Die Letzte macht das Licht aus

Einleitung zum Schwerpunkt

In den Debatten über den menschengemachten Klimawandel tauchte in den letzten Jahren vermehrt der Begriff des Ökozids in der politischen Öffentlichkeit auf. Er bezeichnet, nach der bisher nicht ratifizierten Definition eines unabhängigen Expert:innengremiums, »rechtswidrige oder willkürliche Handlungen, mit dem Wissen begangen, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden für die Umwelt besteht, die durch diese Handlungen verursacht werden«. Der Tatbestand des Ökozids soll ein juristisches Instrument bereitstellen, mit dessen Hilfe künftig konkrete Verursacher:innen, staatliche wie nicht-staatliche Akteur:innen bis hin zu einzelnen Personen, für verursachte Klima- und Umweltschäden zur Rechenschaft gezogen werden.  

Die Chancen stehen gut, dass der Begriff in den kommenden Jahren Einzug in das Internationale Völkerstrafrecht finden wird. Damit stünde er neben den bisherigen vier Straftatbeständen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression (Angriffskrieg) – allesamt universalisierte Rechtsnormen, die angesichts der globalen Konflikte der Gegenwart intuitiv plausibel sind. Und auch die Bedrohung der planetarischen Lebensgrundlagen scheint ein prädestinierter Fall, um auf der Ebene der Weltgesellschaft verhandelt zu werden. 

Tatsächlich bildet der universell argumentierende Legalismus weithin die Grundlage politischen Bewusstseins, in dem lokale Ereignisse und ihre Folgen als Ausdruck von Problemen einer Menschheit auftreten. Die Abstraktionshöhe hat aber einen Haken. Wenn die Argumentationen von Klimabewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion so weit weg vom Alltag und den lokalen Verhältnissen erscheinen – egal wie viele Klimakleber oder Farbanschläge das Bewusstsein für die unmittelbare Betroffenheit wecken sollen –, so liegt das auch an der Kluft zwischen der abstrakten Universalnorm und dem direkten Handeln. Es gibt sie ja noch gar nicht, die weltweite menschliche Gesellschaft.  

Die Bemühung um supranationale (Klima-)Gerechtigkeit bleibt daher ein verrechtlichtes Denken, das die historischen Entwicklungen hin zu den globalen Standards vergessen hat. Jene internationalen Rechtsnormen sind eben nicht einfach Gesetze der Menschheit, sondern sie gehen auf konkrete Ereignisse zurück: Sie wurden im Zuge der Ahndung von NS-Verbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Und auch der Begriff des Ökozids hat einen partikularen Ursprung. Erstmalig tauchte er im Zusammenhang mit den Folgen des Vietnamkriegs auf, bei dem der Einsatz des Herbizids Agent Orange durch die US-amerikanischen Streitkräfte zur weitflächigen Entlaubung und nachhaltigen Vergiftung des vietnamesischen Urwalds geführt hatte. Die massiven gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung sowie für die eingesetzten Soldaten wirken bis heute nach.  

Nun besteht kein Zweifel, dass die Größe des Bestecks einer Weltgerichtsbarkeit dem Problem des Klimawandels angemessen wäre – schließlich geht es um die Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit. Aber jener Klimaaktivismus, der das Recht der Weltgesellschaft anruft, hat ein fundamentales Vermittlungsproblem zwischen universaler Argumentation und dem lokalen Ereignis.  

Die fehlende Vermittlung bedingt eine weitere Schwierigkeit, nämlich eine Zukunftslosigkeit, im wahrsten Sinne des Wortes. So wie jede Dürre, jeder Waldbrand und überdurchschnittlich heiße Sommer zum unmittelbaren Ausdruck der drohenden Katastrophe werden – und also nicht mehr vermittelt ihrer historischen Entstehung begriffen werden –, so ist jede Hoffnung in die Zukunft an das Bestehende gefesselt. Die Zukunft kann gar nichts qualitativ Neues mehr bedeuten. 

