Zwei sich kreuzende, dicke, schwarze Pinselstriche auf weißem Hintergrund, daneben in schwarz-roter Schrift der Titel des Projektes, das mit diesen großformatigen Plakaten beworben wird: Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933–1938. Es handelt sich dabei um ein erinnerungskulturelles Großprojekt, womit an den Verlust der Vielfalt Berlins durch die Politik im Nationalsozialismus erinnert werden soll. Den thematischen und zeitlichen Rahmen begründen die historischen Jahrestage des 30.01.1933, der Zeitpunkt der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, und der Novemberpogrome am 09.11.1938. Das Themenjahr wurde initiiert vom Land Berlin, und dem ersten Eindruck nach kann es durchaus als innovativ und interessant bezeichnet werden. Ausstellungen, Vorträge, Stadtrundgänge, Publikationen u.v.m. werden über das Jahr und die Stadt verteilt präsentiert. Sie wurden nicht nur von Museen und Gedenkstätten erarbeitet, sondern auch von Bezirksämtern, Geschichtswerkstätten, Vereinen und zahlreichen Projektgruppen. Auf diese Weise werden spezifische Verfolgungsgeschichten wie beispielsweise jene psychisch erkrankter, geistig und körperlich behinderter Menschen Open-Air-Ausstellung der Arbeitsgruppe Tiergartenstraße 4; Ausstellung des Heimatmuseums Reinickendorf über die medizinischen Verbrechen in der Städtischen Nervenklinik für Kinder 1941-1945; Ausstellung des Instituts für Geschichte der Medizin der Charité und des Vereins totgeschwiegen e.V. über das Schicksal jüdischer Psychatriepatient_innen. oder das Schicksal von Zwangsarbeiter_innen Dauerausstellung im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin Schöneweide; Zwangsarbeit – Die Zeitzeugen-App der Berliner Geschichtswerkstatt; Open-Air-Ausstellung des Bezirksmuseums Marzahn-Hellersdorf über das Zwangsarbeitslager in Kaulsdorf-Süd. nicht nur einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die offizielle und staatliche Rahmung der Projekte bedeutet zudem eine wichtige Form der häufig hart erkämpften Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus.
Darüber hinaus gibt die Beschäftigung mit der frühen Phase des Nationalsozialismus Anreize für eine Auseinandersetzung mit den Prozessen massenhafter und systematischer Entrechtung und Verfolgung von Menschen, die von den Nationalsozialist_innen zu Volksfeinden erklärt wurden und letztendlich in der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik resultierten.
Projektbeiträge wie der von Student_innen der Freien Universität Berlin entwickelte Audiowalk kudamm ‚31’, der anhand von Prozessakten und anderen Texten die antisemitische Gewalt der SA am Ende der Weimarer Republik nachzeichnet, oder die neueröffnete Dauerausstellung über die Geschichte des von März bis Dezember 1933 existierenden SA-Gefängnisses Papestraße richten den Blick auf diese Prozesse der rapiden Entgrenzung von Gewalt. Andere Projekte befassen sich beispielsweise mit der personellen »Säuberung« des Berliner Verwaltungsapparates und kommunaler Unternehmen. Dabei werden nicht nur die Opfer der Aktionen thematisiert, sondern auch Fragen nach den Profiteur_innen und die Thematik der Denunziation besprochen und so auf die breite Mitwirkung der »deutschen Volksgemeinschaft« an der nationalsozialistischen Politik verwiesen.
Hier soll sich jedoch nicht mit den über 120 verschiedenen Beiträgen innerhalb des Themenjahres auseinander gesetzt werden, die einer differenzierten Einzelbetrachtung bedürften. Mit dem Artikel wird dagegen eine kritische Untersuchung der thematischen Rahmung des Projekts Zerstörte Vielfalt, Berlin 1933–1938 und seiner öffentlichen Präsentation unternommen. Es wird gezeigt, wie die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus zum Zweck der nationalen Selbstverständigung und einer Vermarktung Berlins als weltoffene und moderne Metropole instrumentalisiert wird. Der daraus resultierende unkritische Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wird sowohl an dem zugrunde liegendem Konzept der zerstörten und vermeintlich wiedergewonnen (kulturellen) Vielfalt der Stadt deutlich, als auch an der immer wiederkehrenden Rede von den Verlusten, die Berlin durch den Nationalsozialismus erlitten hat. Letzterer ist nicht nur eine Verwertungslogik immanent, sondern auch eine Externalisierung sowie Entpersonalisierung der Täter_innen. Darüber hinaus sollen politische Implikationen des Projekts für die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage gestellt werden.
