Was haben wir sie gehasst, die bürgerliche Kleinfamilie samt ihrem staatlichen Rechtsgerüst, der Ehe! Wir haben sie gehasst als privaten Ort patriarchaler Rollenzuweisungen und häuslicher Gewalt, als zwangsheterosexuelle Reproduktionsstruktur im kapitalistischen Verwertungszusammenhang, als Staat im Staate und als miefiges Symbol der Langeweile spießbürgerlichen Lebens und psychologischer Katastrophen, und das war gut so! Aber steht das Feindbild noch? Wie weit befindet sich das traditionelle Ehe- und Familienmodell auf dem Rückzug aus einer flexibilisierten Gesellschaft im modernen Kapitalismus unter sozialdemokratischer Verwaltung? Auf parlamentarisch-politischer Ebene kam mit der Diskussion um die Homo-Ehe Bewegung in die familienpolitische Debatte. Die Einführung der Homo-Ehe, von der rot-grünen Koalition schon im Wahlkampf 1998 zum Thema gemacht, sorgte seitdem immer wieder für parlamentarische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen.
So scheint also dieses tiefverwurzelte Ressentiment seiner Überwindung nahe zu sein. Natürlich nicht bei den christlichen Unionsparteien. Aber immerhin die rot-grünen Regierungskoalition erweckt zur Zeit einigermaßen erfolgreich den Anschein, als halte sie Homophobie für unzeitgemäß . Neben der Ökosteuer, dem Ausstieg aus der Kernenergie, dem Wiedereinstieg in die Kriegführung und der halbherzigen Reformierung des Staatsbürgerschaftsrechts ist der Vorstoß zur Homo-Ehe eine ihrer wahrnehmbarsten politischen Initiativen. Und eine dankbare dazu, bei der sich die Koalition mal wirklich von den Unionsparteien absetzen kann. Denn in der identitären Bastion »Familienpolitik« bewegt sich bei den C-Parteien zum Thema Homo-Ehe nichts außer einer Generalmobilmachung dagegen. Weil die CDU/CSU ihre Zustimmung im Bundesrat verweigerte, hängt der zweite, zustimmungspflichtige Teil des Gesetzes nun im parlamentarischen Prozedere fest. Zudem reichte die bayerische Staatsregierung einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein, um auch den ersten, im Bundestag bereits im letzten Jahr beschlossenen Teil des Gesetzes zu stoppen. Dieser Teil soll bereits Anfang August in Kraft treten, obwohl wichtige Durchführungsbestimmungen im zweiten Teil enthalten sind.
Doch das Gesetz, gegen das CDU und CSU mobilisieren, ist weit entfernt davon, die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften mit der althergebrachten Institution Ehe zu verankern. Denn für Schwule und Lesben wurde ein eigenes Gesetz geschaffen, und zwar erklärtermaßen deswegen, um eine Gleichstellung mit der Ehe oder auch schlicht die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule zu verhindern. Das sogenannte Lebenspartnerschaftsgesetz ist damit das erste Sondergesetz für Homosexuelle seit dem bis in die 70er Jahre angewandten, erst Anfang der 90er Jahre endgültig abgeschafften Paragraphen 175 StGB, der Homosexualität unter Strafe stellte. Wenn auch in seiner repressiven Wirkung keineswegs vergleichbar mit dem Strafrechtsparagraphen 175, hat es als Sondergesetz für eine Minderheit ausgrenzenden Charakter, und es enthält zudem heiratswilligen Homosexuellen wesentliche Rechte der Ehe, wie die Witwenrente und die Möglichkeit zur gemeinsamen Adoption von Kindern, vor. Diese waren im Gesetzentwurf der Regierungskoalition gar nicht erst enthalten, wohingegen das Fehlen finanzieller, eheä h nliche Vergünstigungen bei gleichzeitiger Unterhaltspflicht auf das Konto der CDU/CSU im Bundesrat geht.
