Nach Verlautbarungen antimilitaristischer Gruppen der Antikriegsbewegung besteht die Hauptgefahr der politischen Entwicklung nach dem Irak-Krieg in einem Militarisierungskurs Kerneuropas, der in einem neuen Rüstungswettlauf mit den USA und einer gefährlichen Konfliktdynamik zwischen den amerikanischen und europäischen Konkurrenzmächten mündet. Eine Sichtweise, die doppelt problematisch ist.
Für die Ablehnung einer sich Schritt für Schritt normalisierenden Militär- und Kriegslogik braucht es nicht den worst case einer potentiell gegen die USA einsetzbaren EU-Armee. Der instrumentelle Charakter deutscher Machtpolitik lässt sich auch ohne die Beschwörung dieses Horrorszenarios offen legen. Darüber hinaus zeigt sich, dass aus einer Perspektive, die sich ausschließlich auf die militärisch-konfrontativen Entwicklungspfade fokussiert, weder eine Kritik an den variablen deutschen Machtprojektionen noch an den dazugehörigen nationalen Identifikationsprojekten zu leisten ist. Aus antimilitaristischen Blickwinkel muss der dritte Weg zu deutscher Weltgeltung, das alternative Konzept »Zivilmacht«, fast zwangsläufig als bündnisfähig erscheinen.
Deutschland wünscht sich was
Angesichts der Forderungen nach einer schlagkräftigen europäischen Armee, die unabhängig von den USA agieren kann, und in Anbetracht der kerneuropäischen Pläne für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsunion scheint die kampfbereite EU-Gegenmacht auf den ersten Blick ein kurz vor der Realisierung stehendes und damit um so gefährlicheres Szenario zu sein. Gefährlich ist es wohl, aber ebenso von der Wirklichkeit ein gutes Stück entfernt. Die herausposaunten Ankündigungen einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik relativieren sich bei einem Blick auf die materielle Ausganglage als auch bei der Bewertung der innenpolitischen Stimmungslage. Ohne es im Detail zu wiederholen(2), sowohl der innereuropäische Interessengegensatz, die haushaltspolitischen Restriktionen in Folge der Krise als auch eine weiterhin bestehende und auf wirtschaftlichen Verflechtungen aufbauende Kooperationsbereitschaft im transatlantischen Verhältnis halten den europäischen Aufstand in Grenzen.
Was nicht heißt, dass die wütenden Proklamationen einer Militärgegenmacht keinen Aussagewert haben. So wie die Bereitschaft Deutschlands steigt, im Konfliktfall die Interessen gegen die weltpolitische Vormacht durchsetzen zu wollen, so wächst auch die Akzeptanz für die Variante der Außenpolitik, die in entsprechenden Situationen auf ein ebenbürtiges Militärpotential verweisen oder gar zurückgreifen könnte. Wenn in der Konkurrenzsituation an vorderster Front die rot-grüne Regierung zu den Waffen ruft, muss dies allerdings auch als ein ideologisches Substrat zur Überwindung der Wirklichkeit interpretiert werden. In der Realpolitik wird parallel dazu zum politischen Pragmatismus zurückgekehrt. Wurde noch während des Irakkrieges die deutsche Haltung als deutliches Zeichen für den Anfang vom Ende des transatlantischen Bündnisses interpretiert, spricht die von Deutschland forcierte Stärkung der NATO, die auch auf Betreiben Berlins de facto die Führung der ISAF in Afghanistan übertragen bekommt, eine andere Sprache.
