»Die kapitalistische Produktionsweise«, so Karl Marx im ersten Band von Das Kapital, »entwickelt […] nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, Berlin 1968, 529f. Der Fortschritt bürgerlicher Gesellschaften, mit anderen Worten, geht notwendig zulasten von Mensch und Natur. Wenngleich Marx dem Naturbegriff zwar sehr viel, der Naturzerstörung eher wenig Aufmerksamkeit schenkte, findet sich hier miteinander verbunden, was später die soziale und die ökologische Frage genannt werden sollte. Marx war keinesfalls ein Feind jenes Fortschritts, er lobte gar die Ersetzung des »gewohnheitsfaulsten und irrationellsten Betriebs« durch die »bewußte, technologische Anwendung der Wissenschaft.« Dennoch war ihm nicht entgangen, dass die »Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur«? Ebd., 528. negative Folgen nicht nur für die Subjekte, sondern auch für ihre materielle Umgebung bedeutete.
Solcherlei Einsicht in die Dialektik des Fortschritts, die auf die Zerstörung von Natur verweisen kann, ohne sich die Enge und Rohheit vormoderner Gemeinschaft zurück zu wünschen, wäre einigen Freunden und Freundinnen der Umwelt heute womöglich schon zu viel. Ausgehend von der offensichtlichen Zerstörung materieller Grundlagen zu Wasser, zu Lande und in der Luft sowie der tatsächlich offenen Frage, was denn »bewußte, technologische Anwendung der Wissenschaft« eigentlich bedeutet (beispielsweise mit Blick auf die Nukleartechnologie) hat sich heute ein Denken durchgesetzt, dem individuelle Verantwortung für den Planeten zum Credo geworden ist. Selbst Linke, die den Satz »Umweltschutz ist Heimatschutz« schnell parat haben und die gerne zitieren, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt, lassen hinter vorgehaltener Hand verlauten, dass es am Ende doch besser wäre, den Müll zu trennen, den Stand-by-Modus auszuschalten oder Fahrrad zu fahren. Auch wer nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt – wie eine inzwischen nicht mehr nur grün oder rot, sondern auch schwarz wählende Mehrheit – unterstützt am Ende, und sei es noch so verhalten, die Ideologie, dass jede/r etwas tun könne für das Wohl unseres Planeten. Gekauft werden soll vom Biomarkt, Leinen statt Polyester, Energiesparlampen sind inzwischen gesetzlich vorgeschrieben, Geld soll nachhaltig angelegt werden, und wenn schon ein Einfamilienhaus gebaut werden soll, dann bitte vor allem ökologisch. Der Grüne Punkt ist wohl das erfolgreichste Beispiel dafür, wie mit selbst geschürten Sorgen, Profit zu machen ist. So beliebt ist das duale System bei den Deutschen, dass Hotels in Kairo die Mülltrennung für die PauschaltouristInnen von Passau bis Lüneburg gleich mit anbieten; nur um Plastik und Bio hinter dem Haus wieder zusammenzuwerfen. Selbst beim Sexspielzeug sind derzeit als nachhaltig angepriesene Hartholz-Dildos hoch im Kurs. Weder beim Reisen noch beim Masturbieren soll das gute Gewissen außen vor bleiben.
Falsch ist nicht die ökologisch inspirierte Wahrnehmung, dass die Produktion der großen Warensammlung zu Lasten der Natur geht. Dass mit den verschiedenen auf Nachhaltigkeit getrimmten Produkten die Natur geschont werde, ist es jedoch sehr wohl. Die ausnehmend hässlichen Öko-Glühbirnen werden aus knappen und teuren Rohstoffen gefertigt, ihre tatsächliche Energieeinsparung ist mindestens umstritten. Der fleißig getrennte Müll kommt am Ende auf dieselbe Halde und die sogenannte Umweltbilanz des neuen E10-Treibstoffs, für den die Ethanolproduktion erheblich ausgeweitet werden muss, ist alles andere als ökologisch. Unehrlich ist es außerdem, zu unterschlagen, dass die Motivation für Drahtesel und eigene Solarpaneele in den meisten Fällen – und das vollkommen zu Recht – der eigene Geldbeutel ist. Und schlichtweg falsch ist die Annahme, dass tatsächlich viele kleine Zeitschaltuhren zur Energieeinsparung, viele kleine KäuferInnen von Hybrid-Autos und viele kleine Holz- statt Plastikdildos etwas am gesellschaftlichen wie natürlichen Elend ändern könnten. Was die Industrie in die Luft bläst, kann keine Kreuzberger Kleinfamilie wettmachen. Die Produktion von als nachhaltig angepriesenen Baustoffen lässt deren ökologischen Effekt gegen Null tendieren. Und in Anbetracht eines Großteils der Welt, für den die Entscheidung zwischen Fernwärme oder Pellets nicht zum Lebensalltag gehört, sondern bereits sauberes Wasser und ein funktionierendes Dach ein Fortschritt wären, nehmen sich der Eifer und die Mühen ökobewusster Bürger geradezu komisch aus.