Für die Vielfalt und gegen das Vergessen!
»Berlin steht heute weltweit für Modernität, Vielfalt und Toleranz. Wie sensibel und schützenswert diese demokratischen Werte und Leistungen sind, vermittelt das Berliner Themenjahr 2013 mit dem Titel ›Zerstörte Vielfalt‹«.? Themenjahr Zerstörte Vielfalt, berlin.de, zit. n. http://0cn.de/sdrs. Vielfalt als eine weitgehend inhaltsleere Kategorie findet darin eine inflationäre und unkritische Verwendung. Als Aufhänger des Themenjahres wird mit dem Begriff ein thematischer und zeitlicher Bogen vom Berlin der zwanziger Jahre hinein in die Gegenwart gespannt. Als Schlüsselkategorie innerhalb des Themenjahres 2013 liegt dem Ausdruck dabei ein mindestens doppeltes Verständnis zugrunde. Mit der Bezeichnung werden in dem Themenjahr soziale Ordnungskategorien zur positiven Beschreibung gesucht, die die gesellschaftlichen Situation der zwanziger Jahre wie auch der Gegenwart analog erscheinen lassen. Darüber hinaus verweist der Begriff auf eine lebendige Hochkultur und deren Protagonist_innen im Berlin der Goldenen Zwanziger. »Die Ausstellung zeigt, wie die gesellschaftliche Vielfalt und kulturelle Avantgarde, die Berlin in den zwanziger Jahren zu einer pulsierenden Weltstadt machten, nach 1933 durch den Nationalsozialismus zerstört wurden.« Themenjahr Zerstörte Vielfalut, berlin.de, zit. n. http://0cn.de/oj7g. Das Berlin der zwanziger Jahre war bunt und vielfältig; ebenso ist es das Berlin der Gegenwart. Hier wird an ein Bild des Multikulturalismus erinnert, wie es beispielsweise im Berliner Karneval der Kulturen als Form der Inszenierung von (kultureller) Diversität zum Ausdruck kommt. In diesem Kulturkonzept schwingen jedoch immer auch stereotype Vorstellungen bzw. Zuschreibungen von Anderssein und (kultureller) Differenz mit, die im besten Fall als gesellschaftlich bereichernd und produktiv verstanden werden. Vielfalt als Wert steht dabei häufig im direkten Zusammenhang mit gesellschaftlichen Verwertungslogiken.
Der inhaltsleere Begriff ist für eine differenzierte historische Analyse ungeeignet, da konkrete Opfergruppen der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik unbenannt bleiben. Und auch in einer gegenwärtigen Gesellschaftsanalyse kann mit dem Begriff der Vielfalt keine bestehende gesellschaftliche Heterogenität abgebildet werden, die sich jenseits von kulturellen Kollektiven ausdrückt. Diese gesellschaftliche Vielfalt soll als ein schützenswerter und demokratischer Wert vermittelt werden, dem Kulturbegriff sind jedoch die Gefahren einer Kulturalisierung bzw. Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte, wie auch eine Verschleierung und Stabilisierung bestehender sozialer und ökonomischer Ungleichheiten, immanent. Im Kontext der Migrationsgesellschaft führt das Sprechen von gesellschaftlicher Vielfalt vielmehr zu einer Verstärkung gängiger kultureller Stereotype anstatt diese in Frage zu stellen. Eine dem Vielfaltbegriff zugrunde liegende historische Betrachtung wie auch Gegenwartsanalyse sind nicht nur verklärend, sondern stellen die Grundlage für eine ökonomisch orientierte und auf nationale Selbstverständigung abzielende Instrumentalisierung der Opfer des Nationalsozialismus. »Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz sind Werte, um die wir uns gemeinsam und jeder in seinem persönlichen Umfeld bewusst kümmern müssen, das ist eine unserer Kernbotschaften des Themenjahres.« Themenjahr Zerstörte Vielfalt, berlin.de, zit. n. http://0cn.de/4cxs. Eine solch proklamierte Vielfalt als gesamtgesellschaftlicher Wert und Auftrag verdeutlicht die staatliche Trägerschaft des Projekts und zeigt die Perspektive derer, die davon profitieren. Diese ist gekennzeichnet durch einen weitgehend unkritischen Blick auf die Gegenwart und das Ausblenden bestehender gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse und unterschiedlicher Formen von Diskriminierung, die nicht in das Bild einer »neuen und wiedergewonnen Vielfalt« passen.