Daher changiert die Forderung der Klimaaktivist:innen nach Zukunft auch zwischen der Anspruchshaltung auf dieselben Freiheiten, wie sie die »Umweltsau«- und Elterngenerationen hatten, und einem leeren Grenzbegriff. Wie Luisa Neubauer in ihrem Buch Noch haben wir die Wahl stellvertretend für ihre »letzte« Generation festhält, denkt sie als Apokalyptikerin von der mit Sicherheit eintretenden Katastrophe rückwärts. Die Entwicklung der Gegenwart in die Apokalypse erscheint so linear, wie es der Fortschrittsbegriff der instrumentellen Rationalität eben vorgibt. Daher können auch rein naturwissenschaftliche Hochrechnungen, wie ausgeprägt ihr Komplexitätsgrad auch sein mag, keine andere Qualität von Zukunft abbilden. Der positivistische Bezug auf »die Wissenschaft« geht Hand in Hand mit der climate anxiety, die in dem angstvoll erlebten Chaos der Gegenwart den Untergang als womöglich einzigen fixen Punkt erkennt. 

Aber schlechte Abstraktion, verrechtlichtes Denken und die Unfähigkeit, sich eine Welt jenseits der bestehenden Zwänge vorzustellen, sind kein exklusives Merkmal des jungen Klimaaktivismus. Die altbekannten Probleme der bürgerlichen Ideologie begleiten die Menschen scheinbar bis zu ihrem Untergang – neben die drohende Naturkatastrophe tritt die Katastrophe der Zweiten Natur. So verschiebt die Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen die Ursachensuche auf die einfache Vorstellung, der einzelne Mensch sei das Problem, der »besser« also nachhaltiger zu leben, sprich zu konsumieren habe. Wenn so die Menschen erst einmal schuldig gemacht werden können, ist es auch nicht weit zu der Idee, dass die Rettung der Welt nur ohne die Unproduktiven, die wider besseren Wissens nicht nachhaltig konsumieren, oder die Alten, die unmittelbaren Täter der anstehenden Klimakatastrophen, möglich sei. Diese aufs Individuum fixierte Vorstellung von Klimarettung hat dabei noch eine weitere Schlagseite, wird bei all den Ratschlägen und Handlungsanweisungen doch vor allem der Privathaushalt zum Dreh- und Angelpunkt eines klimafreundlichen Lebensstils erklärt. Auch in so machen feministischen Debatten wird durch eine ausufernde Erweiterung des Care-Begriffs nun auch die Sorge um »die Natur« kritiklos mit aufgenommen. Getreu nach dem Motto: Umweltschutz beginnt zuhause. Dass hier erneut gesellschaftliche Verantwortung feminisiert und privatisiert wird, sollte nicht nur jede:r (Öko-)Feminist:in die Haare aufstellen. 

So ist auch der Ruf nach Verzichtkultur besonders bei den Leuten am lautesten, die wissen, wann es das nächste Mal in den Urlaub hätte gehen können. Die Intention dahinter hat Wolfgang Pohrt einmal treffend formuliert: »Sie besteht in der fixen Idee, ausgerechnet man selbst müsse eine Zukunft haben, während so viele andere Menschen nicht mal eine Gegenwart besitzen«. Sich siegessicher dafür auf die eigene Schulter zu klopfen, dass es im Sommer mal nur mit der Bahn an die Ostsee gehen wird, steckt beispielhaft den Horizont der Vorstellungskraft ab. 

Bei all den ideologischen Fallstricken, mit den Mitteln der falschen Welt über eine bessere Welt nachdenken zu wollen, stehen auch linke, progressive oder emanzipatorische Kräfte auf dem Schlauch. Dabei ist es eine Frage, die sie durchaus etwas angeht: Um was für eine Zukunft sorgen wir uns angesichts der drohenden Apokalypse? Ist eine Welt noch bewahrenswert, in der das Versprechen von freien Menschen gar nicht mehr zur Debatte steht, in der Faschismus die wahrscheinlichste Antwort auf Ressourcenkriege und Verteilungskämpfe sein dürfte, in der die Natur wieder als Reich der Notwendigkeit verehrt wird und Linke zum Ökoleninismus aufrufen? 