Seit die durchaus reale Angst vor einer nuklearen Katastrophe abgenommen hat, ist es vermutlich weniger die Befürchtung, dass die Horrorszenarien von Hollywoodfilmen wie The Day after Tomorrow Wirklichkeit werden könnten, die diese Menschen antreibt. Nicht ohne Grund haben solcherlei Fantasien vornehmlich im Raum der Fiktion ihren Ort, also da, wo sie konsequenzlos nachgelebt werden können. Im ökologischen Bewusstsein scheint sich vielmehr reale Ohnmacht mit dem Gefühl von Allmacht zu mischen. Der Glaube, durch individuelle, umweltbewusste Lebensweise der großen Tendenz entgegenzuwirken, ist schließlich durchaus real. Die Einsicht in die Destruktivität des Kapitalismus reicht aber gerade so weit, wie das Subjekt sich selbst als handlungsfähig begreift; qua Kaufentscheidung stellt man sich dem Weltlauf zwar nicht entgegen, möchte ihn aber doch wenigsten korrigieren und Schlimmeres verhindern. Ökologisches Bewusstsein, so ließe sich zuspitzen, ist die zeitgemäße Form, das schlechte Gewissen zu beruhigen.
Obwohl die ökologische Frage einen ökonomischen Kern hat, trägt sie in ihrer Konsequenz dazu bei, die fortdauernde Ausbeutung sowie die politische Ökonomie von Umweltschutz und Nachhaltigkeit aus dem Bewusstsein zu verdrängen. Die ökologische Frage ist eine soziale Frage, insofern sie zunächst in verhältnismäßig wohlhabenden, westlichen Gesellschaften zum Thema wird und ihre Lösungsvorschläge sich an genau diese Bevölkerungsteile richtet. Das betrifft nicht nur die Möglichkeit, überhaupt den Konsum auf vermeintlich nachhaltigere Produkte umzustellen, sondern auch die Mittel, die aufgewandt werden können, um mit den (nicht selten selbst verursachten) Launen der Natur umzugehen. Dies wiederum zeitigt durchaus materielle Folgen. 1992 traf ein Sturm der Kategorie fünf auf die Küste Floridas. 80 Menschen starben, 125.000 Menschen waren zeitweilig obdachlos. Die Lebensbedingungen wurden durch umfassende Maßnahmen innerhalb eines Jahres weitgehend wieder hergestellt. Sechs Jahre später, 1998 wurden Honduras, Nicaragua und Guatemala von einem schwächeren Hurrikan der Stufe vier heimgesucht. 11.000 Menschen wurden getötet, es gab unzählige Vermisste, 2,7 Millionen Menschen wurden obdachlos und auf den ökonomischen und infrastrukturellen Zusammenbruch folgte eine Cholera-Epidemie? Alex Gourevitch, Two Hurricanes. Why Environmentalists’ Fear of Bigness Dooms the Developing World, in: Jacobin 10 (2012), http://0cn.de/zcyl Dort, wo Natur tatsächlich »zurückschlägt«, sind es zuallererst die Mittellosen, die unter den Folgen zu leiden haben. Verdrängt wird die soziale Frage wiederum insofern, als nicht die kapitalistische Warenproduktion selbst zur Diskussion steht, sondern über ihre grüne Alternative debattiert wird. Die orthodox-marxistische Forderung nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder der Abschaffung des Privateigentums lockt kaum mehr jemanden hinter der Ökoheizung hervor und materialistische Wertkritik scheint nicht mehrheitsfähig zu sein. So wird sich darauf beschränkt, zunächst einmal die Bedingungen der Möglichkeit eines guten Lebens zu schaffen oder zu retten. Was einer befreiten Gesellschaft im Weg steht, ist, mit anderen Worten, nicht mehr das rast- und rücksichtslose Kapital, sondern ökologische Unverantwortlichkeit.
