Der Sammelband nimmt sich vor, »Begründungsvarianten und Legitimationsstrategien« der bürgerlichen Gesellschaft zu analysieren, die in »klassischen Beiträgen und aktuellen Debatten zur Anwendung kamen bzw. kommen, um so Kontinuitäten und Brüche im Diskurs der bürgerlichen Moderne sichtbar zu machen.« (7) Das Feld ist damit sehr weit gesteckt, es gibt viele Gelegenheiten, »bestimmte Argumentationsmuster« aufzuzeigen, »die entscheidende Kategorien unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit kritiklos aufnehmen – und ausgehend von diesen Grundlagen den Zusammenhang von Eigentum, Reichtum, Recht und Staat als unhintergehbaren Nexus der menschlichen Vergesellschaftung erscheinen lassen.« (7) Vollständigkeit wird nicht beansprucht und auch die Auswahl der jeweiligen besprochenen Autoren, Theorietraditionen und Diskussionszusammenhänge ergibt sich eher aus den Interessen der AutorInnen des Sammelbandes und nicht aus einer inhaltlichen Vorgabe. Dementsprechend bietet der Band auch keinen Überblick über die bürgerlichen Legitimationsstrategien und ist mehr für jene interessant, die sich speziell Auskunft über die einzelnen behandelten Themen versprechen.
Das ist durchaus ein Verlust, da es doch einiges versprochen hätte, wenn die Frage nach dem Zusammenhang von Theorieproduktion und Legitimationsstrategie insgesamt behandelt worden wäre. Allzu oft wird der ideologische Gehalt der behandelten Texte implizit vorausgesetzt und die Frage, ob es einen solchen gibt, gar nicht mehr gestellt. Einzig der Beitrag von Hanno Pahl und Lars Meyer wirft das Problem explizit auf und behandelt die Frage nach den Vorzügen bzw. Nachteilen der Systemtheorie von Luhmann und der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie nicht schon von vornherein als entschieden. Der theoretische Hintergrund aller anderen Beiträge ist die Marxsche Ideologiekritik in der Spielart der »Neuen Marx Lektüre«. Durch den Bezug auf Marx ist auch der im Untertitel angesprochene Zeitraum »Moderne« gerechtfertigt, die Klammer dieser Epoche ist die Geltung der Wertvergesellschaftung, also die Existenz kapitalistischer Gesellschaften. Für die frühbürgerlichen Vertragstheoretiker Hobbes und Locke, deren politische Philosophie in den Beiträgen von Ingo Elbe im Übrigen sehr kenntnisreich abgehandelt wird, ist diese Klammer ein Stück weit problematisch. Sie werden teilweise zu modern gelesen, denn es ist die Frage, ob Hobbes bei der Formulierung seiner Theorie tatsächlich »kapitalistisch vergesellschaftete Akteure« (42) vor Augen hatte. Ansonsten behandelt der Band John Lockes Begründung des Privateigentums durch Arbeit (Ingo Elbe). Jan Hoff expliziert die Begriffe von Reichtum und Wert in der klassischen politischen Ökonomie anhand von Petty, Smith und Ricardo. Henrik Wallat verteidigt in seinem Beitrag zu Nietzsche und dessen Ontologie der Herrschaft diesen gegen liberale Vereinnahmungen. Fabian Kettner behandelt Georg Simmels Philosophie des Geldes, wobei in diesem Beitrag die Frage nach einer Legitimation der bürgerlichen Gesellschaft nur noch am Rande eine Rolle spielt. Die Interpretation der Simmelschen Werttheorie weiß nicht an allen Stellen zu überzeugen und gerade an diesem Beitrag zeigt sich die Problematik, Marx als unhinterfragten Ausgangspunkt zu wählen. Simmel behandelt Fragen explizit, die Marx in seiner objektiven Formentheorie nicht mehr stellt, besonders jene nach der Rolle des Tausches beim Übergang vom subjektiven zum objektiven Wert. Bei Hans-Georg Büttners Text zur neoklassischen Preistheorie stellt sich bei der vernichtenden Kritik doch ein wenig die Frage, wie überhaupt jemand so blöd sein kann, Neoklassik zu betreiben. Gerhard Scheit führt in seinem Beitrag zu Hans Kelsen und Carl Schmitt, sowie deren Negierung des Individuums im Völkerrecht vorangegangene Arbeiten fort. Sven Ellmers Text zu John Rawls Liberalismus behandelt einen im englischsprachigen Raum im Bereich der politischen Philosophie ungeheuer einflussreichen Autor, der in einer außerakademischen deutschen Diskussion bisher so gut wie keine Rolle spielte. Sabine Nuss’ Beitrag zur Debatte um geistiges Eigentum in den Zeiten seiner unbegrenzten technischen Kopierbarkeit ist der einzige, der einen Diskurs aufgreift, der in einer politischen Öffentlichkeit aktuell breitere Wahrnehmung erfährt.
~Von Martin Eichler.
Ingo Elbe, Sven Ellmers (Hrsg.): Eigentum, Gesellschaftsvertrag, Staat. Begründungskonstellationen der Moderne, Westfälisches Dampfboot, Münster 2009, 342 S., € 39,90.