Der Band Zum aktuellen Stand des Immergleichen versammelt Texte zur gegenwärtigen Populärkultur, die im Sinne der im Vorwort dargelegten Kritik der Kulturindustrie aufzeigen, wie die Massenware Kultur sich in die Großwetterlage des kapitalistischen Deutschlands einfügt. Schwerpunkte sind dabei Fernsehen und in geringerem Maße Film: Es geht um Tatort, Star Trek, Desperate Housewives, Herr der Ringe, Matrix, CSI, King of Queens und zur Abwechslung auch mal um Beckett.
Leider kranken die Essays fast durch die Bank an zwei Defiziten, die dazu führen, dass beide Gegenstände, das jeweilige Kulturprodukt und die deutschen Verhältnisse, auf grandiose Weise verfehlt werden. Erstens: mangelndes Wissen über den und zu großer Distanz zum Gegenstand. Zweitens: mangelndes Verständnis für die Funktionsweise von Popkultur, vor allem für ihre aktiv aneignende Rezeption.
Ersteres äußert sich teils in sachlichen Falschdarstellungen, wie etwa der wiederholten Charakterisierung der Protagonistin des Films Transamerica als »Transvestit«, aber vor allem darin, dass die gewählten kulturindustriellen Gegenstände nur mit der Kneifzange angefasst werden. Ein bisschen, als hätten die AutorInnen das alles nur mit Kondomen über den Augen angeschaut, um sich nur ja keine Affirmativitis einzufangen. Daraus folgt Problem Nummer zwei, das mangelnden Verständnis für Rezeptionsarbeit, gepaart mit langwierigen, beschreibenden Passagen, z.B. über die Seriengeschichte von Star Trek, die im Stil einer anthropologischen Exkursion ins Herz der Finsternis gehalten sind. Den Trekkie lässt´s kalt, und diejenigen, die noch nie von Kirk und Spock gehört haben, verstehen hinterher auch nicht besser, worin das Faszinosum liegt.
Richtig ärgerlich ist aber, dass das Buch Filmen und Fernsehserien ständig eine kohärente Weltsicht nebst passender ideologischer Ausrichtung unterschieben möchte, der das Publikum hilflos ausgesetzt sei. Die analytische Bewegung geht dann so, dass die Brüche aufgesucht werden, in denen sich das Material scheinbar selbst untreu wird, um als Beweis dafür herzuhalten, dass es mit den vorgespiegelten menschenfreundlichen Werten nicht so weit her sei. Ha! Bei Star Trek gibt’s ja doch Geld, obwohl der Kapitalismus doch weg sein soll! Ho! Im Herrn der Ringe verbergen sich gerade bei den Guten Rassismen, deshalb gucken das auch Nazis so gerne!
Dass sich Popkultur überhaupt und Fernsehserien im Besonderen kein bisschen um Kohärenz oder klare ideologische Positionen scheren, sondern im Gegenteil wetterwendisch (und ganz und gar durch ihren Produktcharakter geprägt) je nach aktuellen Erfordernissen ihr fiktionales Universum auserzählen, wie´s ihnen gerade in den Kram passt; dass dies zwangsläufig Widersprüche und unkontrollierbare Bedeutungsüberschüsse produziert; dass sich die Fanrezeption demzufolge auf ganz unterschiedliche Elemente berufen kann, ja, dass Fans von Popkultur in diese beständig etwas hinein- und nur sehr begrenzt herauslesen; dass solche Phänomene ohne diese Aneignungsbewegungen gar nicht zu erfassen sind; dass diese kritisch, affirmativ oder sonst wie ausfallen können; und dass sich gerade aus diesem Spannungsverhältnis von Werk, Produktionsbedingungen, Gesellschaft und Rezeptionshaltung(en) möglicherweise etwas Interessantes über Film und Fernsehen sagen ließe – das kommt in diesem Buch leider nur am Rande vor. Warum z.B. wird etwa eine Serie wie Buffy the Vampire Slayer von FeministInnen, KommunistInnen und gänzlich unpolitischen Menschen geliebt, auch wenn und vielleicht gerade weil sie die Bedingungen des Fernsehens nicht unterläuft, sondern voll erfüllt?
Überhaupt ist der Großteil dieses Buchs weder neu noch provozierend. Dass Star Trek früher mal brisant-multikulti war und heute doof-multikulti, dass Matrix nicht wirklich systemkritisch ist, dass Desperate Housewives Subversiveres über die Familie zu sagen hat als so manche queere Abhandlung, das haben wir schon schöner gelesen und vor allem früher, jedenfalls, wenn wir Fans sind. Ein Sammelband zur Kulturindustrie sollte sich auf der Höhe der Diskussion bewegen, und die wird nun mal hauptsächlich vom ungewaschenen KonsumentInnenvolk betrieben.
Gerhard Scheit, ja, der weiß noch etwas Kluges zu sagen über Tatort, Beckett und den deutschsprachigen Raum. Trotzdem sind Zeit und Geld in einem Adornoband besser angelegt, oder noch besser in einer neuen Staffel der Lieblingsserie. Wie wär’s mit der letzten von Battlestar Galactica, in der dann doch Gott an allem schuld sein soll?
~Von Jasper Nicolaisen.
Karin Lederer (Hrsg.): Zum aktuellen Stand des Immergleichen. Dialektik der Kulturindustrie – vom Tatort zur Matrix. Verbrecher Verlag, Berlin, 2008, 224 S., € 15, 00.