Eine Frage des Zugangs

Die Einleitung zum Schwerpunkt

Die Linke streitet über die Notwendigkeit, die Bedingungen und die Praxis einer Solidarität mit Israel. Die Debatte spiegelt nicht nur den Fortbestand antizionistischer und antisemitischer Strömungen wider. Andere Stellungnahmen laufen auf deutsche Politikberatung für die Überlebenden des Holocaust hinaus. Die deutschen Verhältnisse – der Schlüssel für die linke Positionierung – geraten dabei aus dem Blick.
 

Die unendliche Geschichte: Deutsche Normalisierung

Der Antisemitismus in Deutschland endete nicht mit der Niederlage der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Übergriffe auf die Überlebenden des Holocaust und ihre Nachkommen waren auch im Nachkriegsdeutschland keine Ausnahme. Allerdings erfolgte mit dem Sieg der Alliierten insofern eine Zäsur, als dass in der politischen Sphäre und in der hegemonialen Öffentlichkeit der Anti-Antisemitismus zur verbindlichen Norm erhoben wurde. Hier verstieß die explizite Äußerung antisemitischer Hetze gegen ein ungeschriebenes Gesetz der politischen Kultur. Im Großen und Ganzen hielten sich die Deutschen daran, denn sie hatten erkannt, dass dies für die Wiedererlangung voller staatlicher Souveränität - nach 1945 ihr anvisiertes Hauptziel - eine Grundbedingung war. Erschwerte dies einerseits bis heute die Etablierung einer politischen Kraft, die den antisemitischen Teil der Bevölkerung bündelte und im parlamentarischen System erfolgversprechend repräsentieren konnte, führte dies andererseits zur Einübung neuer antisemitischer Codes und Sprechweisen, mit welchen man versuchte, die strafrechtliche Verfolgung und die befürchtete politische Isolation zu umgehen.
Mit der deutschen Wiedervereinigung setzte dann ein verschärfter Normalisierungsdiskurs ein, der gekoppelt an unterschiedliche thematische Aufhänger, die „Erlösung" der Deutschen von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zum Ziel hatte. Ob aus ideologischer, selbstzweckmäßiger Motivation oder/und aus dem Ansinnen heraus, mit reinem Gewissen und gefeit gegen die vergangenheitspolitischen Vorwürfe potentieller Konkurrenten wieder weltweit deutsche Interessen zu vertreten, ging und geht es um die Konstitution der normalen, selbstbewussten Nation. Die Erinnerung an den Holocaust, aus der lange Jahre die politischen Selbstbeschränkungen der BRD abgeleitet wurden, war das Haupthindernis, welches auf diesem Weg beiseite geräumt werden musste. Weil die Leugnung der Vernichtung der Juden unter das Nachkriegssprechverbot fiel, gewannen Schlussstrichdebatten sowie Strategien der Relativierung und Historisierung an Relevanz. Und immer häufiger waren die nationalen Identitätsdiskurse jetzt auch mit den Metaphern des Antisemitismus, sowohl moderner als auch traditioneller Art, durchsetzt.
Als Martin Walser in der Paulskirche sein flammendes Plädoyer aggressiver Erinnerungsabwehr hielt und mit seinem Vorwurf der „Instrumentalisierung unserer Schande" mit Hilfe der „Moralkeule Auschwitz" bereits eine übermächtige, allerdings vage bleibende Instanz imaginierte, da sekundierte ihm die halbe Nation und dachte sich „die Juden" als die Verhinderer deutscher Normalität. Ob sie sich als Opfer der „New Yorker Presse", der „amerikanischen Ostküste" oder eben Israels sahen, die entsprechenden Deutschen erweckten das alte Stereotyp der jüdischen Weltverschwörung, ohne das von den Juden in jedem Falle die Rede sein musste. Im Zuge der Debatten um die ZwangsarbeiterInnenentschädigung reaktivierte man dann mit Vorliebe das Klischee vom Wucherjuden, der die Unverschämtheit besitzt, selbst aus den Toten noch Kapital schlagen zu wollen. Dabei spielte es keine Rolle, dass sich die Auseinandersetzung nicht um die Entschädigung jüdischer, sondern um die Ansprüche der osteuropäischen Opfer der Deutschen drehte. Richtig glücklich war man hierzulande, als mit Finkelstein ein Kronzeuge für die Halluzination eines jüdisch gesteuerten Gesinnungsterrors gefunden wurde. Zwar handelte es sich um einen akademischen Nobody, dessen Thesen von der „Holocaust-Industrie" einer ernsthaften Überprüfung nicht Stand hielten. Trotzdem feierten in Deutschland viele den „Tabubrecher" mit seiner Behauptung „Juden beuten Deutsche aus". Besonders authentisch galt er nicht nur wegen seiner vorangegangenen Goldhagen-Kritik, seiner erwiesenen antizionistischen Haltung, sondern weil er selber jüdischer Herkunft ist. So ließ er sich auch noch am Besten für die gängige Entlastungsstrategie instrumentalisieren, ein Behauptung könne nicht antisemitisch sein, wenn sie von einer Jüdin bzw. einem Juden vertreten würde.
Ein falscher Eindruck würde aber erzeugt, versuchte man die krassen SchlussstrichapologetInnen und VerschwörungstheoretikerInnen zu den einzig diskursbestimmenden Elementen der letzten zwölf Jahre zu erklären. Rot-Grün und der entsprechende intellektuelle Anhang bekennt sich zur Erinnerung an Auschwitz. Aber gerade durch die „linksliberale" Art der rituellen und instrumentellen Beschwörung der deutschen Geschichte wird Auschwitz zur beliebigen Metapher. Schon im Golfkrieg entsorgte der hochgerühmte Essayist Enzensberger den Nationalsozialismus mit seinem Hitler-Hussein-Vergleich in den Nahen Osten. In Vorbereitung des Krieges gegen Jugoslawien befreite man sich vom Holocaust durch seinen Export auf den Balkan.
Zwar katapultierte sich Deutschland mit der Aggression gegen Jugoslawien in den Club der krieg. führenden Weltmächte zurück, dass Ende vergangenheitspolitischer Selbstvergewisserungen ist damit allerdings nicht erreicht. Der Normalisierungsdiskurs ist Teil der immerlaufenden Maschine zur Herstellung nationaler Identität. Es scheint so als kenne er kein Ende, nur neue Höhepunkte.
 

