Eine andere Qualität

Interview mit Roswitha Scholz

Seit Mitte der 90er Jahre verfolgt Roswitha Scholz mit ihrem Ansatz der Wert/Abspaltung das Ziel, die marxistischen Arbeitstheorien mit feministischen Ansätzen zu verbinden. Dabei geht sie allerdings nicht den Weg, das Wertprinzip des Kapitals auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen, sondern weißt abgespaltene Bereiche aus, in denen die Reproduktion der Gesellschaft nach anderen Regeln funktioniert. Angesichts der Übernahme von Tätigkeiten aus der Sphäre der Abspaltung in den kapitalistischen Betrieb der Verwertung fragt Phase 2 nach der Aktualität des Ansatzes.
 

Wenn von Arbeit gesprochen wird, weist Du mit Deinem Ansatz von Wert und Abspaltung zwei der üblichen Voraussetzungen zurück: das Beharren auf Arbeit als ewiger Naturkonstante des menschlichen Lebens und die Reduktion der Reproduktion des Kapitalismus auf die ökonomische Sphäre. Nun wird gegen die Ansätze der Arbeitskritik immer wieder hervorgebracht, die Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umgebung sei tatsächlich einen anthropologische Notwendigkeit, während das Primat der Ökonomie in Diskussionen immer wieder auftaucht und nach wie vor einen große Teil der marxistischen Forschung bestimmt. Welche Perspektiven würdest Du gegen einen solchen Mainstream im Sinne der Wert/Abspaltung bei einer Auseinandersetzung mit Kapitalismus und Arbeit stärken?

Als Arbeitskritikerin gehe ich natürlich nicht davon aus, dass Arbeit eine ontologische Konstante ist. Arbeit hat sich historisch herausgebildet, was geschichtlich nachgewiesen werden kann und ist ein typisch bürgerliches Konstrukt, das sich im Zuge materieller Veränderung entwickelt hat. Natürlich ist es so, dass sich der Mensch mit seiner Umgebung auseinandersetzen muss. Menschen müssen immer sehen, wo sie etwas zum Essen herbekommen, wo sie ein Dach überm Kopf finden und Kleidung usw. Marx spricht hier vom Stoffwechselprozess mit der Natur. Das kann durchaus als anthropologische Notwendigkeit angenommen werden, genauso wie der Mensch auch ein kulturelles Wesen ist, das sich Institutionen schaffen muss. Obwohl der Stoffwechselprozess mit der Natur etwas fundamentales ist, heißt das aber nicht, dass dieser Stoffwechselprozess mit der Natur in der Form der Arbeit stattfinden muss, wie sie sich in der Neuzeit herausgebildet hat. Er kann auch auf viele andere Weisen geschehen. Differenzierend, was den Arbeitsbegriff angeht, sage ich, dass es sich bei Arbeit um etwas kapitalistisches dreht. Wobei es mir darum geht, wie Adorno sagte, dass es sich bei kapitalistischen Gesellschaften - im Unterschied zu allen anderen Gesellschaften - um eine vergesellschaftete Gesellschaft handelt, also eine, die eng miteinander vernetzt ist. Deshalb würde ich unter dem Begriff Arbeit mit seiner ganz spezifischen Konnotation und ganz bestimmten materiellen Basis auch nicht den Steinzeitjäger oder etwas ähnliches subsumieren. In diesem Zusammenhang denke ich dann auch, dass im Kapitalismus eben nicht nur der historisch gefasste Arbeitsbegriff oder diese Form der Tätigkeit das Leben produziert, sondern dass es sich dabei natürlich auch um Tätigkeiten handelt, die vor allen Dingen Frauen zufallen, also Hege, Pflege usf., die überhaupt nicht mit dem Arbeitsbegriff belegt werden können, weil es sich bei ihnen um eine andere Qualität handelt.
 

Die Anerkennung von Tätigkeiten als Arbeit, aber auch die Bewertung von Arbeiten bestimmen sich nicht allein aus den Kosten ihrer gesellschaftlichen bzw. individuellen Reproduktion, sondern unterliegen auch gesellschaftlichen Konventionen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Du einen Vorrang dergestalt ausmachen kannst, dass der Kapitalismus das u.a. durch die Zuschreibung von Tätigkeiten bestimmte Geschlechterverhältnis prägt oder ob umgekehrt die Notwendigkeit einer Abspaltung dem warenproduzierenden Patriarchat vorschreibt, was Arbeit sein kann?

