Dass es natürlich kein richtiges Leben im Falschen geben könne, beeilt sich Friederike Habermann im Vorwort zu Halbinseln im Strom zu versichern. Trotzdem möchte sie in ihrem Buch Freiraumprojekte und Formen des Zusammenlebens vorstellen, in denen unter den Bedingungen des Kapitalismus schon mal etwas anderes ausprobiert würde. »Halbinseln« eben, also nicht außerhalb von allem, sondern nur graduell verschieden. Als Auswahlkriterium gilt ihr dabei neben dem emanzipatorischen Umgang mit Rassismus und Sexismus vor allem die Entfernung vom »kapitalistischen Denken«, das mit »Geld« und »Tauschlogik« charakterisiert wird. Ob das wirklich den Kapitalismus ausmacht und wie die vorgestellten Projekte ganz ohne Geld und Tauschlogik auskommen wollen, frage ich mich, und die Autorin ahnt wohl, dass sie mit ihrem Vorhaben diese und ähnliche Bedenken hervorrufen wird.
Jedenfalls grenzt sie sich im Vorwort ausführlich von der Vorstellung ab, man könne innerhalb des Kapitalismus bereits etwas völlig anderes aufbauen und relativiert den Anspruch an Freiraumprojekte, den Kapitalismus zu überwinden. Dazu seien sicherlich auch andere Protestformen nötigt, stellt sie fest, verteidigt aber das Bemühen um Freiräume mit dem Hinweis auf queere Theoriebildung, die sie in Teilen auf die Ökonomiekritik übertragen möchte. Mit Bezug auf das AutorInnen-Kollektiv Gibson-Graham lehnt sie eine binäre Gegenüberstellung von Kapitalismus und Antikapitalismus ab und optiert stattdessen für eine »kollektive Desidentifizierung mit dem Kapitalismus«, die verschiedenste Formen dessen möglich machen soll, was die Autorin als Gegenbegriff zum Kapitalismus »solidarisch wirtschaften« nennt. Sie räumt ein, dass vieles davon sich als Verlängerung der bestehenden Verhältnisse entpuppen werde, nimmt dies aber in Kauf, um »Koordinaten für die Praxis« aufzuspüren, und explizit kein Modell und keinen Plan. Im Laufe dieser Darstellung verweist sie auf ihre auch als Buch veröffentlichte Doktorarbeit Der homo oeconomicus und das Andere, in dem diese theoretischen Grundlagen weiter ausgeführt würden.
Das notierte ich mir erstmal für später, nachdem ich aus dem hier in Kürze Vorgestellte nicht recht schlau wurde. Im Hauptteil der Halbinseln im Strom geht es dann ausschließlich um verschiedenste Freiraumprojekte. Leider ist dabei erstens die Bandbreite des Vorgestellten so groß, dass die Auswahl dann doch ziemlich beliebig wirkt, von Food Coops über Tauschringe, besetzte Häuser, Landkommunen, genossenschaftliche Banken, Freie Universitäten und Wikipedia bis hin zu Mitfahrgelegenheiten und, jawohl, »Trampen«. Viele dieser Projekte verlassen sich übrigens auf öffentliche Förderung, sind also vom »kapitalistischen Denken« vielleicht weg, von der kapitalistischen Praxis aber dann doch nicht. Zweitens bleibt bei so vielen Beispielen nicht viel Platz für jedes einzelne, nämlich ein bis zwei überwiegend rein beschreibende Seiten. Auch wer ganz untheoretisch etwas über verschiedene Freiraumprojekte und Methoden alternativen Wirtschaftens erfahren möchte, ist mit Halbinseln gegen den Strom also schlecht bedient, dafür fallen die Beschreibungen zu knapp aus.
Interessanter ist da schon das bereits erwähnte Der homo oeconomicus und das Andere, in dem die Autorin ihr theoretisches Projekt einer Annäherung von marxistischer und queerer Ökonomiekritik unter Rückgriff auf Gramscis Hegemoniebegriff breiter ausführt. Habermann scheint, für mich überraschend, davon überzeugt, dass Kapitalismus in erster Linie bedeutet, wie bestimmte Vorstellungen über Dinge formuliert und gegenüber anderen Vorstellungen durchgesetzt würden, insbesondere »Identitäten«, also wie Leute zu sein haben und wie sie folglich nicht sein dürfen. Wer wem was bezahlt und wer über die Produktion bestimmt, findet sie dem gegenüber weniger wichtig, beziehungsweise soll das von den Begriffen, die man sich von Dingen macht, abhängen, und es entsteht der Eindruck, dass eine wirkungsvolle Kritik am Kapitalismus bei dessen Begrifflichkeiten beginnen müsste und auch über Begriffsarbeit zu führen sein.
Zugegeben, das ist etwas bösartig missverstanden, und natürlich verwehrt sich Habermann gegen allerlei platte Missverständnisse des Poststrukturalismus und bekräftigt zugleich, wie wichtig es sei, reale Ausbeutungsverhältnisse zu bekämpfen. Aber das erklärte Ziel, poststrukturalistische Diskusanalyse und marxistischen Materialismus zu versöhnen, verfehlt sie zumindest nach Lesart des Rezensenten eben doch. Lesenswert und informativ ist ihre anschließende Darstellung der Begriffsgeschichte des »homo oeconomicus« als Leitbild der Ökonomie trotzdem, ganz unabhängig vom eigenen theoretischen Standpunkt: als Streifzug durch die Ideologiegeschichte und das gemeinsame Entstehen von Ökonomie, Nationalstaaten und den modernen Begriffen von sex und race.
Fazit also: Halbinseln im Strom Finger weg, homo oeconomicus, ja, kann man durchaus lesen.
~Von Jasper Nicolaisen.
Friederike Habermann: Halbinseln gegen den Strom.
Anders leben und wirtschaften im Alltag.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2009, € 19,90.
Friederike Habermann: Der homo oeconomicus und das
Andere. Hegemonie, Identität und Emanzipation.
Nomos, Berlin 2008, € 44,00