Ökologie als Schlüssel zum guten Leben, daraus haben in Deutschland vor allem die Grünen ein veritables Parteiprogramm gezimmert, das inzwischen bei den anderen Volksvertretern Anklang gefunden hat. Die Volkspartei par excellence, so Rainer Trampert in seinem Beitrag, hat gezeigt, dass sich mit Ökologie nicht nur Staat machen lässt, sondern idealerweise – so wünscht es sich das grüne Herz – auch Kapital. Sie träumen von einer »grünen industriellen Revolution«, die zwar Geld kosten wird, aber umso höhere Gewinne einbringen soll, bei gleichzeitiger Schonung von Mutter Erde. Warum diese Idee falsch und ideologisch ist, zeigt Johannes Berger in dem Artikel »Inside Green Capitalism«. Die Grenzen eines ökologischen New Deal markieren die dem Kapital immanente grenzenlose Ausdehnung und der Zwang zum Wachstum. Woran das ökologische Bewusstsein Anstoß nimmt, sind deswegen keine Kollateralschäden des Kapitals, sondern traurigerweise die Regel. Somit bedeutet Umweltschutz auch längst nicht mehr, vermeintlich unberührte Reste von Natur vor dem menschlichen und industriellen Zugriff zu schützen, sondern Schadensbegrenzung, Reparatur und effektivere Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Initiativen wie die »grüne industrielle Revolution« sind selbst Reaktionen auf die Krisenhaftigkeit des Kapitals, das die »Arbeitskraftbehälter« kontinuierlich reduziert und sich doch immer weiter ausdehnen muss. Karl Marx konnte im Kapital noch schreiben: »Naturkräfte, wie Dampf, Wasser usw., die zu produktiven Prozessen angeeignet werden, kosten ebenfalls nichts.«? Marx, Kapital, Bd. 1, 407. Dem ist heute längst nicht mehr so. Mit den aufwendigsten Rechenoperationen werden Naturressourcen monetarisiert, wie der AK Kritische Geographie am Beispiel des Walds zeigt. Die Ironie ist kaum zu überbieten: Während die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise einst immense Rodungen erforderte, ist heute nicht nur Wiederaufforstung an der Tagesordnung, der Wald wird zugleich als »Ökosystemdienstleistung« begriffen, die sich rentieren muss, wie alles andere auch. Der Artikel zeigt nicht nur, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte, sondern auch, wie selbst den kritischen Stimmen der Zusammenhang von Ausbeutung des Naturkapitals und der sie begünstigenden Produktionsweise entgeht.
Das Verhältnis der Linken zur Ökologie ist ein besonders trauriges, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Dass das Programm der Grünen mehrheitsfähig werden konnte, so Rainer Trampert, wurde »nicht zuletzt durch die Leere der Linken begünstigt«. Mehr als die Forderung nach Nachhaltigkeit und Mindestlohn – »wahlweise plus Antisemitismus und Antiamerikanismus« – ist von ihr kaum noch übrig geblieben. Gleichzeitig sind es die ehemaligen Apo-AktivistInnen und jene, die ins duale System hinein geboren wurden, die sich am eifrigsten um den vermeintlichen Schutz des Planeten bemühen. Beim Klimacamp 2012 in Zürich sollte Nachhaltigkeit z.B. durch »ein Kompostklo, vegane Küche [und] konsensorientierte Entscheide« gelebt werden; die entsprechenden Workshops wurden natürlich auch angeboten.
Ob die Rede von der Nachhaltigkeit, die dem Glauben an eine Versöhnung von kapitalistischem Wachstum mit Umweltschutz entsprang, nicht gerade von einem Konzept abgelöst wird, das mit dem Wortungetüm »Resilienz« bezeichnet ist, fragt in dieser Ausgabe Andreas Exner. Das Konzept der Resilienz findet sich in einer Reihe von neueren Versuchen, Gesellschaft – und nun auch die Natur – mithilfe der Systemtheorie zu begreifen. Wie vormals schon das Soziale wird nun auch das Ökologische als ein sich selbst regulierendes System aufgefasst, das nicht nur autonom strukturiert ist, sondern das in gewissem Maße auch selbst mit Störungen umgehen kann. Ob der Begriff der Resilienz offen für eine linke Aneignung ist, wie Exner nahelegt, mag allerdings bezweifelt werden.