Ich halte es für unsinnig, hier so von einer Basis auszugehen. Nicht das eine geht dem anderen voraus, sondern beides ist notwendig dialektisch miteinander vermittelt. Ich denke, es verhält sich hier wie mit der Henne-und-Ei-Frage. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Was Du mit Bewertung von Tätigkeiten und gesellschaftlichen Konventionen angesprochen hast, verweist auf die kulturell-symbolische Ebene. Historisch kann man in dieser Frage zwar durchaus bestimmte Kontinuitäten bis in die griechische Antike ausmachen, aber strukturell und theoretisch ist das ganze so zu betrachten, dass der Kapitalismus selbst qualitativ etwas ganz Neues darstellt, dem auch theoretisch Rechnung getragen werden muss. Von daher halte ich nichts von ewigen Vorstellungen eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses. Zumal sich das so auch gar nicht halten lässt. Soweit ich sehe, gibt es ebenso Gesellschaften, auch wenn sie in der Minderzahl sind, bei denen dieses hierarchische Geschlechterverhältnis nicht anzutreffen ist. Demnach finde ich es nicht so entscheidend, ob man diese vormoderne historische Dimension mit reinnimmt, sondern theoretisch ist es wichtig, auf den Begriff zu bringen, was im Kapitalismus entstanden ist. Ich habe den vorkapitalistischen Zustand ja auch in meinem Buch angedeutet. Der war durchaus patriarchal, aber produktive Tätigkeiten besaßen einen anderen Stellenwert. Da standen Frauen und Männer zusammen auf dem Acker und waren aufeinander angewiesen. Man kann von der These ausgehen, dass dieses Patriarchat in vormodernen Zeiten eher im symbolischen Bereich anzutreffen war, während es im Alltag kaum eine große Rolle gespielt hat. Ein spezifisches hierarchisches Geschlechterverhältnis und der Kapitalismus gehören zusammen; es ist unsinnig hier einem Ursprungsdenken zu verfallen.
 

Zwischen Arbeit und den Tätigkeiten der Sphäre der Abspaltung lassen sich Unterschiede formaler und qualitativer Art festhalten. Formal sind die abgespaltenen Tätigkeiten schon dadurch unterschiedlich, dass sie gar nicht als Lohnarbeit begriffen werden und damit aus dem über den Verkauf der Arbeitskraft geregelten System gesellschaftlicher Arbeitsteilung, das den Kapitalismus charakterisiert, herausfallen. Dagegen richteten sich feministische Ansätze, die einen Lohn für Haus-, Reproduktions- oder Beziehungsarbeit einforderten, um so die formale Gleichbehandlung der Tätigkeiten im Kapitalismus zu erreichen. Du kritisierst das als Arbeitsfetischismus und weist auf eine qualitative Differenz hin, die Du in Anlehnung an Frigga Haug mit dem Unterschied der Zeitsparlogik in der Sphäre des Werts und der Zeitverausgabungslogik in der Sphäre der Abspaltung bestimmst. Allerdings bleibt etwas unklar, ob die von Dir und Frigga Haug beschriebene Differenz wirklich qualitativ ist, da sie letztlich auf nicht viel mehr zu beruhen scheint, als dass einige Tätigkeiten zeitintensiv sind. Dagegen werden Qualitäten, wie Empathie und Sensibilität, zu Werten einer an Teamarbeit und Selbstmanagement orientierten Wirtschaft. Ist die Zeitintensität also wirklich ein Problem, das in eine Ordnung des Wertes nicht zu integrieren ist?

