Freiheit und Zwang alleinerziehender Mütter

»Was, wenn wir die Lebenszeit, die wir in das Analysieren von Whatsapp-Nachrichten einzelner Dudes stecken, in die Auseinandersetzung mit unseren Finanzen investieren würden?« – mit dieser Frage ging die Ostberliner Autorin Mirna Funke 2019 auf Twitter viral. Drei Jahre später greift sie den Grundgedanken dieses Tweets in ihrem Buch Who cares! Von der Freiheit, Frau zu sein wieder auf. Dem Buch geht es im Wesentlichen darum, Frauen zu vermitteln, dass sie unabhängige und autonome Wesen sind. In je eigenen Kapiteln zu Karriere, Geld, Sex und Kindern feiert sie auf circa 100 Seiten die Stärke und Mündigkeit der modernen Frau. Ihre Position zum Feminismus, wie sie ihn in Deutschland vorzufinden meint, macht sie bereits im Vorwort deutlich. Für die Autorin hängt die geistige und gesellschaftliche Autonomie der Frau zentral von ihrer finanziellen Autonomie ab. Frauen sollen sich nicht, wie häufig von westlichen Feministinnen propagiert, als Opfer der patriarchalen und kapitalistischen Verhältnisse begreifen, sondern vielmehr Subjekte ihres eigenen Lebens werden. Jede, die nicht aktiv an der Veränderung ihrer Lebenswelt mitwirke, sondern diese nur kritisiere, sei beinahe antifeministisch. 

Funk widmet Who cares! den Frauen, die ihre Kinder nicht als Care-Arbeit, sondern Wunder sehen, Geld mögen und Karriere machen (wollen). Statt in sozialen Medien zu meckern, soll die moderne Frau beispielsweise proaktiv im Bewerbungsgespräch kinderfreundliche Arbeitszeiten einfordern. Sie soll sich klar machen, dass sie als souveränes Wesen nie objektiviert werden kann, anstatt über sexuelle Belästigung und den darin enthaltenen Objektivierungen zu verzweifeln. Die moderne Frau sollte wieder Karriereschritte wagen, die ihre finanzielle Unabhängigkeit garantieren, statt sich mit Essensrezepten für ihr Kind oder Magazinen für Mütter zu beschäftigen. Funk nennt dies am Beispiel ihrer eigenen Laufbahn »money moves machen«. Die moderne Frau hustlet, erträgt die Müdigkeit, verkauft sich auf dem Arbeitsmarkt nicht unterm Wert und muss nicht mit ihren Kindern spielen.  

Funk illustriert dies in jedem Kapitel mit Ausschnitten ihres eigenen Lebens. Sie beginnt mit der Schullaufbahn, die sie mit Ach und Krach übersteht, während sie Nachtschichten in einer Bar macht. Danach bleibt sie für einige Jahre in der Gastronomie als Kellnerin hängen, bis sie bei der Agentur eines Freundes anfängt und sich nach zehn Jahren in die Studienfächer Philosophie und Geschichte einschreibt. Und das trotz ihres schlechten Schulabschlusses und ihres Minderwertigkeitskomplexes als Arbeiterkind. Mit 28 Jahren startet Funks Karriere richtig durch. Sie veröffentlicht Artikel, bekommt sehr gute Noten in der Universität und schreibt in den Semesterferien einen Roman. Als sie jung Mutter wird, setzt sie im Bewerbungsgespräch selbstbewusst kinderfreundliche Arbeitszeiten durch. Nichts wird ihr auf dem Silbertablett serviert – sie organisiert es sich, kämpft dafür und scheint zu brillieren. Sie verkörpert die Art von Frau, für die sie schreibt: Sie ist autonom, selbstwirksam und erfolgreich. Einzelne Kapitel lassen die Leser:in dabei zeitweise fast ins Schwitzen kommen und die Frage kommt auf, wie all diese Dinge gleichzeitig machbar sind: Karriere, Kind, tolles Sexleben und die Liebe zum eigenen Körper. Mirna Funk ist eine Macherin, die die Leser:in motivieren möchte, es ihr gleich zu tun. 

