Vom Grande Império des 15. Jahrhunderts entwickelte sich Portugal zum Armenhaus Westeuropas mit einer der längsten faschistischen Diktaturen auf diesem Kontinent. Beendet wurde diese von der Nelkenrevolution des 25. April 1974. Bis heute trauern alle auf ihre Weise der portugiesischen Kolonialzeit nach. Eine Mischung aus Melancholie, Sehnsucht, Selbstmitleid und Müßiggang, kurz: saudade, prägt alltägliches Geschehen. In dieser nostalgischen Mixtur findet sich einiges an Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Autoritätshörigkeit und Nationalismus, mit denen sich eine Linke auseinander zu setzen hat. Doch allzu oft gibt sie sich dem Minderwertigkeitskomplex selbst hin.
Es ist schwer zu sagen, ob eine radikale Linke in Portugal überhaupt existiert. Noch problematischer ist der Versuch, sie zu charakterisieren. So wenig es kontinuierlich kooperierende Gruppen gibt, so wenig gibt es Gruppentexte oder Demonstrationsaufrufe. Es finden sich einige Gruppierungen in Lissabon, Porto, Almada, Setúbal und Aljustrel, die gelegentlich zusammenarbeiten bzw. zumindest miteinander verknüpft sind. Beziehungen zu Parteien wie dem Bloco de Esquerda, dem Linksblock, oder der kommunistischen Partei Portugals, der PCP, bleiben aufgrund anarchistischer Ansichten weitestgehend aus. Als eine radikale linke Bewegung kann die Szene in Portugal nicht bezeichnet werden. Schon zahlenmäßig muss hier in anderen Größenverhältnissen gedacht werden. 500 TeilnehmerInnen bei einer landesweiten Demonstration sind überraschende Mobilisierungserfolge, die selten bis nie erreicht werden. Thematisch begegnet man einer losen Mischung aus anarchistischer Punkattitüde, unklarem Antifaschismus gepaart mit verschwörungstheoretischem Antisemitismus. Doch eine Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit Portugals hat begonnen, auch wenn sie noch oberflächlich bleibt. Eine historische Perspektive zum Verstehen der Linken in Portugal ist deshalb notwendig.
Ansätze von Vergangenheitsaufarbeitung
Dass Spanien und England Portugal vom Weltmachtstatus verdrängten und seine koloniale Blütezeit beendeten, hat die portugiesische Gesellschaft bis dato nicht verarbeiten können und schwärmt noch heute von der guten alten Zeit. Der Mythos von der portugiesischen Mission, die Welt zu beherrschen und zu zivilisieren, wurde vor allem unter António Oliverira Salazar, Finanzminister von 1928 bis 1932 und von da an bis zu seinem Unfall 1968 Premierminister, gepflegt. Auch wenn Portugal nun nicht mehr die große Weltmacht war, war es doch die Nation der Portugiesen, die eigene Nation. Zum korporatistischen Estado Novo (1933–1974), dem »Neuen Staat«, gehörte jeder Mensch; jedeR existierte nur für Ruhm und Ehre des Staates. António Oliverira de Salazar, Como se levanta um Estado. Golden Books, Lissabon 1977, 69. Das Vaterland, seine Berufung und seine Autorität werden nicht diskutiert, meinte Salazar. Vgl. António Oliverira de Salazar, Discursos e notas políticas II 1935–1937, Coimbra 1945, 132. Eine Opposition hat es da schwer. Der noch zu Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts relativ starke Anarchismus, schon durch Repression in der Periode der Republik zwischen Monarchie und Estado Novo geschwächt, verschwand spätestens ab 1934 nach einem Aufstand in einem Polizeirevier. Nach dessen Scheitern verhinderte die staatliche Repression durch die P.V.D.E (später P.I.D.E.), die portugiesische Geheimpolizei, jegliche Opposition. In ihrem Fokus standen besonders die anarchistischen Gruppierungen. Einige Jahre später wurde ein Lager für politische GegnerInnen auf den Kapverdischen Inseln eingerichtet. Wer konnte, flüchtete bis 