Kommunismus und Aufklärung haben eines gemeinsam: Die Versuche ihrer Verwirklichung konnten bislang nicht einmal ansatzweise die Erwartungen erfüllen, die ihre TheoretikerInnen in sie gesetzt haben. Das hindert weder die liberale noch die radikale Linke daran, beiden Begriffen auf dem Papier zu einer Renaissance zu verhelfen. Suhrkamp lässt Superstar Slavoj Zizek mit Lenin titeln, Campus mobilisiert mit Hunderttausenderauflagen gegen das kapitalistisch-biopolitische Empire, und die Bundesstiftung für politische Bildung finanziert einen Kommunismus-Kongress. Derweil löst unter immer mehr Flugblättern und Redebeiträgen ein gigantomanisch-minimalistisches "Für den Kommunismus!" die alten Parolen ab, und Aufklärungsverrat ist in weiten Kreisen zu einem schlimmeren Schimpfwort avanciert als seinerzeit der Reformismus. Der Bezug auf den Kommunismus in vielen linksradikalen Gruppen erweist sich bei näherem Hinsehen oftmals als verspätete Reaktion auf antideutsche Diskussionen. Während die einen so Diskussionsbereitschaft mit den "Theoriefraktionen" signalisieren, versuchen andere, den Klassenkampf in seiner postautonomen Form als "soziale Kämpfe" mit der Bezeichnung Kommunismus zu belegen.
Auch für viele bürgerliche Linke steht fest: die Rede vom Kommunismus ist "entkrampft" und der Begriff damit auch von seinem kämpferischen Charakter befreit. Das Ende der meisten realen Sozialismen mehr oder minder linker Prägung habe den Raum für freizügige Auslegungen dessen eröffnet, was "das Ende der Herrschaft des Menschen über den Menschen" sein könnte. Fortan könnte Kommunismus auch Radikaldemokratie bedeuten.
Aufklärung: Selbstanwendungsprobleme
Dem steht die (post-)linksradikale Hinwendung zur Aufklärung gegenüber, insbesondere in Form der Verteidigung der westlichen Zivilisation als Hort eben dieser. Dass antideutsche Kreise den Begriff der Aufklärung aber nicht allein und nicht in ihrem Sinne reklamieren können, ist erst kürzlich wieder sichtbar geworden. Old Europe hat die französisch-deutsche Freundschaft, verkörpert in den Philosophen Habermas und Derrida, ins Rennen geschickt, um die "aufklärerisch-pluralistischen Traditionen Europas" gegen den kapitalistischen Predator Amerika stark zu machen. Die bürgerliche Gesellschaft (genaugenommen ihre Mitte) macht hier erfolgreich ihren Anspruch auf etwas geltend, was als einer ihrer Gründungsmythen bezeichnet werden muss. Es sei dahingestellt, ob die Aufklärung diese zweifelhafte Ehre verdient hat. So oder so kulturalisiert Habermas sie sich zur Begründung einer europäischen Identität zurecht und steht damit durchaus in langer Diskurstradition. Wo früheren "AufklärerInnen" der Naturwüchsig-Wilde als zu zivilisierender erschien, sind es heute die hyperkapitalistischen AmerikanerInnen, die erzogen werden müssen.
Linke, die sich von der Aufklärung abwenden, begründen das dagegen nicht selten damit, dass sie eben ein westliches, weißes Konzept und noch dazu Leitideologie des Kolonialismus samt Folgewirkungen sei. Die Feststellung, dass die Aufklärung trotz gegenteiligen Anspruchs über weite Strecken kein Projekt der gesamten Menschheit war, sondern mit Rassismus problemlos verbindbar, ist notwendig. Sie rechtfertigt aber nicht das antiwestliche, antiaufklärerische Ressentiment, das sich in weiten Kreisen mit ihr verbindet. Es ist schlecht bestellt um die linke Rede von der Aufklärung: Entweder sie kehrt in die Mitte der Gesellschaft zurück, wie es einst die Philosophen der Frankfurter Schule taten, als sie ihre Verbundenheit zur Bundesrepublik erklärten. Oder ihr fällt nichts besseres ein, als das, was die Aufklärung als ihr anderes setzt, als eben solches anzunehmen und es zuweilen noch gar zum Potential des Widerstands umzudefinieren.Vgl. Phase 2 Berlin, After Dark, in: Phase 2.10. Die Kritik der basalen Kategorien der Aufklärung fällt dagegen eher dünn aus.
All diese Ab- und Hinwendungen von und zu Kommunismus und Aufklärung vollziehen sich gerade bei Linken weitgehend unter der Hand. Sukzessive werden die großen Begriffe ersetzt oder umdefiniert, die damit verbundene theoretische Arbeit wird - wenn überhaupt - im Nachhinein vollzogen. Dieser unschönen Diskussionstradition der Nachträglichkeit schließt sich diese Ausgabe der Phase 2 an. In fünf Schwerpunktartikeln möchten wir der Konjunktur der Begriffe Kommunismus und Aufklärung nachgehen und wenigstens ein paar Anregungen für die dringend benötigte Kritik der Kategorien geben.