Sicher, während des Brüssler Pralinengipfels einigten sich mit Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien wieder einmal europäische Staaten auf die Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten. Ein Aktionismus, dessen Folgen noch nicht abzusehen sind, wie die Geschichte der Bemühungen um eine stärkere europäische Militärmacht zeigt. Mit sanftem Humor erinnert der Kolumnist der Washington Post und ehemalige Mitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums Robert Kagan an die Episode, als der belgische Außenminister vor etwa zwei Jahren vorschlug, die europäische Armee solle sich einfach einsatzbereit erklären, auch wenn die tatsächliche Fähigkeit für einen solchen Schritt nicht vorhanden war.(3)
Auch die Strategen der deutschen Außenpolitik wissen, dass die Kreuzung lahmer Gäule kein Rennpferd macht, mithin ohne Briten, Spanier, Italiener sowie die osteuropäischen Beitrittskandidaten eine konkurrenzfähige Militärmacht Europa nicht zu machen ist. Mit welcher Konsequenz sich an die Umsetzung der Brüssler Beschlüsse gemacht wird, bleibt derzeit noch unklar. In der FAZ, in der tagtäglich gegen das »abenteuerliche« Kerneuropa-Konzept angeschrieben wird, vermutete ein Kommentator, mit den Vereinbarungen einer verstärkten Zusammenarbeit in Sachen Militärpolitik wurde nicht viel mehr als geduldiges Papier beschrieben.(4) Selbstverständlich eine Prognose, die aus dem anhaltenden Leiden rührt, das die militärische Mindermacht Deutschland bei der konservativen Opposition verursacht. Aber doch auch charakteristisch für die bis zu den Liberalen und WirtschaftsvertreterInnen reichende Stimmung, man müsse sich nun mit der USA und ihren europäischen Koalitionären wieder arrangieren, um nicht weiter als weltpolitischer Looser dazustehen.
Vieles spricht dafür, dass sich Deutschland demnächst wieder stärker an der atlantischen Option, die auf Interessenpolitik und Ressourcenerweiterung im Fahrwasser der USA setzt, orientieren wird. Im Entwurf der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) wird die transatlantische Partnerschaft als »Fundament der Sicherheitsarchitektur im euroatlantischen Rahmen« betont.(5)
Manche werden vermuten, es handele sich hier um Lippenbekenntnisse, oder eine Art öffentliches Ablenkungsmanöver. Einen Hinweis darauf, dass damit eine durchaus substantielle Maxime beschrieben ist, bekommt man beim Vergleich mit den außenpolitischen Leitlinien, die der CDU-Vorstand unlängst beschlossen hat. Auch hier wird die transatlantische Partnerschaft als »Grundaxiom deutscher Außenpolitik« beschworen, dazu gleichzeitig auf den Hintergrund dieser Festlegung verwiesen: »Die Europäische Union und die USA sind weltweit die mit Handel und Investitionen am stärksten verflochtenen und damit auch am weitesten aufeinander angewiesenen Wirtschaftsräume. Daher ist jeder Versuch, Europa gegen die USA zu einen, zum Scheitern verurteilt. Wer Europa gegen Amerika positionieren möchte, spaltet es. Ein starkes und einiges Europa, das sich im eigenen Interesse als atlantischer Partner versteht, vermag zur Bewältigung der gemeinsamen Herausforderungen, vor denen der Westen steht, in weit bedeutenderem Maße beizutragen.«(6)
Weder der Entwurf der VPR noch die Programmatik der CDU enthalten eine Absage an eine gemeinsame europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Diese sei dringend notwendig, wird allerdings dem Kräfteverhältnis sowie der ökonomischen und gesamt-sicherheitsimperialistischen Interessenlage angepasst.
Die Wege zur deutschen Machtgeltung sind vielseitig. Sicher ist nur, dass sie je nach Lage gegangen werden. Ein Grund für die Linke, sie gegeneinander zu diskutieren, ist das nicht.
Wer mit wem
Der Krieg ist vorbei. Bis zum nächsten transatlantischen Interessenkonflikt ist erst mal wieder Entspannung angesagt. Folge: Die Friedensbewegung, oder besser: dieses zivilgesellschaftliche Sammelsurium von AktivbürgerInnen, das immer dann Fahne oder Kerze bei Fuß steht, wenn Deutschland der Welt etwas mit Nachdruck zu sagen hat, wird nach Hause geschickt. Übrig bleibt ein Häuflein PazifistInnen und linke AntimilitaristInnen. Statt einer kritischen Reflexion ihrer Bündnispolitik in den vergangenen Monate versuchen sie sich an einer Mobilisierung gegen die EU-Militärmacht, begleitet von der Hoffnung, dass sich an die Politisierung in Folge der Antikriegsproteste anschließen ließe.