50 Ways to Leave your Ehemann von Jacinta Nandi steht in krassem Kontrast dazu. Die Autorin tritt auch hier der Leser:in in erster Person gegenüber, aber sie ist gestresst und lässt es die Leser:in spüren. Sie zweifelt an sich, sie zweifelt an der Gesellschaft und verzweifelt an den Umständen, in denen Alleinerziehende in Deutschland leben. Die Leser:in nimmt teil an den Achterbahnfahrten ihrer Gefühle: »Vielleicht ist nicht alles Diskriminierung gegen Mütter, gegen Alleinerziehende, gegen Frauen, gegen Ausländer, flüstere ich in den Spiegel. Vielleicht bist du einfach Müll«. Aus als skandalös bezeichneten Zuständen leitet Nandi Forderungen ab: nach Anerkennung, nach mehr Kindergeld, mehr väterlichem Unterhalt und nach einer eigenen Abteilung für Alleinerziehende beim Jobcenter. Während Funk die einzelne Frau auffordert zu handeln, erwartet Nandi also Veränderung von außen.  

In 50 Ways to Leave your Ehemann, vom Verlag als Flugschrift bezeichnet, wird die Leser:in mitgenommen in den Alltag der alleinerziehenden Britin, die in Deutschland ihre zwei Kinder von zwei Vätern aufzieht. Die Autorin lebt seit 2000 in Berlin und widmet sich auch in Artikeln im Missy Magazin oder der Jungle World Themen wie Care-Arbeit, Scheidung und Sexismus. 

In einer Szene des 2022 erschienenen Buchs klagt sie ihre deutschen Freund:innen an, die mit ihren Loft-Appartements und erfolgreichen Ehen das Schicksal einer alleinerziehenden nicht-deutschen Mutter nicht nachvollziehen könnten. Männer, so das Credo, bringen als Partner nur Ärger und sind meist unordentlich. Kinder sind Arbeit, aber auch Glück. Das größte Glück scheint jedoch das Leben als alleinerziehende Frau mit einer helfenden Mutter zu sein, die nebenan wohnt und bei Haus- und Betreuungsarbeit unterstützt. Das Weltbild, das der Roman zeichnet, ist schlicht strukturiert und etwas widersprüchlich: Alleinerziehende Frauen sind die Opfer von Heteropartnerschaften, verantwortungslosen Männern, dem geizigen Sozialstaat und den strafenden Blicken der Anderen. Dennoch wird es als das größte Glück auf Erden beschrieben, alleine Kinder aufzuziehen, und nichts anderes wäre wünschenswert. Die autonome Frau ist die alleinerziehende Mutter, die für ihre Freiheit mit dem Hass der Gesellschaft bestraft wird. Neben dem Alltag von Alleinerziehenden  bespricht die Streitschrift auch aktuelle sexistische Vorfälle, unter anderem den Medienrummel um den Scheidungsprozess von Johnny Depp und Amber Heard, mit der sich der Text klar solidarisiert. 