Zur Begründung für die Schaffung eines Sondergesetzes wird von der Sozialdemokratie angeführt, dass die Ehe unter dem besonderen Schutz der Grundgesetzes stehe. Das Bundesministerium der Justiz schreibt als Erläuterung zum rot-grünen Regierungsentwurf: »Die Ehe ist eine rechtlich und auch nach der Anschauung unserer Gesellschaft klar definierte Institution, die gem. Art. 6 GG unter dem besonderen Schutz des Staates steht. Sie umfasst die unter Einbeziehung der Sexualität auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, auch zum Zweck, gemeinsame Kinder zu haben und zu erziehen. Die Lebenspartnerschaft passt offensichtlich nicht in diese Definition. Sie ist etwas anderes.« Homepage des Bundesministeriums Weitere Erläuterungen zu dieser Andersartigkeit in Bezug auf das Haben und Erziehen von Kindern werden offenbar nicht für erforderlich gehalten, und so bleibt es den LeserInnen überlassen, den einzig möglichen Schluss zu ziehen und den biologischen Zeugungsakt als Kernstück der besonderen Schutzwürdigkeit der heterosexuellen Ehe zu identifizieren. Paradoxerweise wird gerade mit dieser biologistischen Begründung auch das gemeinsame Adoptionsrecht nicht in das Gesetz aufgenommen. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin findet die passenden Worte: »Gleichgeschlechtliche Sexualität ist eine dem Menschen vorgegebene Sexualität eigener Art. Die eingetragene Lebenspartnerschaft leitet sich nicht von der Ehe ab, sondern ist ein familienrechtliches Institut eigener Art. Bei der Ausgestaltung können (...) natürlich Regelungen des Eherechts Modell stehen, doch gilt das nicht für Regelungen, die sich auf Kinder beziehen. Daraus folgt, dass ein Adoptionsrecht im Hinblick auf das Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft selbst nicht in Frage kommt.« hinnerk - das schwule Magazin Nr. 1/00 Es stellt sich die Frage, wieso gerade die Regelungen, die sich auf Kinder beziehen, so entschieden ausgenommen werden, doch läßt sich mithilfe des oben ausgeführten zusammenreimen, was der Kern dessen ist, was sie verschämt verschweigt. Selbstverständlich können prinzipiell auch Unverheiratete Kinder adoptieren, doch haben Ehepaare bei weitem die besseren Chancen, und die geringsten Chancen haben Unverheiratete, die dazu noch homosexuell sind. Dennoch haben viele Schwule und Lesben Kinder, meist aus heterosexuellen früheren Beziehungen, und dies ist selbstverständlich nicht verboten. Es geht also in erster Linie um die Symbolkraft dieser Regelung, die definiert, was eine normale Familie und was andersartig bzw. von »eigener Art« ist. Angesichts des toleranten Gehabes der rot-grünen Koalition ist es einigermaßen dreist, mit Hilfe des Adoptionsrechts deutlich zu machen, was nicht so normal sein soll, dass es Kinder als Normallitä t erfahren dürften. Lieber mutet man Kindern zu, in normalen patriarchalen Kleinfamilien aufzuwachsen, in denen mithilfe des Ehegattensplittings die traditionelle Rollenaufteilung in Ernährer und Zuverdienerin, also die Hausfrauenehe (Hausmänner spielen zahlenmäßig keine Rolle), durch Steuererleichterungen gefördert wird. Aber wenigstens wurden sie dort ja staatlich geschützt gezeugt!