Die endgültige Befreiung

Der jüngste firmiert unter den Stichworten „Kritik an Israel" und macht den Konflikt im Nahen Osten zur Projektionsfläche für alten und neuen Antisemitismus. Mit der immer wieder kolportierten Lüge, dass die kritische Haltung gegenüber Israel einen Tabubruch darstellt, wird das Stereotyp der jüdischen Allmacht aufs neue suggeriert. In der wahnwitzigen Gleichsetzung von israelischen Militäraktionen mit den Methoden der Nationalsozialisten verbindet sich die Relativierung der deutschen Verbrechen mit dem traditionellen Element des Antisemitismus, die Juden für den ihnen entgegenschlagenden Hass selbst verantwortlich zu machen. Möllemann, Karsli, Blüm, Lamers und andere verschieben die Grenzen des sagbaren Antisemitismus in der politischen Öffentlichkeit. Nicht unbedingt durch die Qualität der Aussagen, wohl aber über die derzeit erfolgende Dichte an Äußerungen. In der Literatur agieren deutsche Schriftsteller antijüdischen Mordphantasien aus, im Feuilleton räsonieren manche Intellektuelle der Berliner Republik über die Verantwortung Israels an den Anschlägen des 11. September 2001. Es bleibt nicht bei Worten. Angriffe auf Juden und Jüdinnen, israelische und jüdische Einrichtungen nehmen zu. Der Antisemitismusbericht der Universität Tel Aviv spricht von der größten Welle antijüdischer Umtriebe in Deutschland und Europa. Und während der vor vier Jahren großartig verkündete Aufstand der Anständigen nach und nach verebbt, sich die Zivilgesellschaft massenwirksam nur noch unter antiamerikanischen Vorzeichen zu versammeln scheint, werden die Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland weiterhin als Fremdkörper wahrgenommen und bleiben mit ihrer zunehmenden Angst, Opfer von Anschlägen und antisemitischen Ausfällen zu werden, weitgehend allein.
Ein Stillhaltevorwurf lässt sich der deutschen Politik allerdings nicht machen. Im Gegenteil: Der Außenminister, welcher die „besondere Verpflichtung Deutschlands für die Existenz und die Sicherheit Israels" betont, leitet daraus gerade die Verpflichtung zur Kritik an Israel ab. Auch wenn es dem grünen Kriegsherren diesmal nicht um die kalkulierte Zerschlagung eines souveränen Staates gehen dürfte, ist ein Vergleich mit der Legitimationsstrategie der rotgrünen BellizistInnen in Vorbereitung des Jugoslawienkrieges nicht völlig abwegig. Zumal Fischers Chef sich zur selben Zeit rhetorische Verrenkungen spart, symbolisch wirksam mit erwiesenen Antisemiten bündelt und laut über die Möglichkeit der Stationierung deutscher „Friedenstruppen" auf den Golanhöhen nachdenkt. Würde dieses Szenario Realität, es wäre wohl das bisher deutlichste Zeichen für die Bedeutungstransformation, welche die Erinnerung an die Vernichtungsgeschichte in der Nachkriegszeit durchlief. Sie hätte damit wohl jedwede antideutsche Sicherungsfunktion verloren.
Doch nicht nur die geschichtspolitische Dimension müsste der Linken das Fürchten lehren. In der Stationierung deutscher Soldaten, mit welchem Mandat auch immer, ist eine reale Gefährdung Israels eingeschlossen. Das Fortbestehen des Antisemitismus in Deutschland, vor allem die Perspektive der Deutschen, die dem Staat der Holocaust-Opfer nicht verzeihen, dass er sie an die eigenen Verbrechen erinnert, wäre sicherster Garant dafür, dass die Bundeswehr im Nahen Osten nicht als „ehrliche Makler" auftreten kann.
Dass die Unterstützung Israels durch Deutschland schon jetzt keine Selbstverständlichkeit mehr ist, die durch die Dynamik einer politischen Debatte höchstens potentiell gefährdet scheint, sondern auch eine materielle Dimension aufweist, ließ sich mit der von Berlin aus betriebenen Aufkündigung von Ersatzteillieferungen an die israelische Armee feststellen. Dazu sind die antiisraelischen Äußerungen eingebettet in eine EU-Außenpolitik, die immer wieder versucht, sich gegenüber der Hegemonialmacht USA im Nahen Osten einen Stellungsvorteil zu verschaffen, die in den Nischen des US-Embargos wirtschaftliche Vorteile nutzt und über die Unterstützung einiger arabischer Staaten und der Palästinensischen Autonomiebehörde als alternative Ordnungsmacht agiert.
 