Die zwei Autorinnen bzw. ihre Bücher könnten unterschiedlicher nicht sein. In Who cares stehen Ehemänner, Partnerschaften und die daraus entstehenden Kinder nicht im Vordergrund der Überlegungen. In den Kapiteln zu Geld und Körper geht es stattdessen um die Beschäftigung mit weiblichen Erfahrungen auch außerhalb des Mutterseins. Nandi erzählt dagegen von den Höhen und Tiefen einer alleinerziehenden Mutter, ihrer Vergangenheit, der Beziehung zu ihrer Mutter, zu Ex-Partnern und ihren Kindern. Es ist die Geschichte einer Frau, deren Erfahrung stellvertretend für das Leid und die Ungerechtigkeit aller alleinerziehenden Mütter in Deutschland stehen soll. Während Mirna Funk als Mutter neben der Erziehung ihres Kindes Money Moves macht, ist das Leben der Mutter bei Nandi ausschließlich prekär, obwohl sie selbst im realen Leben ebenfalls gleichzeitig Autorin ist. Es geht Nandi um Überforderung, Frustration und Aggression. Sie resümiert: »Ich liebe meine Kinder – aber manchmal merke ich das gar nicht mehr, denn ich bin so beschäftigt mit Überleben [...] ich kann nicht mehr lieben, als ich jetzt liebe. Ich kann nicht mehr leisten, als ich jetzt leiste«. Der Titel 50 Ways to Leave your Ehemann ist catchy und es werden tatsächlich Wege aufgezeigt, den Ehemann zu verlassen: Ein Partner wurde gewalttätig und sofort verlassen, vom zweiten Freund wird sich ebenso getrennt. Die Entscheidung beim ersten Partner war schnell getroffen und die Autorin wird zur alleinerziehenden Mutter. Der von Funk geforderte Wille zur Veränderung ist also auch bei Nandi durchaus vorhanden. Ob es sich dabei jedoch um eine Weiterentwicklung oder Verbesserung handelt, ist schwierig einzuschätzen, da sie erneut eine Partnerschaft eingeht, die wiederum scheitert. Sie kümmert sich um ihre Kinder, trifft Freund:innen und schreibt. Allen im Umfeld der Protagonistin, die andere Entscheidungen treffen und weiterhin in einer Partnerschaft oder Ehe leben, begegnet sie mit Unbehagen. Glückliche Partnerschaften oder eine finanzielle Absicherung scheint es nur bei bürgerlichen Deutschen zu geben. Die Held:innen bei Nandi sind Frauen und Mütter, die sich trotz der unvermeidbaren Armut für eine Scheidung und Trennung vom männlichen Partner entscheiden. Finanzielle Unabhängigkeit wäre hier nur möglich mit höherem Unterhalt oder besseren Sozialleistungen, nicht mit eigenen Money Moves. 

Die Frau bei Funk ist von allen gesellschaftlichen Beschränkungen befreit, wohingegen die Frau bei Nandi in diesen Verhältnissen gefangen ist. Die Mütter, die Nandi porträtiert, sind wie Amber Heard: Sie können nie frei sein, die Mehrheit hasst sie und es ist nicht möglich, dass sie Gerechtigkeit erfahren. Funk sieht sich theoretisch in einer anderen Tradition: Obwohl sie als jüdische Deutsche, alleinerziehende Mutter und Arbeiterkind die linke »Opferolympiade« gewinnen könnte, hält sie das nicht davon ab, ihr Leben selbst verändern zu wollen und für sich zu kämpfen. Gesellschaftliche Zustände werden so allerdings als bloße Objekte der eigenen Handlungsfähigkeit entpolitisiert.  

Beide Autorinnen schreiben über das Leben mit Kindern, die finanziellen Schwierigkeiten und die Konfrontation mit gesellschaftlichen Zwängen. Die Forderungen unterscheiden sich jedoch stark und daher kann nur je nach eigener Präferenz eine Leseempfehlung ausgesprochen werden. Wer sich nach einem kurzen und prägnanten Pamphlet für weibliche Unabhängigkeit und harten Thesen sehnt, wird seine Freude mit Funks Who cares! haben. Diejenigen, die sich für Care-Arbeits-Debatten interessieren und bei den Erfahrungen einer alleinerziehenden Mutter mitfühlen wollen, die ihr eigenes Leid, aber auch die unfaire deutsche Gesellschaft beschreibt, werden Nandis Dialogen und biografischen Details mehr abgewinnen können. 

 

Michelle Helmut 

 

Mirna Funk, Who Cares! Von der Freiheit. Frau zu sein, dtv Verlag, München 2022, 112 S., € 7,99.  

 

Jacinta Nandi, 50 Ways to Leave Your Ehemann, Edition Nautilus, Hamburg 2022, 232 S., € 20,00.