Erwähnung. Jede Gruppe oder Organisation für sich hatte nicht die Möglichkeit den Druck soweit zu erhöhen, dass der Protest diskussionsfähig wurde.
In diese Situation platzte die ,,battle von Seattle". Mit der Kombination aus Massenmobilisierung und Militanz hatte es die internationale Protestbewegung in Seattle geschafft, den Schwerpunkt der Berichterstattung vom Konferenzsaal auf die Straße zu verlagern. Seit Seattle nun sind die größten Gipfeltreffen von militanten Ausschreitungen begleitet.
Nicht mehr nur die NGO's mit ihren ganz konkreten Forderungen und Vorschlägen, sondern vor allem Aktionen, die unmissverständlich zeigen, dass ein der Bewegung nicht dialog- und reformbereit ist und sich den herrschenden Spielregeln widersetzt, rücken auf die Agenda. Die Militanten haben dabei zumindest das Ziel erreicht, durch das „Spektakel" den Blickwinkel auf „die Radikalen" und die symbolische Revolte umzulenken. Doch kann es nicht das Ziel der Militanten sein, den Focus zwar
auf die Proteste zu richten, die inhaltliche Füllung der Kritik dann aber Gruppen wie attac! zu überlassen. Militanz allein schon als Radikalität der Kritik schlechthin zu verstehen und nicht zu versuchen, die gewonnene Aufmerksamkeit für die Artikulation linksradikaler Positionen zu nutzen, läßt dabei die Zweckhaftigkeit von Militanz in Frage stellen. Es sollte deshalb, darum gehen, an der Radikalisierung der Kritik und Fragen von deren Vermittlung zu arbeiten.
Von der radikalen Linken gibt es bisher kein Konzept, auf welche Positionen aufmerksam gemacht werden soll. Stattdessen wird über die Reinheit der Form gestritten. Sind die tute bianche denn überhaupt richtig militant, wenn sie doch nur die Fernsehbilder ausnutzen wollen, um dann gar nicht „weiterzumachen"? Die Möglichkeit, die wir auf den Gipfeln haben, ist die der symbolischen Politik und die nutzen die tute bianche momentan wesentlich besser als der „black bloc". Dies ist ein Versäumnis, weil momentan die radikale Linke auf der Suche nach neuen Orientierungen ist und auch viele anpolitisierte Jugendliche starkes Interesse an den Gipfelaktivitäten haben. Von daher brauche wir eine Kapitalismuskritik, die sich auch in die Bewegung hinein vermitteln läßt - mit Aktionsformen, die diese Inhalte symbolisch vermitteln. Wir sehen dies als einen Prozess an, der sich in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Zielen der Bewegungen entwickeln sollte.
Einen Beitrag hierzu wollen wir mit einer in Kürze erscheinenden Broschüre leisten. Neben Einschätzungen der „Antiglobalisierungsbewegung" u.a. von Markus Wissen (BUKO), einem neuen Artikel von Michael Heinrich (Prokla) zur Kritik der Globalisierungskritik, der sich mit Kapitalismus- und Staatskritik beschäftigt, einem Interview mit Wallerstein zu Nationalismus und Globalisierung und einer durch die Broschüre leitenden Kommentierung der Antifaschistischen Aktion Berlin haben wir uns bemüht, einige der interessanten Fragen, die sich die Linke anhand der neuen Bewegung stellt, aufzugreifen.
Die Broschüre kann unter anderem über den Antifa-Versand "red stuff" - Weydingerstr.14-16, 10179 Berlin - oder online unter www.antifaschistische-aktion.com/redstuff.php bestellt werden.
Antifaschistische Aktion Berlin
(AAB)