Im demokratischen (Vor-)Wahlkampf wurde im Zusammenhang mit der Kandidatur Hillary Clintons die Genderfrage offensiv thematisiert. Auch in Deutschland wurde dies aufgenommen und über Geschlechterverhältnisse sowie möglichen Sexismus in den USA debattiert. Doch eine Übertragung auf die deutsche Gesellschaft wird nicht geleistet. Barack Obama hat seine und Clintons Kandidatur als Vorbild für seine Töchter gepriesen, denen gezeigt würde, dass sie weder qua Geschlecht noch qua Hautfarbe weniger geeignet für hohe Ämter seien. Die Bewertung einer Kandidatur als Sieg des Feminismus – in Deutschland kaum denkbar. Angela Merkel hat möglichst selten die »Frauenkarte« gezückt und ihr Sieg wurde nicht als Teil der Geschichte der Frauenbewegung gesehen. Ist es überhaupt vorstellbar, dass Gerhard Schröder Merkel gratuliert und sich für Mädchen freut, dass die gläserne Decke erneut Risse bekommen habe? Die Frage, ob die Gesellschaft »reif« für eine Präsidentin oder einen afroamerikanischen Präsidenten sei, stand vielfach im Mittelpunkt der amerikanischen Berichterstattung. Der Wahlerfolg von Barack Obama wurde und wird als Sieg gegen den Rassismus gefeiert, als eine Station innerhalb der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Er selbst hat im Wahlkampf und in den medial omnipräsenten Reden einen klaren Bezug dazu hergestellt.
Könnte in Deutschland ein Jude oder eine Jüdin damit einen Wahlkampf gewinnen, dass sie oder er darauf verweisen, dass noch die Elterngeneration nicht nur nicht in jede Eisdiele oder jedes Kino gehen durfte, sondern systematisch verfolgt und ermordet wurde – und zwar genau von den Eltern der jetzigen WählerInnen? Während eine ähnliche Kampagne für die USA als Sieg der Vernunft und »Ende des Rassismus« gefeiert wird, würde in Deutschland jedeR bereits im Vorfeld disqualifiziert, die/der konkret Bezug auf die individuelle Schuld der deutschen Mehrheitsgesellschaft im Nationalsozialismus nimmt. Das Geschrei nach einem Ende der Schuldfrage ist hierzulande generell groß, wenn es jemand wagt, davon nicht in abstrakter, sondern in ganz konkreter Form zu reden. Der Holocaust darf zwar nicht geleugnet werden, aber die Verstrickungen der Allgemeinheit werden nicht thematisiert. Schuld am Antisemitismus sind die Juden und Jüdinnen und der Staat Israel. Während der Angriffe in Gaza wurde dies einmal mehr überdeutlich. Der Antisemitismus brach ungehemmt hervor, Israel wurde als Stellvertreter aller Jüdinnen und Juden imaginiert, es wurde im Einklang mit der Hamasideologie »argumentiert« – zu beobachten bei Plasberg, auf der Straße und in der Presse.
Aber selbst die Rücknahme der Ex-Kommunikation des Holocaustleugners Richard Williamson und weiterer Piusbrüder durch die katholische Kirche kann zum Anlass genommen werden, Juden und Jüdinnen den Nationalsozialismus vorzuwerfen. In dem Online-Blatt Hannover Zeitung wird unverhohlen ein Schlussstrich gefordert (»dieses Verbrechen wurde vor 60 Jahren begangen und es ist langsam an der Zeit den Toten ihre Ruhe zu gönnen«) und Juden und Jüdinnen die Schuld am Antisemitismus zugeschrieben (»Der in Deutschland aufkeimende Antisemitismus basiert zum größten Teil auf Vorurteilen, die entstehen weil sich einige, wenige Persönlichkeiten immer wieder ins Rampenlicht spielen müssen.« »Frau Knobloch sollte sich einmal fragen, ob sie mit ihren Äußerungen nicht einem neuen Antisemitismus Nahrung gibt.«). Doch Holocaustleugnung ist so verboten wie von vorgestern und folgerichtig ist die Empörung bei denselben Menschen und Medien, die zwei Wochen vorher noch Israel am Pranger sehen wollten, groß. Richtigerweise führte die Entscheidung des deutschen Papsts aber auch zu Kirchenaustritten. Da gehen wir mit.
Spring ahead don’t fall behind.