1939 nach Spanien, danach nach Frankreich oder England. Als Opposition blieben die PCP und einige RepublikanerInnen übrig. Heute wird von anarchistischer Seite gegen die PCP der Verdacht erhoben, auf irgendeine Weise mit dem Regime gemeinsam gegen den Anarchismus vorgegangen zu sein. Als Anhaltspunkte werden angeführt, dass Armee und Geheimpolizei von dem geplanten Aufstand am 18. Januar 1934 wussten oder auch dass eine Flucht am 3. Januar 1960 von mehreren Kommunisten aus dem Gefängnis in Peniche möglich war. Ob das nun Verschwörungstheorie ist oder ein begründeter Verdacht kann hier nicht diskutiert werden. So war es auch keine von vielen unterstützte Kritik an der rassistischen Ideologie, die den Estado Novo im Kontext des Kolonialkrieges zu Fall brachte, sondern eine allgemeine Kriegsmüdigkeit, die durch lange verlustreiche Kämpfe in Guinea Bissau, Angola und Mosambik herbeigeführt wurde. Die wirtschaftliche Stagnation seit mehren Jahrzehnten tat 1974 ihr Übriges. Am 25. April 1974 putschte das Movimento das Forças Armadas, die Bewegung der Streitkräfte, und beseitigte die alte Regierung, die sich weitestgehend ins Ausland flüchtete und Prozessen entging. Vgl. José Gil, Portugal Hoje. O Medo de Existir. 16. Bevor dann 1976 die Verfassung verabschiedet und Portugal zu einer repräsentativen Demokratie umgebaut wurde, gab es zwei Jahre einen Versuch von Sozialismus. Die Großgrundbesitzer im Alentejo wurden enteignet, Banken verstaatlicht, viele landwirtschaftliche Kooperativen gegründet. Nach 1976 wurden alle diese Entwicklungen nach und nach wieder rückgängig gemacht.
Gesamtgesellschaftlich ist der Bezug zu dieser so genannten Nelkenrevolution identitätsstiftend. Als die faschistische Regierung gestürzt war und die BewohnerInnen aus ihren Häusern kamen, steckten sie den Soldaten der Bewegung der Streitkräfte Nelken in die Gewehrläufe. Daher kommt die Bezeichnung der Revolution. In Portugal ist der 25. April 1974 Dreh- und Angelpunkt aller gesellschaftlichen Debatten. Es ist die »Stunde Null« Portugals für Regierung wie Bevölkerung, die jedes Jahr mit einer Demonstration gefeiert wird, zu der sich tausende Mitglieder von Gewerkschaften und politischen Parteien einfinden. Damit ist die Nelkenrevolution auch ein wichtiges Thema für die radikale Linke. Diese lehnt aber die allgemeine Euphorie ab. Nur José Afonso, der Liedermacher von »Grandôla Vila Morena«, dem Song, mit dem in der Nacht zum 25. April1974 die Revolution begann, ist auch in der Linken beliebt und lässt sie immer wieder in Revolutionsromantik schwelgen. Der 25. April ist außerdem einer der wenigen Bezugspunkte, an denen eine Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit explizit von der Linken gefordert wird. Die Linke nennt den 25. April gern auch »Pseudo-Revolution«, da sie die heutige Demokratie immernoch in der Tradition des Faschismus sieht. Eine »wirkliche« Revolution hätte Kapitalismus und Ausbeutung abgeschafft. Zit. n. http://www.bastounada.blogspot.com 2007 fand eine Demonstration statt, in der man sich von der traditionellen Großdemonstration distanzierte. Diese Gegendemonstration wurde durch ein großes Polizeiaufgebot, das kompromisslos und aggressiv vorging, beendet. Heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei sind heutzutage nicht üblich in Portugal. Man ist nicht mehr mit dem Estado Novo konfrontiert. Das Vorgehen der Polizei versetzte die Linke in einen Schock, aus dem heraus sich die Kritik am Feiern einer bis in weite Teile autoritätshörigen Gesellschaft für ihre Revolution zum 25. April verschärfte. Angeprangert wird, dass die eigenen dunklen Kapitel während des Estado Novo verschwiegen werden und man das Alibi der alljährlichen Großdemonstration nutzt, um sich reinzuwaschen. Vgl. CCA Gonçalves Correia, 25 de Abril. Dia da liberdade em 2007... In: Alambique 1/07. 