In der Wochenzeitung Jungle World ruft der Mitarbeiter der Tübinger Informationsstelle Militarisierung, Tobias Pflüger, zum Widerstand gegen die Herausbildung einer europäischen Gegenmacht.(7) Für ihn ist das Gerede rot-grüner PolitikerInnen von der »Friedensmacht Europa« nur eine andere Form des »Eurochauvinismus«, dem die Sympathie antiamerikanischer Kreise sicher ist. Nur die wenigsten Gruppen innerhalb der Antikriegsbewegung haben so prononciert wie die Tübinger IMI gegen deutsche Machtambitionen Position bezogen. Die Aufweichung der Programmatik zu Gunsten von Massenkompatibilität und Handlungsfähigkeit ist bei ihnen nicht kalkuliert. Pflüger und die IMI sind für das gesamte Spektrum der Antikriegsproteste alles andere als repräsentativ. Insofern handelt es sich um ein schlechtes Beispiel. Es ist trotzdem gut genug. Pflüger plädiert für »ein internationales Bündnis von Anti-Kriegs- und Friedensbewegung, globalisierungskritischer Bewegung, Sozialbewegungen, linken Gewerkschaften, linken kirchlichen Gruppen und Umweltbewegung gegen permanenten Krieg, Sozialabbau, Aufrüstung und die derzeitige Form der Globalisierung«. Da soll was bewegt werden. Dies ist kein Grund für Denunziation, aber auch keiner für Entlastung. Das konzipierte Bündnis, das sich wohl kaum in einer anderen Form materialisieren dürfte als in der, die unlängst auf den Straßen und Medienkanälen zu besichtigen war, lädt genau jene Kräfte zur politischen Kooperation, die erstens offen für Antiamerikanismus und nationalistische Identifikationen sind und zweitens sowieso schon mit ihren Positionen die öffentliche Wahrnehmung dominieren. Mit offenen Armen werden diejenigen empfangen, die mindestens dafür sorgen, dass die eigene Gesellschaftskritik unkenntlich wird.
Zur Beweisführung: Auf der angeblich auch intern kritisierten Friedenstour von Attac wurde Israel zum wahren Schurkenstaat stilisiert und die »heroischen Kämpfer der Intifada« begrüßt. Während des Gastspiels in Berlin referierte Hans-Christian Ströbele über die »Hoffnung vieler, wenn nicht der meisten Völker«, die sich auf Deutschland und Frankreich richten und wünschte sich die Unterstützung dieser Regierungen. Ein Einzelfall? Vielleicht nicht verallgemeinerbar?
Wie steht es mit den Statements von Oskar Lafontaine, dem prominentesten deutschen Globalisierungsgegner? Das Phänomen, das ihn zum Widerspruch reizt, erklärt er sich als »Vordringen der amerikanischen Vorherrschaft und Lebensweise auf dem Erdball«.(8) Zu zügeln sei es nur durch die Unterwerfung der USA unter internationales Recht. Folgerichtig forderte der Attacler auf einer Friedensdemo in Saarbrücken die Entsendung von UN-Inspekteuren in die USA. Ein Vorschlag, der ebenso wie die Rechtfertigung des Jugoslawienkrieges von den anwesenden DemonstrantInnen mit viel Beifall bedacht wurde.(9) Ein Fall von Lokalkolorit?
Wir müssen an dieser Stelle nicht so tun, als stünde die Diagnose noch aus. Die antiamerikanischen Einzelfälle waren die Regel. In aller erster Linie gilt dies für die Form des Antiamerikanismus, die sich mit deutsch-europäischen Gegenmachtidentifikationen verknüpft. Mit jedem Tag, an dem sich die Friedensbewegung öffentlich präsentierte, wurde deutlicher, dass sie für die Linke nicht zur umworbenen Bündnispartnerin, sondern zum Fall für politische Abgrenzung gerät.
Was tun mit Zivi Johannes? Oder: Die schönste Jugend ist verloren
Die Hoffnung antimilitaristischer Linker, an einer zunächst moralisch inspirierten Antikriegshaltung ansetzen zu können, um sie in eine grundlegendere, richtige oder einfach nur aufgeklärtere Kritik umwandeln zu können, beruht auf einer angenommenen politischen Unschuldsvermutung gegenüber den Haltungen der meisten FriedensdemonstrantInnen.