Keine Solidarität mit ...

Während die radikale Linke in den letzten Jahren Teile und Auswirkungen des Normalisierungskurses zu Ansatzpunkten ihrer Kritik machte, besonders mit den Themenfeldern Antifaschismus oder Antimilitarismus, ist in der gegenwärtigen Diskussion die Realität des Antisemitismus nicht der gleich bewertete Bezugspunkt der linken Positionierung. Teilweise wird die wachsende Dimension antijüdischer Vorfälle und die reale Bedrohungssituation für Israel de facto ignoriert. So reihen sich einige linke Gruppen (Libertad, Linksruck, u.a.) in Solidarität für Palästina-Bündnisse ein, statt Israel als Reaktion der Opfer des deutschen Vernichtungswahns gegen die Angriffe aus dem Land der TäterInnen zu verteidigen. Mit Forderungen nach einem sofortigen Stopp von Waffenlieferungen an Israel und nach der Ausübung von Druck der Bundesregierung auf die israelische Politik, machen sich solche Positionierungen zum verlängerten Arm außenpolitischer Ambitionen der Deutschen. Unter dem Deckmantel einer oppositionellen und humanistischen Haltung werden Linke ebenso zu einem Bestandteil der anschwellenden antizionistischen und antisemitischen Gesellschaftsströmung. So zum Beispiel mit der gängigen Forderung nach dem Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge. Dazu werden, ähnlich zur Praxis der deutschen Heimatvertriebenen, auch alle Nachkommen der Flüchtlingsgeneration gezählt. Kehrten aber wirklich vier Millionen PalästinenserInnen nach Israel zurück, wäre dies in Anbetracht der derzeitigen Bevölkerung von fünf Millionen jüdischen und einer Millionen christlichen und arabischen Israelis gleichbedeutend mit der Auflösung Israels als jüdischem Staat.
Schon generell impliziert der positive Bezug auf die palästinensische Nationalbewegung eine antiisraelische Haltung, da sie sich im Kampf gegen zionistische Juden konstituierte und ihr anschlussfähigster Nenner immer in der konfrontativen Ablehnung Israels bestand. Trotz der auf die Öffentlichkeit des Westen gerichtete Beteuerungen der immer stärker marginalisierten säkularen palästinensischen Organisationen, bleibt die Anerkennung des Existenzrechts Israels weitgehend ein instrumentelles Lippenbekenntnis, welches durch ungezählte andere Statements, vom Schulbuch bis zur terroristischen Praxis PLO-naher Organisationen, konterkariert wird.
Verschärfend kommt hinzu, dass bei gemeinsamen Demonstrationen von Linken mit UnterstützerInnen der Hamas, der Hisbollah und des Islamischen Djihad auch die antisemitische Aufladung des antiisraelischen Bekenntnis bewusst oder politisch planlos in Kauf genommen wird.
Ohne Islamismus und Nationalsozialismus in ihrer Feindschaft gegen die Juden identisch erklären zu wollen, werden die Affinitäten zwischen beiden antimodernistischen Bewegungen immer deutlicher. Die Rezeption europäischer Verschwörungstheorien und der positive Bezug auf die deutsche „Endlösung" mischt sich mit religiösen und politischen Motiven. Mit der Aufnahme der rassistischen Elemente des europäischen Antisemitismus werden die Juden qua Geburt zu den Schuldigen und so taucht in der Wahllosigkeit der palästinensischen Selbstmordattentate auch eine Komponente des Vernichtungsantisemitismus wieder auf.
Unbegreiflich, wie nach Jahren linker Geschichtsdebatten bei einer solchen inhaltlichen Ausrichtung bündnisähnliche Manifestationen und Solidaritätsbekundungen möglich sind. Es scheint so, als wäre die kritische Aufarbeitung linker Identifikationsentwürfe spurlos an einigen Gruppen vorbeigegangen. Gerade in der Auseinandersetzung mit den nationalen Ersatzmythen der Palästinasolidarität wurden neben dem formalistischen und verkürzten Imperialismusbild auch die geschichtsentlastenden und antisemitischen Tendenzen bewusst gemacht. Gerade die in den 90er Jahren forcierte Beschäftigung der Linken mit dem bis dahin vernachlässigten Vernichtungsantisemitismus der Deutschen, schien eine Umorientierung ausgelöst zu haben, die zukünftige Allianzen zwischen AntisemitInnen und einer deutschen Linken unwahrscheinlich werden ließ.
Es mag im besten Falle noch die Hoffnung deutscher Linker sein, dass in der palästinensischen Nationalbewegung emanzipative Strömungen unterstützbar sind, mit denen man gemeinsam schlechte Lebensbedingungen und reales Leiden kritisieren möchte. So lange diese Unbekannte aber nicht den Bruch mit den Welterklärungsmodellen und Lösungsvorschlägen der regressiven Masse der palästinensischen Nationalbewegung sucht, ist auch sie alles andere als ein Fall für linke Solidarität.
 

