Dass Antisemitismus ein Problem der anderen ist, schien sich auch der Berliner Landesverband von Linksjugend/Solid gedacht zu haben, als dieser im April 2022 das eigene Wording auf den neusten Stand brachte und »die konsequente Benennung Israels als Apartheidsstaat« beschloss. Andere Gruppen üben sich seit Jahren gekonnt im Schweigen, um bloß keinen Antisemit:innen auf die Füße zu treten. Im Blog der Interventionistischen Linken findet sich zum Thema Antisemitismus gerade mal ein Text zu Verschwörungstheorien, in dem das Wort Israel strikt vermieden wird.
Kein Wunder, dass es nach dem antisemitischen Pogrom vom 7. Oktober mit Projektionen und Relativierungen nicht weit her ist. Während antikapitalistische Vereinigungen wie die Gruppe Zora erwartungsgemäß den »palästinensischen Befreiungskampf« ausrufen, entbrennt auch unter weniger verrückten Akteur:innen ein Wettkampf um den besten Take. Dem Missy Magazine fällt nichts Besseres ein, als »Machtkämpfe von Herrschenden« zu verurteilen, »die auf dem Rücken von Zivilist*innen ausgetragen werden« und die Königlich Bayerische Antifa will auf der richtigen Seite der »unschuldigen Palästinenser*innen« und »demokratischen Israelischen Opposition« stehen. Dafür muss einem das unbedingte Selbstverteidigungsrecht Israels egal sein. Auch viele andere können wieder einmal ausschließlich danach fragen, wer oder was man selbst ist, sein möchte oder welches Lebensereignis den nächsten Redebeitrag samt moralisch einwandfreier Selbstdarstellung rechtfertigt. Wer angesichts der sich als revolutionäre Subjekte verstehenden Hamas-Verteidiger:innen noch den Wunsch nach einer neuen »Bewegung« verspürt, dem ist nicht zu helfen. »Kämpfen« ist kein Ethos, sondern allerhöchstens eine Notwendigkeit.
Doch was bringt es, sich über all diese Statements den Kopf zu zerbrechen? Es ist November 2023 und während der eliminatorische Antisemitismus zur Tat schreitet, kreist die deutsche Linke vor allem um sich selbst.