Beziehungskrisen
Den historischen Rahmen für die Diskussion öffnet Gerrit Brüning in "Karl Marx, Vollender der Aufklärung". Er fragt danach, welche Verhältnisse die schillernden Begriffe Aufklärung und Kommunismus miteinander eingegangen sind. Brüning arbeitet die Ambivalenz einer Aufklärungskritik heraus, die ihrerzeit von Rousseau formuliert wurde. Rousseau erzählte die Geschichte der Zivilisation als eine der Entfernung von einem "glücklicheren Naturzustand". Diese Kritik ist jedoch kein reiner frühsozialistischer Romantizismus, sondern enthält auch Elemente der Selbstkritik der Aufklärung. Der Marxismus nahm die Ideale der Aufklärung auf und kritisierte die reale Verfasstheit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft gleichzeitig als eine, die ihnen nicht gerecht zu werden vermag. Zu den problematischen Aspekten gehört dabei insbesondere der marxistische Arbeitsbegriff, der immer wieder changiert: zwischen einer Hinwendung zur Arbeit - als vermeintlich zentralem Moment der Menschwerdung - und einem Hinausweisen über die Arbeit, wo sie als bestimmendes Element des "Reichs der Notwendigkeit" in Abgrenzung zum "Reich der Freiheit" gesetzt wird. Die Idee eines säkularen Glücksversprechens des Kommunismus im Diesseits ist in jedem Falle nicht zu knapp der Aufklärung geschuldet. Als deren eigentliche theoretische (nicht praktische) Vollendung kann der Marxismus gesehen werden. Damit beschreibt der Artikel jedoch vor allen Dingen die problematischen Erbteile aufklärerischen Denkens. Zumindest der Rousseausche Wunsch nach dem Herausarbeiten eines glücklicheren Naturzustands aus der Elendsgeschichte der Zivilisation lebt heute wohl eher im kulturalistischen Rassismus fort.
Wirkliche Bewegungen
Mit den unscharfen Grenzlinien des "wissenschaftlichen Marxismus" setzt sich Phase 2 Leipzig in "Die Wahrheit des Kommunismus" auseinander. Wie ist es um revolutionäre Potenz der Aufklärung bestellt? Die Neubewertung von Wissen nach aufklärerischen Kriterien, also nicht zuletzt die Einführung wissenschaftlicher Maßstäbe, war ihrer Zeit dazu geeignet, Herrschaft zu delegitimieren. In Form der Naturalisierung gesellschaftlicher Prozesse und Kategorien kommt diesen Maßstäben andererseits selbst ein ideologischer Charakter zu. Die Verabsolutierung gesellschaftlich produzierten Wissens zur überhistorischen Wahrheit kann gerade dazu beitragen, die Verhältnisse als ewig unveränderliche zu betrachten. Gegen einen solchen Wahrheitsbegriff weist Phase 2 Leipzig darauf hin, dass gerade in der Kritik der wirklichen Verhältnisse des Kapitalismus dessen spezifische Historizität in Betracht gezogen werden muss. Der "wissenschaftliche Marxismus" beharrt auf der Objektivität seiner Kategorien - aber diese gilt nur insofern, als diese Kategorien als Kritik des Kapitalismus entwickelt worden sind und vor diesem Hintergrund ihre Gültigkeit haben. Eben deshalb wird die Kategorie der wissenschaftlichen Wahrheit des Marxismus dann problematisch, wenn sie in den Dienst des Aufbaus des Kommunismus gestellt werden soll.
Gegen den Vorwurf, ein derart "postmoderner" Relativismus verstelle letztlich den klaren Blick auf unbestreitbare historische Tatsachen, insbesondere auf die der Shoah, führt Phase 2 Leipzig ins Feld, dass man nur im Kontext die Bedeutung von Ereignissen als etwas erfassen kann, das über reine Faktizität hinausgeht. Anders gesagt: die Wirklichkeit von Auschwitz kann nicht anhand der Frage des Vorhandenseins von Abzugsklappen diskutiert werden.