Im Prinzip ein Politisierungsansatz, der bis heute für viele Postantifa-Gruppen eine zielbestimmende Rolle einnimmt. War er früher oft Grundlage antifaschistischer Jugendarbeit und popantifaschistischer Events, begründet er heute das »Hineinwirken« in die Antikriegs- und globalisierungskritische Bewegung. Paradigmatisch wird diese Herangehensweise von der Antifa K aus Köln vertreten, die sich nicht gegen die (Antiglobalisierungs-)Bewegung in ihrer Gesamtheit stellen möchte, sondern versucht »Inhalte zu radikalisieren und eine Art ›rebellisches Bewusstsein‹ mit anzuschieben«.(10) Ein nachvollziehbares Ziel und deshalb ein Grund mehr, das Plädoyer für die Abkehr von diesem Politikstil auf eine sachliche Argumentationsbasis zu stellen.
Wir suchen Rat beim Soziologen. Dieter Rucht, Leiter der Arbeitsgruppe »Politische Öffentlichkeit und Mobilisierung« am Wissenschaftszentrum Berlin, hat die gesellschaftliche Formation »Antikriegsbewegung« nach wissenschaftlichen Maßstäben untersucht.(11) Seine Erkenntnisse entsprechen weder einem angesichts der kapitalistischen Wirklichkeit »diffus geäußerten Unwohlsein« (Antifa K), noch einem rebellischen Anfangszustand, an dem linke Agitation ansetzen könnte. Im Großen und Ganzen handelt es sich bei den DemonstrantInnen um eine Schicht mit überdurchschnittlichem Bildungsstand. Die absolute Mehrzahl gehört zu den wählenden AnhängerInnen der Grünen, der SPD und der PDS. Ihre politische Zuordnung zum linken Meinungsspektrum ist weniger eine diffuse Selbstüberschätzung, vielmehr handelt es sich um einen ebenso ausgeprägten wie handlungsrelevanten Irrtum. Laut Studie sind die Befragten in hohem Maße politisch interessiert und aktiv. Drei Viertel von ihnen bekunden ihre Sympathien für die globalisierungskritische Bewegung. Zwar sind Jugendliche und junge Erwachsene überrepräsentiert, politisch unbedarft sind sie nicht. Wenn sich Rebellion und Unmut aus den Ergebnissen der Studie herauslesen lässt, dann entspricht sie noch am ehesten dem Aufbäumen des Haustiers im Hamsterrad. Mit den Worten Ruchts: »Dennoch handelt es sich bei den Demonstranten nicht um eine Ansammlung von Skeptikern. Lediglich 15 Prozent sind ›überhaupt nicht zufrieden‹ mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland. Die durchaus vorhandene Akzeptanz des politischen Systems paart sich mit einem außergewöhnlichen Misstrauen gegenüber Parteien und Politikern.« Um welchen Grad »außergewöhnlichen Misstrauens« es sich dabei handelt, erklärt der nächste unschöne Ergebniswert. Knapp siebzig Prozent der Befragten zeigen sich mit den Anstrengungen der Regierung, den Krieg zu verhindern, zufrieden.