»Für Juden gab es nur eins, die Flucht. Doch was ging für Deutschland verloren?«
Sowohl im Titel als auch in der grundsätzlichen Konzeption des Themenjahrs 2013 Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933–1938 offenbart sich in der Erinnerung an die Verfolgten und Opfer des nationalsozialistischen Systems eine verwertungslogische Argumentation. Zentraler Bestandteil des Themenjahres ist eine Porträtausstellung, die an verschiedenen Stellen der Stadt im öffentlichen Raum auf Litfaßsäulen zu sehen ist und an jene Menschen erinnern soll, die zur kulturellen Vielfalt Berlins in den zwanziger Jahren beigetragen haben. »Die Biografien [...] ermöglichen so, dem Leben, dem Schaffen und dem Schicksal einzelner Persönlichkeiten in dieser Zeit ganz nah und verständlich folgen zu können.«? Themenjahr Zerstörte Vielfalt, berlin.de, Zit. n. http://0cn.de/smye. »Darunter sind bekannte Namen, die vor 1933 die Vielfalt Berlins repräsentierten, wie Albert Einstein oder Bertolt Brecht, die meisten aber sind uns heute unbekannt – Musiker, Fotografen, Kabarettisten, Dichter, Varietékünstler und Zirkusartisten.« André Schmitz, Nur wer sich erinnert hat eine Zukunft, ?in: Museumsjournal 1/2013, 15f. An anderer Stelle werden Menschen aus weiteren Berufsgruppen aufgezählt, Anwälte und Anwältinnen, Lehrer_innen, Ärzte und Ärztinnen, die den Nationalsozialist_innen zum Opfer fielen und an deren Lebenswege und Schicksale das Projekt in besonderer Weise erinnern möchte. Schon die Auswahl der Biographien zeigt, wie die Geschichten der Verfolgten instrumentalisiert werden, indem der gedankliche Ausgangspunkt nicht die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und eine Sichtbarmachung ihrer (Lebens-)Geschichten ist, sondern die daran gebundenen Verluste, die Berlin als demokratische und kulturell vielfältige Stadt der zwanziger Jahre erfahren hat. Der Fokus der Porträts liegt auf gesellschaftlichen und kulturellen Eliten und den von ihnen erbrachten Leistungen. Deren gesellschaftliche Wertigkeit folgt Kriterien, die für den heutigen Standort und die touristische Destination Berlin von Bedeutung sind. »Für Juden gab es nur eins: weg aus Deutschland. Doch was ging für Deutschland verloren? Ursula Mamlok, die große amerikanische Komponistin, hätte die deutsche Musikszene ungemein bereichert.« ARTE/NDR, Metropolis vom 4. Mai 2013 um 16.45 Uhr. Dies ist ein perfider Blick auf die erzwungene jüdische Emigration in den dreißiger Jahren. Aus gegenwärtiger Perspektive betrachtet, entspricht diese Deutung einer kapitalistischen Verwertung und ist unter anderem auch aus aktuellen Diskursen um Zuwanderung bekannt.