Ich halte das für eine formale Frage und plädiere dafür, sich etwas genauer anzusehen, was in den verschiedenen Sphären passiert. Was die Tätigkeiten in dem abgespaltenen Bereich, also Reproduktionstätigkeiten, angeht, so sind sie nicht nur quantitativ, also dass sie zeitintensiv sind, zu erfassen, sondern darunter ist durchaus auch gefasst, dass sie einen emotionalen Bezug haben müssen, was in der Sphäre der Arbeit zunächst nicht gilt. Die Tätigkeiten in der abgespaltenen Sphäre setzten auch voraus, dass du keinen Unterschied zwischen Privatperson und Berufsmensch kennst, sondern dass eine Frau, die das macht, mit Haut und Haaren involviert ist. Freizeit oder ähnliches, wie sie in der normalen Arbeitssphäre als Gegenpol existiert, gibt es für sie nicht. Ist etwa das Spazieren gehen mit Kindern "Arbeit" oder Freizeit? Bei solchen Fragen lässt sich nicht festnageln, welchen Charakter das hat. Es verschwimmt und ist damit etwas anderes, weil der emotionale Bezug ein anderer ist als in der Sphäre der Zweckrationalität, deshalb kann hier auch nicht von Arbeit gesprochen werden.
Die Pflege-Hege-Tätigkeiten, aber auch Haushaltstätigkeiten werden abgespalten und der Frau zugewiesen. Das ist die primäre Sphäre. Dann gibt es eine sekundäre Ebene, wo dieses Abgespaltene im Dienstleistungsbereich (z.B. Sozialarbeit, Krankenpflege, aber auch Gastronomie u.ä.) wieder erscheint, wobei man allerdings sagen muss, dass das gerade bei Pflege- und Hegetätigkeiten an seine Grenzen stößt. Die Sozialarbeiterin hat, wenn die abgespaltenen Tätigkeiten in die Form der abstrakten Arbeit gebannt sind, nur eine Stunde Zeit für einen Klienten. Das ist problematisch.
Was Du noch erwähnst mit Qualitäten wie Sensibilität und Empathie, ist schon etwas, wo man sagen muss, dass sie beruflich erbracht im Sinne des Werts gemeint ist. Es handelt sich dabei um etwas, das in der Sphäre der Arbeit stattfindet und das Auseinanderdividieren in Berufsmensch und Arbeitsmensch betrifft. In diesem Sinne gibt es das bei Frauen, die Haushaltstätigkeiten verrichten, nicht. Ein Stück weit lassen sich Empathie uns Sensibilität beruflich "erledigen"; aber das wird im Management nur solange gemacht, wie es wertmäßig etwas bringt. Das Problem der Zeitintensität, habe ich deshalb in meinem Buch etwas genauer beschrieben. Es ist nicht einfach nur quantitativ Zeitverausgabung sondern mehr.
In diesem Zusammenhang scheint mir heute auch die Rückdelegation von sozialen Tätigkeiten an Frauen wichtig zu sein: Es ist nicht nur so, dass diese Tätigkeiten, Haltungen oder Verhaltensweisen teilweise in die Wirtschaft eingehen und von Dienstleistungsunternehmen o.ä. übernommen werden, sondern zugleich gibt es eine Rückverlagerung in den Haushalt. Was z.B. Pflegetätigkeiten betrifft, werden diese schon wieder an die Frauen delegiert. Es ist nicht nur so, dass alles unter die kapitalistische Ökonomie subsumiert wird, sondern diese kapitalistische Ökonomie setzt auch massenhaft Leute frei, gerade auch Frauen. Die Wirtschaft übernimmt nicht nur einseitig oder vergesellschaftet, sondern es gibt in Hinsicht auf die Freisetzungen Rückdelegationen an Frauen.
Außerdem ist es im Weltmaßstab betrachtet so, dass natürlich die entsprechenden Wertungen oder das psychogenetisch Unbewusste, das androzentrische, von dem ich auch gesprochen habe, greift und dadurch natürlich viele Momente wettgemacht werden. Etwa die primäre Zuständigkeit von Frauen für den Haushalt, selbst wenn es sich dabei nur um Fertiggerichte dreht, wobei Frauen heute noch in stärkerem Maße als früher erwerbstätig sind.

 

Ein Argument, das unabhängig von der qualitativen Unterscheidung zwischen abgespaltenen Tätigkeiten und Arbeit für die These der Wert/Abspaltung spricht, entlehnt Frigga Haug bei Rosa Luxemburg, die ein Außen der kapitalistischen Ökonomie als Voraussetzung der Akkumulation des Kapitals ansieht. Du analysierst ähnlich die gegenseitige Stützung von Wert und Abspaltung. Auf diese Beschreibung stützen sich aber auch Analysen, die gegenwärtig von einer fortschreitenden Subsumtion von Lebensbereichen innerhalb der Wert/Abspaltung unter die kapitalistische Ökonomie ausgehen. Stimmst Du einer solchen These der teilweisen Subsumtion der Abspaltungssphäre zu und wo verläuft für Dich die Grenze, die eine totale Subsumtion verhindert?