Wem die desillusionierenden Befunde des Berliner Wissenschaftlers aufgrund der quantitativen Analyseapparatur inhaltlich zu wenig aussagekräftig erscheinen, der kann sich mit Hilfe eines Beitrages in der Zeit, der auf einer klassisch qualitativen Untersuchungsmethode beruht, ein kompakteres Bild machen.(12) Mit hundert SchülerInnen und Zivis hatte die Autorin Susanne Gaschke gesprochen. Ihr Ziel war es, dem Motivationshintergrund der jugendlichen AntikriegsaktivistInnen nachzuspüren. Um die »Gefühle der Mehrheit« auszudrücken, lässt sie die 17-jährige Gesamtschülerin Signe zu Wort kommen: »Ich bin froh, dass wir eine Regierung haben, die auch mal nein sagt zu Amerika, die der eigenen Meinung treu bleibt und sich nicht beeinflussen lässt.« Auch Jens aus dem Geschichtsleistungskurs hat aufgepasst: »Die Amerikaner haben das Völkerrecht auf miese Weise gebrochen. Sie haben die ganze Arroganz ihrer Macht gezeigt und die UN wie ein Schülerparlament behandelt.«
Vielleicht können sie und die anderen im Beitrag zitierten Jugendlichen nichts dafür, haben eine schlimme Kindheit, am Ende ist die Mutter Studienrätin und der Vater zwingt schon seit Jahren zu Biokost. Es mag sein, dass da jemand Souffliertes spricht. Das kann vorbeigehen, sicherlich. Aber wie die Dummheit bemerken, woher anderes nehmen, wenn niemand richtig wiederspricht? Das jenes Gesagte die Definition des absoluten Gegenteils von Rebellion sein muss, ein Fall für linken Widerspruch oder Beileid, falls diese Einstellung auf einen halbwegs unpolitischen Lebensentwurf hinausläuft, verdeutlicht die Zeit-Autorin. Sie adelt den staatskonformen Antiamerikanismus zum Maßstab zivilgesellschaftlicher Demokratiefähigkeit in Deutschland. Endlich »finden deutsche Jugendliche augenscheinlich zum ersten Mal einen Weg, stolz auf ihr Land sein zu können in der ideologisch einigermaßen unverdächtigen Friedensfrage. Zivi Johannes sieht jedenfalls in der gegenwärtigen Außenpolitik Chancen für eine neue Souveränität.«
Weil ihr das eigene Gütesiegel zu gering für so eine ganz und gar nicht mehr politikverdrossene Jugend erscheint, lässt sie ihr vom Kasseler Soziologen Heinz Bude eine »moralische Höherentwicklung« und vom Politikwissenschaftler Claus Leggewie den unvermeidlichen und allen Aussagen trotzenden Persilschein in Sachen Antiamerikanismus attestieren.
Schon diese Lobhudelei wäre ein Grund für Abgrenzung. Der inhaltliche Begründungszusammenhang macht sie absolut notwendig. Eine Radikalisierung des Protestpotentials mag es, wird es demnächst auf ein Neues mobilisiert, geben. Allerdings keine linke. Vielmehr als für aufklärende Anknüpfung ist das beschriebene Potential ein Grund für politische Polarisierung. Die marginalisierte Linke trifft nicht auf eine widerständige und aufnahmebereite Jugend- und Protestbewegung sondern auf ein nationales Identifikationsprojekt Zivilgesellschaft. Die Chance, hier durch Hineinwirken, Bündnispolitik, kritisches Begleiten ein paar Leute abzuwerben, ist gering. Kaum vorstellbar, das die linke Position in der Masse der Idioten überhaupt wahrnehmbar ist. In konkret plädierte Thomas Ebermann kurz vor Beginn des Irakkrieges für eine Spaltung.(13) Auf der einen Seite diejenigen, die Schröder und Fischer den Rücken stärken, auf der andere jene, die keine deutschen Regierungsleute und AntisemitInnen in den eigenen Reihen dulden wollen. In Leipzig gab es welche, die haben es probiert. Von der anfänglichen Freude über 500 TeilnehmerInnen, die unter linken Losungen gegen Krieg, Antiamerikanismus und »deutsche Wege« demonstrierten, blieb die Ernüchterung, als sich bis auf die OrganisatorInnen der gesamte Demonstrationszug in den Aufmarsch der deutschen Friedenfreunde einreihte, um in der Nähe des amerikanischen Konsulats vom Bürgermeister Tiefensee, Mitglied der Kriegstreiberpartei SPD, demokratische Tugendhaftigkeit attestiert zu bekommen.
Zumindest ein Hinweis darauf, dass die zivilgesellschaftliche Formation sich nicht nur gegen linke Anknüpfungsversuche sperrt, sondern die Bewegungsdynamik eher schon in Richtung Konformismus und politischer Regression vonstatten geht.
Die Wahl der Waffen
Nur Antimilitarismus schützt vor Vereinnahmung nicht. Nicht selten wird er zum Ticket für die Reise in die Zivilgesellschaft. Und eh man sich versieht, ist aus einer linken Grundüberzeugung eine Chiffre für alternativ vorgetragene deutsch-europäische Machtansprüche geworden. Die Grenzen zwischen linken AktivistInnen und regierungsnahen StrategInnen sind, die Antikriegsbewegung hat es erneut gezeigt, fließend.