Eine bessere Zukunft braucht Vorstellungskraft, diese wiederum ist abhängig von historischer Urteilskraft. Jene Apokalyptiker:innen, die aufgrund von Klimaangst ihre persönliche Zukunft vor einem Weltgericht erstreiten wollen, haben sich um diesen Zusammenhang gedrückt. Sie brauchen keine Vorstellung von Zukunft auszubilden, denn diese ist bereits als Katastrophe festgelegt, die allen demonstrativen Gestaltungswillen des Aktivismus for Future ad absurdum führt. Auch der Redaktion der Phase 2 steht keine Glaskugel zur Verfügung. Wir teilen die Erstarrung, die Unklarheit, die diffusen Ängste im Umgang mit den bedrohlichen Aussichten auf eine verlorene Zukunft. Aber wir erheben auch Einspruch: bei diesen unmittelbaren Reaktionen zu verharren ist Teil des Problems. 

Dem widmet sich die vorliegende Ausgabe und hat entsprechend all jene Schwierigkeiten im Umgang mit den Problemen und Ideologien des Klimawandels durchgemacht. Sie liefert daher weder eine definitive Position noch eine kohärente Gegenposition, sondern den Versuch, etwas von dem zu umstellen, was sich nicht auf den Begriff bringen lässt. Eine Art Überblick zu falschem Bewusstsein in Zeiten der Klimakrise geben Lisa Marie Mast und Walther Zeug in ihrem Beitrag Der ideologischen Fußabdruck des Kapitalismus, der sich dem bildungspolitischen Umgang mit dem Klimawandel widmet. Irgendwo muss die die vermeintlich letzte Generation ja herkommen, die sich für das Schicksal der Menschheit und ihres Planeten verantwortlich fühlen soll, und es wäre naiv, diese als ein zu sich selbst gekommenes revolutionäres Subjekt zu romantisieren. Auch das gegenwärtige »Klimabewusstsein« ist gesellschaftlich hergestellt und vermittelt. 

Im Gegensatz zu jenen jungen Menschen, die jetzt für ihre Zukunft kämpfen wollen, gehören Jan Off, Ted Gaier und Sandra Zettpunkt einer Generation an, die sich »No Future« verschrieben hatte. Zusammen schreiben und sprechen sie über diesen Generationenkonflikt und den Unterschied in Aktivismus, Jugendbewegtem und Subkulturellem. Die persönlichen Erfahrungen und Deutungen sind freilich noch nicht besagte historische Urteilskraft. Daher wirft Peter Bierl in seinem Text Realsozialismus und Umweltschutz einen Blick in die Geschichte und räumt mit einem vielbeschworenen Mythos auf: auch die realsozialistische Systemalternative zum Kapitalismus hätte in die ruchlose Zerstörung der Naturgrundlagen geführt. Gegen den »Ökozid in der Sowjetunion« argumentiert Bierl, dass es eben sehr wohl darauf ankommt, mit welchen Zielen Naturausbeutung stattfindet. Gewissermaßen verlängert Ewgeniy Kasakow die Geschichtsschreibung über Linke und Staat in die Gegenwart. Sein Beitrag Angis Rache rechnet mit jenen progressiven Kräften ab, die während der Regierungszeit Angela Merkels gelernt haben, sich mit dem kleineren Übel abzufinden und sich daher nicht zufällig mit den Sachzwängen der Klimarettung anfreunden können. 