13f. Große Teile der Bevölkerung haben sich die während des Salazar-Regimes angeeignete passive Haltung gegenüber jeglicher Politik beibehalten. Bei politischen Stellungnahmen und Entscheidungen hält man sich zurück. Vgl. Gil, Portugal Hoje, 17. Eine ähnliche Kritik richtet sich auch gegen die alljährlichen Feierlichkeiten am Todestag von Dom Carlos II., dem 1. Februar 1908. Der vorletzte König Portugals wurde an diesem Datum von den Anarchisten Costa und Buíça umgebracht. Die allgemeine Erinnerung an die portugiesische Monarchie an diesem Tag kritisiert die radikale Linke als Sehnsucht nach Autorität und klarer Führung, wobei sie selbst den Tod des Königs demonstrativ feiert. Vgl. http://redelibertaria.blogspot.com/2008/02/manifestao-regicida-em-lisboa-1-de.htl
Am 25. April 2008 fand aufgrund der Geschehnisse des Vorjahres eine Demonstration gegen polizeiliche Repression statt, die die Kontinuität zum portugiesischen Faschismus im heutigen Portugal kritisierte. Auch die eigene Verstrickung in ein System von Überwachen und Strafen war dabei Thema. Allerdings bleibt eine konkrete Analyse eben jenes Faschismus des Estado Novo und seiner Nachwirkung oberflächlich. Genaue Parallelen und Brüche zum heutigen System werden selten benannt. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass es in Portugal schon ein starkes Stück ist, die heutige Erzählung vom 25. April 1974 als Rettung Portugals von Salazar abzulehnen und nicht der Meinung zu sein, dass nun alles gut sei, sondern die Kontinuitäten zu thematisieren. Nichtsdestotrotz bleibt beispielsweise der stark benutzte Begriff Faschismus, der als Gegenpol für die radikale Linke Sinn stiftet, nahezu inhaltslos. Selten finden sich Gruppentexte, aus denen klarer würde, wer das Feindbild Faschist genau sein soll und was genau der portugiesische Faschismus eigentlich war. Das schmälert und konterkariert die zu begrüßende Forderung nach Aufarbeitung der Vergangenheit. Das Einzige, was sich stets inhaltlich herauskristallisiert, ist eine Verknüpfung von Faschismus und Kapitalismus, die aber offenbar so klar zu sein scheint, dass sie keiner näheren Erläuterung bedarf. Dabei wird auch nicht vor verschwörungstheoretischen Personalisierungen zurück geschreckt: Die, die »aus der Misere aller Profit schlagen«, damals wie heute, unterdrücken immer noch das kollektive »Wir«. Zit. n. http://www.bastounada.blogspot.com. ...àqueles que lucram com a miséria de todos os outros...
Antikapitalismus, Antisemitismus, Umweltschutz – ein Dreiklang
So zielt der Antikapitalismus auf MonopolistInnen und SpekulantInnen, denen die eigentliche Macht im Staat nachgesagt wird. Das gemeine Volk werde durch sie unterdrückt. Die quasi feudale Struktur in ländlichen Gebieten wie dem Alentejo bestärkt dieses Bild zusätzlich. Während der Bodenreform nach der Nelkenrevolution wurden hier viele Kooperativen gegründet; doch nach und nach wurde es den alten GroßgrundbesitzerInnen per Gesetz ermöglicht, ihre alten Ländereien wieder zurück zu holen. Allerdings ist die Schaffung eines Gemeinwohls nicht das Ziel kapitalistischen Wirtschaftens. Eine Kritik der Totalität des Kapitalismus verlangt anderes als nach schuldigen MonopolistInnen zu suchen. Eindeutig ist in der portugiesischen Linken die Einteilung in Gute und Böse. Das internationale Finanzkapital, offen lokalisiert in der Wall Street und mal mehr, mal weniger implizit in Israel, wird für das Elend »des kleinen Mannes« verantwortlich erklärt.