Offiziell propagiert die SPD Toleranz in der Familienpolitik. Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Welt vom 30. März 2000: »Die vielleicht wichtigste und großartigste Aufgabe jeder Gesellschaft ist es, Kinder großzuziehen. Wenn Menschen gezwungen sind, zwischen einem glücklichen Familienleben und einer erfolgreichen Karriere zu wählen, haben wir alle von vornherein verloren. (...) Heute aber brauchen wir ein neues Verständnis der Familie, das den gesellschaftlichen Wandel begreift und einbezieht.« An einer Aufrechterhaltung von geschlechtspezifischem Rollenverhalten, das möglicherweise hochqualifizierte Frauen von vornherein dem Arbeitsmarkt entzieht, hat die Sozialdemokratie kein Interesse. Doch soll ihnen auch die Hausfrauen- und Mutterrolle prinzipiell weiterhin offen stehen. Der selbsternannte Emanzipationsexperte Schröder: »Es ist völlig berechtigt und überhaupt kein Verrat an Emanzipation und Frauenbewegung, wenn sich Frauen dafür entscheiden, nicht erwerbstätig sein zu wollen, sondern sich auf unbezahlte Arbeit in Haus und Familie zu konzentrieren«, wo sie zudem in keiner Arbeitslosen-Statistik auftauchen. Es gehört nicht viel dazu, sich auszurechnen, dass diese »Entscheidung« vor allem von ihrer Qualifikation und Verwertbarkeit abhängen wird. Und nach wie vor ist die Familie, bei aller zur Schau getragenen Toleranz in der Form, unverzichtbar als privater Ort der Kindererziehung: »Wie auch immer die Familie in Zukunft aussehen mag, wir können als sicher unterstellen, dass es in 30 oder 40 Jahren noch Familien geben wird. Die sind dann vermutlich so verschieden, dass es sich verbietet, von Familie zu sprechen. Doch bei aller Vielfalt in ihren Formen wird Familie den einen Zweck vor allem behalten: Kindern ein soziales Netz zu bieten, in dem sie aufwachsen und sich entwickeln.« Und dann kommt er doch noch auf die traditionellste aller Formen der Familie zu sprechen: »Trotz aller Klagen über den ›Verfall‹ der Familie erfüllt sie diese Schlüsselfunktion übrigens ziemlich gut. 85 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren wachsen heute mit beiden Elternteilen auf. Das klingt angesichts der bekannten Scheidungsraten unglaublich. Doch am scheidungsfreudigsten sind nun einmal kinderlose Ehepaare und solche, deren Kinder erwachsen oder nahezu erwachsen sind.« Ganz klar: die traditionelle Kleinfamilie ist, wenn auch langfristig auf dem absteigenden Ast, in punkto Kinderproduktion immer noch das beste Pferd im Stall. Und Kinder sind für Staat und Standort unverzichtbar. Schröder blumig: »In der Familie fallen die für den späteren Lebensweg wichtigen Entscheidungen, eröffnen sich Chancen und Bildungsmöglichkeiten. (. . .) Wir müssen einen gerechten Ausgleich zwischen den Generationen schaffen, damit die Sicherheit für die Älteren nicht zur unbezahlbaren finanziellen Belastung der jungen Arbeitnehmer wird. Und geraden in diesem Zusammenhang ist die Familie von zentraler Bedeutung.« Die Familie im modernen Kapitalismus soll also flexibel Kinderproduktion und Arbeitsmarkterfordernisse unter einen Hut bringen. Aber es müssen doch noch irgendwie genügend Kinder am Ende dabei herauskommen! Und diesbezüglich sind Homo-Ehen für d ie Bundesregierung -noch - nicht interessant genug. Vielleicht ja in 30 bis 40 Jahren. Vielleicht ist bis dahin die Zeugung und Austragung von Kindern in gesellschaftlich bedeutsamem Ausmaß technologisiert und es bleibt der »Familie« nur noch die Aufgabe , plärrenden Säuglingen mit echter Liebe die Basisqualifikationen von Humankapital anzuerziehen.
Bei aller Kritik an der Halbherzigkeit, mit der der Forderung nach der Homo-Ehe begegnet wird, darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass diese Forderung auch unter den Lesben- und Schwulenzusammenhängen keineswegs so einheitlich erhoben wird, wie es vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und dessen Sprecher, dem grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck, gerne dargestellt wird. Nach wie vor gibt es Lesben und Schwule, die eine Perspektive entwickeln wollen, die jenseits der totalen Anpassung an das per Staat und Kirche zur Normalität geweihte Ehe- und Kleinfamilienmodell steht. Diejenigen Zusammenhänge, die sich gegen die Einführung der Homo-Ehe aussprachen, wurden von den Verhandlungen jedoch ausgeschlossen. In ihrer Kölner Erklärung werfen Homo-Gruppen aus Nordrhein-Westfalen dem LSVD vor, nur eine verschwindende Minderheit der Lesben und Schwulen zu vertreten, während ein groß er Teil der Bewegung der Ehe-Forderung kritisch bis ablehnend gegenüberstehe.