Wie vorhin bereits erwähnt, können diese abgespaltenen Tätigkeiten teilweise übernommen werden. Aber man kann nicht einfach davon ausgehen, dass das alles so übernommen wird und dass jetzt die totale Vergesellschaftung stattfindet. Gerade in der Rückverlagerung sozialer Tätigkeiten in den Privatbereich, nicht zuletzt bedingt durch die materielle Krise des Sozialstaats sehe ich eher, dass da auch durch die Vergesellschaftung in der Krise Freisetzungstendenzen da sind. Ich denke aber auch qualitativ gibt es eine Grenze. Die Sozialarbeiterin hat nun mal nur eine Stunde für eine Klienten und dann rasselt womöglich der Wecker. In der Sozialarbeit wird versucht solchen Problemen methodisch-technisch beizukommen, mit Methoden, wo der Mensch zum Fall degradiert wird. Dadurch entstehen Paradoxien, dass du einerseits ein intimes Verhältnis zu dieser Person aufbauen musst, das auf der anderen Seite von der Sozialarbeiterin aus aber ein formales Arbeitsverhältnis ist und per se schon kein persönliches Verhältnis sein kann. Das sind quantitative Grenzen der Sozialarbeit oder überhaupt der Substitution der Abspaltungstätigkeiten. Dazu gab es eine ganze Diskussion in den 80er Jahren, im Zusammenhang mit dem Habermasschen Theorem der Kolonialisierung der Lebenswelten, wo diese qualitativen Grenzen des Sozialstaats herausgearbeitet wurden. Das ist eine Grenze. Was die Werte Empathie und Sensibilität anbetrifft, das hört in der Wirtschaft natürlich schon auf, wenn ein Mensch nichts mehr bringt. Das geht bis zu einem gewissen Punkt, wo das für Teamarbeit usw. eingefordert wird, aber wenn man mal nichts mehr bringt, kannst du nicht mehr darauf hoffen, dass du noch betrieblich gestützt wirst.
 

So wie bei den Analysen der Gruppe Krisis, der Du angehörst, manchmal der Eindruck entsteht, Hauptgegenstand der theoretischen Auseinandersetzung sei die Phase des Fordismus, berufst Du Dich bei der Entwicklung Deines Ansatzes sehr stark auf das Modell von männlicher Erwerbsarbeit einerseits und einem Dasein als Hausfrau und Mutter andererseits. Wie rechtfertigst Du methodisch die Annahme, dass eine solche Struktur angemessen ist, um für den Postfordismus und die Propagierung neuer Geschlechterverhältnisse in ihm ein gültiges Modell von Wert/Abspaltung zu entwickeln?