Das Bedauern des großen Verlustes, den die Stadt Berlin durch die nationalsozialistische Herrschaft erfahren musste, ist eine immer wiederkehrende Formel innerhalb des Themenjahres Zerstörte Vielfalt. »Wir wollen die Verluste sichtbar machen, die Berlin durch die nationalsozialistische Barbarei erlitten hat und deren Auswirkungen wir bis heute spüren.« Andre Schmitz, Nur wer sich erinnert hat eine Zukunft, Museumsjournal 1/2013, 15. Dieses Reden vom Verlust ermöglicht außerdem, dass sich die Stadt Berlin und ihre Bevölkerung ebenso als Opfer der nationalsozialistischen Politik präsentieren können. »Auch die Stadt selbst ist von den Nazis auf übelste Weise geschunden worden, vom Verlust der Vielfalt über die Verfolgung und Vernichtung von Millionen von Menschen bis hin zur nahezu vollständigen Zerstörung Berlins und seiner jahrzehntelangen Teilung.« Pressemitteilung von Klaus Wowereit zum Auftakt des Gedenkjahres, Das Vermächtnis der Vergangenheit bleibt uns eine stete Mahnung, 29.01.2013, zit. n. https://www.berlin.de/landespressestelle/archiv/20130129.1120.380765.html. Hier wird ein Bild gezeichnet vom Berlin während der Jahre 1933 bis 1989 als Opfer und Schauplatz der Ereignisse. Diese Perspektive schließt ferner an gängige Argumentationsmuster von den Deutschen als Opfer an, wie sie beispielsweise in den Debatten um »Flucht und Vertreibung« oder um die »Bombardierungen« deutscher Städte zum Ausdruck kommen.
Dass die Durchsetzung der nationalsozialistischen Macht und Ideologie ohne die Unterstützung und Mitwirkung des größten Teils der deutschen Bevölkerung nicht möglich gewesen wäre, wird hierbei ausgeblendet. Der Verlust war ein partieller, und eben immer auch vom Profit der deutschen Volksgemeinschaft begleitet. Die Selbstdarstellung als Opfer des Nationalsozialismus eignet sich jedoch weitaus besser zur Vermarktungsstrategie als die Fragen nach Täter_innenschaft und Handlungsspielräumen.
Ein neuer Superlativ der Erinnerungskultur
Das Themenjahr Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933–1938 mit seiner großen Zahl an Ausstellungen und Einzelprojekten steht im Kontext der gegenwärtigen bundesdeutschen Erinnerungskultur, die in einer großen Zahl von Projekten, Initiativen und Gedenkorten zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen zum Ausdruck kommt. Diese sind selbst das Ergebnis jahrzehntelanger (erinnerungs-)politischer Auseinandersetzungen und finden ihre materielle Konkretisierung insbesondere auch in der Hauptstadt Berlin. Deutschland inszeniert sich als Meisterin der Erinnerung. Dem Standort Berlin kommt dabei eine zentrale Rolle in der Repräsentation eines neuen nationalen Selbstverständnisses der vereinten Bundesrepublik zu.