Linke Mogelpackung

Nicht nur aufgrund eines völkischen Antiimperialismus oder eines unreflektierten Humanismus verweigern Linke die Solidarität mit Israel. Eine anderer Argumentationsstrang bezieht sich auf einen linken Wertekanon oder auf eine materialistische Weltsicht, die jeweils die Identifikation mit irgendwelchen Nationalstaaten verhindern würden. Nach dieser Tendenz wird nicht nur der Konflikt zwischen den verschiedenen Fraktionen der Linken, sondern auch der zwischen Israel und den Palästinenserinnen zu einer Angelegenheit gleichermaßen abzulehnender Parteien. Parallel zur analytischen Tiefenschärfe vieler Medienberichte, endet die Analyse des Konfliktes mit der Entdeckung der sogenannten Gewaltspirale, auch wenn daraus nicht unbedingt die Forderung nach EU-Vermittlung, sondern als eine Art „Dritter Weg" die Unterstützung einer praktisch nicht existenten palästinensich-israelischen Friedensbewegung abgeleitet wird. Oder aber, es bricht sich ein Vulgärmarxismus Bahn, der Staatsterror auf Staatsgründungsterror treffen sieht und bescheidwissend die Ablehnung der Staaten als ideelle Gesamtkapitalisten als einzig mögliche linke Position einräumt.
So wird in der aktuellen Diskussion der deutsche Sonderweg gegen allgemeine kapitalistische Strukturprinzipien ausgespielt. Eine Herangehensweise, die schon an den Erklärungsversuchen des Nationalsozialismus gescheitert war. Innerhalb dieser Art verkürzter linker Sichtweise wird Israel dann folgerichtig nicht als zu verteidigende Reaktion gegenüber den historischen und aktuellen deutschen Verhältnissen begriffen. Stände die Abschaffung aller Nationalstaaten durch eine universale revolutionäre Bewegung unmittelbar hervor, gewänne auch die Staatskritik gegenüber Israel einiges an Relevanz. Angesichts der aktuellen politischen Kräfteverhältnisse, angesichts der Bedrohungssituation für den Staat der Holocaustüberlebenden und für die in der Diaspora lebenden Juden und Jüdinnen, für welche der bürgerlich-kapitalistische Staat Israel noch immer der sicherste Faustpfand gegen eine weltweite Verfolgung ist, wird sie zum unakzeptablen Zynismus.
 

Solidarisch, aber wie?