Brüning bezieht die Ideale des Kommunismus also aus der Aufklärung und Phase 2 Leipzig entwickelt den Begriff des Kommunismus negativ an der Kritik des Kapitalismus. Dagegen plädiert Katja Diefenbach im Interview mit Phase 2 Berlin dafür, genau diese Vorstellung von Geschichte zurükzuweisen, in der der Kapitalismus als dialektisches Drama erscheint, das gemäß einer einzigen, beherrschenden Logik in Richtung Kommunismus oder Untergang prozessiert. Ein solcher Bezug auf das Glücksversprechen als Nachfolger aus einer total gedachten, vorhergehenden Ordnung falle immer auf die eine oder andere Art in Geschichtsteleologie zurück. Gegen die Entwicklungslogik klassischer Marxismen und ihre pessimistische Wendung in der kritischen Theorie betont sie die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher, das Gesellschaftliche strukturierender Rationalitäten. Es geht demnach um das neben- und ineinander ungleichzeitiger, nicht entwicklungslogischer Strukturen und Momente, die nicht in einer großen Meisterzählung vereinigt werden können. Die Frage, was politisch ist und was radikale Kritik bedeutet, muss an jeder spezifischen Formation erneut verhandelt werden. So lässt sich der Kommunismus dann auch nicht nur als Einlösung bürgerlicher Glücksversprechen denken. Beispielhaft dafür lässt sich auch die neuerdings wieder viel diskutierte Figur der "messianischen Erwartung" von Walter Benjamin als Drängen zum Kommunismus lesen. Diese Figur erscheint als möglicher Teil einer aktuellen kommunistischen Perspektive, obwohl sie sich aus Motiven speist, die der Aufklärung vorausgegangen sind. Damit ist allerdings noch lange nicht gesagt, ob und welche emanzipatorischen Momente diese Figur in den aktuellen Verhältnissen beinhaltet oder entwickeln kann - im schlechtesten Fall lässt sie sich wohl im linksradikalen Bewegungsfetischismus vorfinden, der noch in jedem Globalisierungsprotest das Rettende sucht.
Am Ende der Gewalt
Zurück also zur radikalen Linken, denn "Keine Revolution ist auch keine Lösung". Das meint zumindest Max Törleß von der Phase 2 Göttingen, wenn er sich der Frage widmet, wann und warum der Bezug aufs Revoltieren suspekt wurde und dem fernen Versprechen der herrschaftsfreien Gesellschaft wich. Der Bezug aufs Revoltieren wird hier mit der orthodox-marxistischen Annahme in Verbindung gebracht, es gäbe ein revolutionäres (Klassen-)Subjekt, das nur seine Lage erkennend "zu sich" kommen müsse, um so die Verhältnisse umzustürzen. Diese Vorstellung lebt auch in autonomen Kämpfen fort, insofern sie dem rebellischen Impuls eine prinzipiell befreiende Wirkung zuschreiben. Egal, ob das revolutionäre Subjekt nun aus ArbeiterInnen, Kolonisierten oder biopolitischen UnternehmerInnen besteht, wenn es sich erst mal aufrafft, endlich die Verhältnisse umzustürzen, wird schon das Gute dabei herauskommen. Gegen diese Auffassung vom revolutionären Subjekt steht maßgeblich die Ideologiekritik. Sie macht darauf aufmerksam, dass die spontanen Impulse der im zeitgenössischen Kapitalismus Subjekt gewordenen in aller Regel nicht besonders emanzipatorisch sind. Das aktuelle Misstrauen gegen den revolutionistischen Reflex ist berechtigt. Da erscheint es allemal sicherer, das Fernziel Kommunismus anzuführen, für dessen Einlösung die Massen in absehbarer Zeit nicht bereitstehen. Der Verlust eines positiven Revolutionsbezugs wirft jedoch die Frage auf, wie die fundamentale Veränderung der Verhältnisse, mag sie auch noch so fern sein, ins Auge gefasst werden kann.
Joachim Bruhn betont schließlich in "Metaphysik der Klasse", dass der Zeitpunkt für die Revolution längst verpasst ist. Zentral für diese Aussage ist der fundamentale Einschnitt, den der Nationalsozialismus für eine Geschichte bedeutet, die viele davon unbeeindruckt als eine der Klassenkämpfe sehen möchten. Diese geschichtsvergessene Vorstellung kritisiert er insbesondere am Artikel "Unkritische Theorie" von Felix Baum in Phase 2.11, der eine Rethematisierung der ArbeiterInnen als Klassensubjekte gefordert hatte. Baums Vorstellung, dass in den ArbeiterInnen die "Ware Arbeitskraft" in ihrer "ganzen Subjektivität" vorliege, weist Bruhn zurück. In dieser Vorstellung geht ihm zufolge jeder kritische Bezug auf die Vermittlung der Ware Arbeitskraft als gesellschaftliche verloren, die Differenz zwischen dem Subjekt und seiner Verwertung wird dadurch unsichtbar - die Klasse gerät zum metaphysischen Subjekt. Das Subjekt der Arbeiterklasse ist aber nach Bruhn nicht Ausdruck eines ahistorischen Kapitalverhältnisses, wodurch es sich nach wie vor als "potentiell widerständiges" verstehen ließe - vielmehr macht die Arbeit längst aus Prinzip Einheitsfront mit Deutschland. Die Revolution kann damit keine Sache des Proletariats mehr sein.
Die Diskussion von Kommunismus und Aufklärung bleibt an die gesellschaftlichen Verhältnisse gebunden, in denen oder gegen die sie geführt wird - und genau diese Rückbindung ist auch nötig, damit die Begriffe nicht zu einem rein normativen Vorschriftenkatalog erstarren.
Phase 2 Berlin