Ebenso fragwürdig ist der Versuch, der derzeit unter marxistisch inspirierten SozialwissenschaftlerInnen en vogue ist, mit der ökologischen auch die kapitalistische Krise zu begründen. G. B. Taylor zeigt in seinem Beitrag, dass damit die Fallstricke der historischen Krisentheorie, deren Voraussagen vom Ende des Kapitalismus bisher Wunschtraum blieben, zurückkehren. Zum einen setzt sich mit dem Wunsch nach einer objektiven Begründung der Krise der kapitalistischen Warenproduktion ein gewisser Wissenschaftsfetischismus durch. Was ehemals die Werttheorie in der Idee des tendenziellen Falls der Profitrate leisten musste, übernehmen nun naturwissenschaftlichen Studien, die zweifelsfrei zeigen sollen, dass das Kapital an seine Grenzen stößt. Aus der Rhetorik von Ausnahmezustand und daraus resultierender Dringlichkeit mag zwar politische Schwungkraft und revolutionäre Verve entspringen, der kapitalistische Normalzustand gerät dabei jedoch aus dem Blickfeld. Taylor führt dagegen ins Feld, dass selbst bei einem erfolgreichen Nachweis der Krise, deren politische Relevanz – also dass sie ins Bewusstsein von Handlungsfähigen tritt – keinesfalls logisch folgt. Zum anderen unterschätzen grüne ParteigängerInnen wie grüne MarxistInnen gleichermaßen, dass es dem Kapitalismus sehr wohl gelingt, sich ökologische Kritik einzuverleiben und in seinem Sinne positiv zu wenden. Krisenrhetorik und Weltuntergangsszenarien, so Anna Pollmann in dieser Ausgabe, scheinen überhaupt einen integralen Bestandteil der linken Weltsicht auszumachen; diese sind allerdings historisch bestimmt und vermittelt durch politische und technologische Umwälzung in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Zurückfallen des Menschen hinter die technischen Möglichkeiten, das Entgleiten von Zukunftssicherheit und einem Mindestmaß an Kontrolle, symbolisierte wohl nichts eindrücklicher als die Atombombe. Dass aber die ehemals so eindeutig scheinenden Kategorien von Rechts und Links nicht erst heute fragwürdig geworden sind, zeigt sich gerade im Bereich des ökologischen Bewusstseins. So wie linke Apokalyptik in den siebziger Jahren unbewusst von den DenkerInnen der Konservativen Revolution zehrte, popularisierte sich eine Fünf-vor-zwölf-Attitüde durch den Wachstumsbericht des wirtschaftsliberalen Club of Rome. In den folgenden Jahren war es jedoch immer wieder die Linke, die der Mehrheitsgesellschaft voran galoppierte, die vor allen anderen esoterisch wurde und mit Feng-Shui und Mineralien das Unbehagen in der Moderne heilen wollte. Sie war es auch, die sich statt Komfort und Luxus die Laubhütte und die Feldarbeit zurückwünschte. In diesem gespaltenen Naturverhältnis, der projizierten Rückkehr zur Natur bei ihrer gleichzeitigen Unterjochung, konstitutiv für Gesellschaft und Zivilisation, hat die Linke – und nicht nur sie – an der Dialektik der Aufklärung teil. Nicht nur dort, wo Natur gehasst und verdrängt wird, setzt sich Naturbeherrschung durch, so Robert Zwarg in seinem Beitrag, sondern auch wo das Verhältnis zur Natur ein scheinbar versöhntes ist, wo sie als schön und wertvoll empfunden wird. Romantisierung der Natur und der Hass auf sie sind zwei Seiten derselben Medaille.
Den aktuellen Schwerpunkt der Phase 2 der ökologischen Ideologie zu widmen, heißt also zwei Ebenen, das Subjekt wie die Gesellschaft, gleichzeitig in den Blick zu nehmen. Wo die Einsicht in reale Naturzerstörung zur Forderung nach persönlichem Mittun bei der Rettung des Planeten wird, wandelt sich eine gesellschaftliche Praxis in ein individuelles Problem, das eben zuallererst der oder die Einzelne zu lösen habe. Daran ist keineswegs falsch, dass die kapitalistische Warenproduktion auch deswegen weiterläuft, weil tagtäglich ihre Abschaffung versäumt wird und dass es einzig an den Menschen läge, dafür zu sorgen, dass es nicht mehr weitergeht wie bisher. Darum geht es jedoch in der ökobewussten Rastlosigkeit nicht. Nicht nur wird das schlechte Gewissen in vermeintlich positive Kaufentscheidungen transformiert, wobei der Zusammenhang zwischen Naturzerstörung und einer durch das Kapital vermittelten Gesellschaft, dabei weitestgehend aus dem Blick gerät. Dass sich die meisten Beiträge des Schwerpunktes gerade dem Verhältnis von Ökologie und Kapitalismus widmen – und nicht wie einmal angedacht, der Öko-Ideologie als individueller Praxis – mag deswegen auch mit einer ungelösten Frage zu tun haben: der nach den Handlungsmöglichkeiten innerhalb des Kapitalismus, jenseits von Resignation und Verrat an der Möglichkeit eines guten Lebens.