Editorial

Der Verfassungsschutz dürfte momentan nicht das Ranking der vertrauenswürdigsten Behörden anführen. Am Fall der NSU wird der behördliche Alltag für den letzten Normalbürger sichtbar: Nazis nicht nur finanziell unterstützen, Willkür als Arbeitsprinzip und – ein VS Klassiker – keine Ahnung haben und diese propagieren. Gerade die jährlichen Berichte zeugen von letzterem.

Nun soll genau diese Behörde alleinig darüber entscheiden können, welche Organisation gemeinnützig ist bzw. bleiben kann. Wer in einem der Jahresberichte erwähnt wird, soll künftig die Gemeinnützigkeit ohne weitere Prüfung verlieren. Eine unscheinbare Änderung im ohnehin nicht gerade populären Gesetz über die Abgabenverordnung liegt im Bundestag zur Entscheidung bereit. In dem einzigen Gesetz, in dem der Begriff Extremismus überhaupt vorkommt, soll in § 51, Absatz 3 das Wort »widerlegbar« gestrichen werden. Damit müssen Finanzämter die Gemeinnützigkeit automatisch entziehen, wenn ein Verein vom VS erwähnt wurde. Bisher konnten die Anschuldigungen immerhin noch beim Finanzamt widerlegt werden. Der ganz normale deutsche Wahnsinn eben.

Dieser drückt sich nicht nur in Gesetzen aus. Eine Befragung der Techniker Krankenkasse ergab, dass 33% es gut heißen, wenn nur Menschen ein Spenderorgan bekämen, die selbst bereit zur Spende sind. Was das Volk denkt, soll seinen Widerhall finden. Ganz selbstverständlich kann ein Professor an der Frankfurt School of Finance im Spiegel eine Organspendedatei fordern, in der Spender_innen einschränken, für wen sie zu spenden bereit sind. »Ich spende für die Solidarischen, das würde ich gern eintragen.« formuliert das Hartmut Kliemt. Es ist eben nix umsonst im Kapitalismus. Bei der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie wird eine qualifizierte Warteliste präferiert, in der Punkte abgezogen bekommt, wer nicht selbst der Organspende zugestimmt hat, Spender_innen wiederum sollen einen Bonus erhalten. Damit würde unter Umständen nicht mehr die medizinische Bedürftigkeit darüber entscheiden, wer ein Organ erhält.

Manche Ereignisse ragen aus dem Alltagswahnsinn heraus. Die Pogrome von Rostock Lichtenhagen gehören ganz klar dazu. Im August 1992 belagerte ein deutscher Mob von Normalbürger_innen das sogenannte Sonnenblumenhaus, in dem Migrant_innen wohnten, griff diese an, versuchte den Plattenbau abzufackeln und geilte sich an der gemeinsamen Manifestation von Rassismus auf.

Anlässlich des zwanzigsten Jahrestages dieses Pogroms soll Joachim Gauck Ehrenbürger von Rostock werden und Gerd Schöne vor Ort »Kinderlieder aus aller Welt« singen. Stadt und Bürgerinitiative sprechen nach wie vor verharmlosend von »gewalttätigen Ausschreitungen«. Doch das Problem heißt Rassismus! Unter diesem Motto wird es am 25. August eine Demo in Rostock geben, die hoffentlich dem »bunt statt braun« Gehabe etwas entgegensetzt.

Übrigens: Grazie mille, Italia!