Die Brücke zwischen Aktivismus und theoretischer Reflexion schlägt das Organisationsbündnis »Klimawandel & Gesellschaftskritik«. Im Interview sprechen sie über ihren Versuch, mit der gleichnamigen Konferenz aus dem Jahr 2022 Klimaaktivismus auf seine fehlende Theorie, und die Theorie auf ihre praktische Relevanz zu verpflichten. Anneke Schmidt nähert sich mit Prometheus macht sich zum Zwerg philosophisch dem gesellschaftlichen Umgang mit Technik. Der Hoffnung, die Katastrophe sei durch die richtige technische Naturbeherrschung noch abzuwenden, entgegnet sie mit Rückgriffs auf Günther Anders, dass wir auch mit technischen Lösungen der menschengemachten Geschichte immer noch hinterherhinken. Das inhaltliche Gegenstück zu dieser philosophischen Betrachtung liefert der Artikel Das Naturschöne im Klimawandel. Martin Dornis erinnert darin an die Bedeutung des Naturschönen – und an dessen Potenzial zur Veränderung unseres derzeitigen Weltverhältnisses. 

Zum theoretischen Problem des Weltverhältnisses hat auch Florian Geisler etwas zu sagen. Sein Text Natur und Determination nimmt sich den Materialismus zum Gegenstand und erörtert das gesellschaftliche Naturverhältnis in den alten und neuen Materialismen. Statt einer Abrechnung mit dem tendenziell mystizistischen New Materialism findet er ein gemeinsames Bezugsproblem der Theorie und eine Auseinandersetzung, die damit wirklich in die Zukunft weist. Die beunruhigenden Zukunftsvisionen der Zivilisationskritik und des Ökomarxismus nimmt Alex Struwe in den Blick, der die Übersprungshandlungen der radikalen Linken im Umgang mit der drohenden Klimakatastrophe auf Ohnmacht und Schuldabwehr zurückführt. Er fragt sich mit seinem Beitrag Vom Ende her gedacht, was denn bewahrt werden müsste, um eine emanzipatorische Zukunftsvision überhaupt denken zu können. 

Alle Schwerpunkttexte berühren die Frage, ob und inwiefern der Klimawandel eine linke Angelegenheit sei. Wolfgang Pohrt erteilte, bezogen auf die postnazistische Gesellschaft der alten Bundesrepublik, der positiven Beantwortung dieser Frage eine deutliche Absage: Vielmehr seien die grün gewordenen Deutschen ihrem Wesen nach konform – Klimaschutz ist Deutschtümelei. Niemand muss wohl deshalb befürchten, dass sich Luisa Neubauer irgendwann doch noch als deutsches Mädel entpuppt oder Greta Thunberg auf die Überlebenswertigkeit einer nordischen Rasse beruft. Zugleich hat gerade sie mit ihrer jüngsten thematischen Expansion in Sachen Nahostkonflikt gezeigt, wie nah der hehre Klimaschutz und die Regression liegen können. 

Die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels wie es 2015 auf der 21. UN-Klimakonferenz von einem Großteil der Staaten im Abkommen von Paris vereinbart wurde, die (Selbst-)Verpflichtung Deutschlands bis 2045 klimaneutral zu sein und auch die Aufnahme des Ökozids in das internationale Strafrecht, sind trotz allem zu begrüßen. Sie sind unter dem Gesichtspunkt kommunikativ wie rational ausgehandelter Vernunft erstrebenswert. Zugleich bringen sie nicht die große (qualitative) Wende, um die natürlichen Grundlagen der Menschheit zumindest auf einem vertretbaren Niveau zu erhalten. Aus ihnen spricht ebenso das Verhängnis, in Form eines abstrakten Weltverhältnisses. Auch die Ausweitung rationaler Verfügbarkeit auf eine nicht-menschliche Entität bleibt Naturbeherrschung.  

Verweisen viele der zeitgenössischen Apokalyptiker:innen gerne auf den Bestseller des Evolutionsbiologen Jared Diamond, in dem die Zusammenbrüche verschiedener historischer Gesellschaften mit der Vernichtung ihrer natürlichen Grundlagen erklärt werden, so ist ihnen mit derselben Logik entgegen zu halten, dass es um den Kollaps und nicht die Apokalypse geht: Die Gesellschaft in ihrer jetzigen Form wird vielleicht kollabieren, aber das Individuum weiterleben. Und dann wäre es durchaus geboten, sich schon einmal Gedanken um eine glücklichere Zukunft gemacht zu haben, bevor das Licht tatsächlich ausgeht.  

Phase 2