Tobias Pflüger, der linke Antimilitarist aus Tübingen schwärmte über den Friedensparteitag der PDS, auf dem er als Gastredner teilnahm, mit den Worten: »Bei diesen guten Reden heute, könnte man sich fast wohl fühlen in der PDS.« Glaubt man Presseberichten, die über das Ereignis berichten(14), überfällt einen das große Gruseln. Die scheidende Parteivorsitzende solidarisiert sich mit einer Friedensbewegung, die von der PDS bis zum Papst, vom CSU-Mann Gauweiler bis zu Frankreichs Präsidenten Chirac reiche. Der Politikwissenschaftler Elmar Altvater plädiert für eine europäische Antwort auf die US-Militärintervention im Irak. Statt unterwürfig wie Satrapen mitzumachen, sollten die EuropäerInnen selbstbewusst auftreten und gleich mal im Rahmen der Uno eine Vorreiterrolle übernehmen. Auch der friedenspolitische Sprecher des PDS-Vorstandes, Wolfgang Gehrke, machte auf Missionar. Deutsche Außenpolitik müsse Friedenpolitik sein, weshalb die Zivilmacht Europa zu verwirklichen sei. Dies gehe natürlich nicht ohne Emanzipation von den USA.
Deutsche Außenpolitik ist Friedenpolitik, das ist so fundamental oppositionell, dass es seit Jahren im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien steht. Gilt die PDS-Mitgliedschaft noch hier und da als Makel, der vor zu viel Regierungsnähe schützt, haben FriedensforscherInnen und -aktivistInnen überall einen guten Ruf. Der Planungsstab des Auswärtigen Amtes baut auf seinen Arbeitskreis Friedensforschung, und die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die das Zusammengehen von außerparlamentarischen Initiativen, Wissenschaft und Regierungsberatung organisiert, hängt am finanziellen Tropf der Regierung. Die Kooperation ist mehr als ein demokratisches Feigenblatt. Die institutionalisierte Zusammenarbeit hat eine inhaltliche Basis. Multilateralismus, Verregelung und Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, Wandel durch Handel, Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung, dies sind die Schlagwörter des Leitbildes »Zivilmacht Europa«. Sie können in den Verlautbarungen der Friedensbewegung ebenso wie in den Strategiepapieren des Außenministeriums gefunden werden. Für deutsch-europäische Expansionsgelüste ist »ziviles Krisenmanagement« ein Instrument unter vielen, mit dem Ziel »internationale Handlungsfähigkeit« zu stärken.(15) Dass es sich um ergänzende und nicht ausschließende Konzeptionen handelt, legt die Position der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik nahe. Diese fordert, dass »der breitgefächerte zivil-militärische Ansatz zum Markenzeichen künftiger EU-Sicherheitspolitik werden soll«.(16) Das Konzept ist nach viel Stirnrunzeln sowie schweren inneren Konflikten, die EntscheidungsträgerInnen quälen, offen für die Militärintervention. Vorm Marschbefehl Fischers Dackelfalten, das Bild ist bekannt. Inwiefern die VordenkerInnen leiden, sieht man im Fernsehen nicht. Bleibt der Fakt, dass MentorInnen der Friedensbewegung, wie der Mitbegründer der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Ernst-Otto Czempiel, intellektuelle WegbereiterInnen einer zivilgesellschaftlichen Kanonen statt Butter-Strömung sind, in der Antimilitarismus ins völlige Gegenteil umgepolt wird. Schon vor Jahren konzipierte er den Weg zu einer rundum handlungsfähigen europäischen Konkurrenzmacht über eine in Europa hegemoniale deutsch-französische Achse.(17)
Ein Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag sieht das Instrumentarium deutscher Interessenpolitik noch mit Scheuklappen. Die sitzen allerdings locker. Seine Forderung, die EU müsse auch weiterhin die »zivile Komponente« betonen, begründet der Friedensfundi butterweich. Denn nur so könne die Wirtschaftsmacht Europa ihre »Anziehungskraft für andere Regionen« behalten. Zudem könne man militärisch mit den USA nicht konkurrieren.(18)
Die Chiffren der Zivilmacht haben politische Karriere gemacht. Mit ihrer Hilfe wurde und wird auch weiterhin auf alternative Weise deutsch-europäisches Sendungsbewusstsein gegen den schnöden Machtrealismus der Supermacht USA positioniert. In vielen Bereichen deutscher Außenpolitik werden Bestandteile des Zivilmachtkonzepts umgesetzt. Aus Anerkennung deutscher Mindermacht und mit dem Ziel, den eigenen Einflussbereich auszubauen, sowie der amerikanischen Vormacht Fesseln anzulegen.
