Eine kritische Untersuchung zu jüngsten, von der Neurobiologie angestoßenen Debatten über den Freien Willen ist an sich schon mal keine schlechte Idee. Die Hirnforschung ist derzeit nicht nur das angesagteste Feld, auf dem die Biologisierung des Sozialen betrieben wird, sie maßt sich auch eine erkenntnistheoretische Relevanz an, die man so von herkömmlichen soziobiologischen Ansätzen nicht unbedingt gewohnt ist. Umso erfreulicher, wenn die Kritik der Neurobiologie auch noch einen gesellschaftstheoretischen Anspruch mitbringt, wie es bei Cechuras Buch Kognitive Hirnforschung der Fall ist. Trotzdem bleibt dieser Versuch, den (laut Untertitel) »Mythos einer naturwissenschaftlichen Theorie des menschlichen Verhaltens« als solchen zu entlarven, unbefriedigend.
Cechuras legt sein Hauptaugenmerk auf die Argumentation von Gerhard Roth, der einer der bekanntesten Popularisierer der Neurobiologie ist. Ausführlich und verständlich legt er dar, welche Begriffe von Handeln, Willen, Bewusstsein und Determinismus Roth zugrundelegt. Dabei arbeitet er treffend einige innere Widersprüche der »neurobiologischen Erkenntnistheorie« heraus. Vor allem besteht Cechuras Anliegen darin, gegen die Vorstellung vom biologisch determinierten Handeln anzugehen. Die Argumentation der von ihm kritisierten Hirnforscher betrachtet Cechura als Anpassungsideologie, der zufolge das Gehirn entweder richtig funktioniere, d.h. den Menschen in seine Umwelt einpasse, oder eben falsch, was zu Abweichungen von der naturalisierten Norm führe. Cechuras Kritik der Hirnforschung ist in dieser Hinsicht gut mit Zitaten untermauert (auch wenn diese wiederum größtenteils von Roth stammen) und treffend.
Mangelnde Sorgfalt ist also nicht das Problem, sondern vielmehr die streckenweise penetrante Oberflächlichkeit, mit der Cechura argumentiert. Immer wieder führt er beispielsweise die von ihm als schlicht für evident befundene Feststellung ins Feld, dass das Handeln der Menschen nicht durch ihr Gehirn, sondern durch gesellschaftliche Bedingungen, allen voran den Zugang zu Geldmitteln, bestimmt werde. Etwas vereinfacht gesagt: Laut Cechura setzen die Menschen sich ganz bewusst Zwecke, die sie dann entweder finanzieren können oder nicht. Die Hirnforschung erscheint dem Autor folglich als Ideologie, die den Menschen weismacht, sie bzw. ihre biologische Grundkonditionierung wären selbst an ihrem Elend schuld, und nicht die Umstände. Diese Gegenüberstellung ist schlicht zu plump. Laut Cechura sollten wir den Menschen anscheinend als rundum bewussten gesellschaftlichen Zwecke-Verfolger betrachten, der sich prinzipiell rational verhält, so er nicht durch Herrschaftswissen wie das der Hirnforschung über seine Möglichkeiten getäuscht wird.
Folglich gibt es bei Cechura auch keinen tragfähigen Begriff des Unbewussten, mit dem er dem neurobiologischen Bild vom bewusstlos vor sich hinprozessierenden Menschenwesen etwas entgegenzusetzen hätte. Cechuras Hauptkritikpunkt an der zeitgenössischen Hirnforschung ist damit im Endeffekt, dass sie nicht vulgärmarxistisch ist.
So tauscht der Autor leider nur den einen Determinismus gegen den anderen aus: Nicht das Hirn ist es für ihn, das unser Handeln lenkt, sondern die Gesellschaft. Deren Zwänge fasst Cechura im Begriff des »Konkurrenzdenkens« zusammen, und zwar derart schwammig, dass er gegen Ende alles von Hirnforschung über den Nationalsozialismus bis zum Kalten Krieg in einem einzigen Absatz diesem von ihm diagnostizierten Grundübel zuschlagen kann.
Mit Vorsicht zu genießen sind auch Cechuras Ausflüge in den Bereich soziobiologischer Evolutionstheorie – hier wird deutlich, dass der Autor die von ihm kritisierten Thesen nicht wirklich verstanden, sondern nur über Roth rezipiert hat, weshalb er den Kern der Sache weit verfehlt. Durchaus nützlich ist Kognitive Hirnforschung hingegen, um sich einen kritischen Überblick über die Argumentation Gerhard Roths zu verschaffen. Hier hat Cechura gute Vorarbeit für diejenigen geleistet, die ernsthaft in die Debatte einsteigen wollen.
~Von Jakob Schmidt.
Suitbert Cechura: Kognitive Hirnforschung. Mythos einer naturwissenschaftlichen Theorie des menschlichen Verhaltens, VSA-Verlag, Hamburg 2008, 192 S., € 13,80.