Heimatverbundenheit ist dagegen eine Tugend. Denn zur Kapitalismuskritik in Portugal gehört eine ökologische Seite, die sich erschreckend häufig entsprechend der regressiven Antikapitalismuskritik in Heimatverbundenheit verliert. »Landschaft kann als einzigartige Identität eines jeden Ortes begriffen werden, mehr noch als Abbildung unserer natürlichen und kulturellen Erinnerung. Sie spiegelt unsere Werte und Bestrebungen wieder sowie unsere kollektive Identität und unser alltägliches Verhalten. [...] Noch nie hat im Alentejo die Maschine der Menschheit [...] angehalten, um mal eine Minute zu überdenken, was sie sich hier unter dem Banner der ‚Produktivität` einverleibt«. Filipe Nunes, Alentejo, salva-me porra!!! In: Alambique II/09, 4. Einen anderen als einen regressiven Antikapitalismus findet sich in der linken Szene nicht. Doch auch wenn sich ökologische Themen oft auf höchst problematische Weise damit verbinden, darf nicht vergessen werden, dass es an einem institutionalisierten Umweltschutz in Portugal fehlt. Eine grüne Bewegung in den achtziger Jahren gab es nun mal nicht. Und so verschreibt sich die heutige Linke dem Thema Ökologie. Es wird zu einem sparsamen Umgang mit Wasser aufgerufen, Hektar große Eukalyptusplantagen werden kritisiert oder auch mal Genmaisfelder beschädigt.
Aus dem Vorangegangenen lässt sich schließen, dass Antisemitismus kein Thema in der portugiesischen Linken ist, obwohl gesamtgesellschaftlich sogar religiös geprägter Antisemitismus stark verbreitet ist. Es wird im Gegenteil bei der Einweihung eines Gedenksteins auf dem Rossio in Lissabon für die Opfer des Massakers an den jüdischen BewohnerInnen Lissabons im 14. Jahrhundert, gemahnt, die heutigen Leiden des palästinensischen Volkes, verursacht durch den ausgemachten Aggressor Israel, auch zu bedenken. Die Möglichkeit, Antisemitismus und Antizionismus zu äußern, nutzt die portugiesische Linke gern und erwacht bei diesen Gelegenheiten aus ihrer Lethargie. Ebenso ergeben sich in solchen Momenten Schnittpunkte zu den sonst verschmähten politischen Parteien. Während der israelischen Intervention im Gazastreifen 2008/09 gab es unzählige Solidaritätsbekundungen mit dem palästinensischen Volk wie z. B. im Casa Viva in Porto oder eine Kundgebung vor der israelischen Botschaft in Lissabon, zu der die Gruppe Direito Habitação unterstützt vom Bloco de Esquerda, Gewerkschaften und antirassistischen Gruppen aufgerufen hatte. Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen ist ohnehin ein beliebtes Thema. Hier wird neben dem Nahost-Konflikt besonders nach Spanien geschaut und mit Gruppen aus Galizien, Katalonien oder dem Baskenland werden Veranstaltungen organisiert. Vgl. casa-viva.blogspot.com/2007/12/tarde-solidria-com-o-pas-basco.html. Ein Volk, das sich gegen den reichen und mächtigen Staat, dessen Kapitalismus und seine Hintermänner erhebt, ist in der portugiesischen Linken stets willkommen. Es wird ein Mythos vom revolutionären kleinen Mann gepflegt, der vom Staat sowie der Europäischen Union und den sie kontrollierenden Mächten unterdrückt werde. Vgl. casa-viva.blogspot.com/2008/02/blog-post_20.html Diese Verschwörungstheorien gegen unterdrückte Völker sind mit regressivem Antikapitalismus und Antizionismus verwoben. »Die gleichen, die internationale Organisationen benutzen, um Blutbäder in Palästina zu ermöglichen, wollen im Einklang mit der offiziellen weltweiten Doktrin neue Institutionen mit noch zentralisierterer Macht zur ökonomischen Unterdrückung bilden, die das System, das Ungerechtigkeiten, Armut, Krieg und Tod hervorbringt noch verschlimmern«, zitiert das Casa Viva, ein Hausprojekt in Porto, Ângelo Alves, Mitglied der PCP, auf seinem Blog. Vgl. casa-viva.blogspot.com, eigene Übersetzung: Os mesmos que usam as instituições internacionais para permitir o banho de sangue na Palestina, são os mesmos que querem transformar em doutrina oficial mundial o sistema que está na génese das injustiças, da pobreza, da guerra e da morte e criar novas instituições de domínio económico com um poder ainda mais centralizado.
Von einer emanzipatorischen Politik ist die radikale Linke in Portugal weit entfernt. Hier darf aber nicht der Anarchismus vernachlässigt werden. Zumindest in einigen Strömungen wird in diesem Theoriekontext auf eigene Verstrickungen in gesellschaftliche Zwänge aufmerksam gemacht. Vgl. CCA Gonçalves Correia, Hierarquia... e Anarquia. Ressuscitanto o Anarquismo como uma abordagem pessoal à vida. In: Alambique 1/07. 9–12. oder auch Pessoa, Fernando: O Banqueiro Anarquista. Auf die Kapitalismuskritik hat das allerdings wenig Einfluss. Vor diesem Hintergrund kann kaum Hoffnung bestehen, dass die Linke, selbst von Antisemitismus durchdrungen, in die Realität der Gesamtgesellschaft interveniert. Dabei wäre es in Portugal notwendig gegen das antisemitische Ressentiment vorzugehen. Zumal dies sich ebenso mit dem weit verbreiteten Antiziganismus ergänzt. Jüdinnen und Juden gelten als die heimlichen Profiteure des Kapitalismus, Sinti und Roma als arbeitsfaul, kleptomanisch und minderwertig. Oder noch unter religiösen Vorzeichen seien beide mit dem Teufel im Bunde. Vor allem aber schädigen sie Portugal. Doch statt hier Kritik zu üben, wird irgendwo Kohl angepflanzt oder vor der israelischen Botschaft demonstriert. Eine horta popular, ein gemeinschaftlicher Gemüsegarten, wird in Portugal zum revolutionären Projekt.
