Die Spannung war groß: wurde doch im Vorfeld des Antifa-Kongresses am meisten über das Referat gesprochen, bei dem sich die Antifaschistische Aktion Berlin Vorwürfen bezüglich ihres Verhaltens auf den Vergewaltigungsvorwurf stellen und ihre eigene Position besser vermitteln wollte. Es gab Boykottaufrufe, die sich bald sogar auf den gesamten Kongress ausweiteten. Die Stimmung war durch Sensationslust gekennzeichnet: eine Neugier, wie militant der Aufruf umgesetzt werden sollte. Nichts davon trat ein, jeglicher Krawall blieb aus.
Inhaltlich gab es keine nennenswerte Diskussion, einiges konnte vielleicht geklärt werden, die AAB ihre Position mit anderen Worten beschreiben.
An dieser Stelle soll allgemeiner auf die geführte bzw. nicht-geführte Vergewaltigungsdebatte der letzten zwei Jahre eingegangen werden. Verweisen wollen wir auf die Arranca! Nr. 21, welche in ihrem Artikel »move your body« zwar keine neuen Erkenntnisse präsentiert, dennoch aber Thesen aus der allgemeinen Diskussion gut zusammengefasst und somit eine Grundlage geschaffen hat, auf der weiterdiskutiert werden kann.
Den Text »Das borderline-Syndrom: Beitrag zu einer erfolgreich verhinderten Diskussion« der Bremer Gruppe les madeleines soll auch erwähnt werden, da er sich dankenswerter Weise endlich einmal inhaltlich mit der Debatte auseinandersetzt und in einigen Punkten wichtige Anregungen gibt.
Im Mittelpunkt der Debatte stand/steht das Definitionsrecht. Streitpunkt war und ist immer die Anerkennung dessen. Aufgrund dieser Tatsache muss die Geschichte, Sinn und Zweck des Definitionsrechts genauer beleuchtet werden.
Der Zweck des Definitionsrechts sollte sein, einen ideologischen Raum zu schaffen, der es Frauen Wenn wir hier ganz allgemein von Frauen sprechen, machen wir dies, da wir anerkennen, dass es eben überwiegend Frauen sind, die Opfer von sexueller Gewalt werden. Wir tun dies nicht, weil wir die Geschlechter stereotyp in ein Geschlecht der Opfer und in eines der Täter einteilen, sondern um dem bestehenden Machtverhältnis in unserem Text Ausdruck zu zollen. ermöglicht, über (ihre) Vergewaltigung zu sprechen, ohne Angst haben zu müssen, ihre Aussage werde angezweifelt und/oder sie sei dadurch Angriffen ausgesetzt. Diese Positionierung für die Frau stellte ein Machtzugeständnis dar, welches zum einen Antwort auf die männlich/patriarchal bestimmten, existierenden Verhältnisse sein sollte (ebenso : z.B. quotierte Redeliste), zum anderen den Objektivitätsbegriff zur Beurteilung sexueller Gewalt ablehnte. Es sollte also mit dem Definitionsrecht sichtbar gemacht werden, dass individuelle Verletzungen/Erfahrungen und dadurch Schmerzen nicht verallgemeinerbar sind und sich somit auch nicht in vorgegebene Begrifflichkeiten pressen lassen. Zum anderen war das Definitionsrecht Voraussetzung für viele Frauen, überhaupt ihre Vergewaltigung öffentlich zu benennen und ihre Forderungen durchsetzen zu können.
Obwohl diese Grundüberlegungen sich bereits auf die tägliche Realität beziehen und einen Ansatz hervorgebracht haben, der ein praktisches Werkzeug für Opfer von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung darstellen sollte, wurde in den letzten Jahren genau das allzu oft übersehen. Plötzlich war die zentrale, öffentlich diskutierte Frage die, ob das Definitionsrecht anerkannt wird. Es ging dabei nicht mehr um die Weiterführung der Diskussion, durch welche anderen Maßnahmen oder Verhaltensmuster dieser benannte Schutzraum ausgebaut werden könne. Es fehlt eine allgemeine Diskussion über Sexualität.
Um aber eine Diskussion führen zu können, um dadurch Kritik und Selbstkritik möglich zu machen und verantwortliches Handeln zu etablieren, bedarf es eine Verbindlichkeit der Sprache, d.h. es müssen alle Diskutierenden eine genaue Begrifflichkeit besitzen, die inhaltlich eben für alle das selbe meint. Unterschiedliche Taten, die einen unterschiedlichen Ursprung haben und unterschiedliche Resonanz erfahren müssen, fordern unterschiedliche Begriffe. Voraussetzung für eine solche Diskussion ist, dass der zugefügte Schmerz und das empfundene Leid nicht mit jenen eingeführten Begrifflichkeiten zusammen gedacht werden. Schmerz/Leid sind individuelle Erfahrungen, die nicht verallgemeinerbar sind und deren Erfahrung stark von beteiligten Personen und Situationen abhängt. Schmerz ist also in dieser einzigen Form anerkannt und bedarf keine gleiche Erfahrung in einem anderen Menschen um legitim zu sein. Wir schließen uns hier der Gruppe les madeleines an, die sich gegen eine Hierarchisierung der Leiden aussprechen, mehr noch, dem Definitionsrecht vorwerfen, diese Hierarchie erst zu etablieren.
Diese Diskussion muss aber unabhängig von konkreten Sexismusvorwürfen geführt werden. Sie muss die vorherrschende Sexualmoral in Gesellschaft und autonomer Szene angreifen, muss die Unmöglichkeit der sexuellen Vertragsfähigkeit, d.h. die vorherige Festlegung von sexuellen Schemata, darstellen, sich mit der bislang dargelegten Kritik des Definitionsrechts auseinandersetzen, ...
Bei aller Bereitschaft der Antifaszene sich den Anti-Sexismus (nicht einmal den Feminismus) auf die Fahnen zu schreiben, gibt es bislang keine Position zu Sexualität und den erwähnten Fragestellungen.
Links:
www.nadir.org/nadir/initiativ/les_madeleines
www.arranca.nadir.org/index.php3
Phase 2 Göttingen