Werden die deutschen Verhältnisse zum Ausgangspunkt der linken Positionierung gemacht, ergeben sich daraus auch die praktischen Formen einer Solidarität mit Israel. Die Kritik des Antisemitismus und seiner Verbindung mit den deutschen Normalisierungsbestrebungen müssten zur handlungsleitenden Maxime der Linken werden. Ein Ansatzpunkt für eine diesbezügliche Praxis wäre die öffentliche Agitation gegen selbsternannte TabubrecherInnen und gegen außenpolitische Profilierungsversuche der Deutschen, die auf Kosten Israels ausgetragen werden. Ziel ist die Zurückdrängung der Tendenzen innerhalb des politischen Klimas, welche gerade Entsolidarisierungseffekte mit der jüdischen Bevölkerung und mit Israel befördern.
Bei einer solchen Herangehensweise werden Argumente, nach denen die Unerstützung Israels häufig zur Aufgabe linker Essentials, wie Antinationalismus und Antimilitarismus führen würde, nicht nur deshalb irrelevant, weil sie sich vor der historischen Spezifik des israelischen Staates blamieren, sondern weil sie gegen das Engagement, welches sich hier gegen Antisemitismus und Antizionismus wendet, nicht in Anschlag gebracht werden können. Solidarität bezieht sich in diesem Fall nicht auf einzelne Maßnahmen und Entscheidungen der israelischen Realpolitik. Vielmehr kritisiert sie gerade die deutschen Einmischungsversuche, weil sie sich den besonderen geschichtlichen Hintergrund, vor dem jedwede Äußerung von Deutschen zu Israel erscheint, immer bewusst macht.
Aus der Solidarität mit Israel kann also weder Kritik an, noch eine reflexionslose Identifikation mit allen politischen und gesellschaftlichen Strömungen Israels abgeleitet werden. Die Ablehnung des letzteren darf nicht darauf hinauslaufen, dass die Linke nur mit einer Betonung des Existenzrechtes mehr, als es Joschka Fischer zu tun pflegt, dann doch auf die „schlimme" Militärpolitik eines Sharon zu sprechen kommt. Die historischen Verhältnisse zu bedenken, heißt auch, ein Verständnis dafür zu entwickeln, warum es in der israelischen Gesellschaft breite Zustimmung für alle Optionen der militärischen Selbstverteidigung gibt. Für Deutsche ist dies allerdings nur dann ein gutes Argument, wenn es sich gegen deutschen Antisemitismus unter dem Deckmantel der
Kritik an Israel richtet. Gegen die israelische Linke in Stellung gebracht wird es zur teutonischen Anmaßung.
Die mythische Überhöhung des Israelbildes mag zwar als Reflex auf die politischen Verhältnisse hierzulande verständlich sein, hat aber auch eine oft nicht bedachte Kehrseite. Mit Forderungen nach Unterstützung der israelischen Armee (IDF), mit der Polemik gegen die Reste der israelischen Friedensbewegung und mit der Interpretation Israels als Vorboten der Emanzipation, reproduziert sich auch das alte linke Verlangen nach Projektion. Es ist linke Hilflosigkeit, die nach dem guten Stellvertreter sucht. Besagter Ansatz glättet widersprüchliche Verhältnisse nicht nur, indem er sich gegen die Wahrnehmung des antiarabischen Rassismus verschließt, sondern vor allem, weil er eine philosemitische Wahrnehmungen nahe legt, durch welche die jüdische Bevölkerung unter positiven Vorzeichen zum völlig anderen, letztendlich weltfremden Kollektiv konstruiert wird.
Dazu bewegt er sich ebenso parallel zur eigentlich abgelehnten deutschen Großmäuligkeit. Auch die gutgemeinte deutsche Politikberatung, möchte Opfern und ihren Nachkommen Ratschläge erteilen und richtige Wege vorschreiben. Auch sie ist „Kritik an Israel".
Der gute Wille macht es nicht überflüssig, solidarische Handlungen auf ihren Realitätssinn und symbolische Wirkung hin zu überprüfen. Stimmte, was hier und da zu hören ist, dass für manche Solidarität mit Israel bedeuten soll, Adorno-Gesamtausgaben für die IDF zu spenden, dann muss gefragt werden, ob damit nicht auch der Tadel an die Verteidiger Israels ausgedrückt wäre, weil diese bisher nur ungenügend die Einsicht in ihre geschichtsphilosophische Rolle erlangt haben. Der Eindruck einer überheblichen linksdeutschen Aufhalsung ließe sich wohl nicht verwischen und würde von der Frage nach der praktischen Relevanz eines solchen Schrittes eher noch verstärkt.

Phase 2 Leipzig