Rassisten, das sind die anderen
Noch einmal kurz ein paar Jahre zurück: die Unabhängigkeit Brasiliens 1825 erforderte eine koloniale Neuorientierung der portugiesischen Politik. Die neue lusotropikale Welt sollte Angola werden. Der Lusotropicalismo von Gilberto Freyre, ein brasilianischer Soziologe, ist bis heute in der portugiesischen Gesellschaft verankert. Vgl. z.B. das Standardwerk: Gilberto Freyre, O mundo que o Portugês criou. 1940. Grundsätzlich beschreibt er, wie die Adaptation der portugiesischen Kultur in tropischen Gebieten eine neue lusophone Zivilisation mit Frieden zwischen den »Rassen« erschafft. Als in den fünfziger und sechziger Jahren alle europäischen Länder von ihren Kolonien lassen mussten, hielt das salazaristische Portugal noch an seinen verbliebenen Territorien fest. »Portugal ist kein kleines Land« Portugal não é um país pequeno. – hieß die Parole. Der Lusotropicalismo wurde zur Legitimation des portugiesischen Kolonialismus, der diesen als den »guten Kolonialismus« im Gegensatz zum europäischen darstellte. Die Aufgabe des »weißen Mannes«, die »schwarzen Wilden« zu zivilisieren, wurde zur Aufgabe des »portugiesischen Mannes« und zur heiligen Bestimmung des Estado Novo. »Der Portugiese beutete nicht aus, sondern er ›integrierte‹ sich in die Tropen; er zerstörte nicht, sondern ›kreierte‹ Welten; füllte die Beziehungen zu den Indigenen mit Leidenschaft«. Maria da Conceição Neto, Ideologias, Contradições e Mistificações da Colonização de Angola no Século XX, 348. Von der »Metropole« Portugal aus wurde in den »Überseeprovinzen« zivilisiert und christianisiert. Von Sklaverei und Gewalt ist dabei keine Rede. Portugiesischer Kolonialismus wird nicht als rassistisch betrachtet. Bis heute findet sich dieser Mythos des Nicht-Rassistisch-Seins in der portugiesischen Gesellschaft. Noch immer ist jedeR MigrantIn ein bisschen wild und muss zivilisiert werden. Noch immer ist man der Auffassung, sich mit »Rassen« zwecks Zivilisierung jener »mischen« zu wollen, um eine lusotropikale Welt zu erschaffen, wäre kein Rassismus. Dabei wird sich auf Freyres Ansichten zu Brasilien bezogen, wo während der Kolonialzeit zwischen Kolonialherren und indigenen Frauen rege Beziehungen mit dem entsprechenden Nachwuchs üblich gewesen sein sollen. So hängt man am Mythos der vermeintlich typisch portugiesischen »Rassenharmonie«. Diese regen Beziehungen aber waren nicht der Abwesenheit von Rassismus zu zuschreiben, sondern dem Mangel an mitgereisten Portugiesinnen. Wie denn diese sogenannte Promiskuität genau ausgesehen haben soll und mit welchen sozialen Hierarchien und rassistischen Geschlechterdiskriminierungen diese verbunden waren, kommt dabei nicht zur Sprache.
Heute haben es MigrantInnen ohne geklärten Aufenthaltsstatus nicht leicht und ihr Alltag ist geprägt von ständiger sozialer Ablehnung und harter, gering bezahlter Arbeit. Nur wenige Gruppen beschäftigen sich intensiv mit dieser Thematik, wobei eine Einordnung des heutigen Rassismus in den kolonialen Kontext Portugals nahezu gänzlich ausbleibt. Mit Direito Habitação findet sich eine Gruppe, die in die Umstrukturierung, d.h. Abriss, der Randbezirke Lissabons, interveniert. Vor Jahren illegal errichtete Häuser von MigrantInnen werden ohne wenn und aber von der Stadt abgerissen. Von Direito Habitação werden die Betroffenen in Kampagnen eingebunden und miteinander vernetzt. Solim, Solidariedade Imigrante, veranstaltet neben durchaus sinnvoller juristischer Unterstützung für MigrantInnen allerdings auch Multikulti-Feste und Länderabende. Vgl. http://www.solimigrante.org/que-fazemos Das erinnert dann unbewussterweise wieder an den Lusotropicalismo; man ist der Auffassung, man sei nicht rassistisch, weil man sich ja mit den Kulturen mische. Oder es wird eine Debatte über Afrika organisiert, die diesen Kontinent als den schwächsten im Prozess der Globalisierung bezeichnet, obwohl er doch so reich an Potenzialen sei. Vgl. www.dialogoeuropafrica.org. África em debate: 22 e 24 de Maio. Neben den wichtigen und sinnvollen Initiativen bleiben die antirassistischen Gruppen außerdem wieder bei dem üblichen Schimpfen auf GroßkapitalistInnen hängen. Das weit verbreitete Ressentiment in der Gesellschaft wird nur oberflächlich thematisiert und nicht in seinen spezifischen Kontext eingeordnet.