Zunächst muss ich sagen, dass ich den Fordismus nicht zum absoluten Ausgangspunkt mache, sondern ich habe da einen viel allgemeineren Bezugspunkt, auf einer höheren Abstraktionsebene. Die Wert/Abspaltung geht davon aus, dass sich seit Beginn der Neuzeit, der Entwicklung der abstrakten Arbeit entsprechend, die Geschlechtervorstellungen entwickelt haben. Das fängt keineswegs im Fordismus an, sondern war natürlich schon vorher da. Es gibt Untersuchungen über die Vorstellungen von "dem Weib" in medizinischen, philosophischen und religiösen Diskursen, wo herausgearbeitet wird, was auf der kulturell-symbolischen Ebene für Vorstellungen existierten. In diesem Zusammenhang muss auch gesagt werden, dass ich das Modell "männliche Erwerbsarbeit und Dasein als Hausfrau" keinesfalls reduktionistisch sehe. Die Wert/Abspaltungsthese bewegt sich auf einer hohen Abstraktionsebene und es ist keineswegs so, dass davon ausgegangen werden darf, dass Frauen schon immer, oder auch nur im Fordismus, bloß Hausfrauen waren und Männer gearbeitet haben. Es war schon immer so, dass Frauen auch gearbeitet haben, wobei im Fordismus die Kleinfamilie mit männlicher Erwerbsarbeit und dem Dasein als Hausfrau im Grunde genommen erst in den 50er Jahren zum Normalfall wurden. Aber selbst da war es nur ein ganz kurzer Zeitraum und mir kommt es eigentlich vielmehr darauf an, dass Wert/Abspaltung ein Grundprinzip der Gesellschaft ist, das in der Empirie nicht aufgeht.
Es wäre völlig falsch, eine Formel zu entwickeln, die man sich einrahmen und an die Wand hängen kann, dass männliche Erwerbsarbeit und das Dasein als Mutter zentral für die Wert/Abspaltungsthese sind. Man muss es dagegen eher in seiner Entfaltung sehen, dass, auch wenn Frauen schon immer gearbeitet haben, sie bestimmten Zuschreibungen unterworfen waren. Das ist auch von der sozialpsychologischen Seite her zu sehen, dass in den entsprechenden Diskursen und auch im Alltag, Projektionen existierten. Man denke nur an die Diskussion von Männerbünden. Das geht weit über diese reduktionistische Annahme von weiblicher Hausarbeit und männlicher Erwerbsarbeit hinaus. Ich halte das für wichtig. Und ich halte es auch für wichtig, zu sagen, dass sich das historisch verändert. Heutzutage ist es z.B. nicht so, dass Frauen als Hausfrauen definiert werden. Das ist spätestens seit den 70er Jahren obsolet. Trotzdem kannst Du aber immer noch beobachten, dass Frauen schlechter bezahlt werden, sie haben geringere Aufstiegschancen usw. Du kannst immer noch beobachten, dass sie primär für Haushaltstätigkeiten zuständig sind, und diese Wert/Abspaltungsära als Ganze noch keineswegs abgeschlossen ist, sich die entsprechende Grundstruktur noch im Verfall dieser Ära nachweisen lässt.

 

Die Gruppe Krisis vertritt die These, dass die Phase des Postfordismus die finale Krise des Kapitalismus einläutet, dem nun endgültig die Arbeit ausgeht. Welche Auswirkungen hat diese Krise dem Wert/Abspaltungstheorem nach auf das hierarchische Geschlechterverhältnis?

Krise darf man nicht im engeren Sinne bloß als ökonomische Krise fassen. Das ist nicht mein Verständnis von Theorie, dieses Basis-Überbau Schema lehne ich, wie gesagt, ab. Ich denke, dass sich Krisenmomente auf der institutionellen Ebene, auf der kulturell-symbolischen und auch auf der sozialpsychologischen Ebene zeigen. So richtig manifest wird es dann am obsolet werden der Institutionen Arbeit und Familie, wo nicht einfach Frauen in den Arbeitsmarkt integriert werden und es wunderbar mit der Gleichberechtigung bergauf geht. Nach wie vor bleiben ihnen die anderen Tätigkeiten und die Benachteiligung ist keineswegs aufgehoben. Frauen haben doch noch die Kinder und sind für Arbeit und Leben gleichermaßen zuständig. Und ich sehe es nicht so, dass Individualisierung, und welch wunderbare Chancen Frauen jetzt haben, nur positiv sind, sondern die Existenz wird auch viel unsicherer. Ich denke, gerade was die Auflösung der Institutionen angeht bei gleichzeitigen Verarmungstendenzen, dass eine Verwilderung des Patriarchats stattfindet, wobei der Kapitalismus eigentlich die traditionelle Hausfrauenehe nicht mehr gebrauchen kann. Heutzutage ist schon ein Geschlechterverhältnis verlangt, bei dem ein Mehr an Gleichheit da ist. Man kann das an einem ganz platten Beispiel fest machen. Selbst Stoiber verlangt mittlerweile von Frauen, dass sie sich zu Computerexpertinnen ausbilden lassen. (Vulgärmarxistisch betrachtet, hat das sicherlich auch den Hintergrund, dass man alleinerziehende Frauen nicht mehr so über den Sozialstaat sponsorn kann.) Und dass Frauen für sich selber sorgen müssen, also dass sie aufgrund der Individualisierung und des Auseinandergehens von Ehe und Familie bei Strafe des Untergangs dazu gezwungen sind, sich selbst auf die Beine zu stellen. Von daher kann man sie eben nicht mehr in die alte Rolle reinzwängen.
Mein Patriarchatsverständnis, von diesem kapitalistischen Patriarchat, ist keines, das sich, wie die meisten Positionen der Frauenbewegung, bloß auf der Ebene der Frage nach der Gleichberechtigung und der empirischen Verbesserung bewegt, sondern für mich ist der Kapitalismus ein kapitalistisches Patriarchat als Ganzes. Das heißt: theoretisch gesehen, selbst wenn Frauen total mit den Männern gleichgezogen hätten, würde es sich trotzdem, so wie die Welt hier und heute aussieht, um Verwilderungstendenzen des Patriarchats handeln. Man kann das nicht einfach an der empirischen Ebene festmachen. Man muss das schon auch in der historischen Dimension sehen. Was die Struktur der Wert/Abspaltung als Prozess angeht, da kannst du nicht nur, selbst wenn es stimmen würde, mit der totalen Gleichberechtigung der Frau einen heutigen Schnappschuss machen und behaupten, es gäbe kein Patriarchat mehr, weil es eben mehr umfasst als das Geschlechterverhältnis. Mir geht das massiv auf den Wecker. Es gibt ja Stimmen in der Frauenbewegung und nicht nur da, die sagen: "Das ist doch wunderbar mit der Globalisierung, da wird immer so getan, den Frauen ginge es immer schlechter, und in Wirklichkeit haben sie immer mehr Chancen". Dieses ganze System ist auf Gewinnern und Verlierern aufgebaut, und ich sehe nicht ein, wieso man da immer mit dieser Chancenreiterei kommt, weil es strukturell schon immer so angelegt war, dass viele gleichzeitig auch verlieren und auch ich selber verlieren kann, gerade durch die verallgemeinerte Risikoexistenz. Wenn man sich z.B. überlegt, was nach einer Scheidung passiert - am Ende hat noch die Frau die Kinder und der Typ zahlt womöglich nicht. Von daher nervt es mich, dass man die Chancen überhaupt zum Maßstab macht und eine grundsätzliche Kritik von Kapitalismus und Patriarchat gar nicht mehr geleistet wird.