Christina Schenk, parteilose Bundestagsabgeordnete und frauenpolitische Sprecherin der PDS, plädiert für ein Konzept der Wahlverwandschaften: »Gefordert ist der gleiche Zugang für alle Menschen zu den bisher an die Ehe gebundenen Bürgerrechten - unabhängig davon, ob sie homo- oder heterosexuell sind, und genauso unabhängig davon, ob sie allein, zu zweit, zu dritt oder zu mehreren leben. Erst dann gibt es eine wirkliche Wahlfreiheit der Lebensformen.« Der Angehörigenstatus soll, unabhängig von der biologischen Familie, auf einen selbstgewählten Personenkreis angewandt werden dürfen, und damit auch die bisher daran gebundenen Rechte wie Zeugnisverweigerungsrecht, gemeinsames Adoptionsrecht, Aufenthaltsrecht für nichtdeutsche PartnerInnen, u. a., ohne allerdings die Möglichkeit der gemeinsamen Einkommensversteuerung (Ehegattensplitting) sowie die gegenseitige Unterhaltspflicht zu beinhalten, an deren Stelle die soziale Grundsicherung für jedeN treten soll. Dies bedeutet im Endeffekt nichts anderes als die Abschaffung der traditionellen Ehe einschließlich aller ihrer bisherigen Privilegien, da nun niemand mehr ein bestimmtes Lebensmodell wählen muss, um in den Genuss der Vergünstigungen zu kommen. Wie weit sie mit dieser Position allerdings der PDS-Basis voraus ist, sei einmal dahingestellt. Besser als die Forderung nach bloßer Teilhabe für Lesben und Schwule am traditionellen Ehemodell sind solche Forderungen allemal. Doch muss die Frage gestellt werden , ob diese sehr weitgehende Flexibilisierung der Lebensmodelle nicht vorgreifend gerade das ist, was ein moderner Kapitalismus benötigt. Gerade sehr flexible kleine Einheiten sind möglicherweise am besten in der Lage, die persönliche Reproduktion zu organisieren, aufeinander abzustimmen und dabei soziale Synergieeffekte zu nutzen. Der Zwang, sich den Lebensunterhalt auf die eine oder andere Art zu verdienen, wird seinen Einfluss auf die persönliche Ausgestaltung des Reproduktionszusammenhangs dennoch nicht verfehlen. Selbst eine noch so weitgehende Reformierung staatlicher Familienpolitik wird die gewünschte emanzipatorische Wirkung nicht erzielen, denn geschlechtsspezifische Zuschreibungen wirken auch ohne staatliche Absegnung sehr hartnäckig und subtil fort . Sie müssen aktiv bekämpft werden! Doch wie weit die Auflösung der Geschlechterrollen in einer Flexibiltät fordernden Gesellschaft möglich ist oder ob es zu einer Reaktivierung des lange erfolgreichen Modells der geschlechtsgebundenen Aufspaltung in Reproduktions- und Produktionsbereich kommen kann, ob sich die weiblichen und männlichen Rollenzuschreibungen innerhalb der Produktionssphäre zu gut verwerten lassen (»Frauen sind gut fürs Betriebsklima«), als dass sie sich auflösen könnten, bestimmt letztendlich der Markt. Und solange das Leben der Menschen bis in die Betten und tiefsten Geschlechteridentitäten kapitalistischen Verwertungszwängen unterworfen ist, bleibt Emanzipation ein hohler Begriff.
Es ist gut, wenn Homophobie und diskriminierende Strukturen zurückgedrängt werden. Aber für uns linke Ehe- und Familienhassende ist die Homo-Ehe und erst recht die eingetragene Lebenspartnerschaft noch lange kein Grund zur Entwarnung!
Phase 2 Göttingen