Von Feminismus keine Spur
Schon aus der bisherigen Darstellung wurde deutlich, dass Feminismus für die portugiesische Linke marginal ist. Er taucht schlichtweg fast nicht auf. Äußerungen der linken Gruppierungen zu den Themen Feminismus oder Queer-Theory finden sich selten bis nie. Selbst wenn vereinzelt Diskussionen stattfinden, werden sie nicht in Beziehung zu sonstigen Themen oder Aktivitäten gesetzt.
Was Nennenswertes in dieser Hinsicht in den letzten Jahren in Portugal passierte, war eine Debatte über die Legalisierung von Abtreibung. Am 11. Februar 2007 wurde in Portugal über das neue Abtreibungsgesetz per Volksentscheid abgestimmt. Dieses Gesetz legalisierte Abtreibungen. Bis zur 10. Woche kann auf Antrag eine Abtreibung durchgeführt werden. ÄrztInnen sind verpflichtet, dies zu ermöglichen. Bis zur 12. Woche ist eine Abtreibung nur noch bei Schwangerschaft durch Vergewaltigung oder Inzest sowie aus medizinischen und psychologischen Gründen möglich. Danach ist sie nur noch aus streng medizinischen Gründen wie Gefahr für die Mutter erlaubt. Wenn sich in den letzten Jahren in Portugal eine feministische Bewegung bemerkbar gemacht hat, dann vor der Abstimmung über dieses Gesetz. Zit. n. http://marchalgbt2008.blogspot.com/search/label/manifesto% 20ingl%C3%AAs Trotz des starken Katholizismus fand sich eine breite Basis, die sich für das Gesetz entschied. Lissabon und Porto zieren »Vota sim!«, Stimme Ja!, Graffiti. Das Abtreibungsgesetz ist nun liberaler als in Deutschland. Auch wenn eine solche Kampagne nur als ein Fragment von Feminismus betrachtet werden kann, ist doch das Bestehen auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper eine emanzipatorische und auch feministische Forderung. Die Linke allerdings war in dieser Debatte wenig präsent.
Schon nach der Abstimmung war von Feminismus kaum mehr eine Spur zu finden. Kritik an Geschlechterrollen, Sexismus oder gesamtgesellschaftlichen patriarchalen Strukturen fließen in linke Debatten in Portugal nicht ein – ganz zu schweigen von Analysen der Verknüpfungen von Geschlechterrollen und kapitalistischer Verwertung. »Frauen sind auch Arbeiter, zwar im Haushalt, aber deswegen können sie sich doch trotzdem an der Arbeiterbewegung beteiligen«, bekam die Autorin von Vertretern der Arbeiterinitiative in Almada zu hören. Wenn überhaupt ist das Patriarchat Nebenwiderspruch. Die Marchas de Orgulho, also Gay Pride Demonstrationen, oder das Queere Filmfestival sind seltene Lichtblicke. Hier werden Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit diskutiert. Doch außer in den Großstädten Lissabon und Porto kann es zum Problem werden, sich als nicht heterosexuell zu outen. Thematische Verbindungen zu den sonstigen Aktivitäten der Linken finden sich nicht.
Alles in allem sind emanzipatorische Tendenzen in der portugiesischen Linken rar gesät. Kapitalismus wird nicht in seiner Totalität begriffen, Verknüpfungen mit Geschlechterhierarchien werden nicht mit gedacht und als schuldig für die Misere des Planeten gelten GroßkapitalistInnen. In Ansätzen gibt es eine Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit Portugals, die aber meist oberflächlich bleibt. Von dem vor der Zeit des Faschismus starken und verbreitetem Anarchismus ist heute kaum mehr etwas zu sehen. Im Gegenteil, die Autoritätshörigkeit und die melancholische Passivität der Gesellschaft, in die die Linke nicht interveniert, weil sie zu sehr mit SpekulantInnen beschäftigt ist, bleiben im Gedächtnis.
~Von Sarah Schulz.