 

Zum Abschluss möchten wir Dich noch zu den Konsequenzen Deines Ansatzes befragen. Welche Lehren ergeben sich für einen linksradikalen Ansatz aus der Analyse der Wert/Abspaltung?

Was heißt Konsequenzen? Für mich ist es so, dass der Wert/Abspaltungsansatz ein linksradikaler Ansatz ist. Von daher ergeben sich da auch keine Konsequenzen, sondern die Wert/Abspaltung ist eher eine Konsequenz aus linksradikalen Ansätzen, die zu reduktionistisch sind, um die zu korrigieren. Mir kam es eigentlich bei dem ganzen Ansatz erst einmal überhaupt darauf an, wieder einen radikalen Gestus, eine radikale Analyse und eine radikale Theorie einzufordern, wo du nicht einfach nur mit Forderungen nach Machbarkeit im Alltag kommen kannst. Gängige Antikonzepte der Globalisierung lassen sich nur noch auf die Ebene der Realpolitik ein und auf eine bestimmte Ebene, auf der der Kapitalismus existiert und zu Gunsten der Frauen usw. verbessert werden soll. Da muss jetzt erst einmal interveniert und gesagt werden, dass auch keine alltagspraktischen Veränderungen etwas nützen, da es sich dabei nur um Pseudokonzepte handelt. Das stimmt selbst heute noch, zwei Jahre nach Erscheinen meines Buchs, das diese Konzepte bis dahin aufarbeitet. Obwohl sie mit Genua, Göteborg militanter geworden sind, wenn man sich Bourdieu, Bove und Konsorten ansieht, im IZ3W ist das gut dokumentiert, stellt man fest, dass dort radikale Kapitalismuskritik tabu ist. Um Missverständnissen vorzubeugen, es geht mir nicht per se darum alltagspraktische Veränderungen zu denunzieren, auch nicht was alltäglichen Umgang von empirischen Männern und Frauen miteinander betrifft. Wenn man als Frau Männerbünde kennt, weiß man um die Notwendigkeit alltagspraktischer Veränderungen. Allerdings muss meines Erachtens das Tabu aller radikalen Kapitalismuskritik seit '89 gebrochen werden.
 

Vielen Dank für das Interview.


Phase 2 Leipzig