In diesem Sinne ist auch das Themenjahr 2013 Ergebnis eines gesamtgesellschaftlichen gelungenen Lernprozesses aus der Geschichte – »Heute, rund acht Jahrzehnte später, da wir unsere kulturelle Vielfältigkeit längst wiedergewonnen haben und ihren Wert zu schätzen wissen, erinnern wir an diese Frauen und Männer, an ihre Bedeutung und zeigen in der großen Open-Air-Ausstellung ihre Gesichter.« André Schmitz, Nur wer sich erinnert hat eine Zukunft, Museumsjournal 1/2013, 15f.Die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und deren Geschichten steht dabei nicht für sich, sondern generiert zum Symbol der gelungenen Vergangenheitsbewältigung der Bundesrepublik Deutschland. Da Formen kollektiver Erinnerung nie zweckfrei und immer auch politisch motiviert sind, wird an dieser Stelle deutlich, wie die individuellen und kollektiven Geschichten und Erfahrungen von Verfolgung und Vernichtung für gegenwärtige politische Interessen instrumentalisiert werden. Neben einer Sichtbarmachung des Verlustes für Berlin und Deutschland soll eine angeblich wiedergewonnene »kulturelle Vielfältigkeit« der zwanziger Jahre aufgezeigt werden. In der Verbindung zweier bedeutender Jahrestage im Jahr 2013 – 80 Jahre Machtübergabe und 75 Jahre Novemberpogrome – versucht die Stadt Berlin mit dem Programm Zerstörte Vielfalt einen neuen Superlativ der bundesdeutschen Erinnerungskultur zu begründen. »Es handelt sich [...] um ›das größte Projekt der Erinnerung, das jemals in Deutschland veranstaltet wurde‹«, so wird der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz im Tagesspiegel zitiert. Christian Schröder, Nicola Kuhn, Michael Bienert und Sidney Gennies: Ausstellungen in Berlin: Eine Stadt zerstört sich selbst, im Tagesspiegel vom 29.01.2013, zit. n. http://www.tagesspiegel.de/kultur/80-jahre-machtergreifung-ausstellungen-in-berlin-eine-stadt-zerstoert-sich-selbst/7705622.html, 29.07.2013. Unzählige Einzelprojekte mit einem multiperspektivischen und dezentralen Ansatz, die über die gesamte Stadt verteilt sind und den öffentlichen Raum nutzen, sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten erstrecken und eine Vielzahl von Institutionen und Projekten einbeziehen, sind charakteristisch für dieses erinnerungspolitische Großprojekt. Doch genau in dieser Omnipräsenz von Erinnerung wird erneut die Instrumentalisierung der nationalsozialistischen Vergangenheit zum Zweck des Stadtmarketings offensichtlich. Selbst das »dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte«,Pressemitteilung von Klaus Wowereit zum Auftakt des Gedenkjahres, Das Vermächtnis der Vergangenheit bleibt uns eine stete Mahnung, 29.01.2013, zit. n. https://www.berlin.de/landespressestelle/archiv/20130129.1120.380765.html. die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik, wird als Marketingfaktor genutzt und steht im Kontrast zur bunten und vielfältigen Gegenwart der Stadt Berlin. Das grundlegende Konzept der Vielfalt spiegelt sich auch auf dieser Ebene in einer Vielzahl und Heterogenität der Projekte wieder, deren spezifische Inhalte vor dem Hintergrund der öffentlichen Marketingkampagne jedoch unterzugehen drohen. Mehr noch, die Wirksamkeit solcher prestigeträchtigen Großprojekte im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Verbrechenskomplex, dessen Ursachen und Folgen, ist äußerst fraglich. Ein politisches Verständnis von Erinnerungskultur beeinhaltet sowohl eine differenzierte historische Analyse, das Gedenken an die Geschichten der Opfer und Verfolgten, als auch Fragen nach Kontinuitäten und Gegenwartsbezügen. Dies geht verloren, wenn Vermarktungs- und Tourismuszwecke im Vordergrund stehen, Erinnerungskultur verkommt dann zunehmend zum ritualisierten und inhaltsleeren Gedenken. Fast wie eine Farce wirkt es gar in Anbetracht der aktuellen Debatten um staatliche Entschädigungszahlungen für sowjetische Kriegsgefangene und der Verweigerungshaltung der Bundesregierung dabei. Beschlussakte Bundestag, zit. n. http://0cn.de/5ht9. Hier wird die anhaltende politische Brisanz der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Nachgeschichte deutlich, die dem Selbstbild der gelungenen Vergangenheitsbewältigung Deutschlands entgegenstehen. Diese politische Dimension der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte, ihren Ursachen und Folgen, wie auch den Fragen nach Kontinuitäten und Gegenwartsbezügen ist nicht allein in schönen, bunten und öffentlichkeitswirksamen Erinnerungsprojekten vermittelbar.
~ Von Katja Hauser & Franziska Göpner. Die Autorinnen leben in Berlin und Leipzig.