Mit den Werkzeugen antimilitaristischer Kritik lässt sich dieser deutsche Weg zur Gegenmacht Europa nicht demontieren. Vielmehr besteht die Gefahr, dass hier auch Linke Legitimationshilfen bereitstellen und zum aktiven Bestandteil eines nationalen Identifikationsprojektes werden.
Fuck Old Europe
Die Antikriegsbewegung war maßgeblicher Teil einer zyklisch wiederkehrenden nationalen Formierung. Entgegen der bewegungslinken Hoffnung, die wohl gleichzeitig Ausdruck von Naivität als auch Hinweis darauf ist, dass man sich mit den tristen Zuständen nicht anzufreunden gedenkt, musste ein Anknüpfen an sie scheitern. Mit Ende der Kriegshandlungen und Annäherung zwischen den transatlantischen Partnern wird der Großteil der regierungskonformen und nicht-antimilitaristischen Mobilisierung wieder verschwinden. Für die Linke ist das gut und nicht schlecht. Übrig bleiben werden AntimilitaristInnen, die nur partiell Optionen deutscher Gegenmachtbildung kritisieren können. Ihre verkürzte Kritik braucht den innerimperialistischen Extremfall. Auf kleiner Flamme und in Interessenkooperation vollzogene Militarisierungs- und Kriegslogiken geraten aus dem Blick. Schwerer wiegt, dass sie mit ihrer Fokussierung auf europäische Militarisierungsprojekte vor der zivilgesellschaftlichen Variante der Vereinnahmung nicht gefeit sind. Ihre thematische Verengung und ihre Bündnispraxis verhindern eine grundlegende Opposition.
Linke Kritik am Aufbau einer kapitalistischen Konkurrenzmacht Europa muss sich gegen die variablen Formen nationaler und europäischer Identifikationen, gegen Antiamerikanismus und zivilgesellschaftlich unterfütterte Politikstrategien wenden.
Fußnoten:
(1) Der Text schließt an den Beitrag »Krach ohne Scheidung« (Phase 2, Nr. 7, 3/03, 37ff.) an, in dem die transatlantische Konfrontation als zeitweise, aber nicht endgültige Differenz beschrieben wurde.
(2) Vgl. dazu den vorangegangenen Beitrag in Phase 2, Nr. 7, 3/03 oder auch den Jungle World-Beitrag von Gerrit Brüning (Jungle World Nr. 16 vom 09. April 2003, 14) über die Leistungsbilanz der europäischen Militarisierung.
(3) Vgl. Robert Kagan, Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung, Berlin 2003.
(4) Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Mai 2003, 4.
(5) Zit. n. www.imi-online.de/2002.php3
(6) Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06. Mai 2003, 9.
(7) Vgl. Jungle World Nr. 20 vom 7. Mai 2003, 7.
(8) Vgl. Oskar Lafontaine, Die Wut wächst. Politik braucht Prinzipien, München 2002.
(9) de.indymedia.org/2003/02/41127.shtml
(10) Vgl. Phase 2, Nr. 7, 3/03, 60.
(11) Dieter Rucht, Die Friedensdemonstranten – Wer sind sie, wofür stehen sie? Bisher unveröffentlichtes Manuskript.
(12) Vgl. Die Zeit Nr. 18 vom 24. April 2003, 6.
(13) Vgl. konkret Nr. 2/03 Februar 2003, 14-18.
(15) www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/friedenspolitik/ziv_km/index_html
(16) Vgl. SWP-Aktuell Nr. 10, März 2003.
(17) Vgl. Ernst-Otto Czempiel, Risse im Bündnis. Die transatlantischen Beziehungen brauchen mehr Gleichberechtigung, in: Stefan Reinekke (Hrsg.), Die neue Nato, Hamburg 2000, 113-131.
(18) www.taz.de/pt/2003/02/25/a0101.nf
Phase 2 Leipzig