Die Fallstricke kritischer Männlichkeit

Ein bisschen weniger toxisch, ein bisschen netter, ein bisschen einfühlsamer und zack: die neue gute Männlichkeit ist angemischt. So oder so ähnlich stellen sich Vertreter:innen von kritischer Männlichkeit und Profeminismus die Abschaffung des Patriarchats vor. Doch eine Kritik an Männlichkeit, die die gesellschaftlichen Voraussetzungen der patriachal-kapitalistischen Herrschaft genauso wie ihre psychosexuellen Dynamiken und praktischen Folgen begreifen will, kann und darf sich nicht mit einer reformierten Männlichkeit abspeisen lassen. Genauso darf eine emanzipatorische Praxis, die konsequent gegen das Patriarchat gerichtet sein muss, keine um sich selbst kreisenden Ersatzhandlungen von Männern akzeptieren, die hauptsächlich der Abwehr feministischer Kritik dienen. Denn so absurd die Ideologie einer gerechten Ausbeutung ist, so fatal gestaltet sich auch die Ideologie einer »menschengerechten Männlichkeit«. Thesen wie diesen und ihrer Begründung widmet sich Kim Posster in seinem dicht geschriebenem Essay Männlichkeit Verraten. Über das Elend der ›Kritischen Männlichkeit‹ und eine Alternative zum heutigen Profeminismus. 

Beginnend mit einer begrifflichen Bestimmung von Männlichkeit und ihren Voraussetzungen (geschlechtliche Arbeitsteilung, kapitalistische Konkurrenz, bürgerliche Subjektivität, externalisierende Abspaltung, Zuschreibung und Projektion) nähert sich der Text den Ursachen und Auswirkungen patriarchaler Herrschaft zunächst abstrakt. Männlichkeit muss demzufolge als Kategorie verstanden werden, die nicht im Verhalten einzelner Männer aufgeht. Ihre Kritik zielt auf einen allgemeinen Zusammenhang, darf sich aber nicht darin erschöpfen, da die »Einzelnen nicht einfach nur Charaktermasken patriarchaler Funktionen, sondern mit ihnen identifizierte und an ihnen gebildete Subjekte« sind. Männer, insbesondere heterosexuelle Cis-Männer, leben »selbst bei subjektiver Ablehnung des Patriarchats in tiefen libidinösen, sozialen und ökonomischen Bindungen zu, Identifikationen mit sowie Abhängigkeiten von Männlichkeit«. 

Vor diesem Hintergrund widmet sich Posster seinem Kernthema: dem deutschsprachigen Stand von Profeminismus und kritischer Männlichkeit, der Ignoranz gegenüber dem Interesse von Männern an der Aufrechterhaltung ihrer Machtpositionen und der Blindheit gegenüber der Manifestation patriarchaler Zustände in den psychischen Strukturen einzelner Individuen. Der Profeminismus liefert anstelle politischer Kritik pädagogische Angebote und Lebensführungstipps, die Männer zuallererst für ihr eigenes Leiden am Patriarchat sensibilisieren sollen. Abgezielt wird auf eine Reformierung von Männlichkeit, als wäre diese eine bloße Identitätskategorie, die beliebig mit guten (statt toxischen) Verhaltensmustern aufgefüllt werden könnte. Der Versuch, den Feminismus vermeintlich kritischen Männern »schmackhaft« zu machen, ist dabei Resultat von und Resignation vor den innerlinken Kräfteverhältnissen. Ob Männer sich für den Kampf gegen patriarchale Herrschaft interessieren oder nicht, bleibt weitestgehend »Geschmackssache«. Solange es keine Möglichkeit gibt, das Desinteresse von Männer an feministischer Politik systematisch zu sanktionieren, bleibt dieser desaströse Zustand bestehen. Aus Angst, Männern vor den Kopf zu stoßen, hat der Profeminismus den Anspruch auf eine Veränderung des status quo gleich ganz aufgegeben. 

Damit ist aber höchstens das halbe Problem benannt. Denn die gut gemeinten Ratschläge (von und) für scheinbar verunsicherte Männer können nicht nur lächelnd abgewunken werden, sondern erlauben auch systematischen Täterschutz. Zum einen durch die Institutionalisierung der Passivität von Ersatzhandlungen in rumjammernden Männergruppen, die sich ihre Zeit mit Privilegienchecks und Selbstmitleid vertreiben, statt sich mit konkreten Bedingungen von Täterschaft auseinanderzusetzen. Zum anderen durch eine Schuldumkehr in den Konzepten der sogenannten Täterarbeit, die unter Titeln wie transformative oder restorative justice kursieren und darauf zielen, Täter ohne staatliches Dazwischenfunken zu rehabilitieren. Die Sorge um das gekränkte Ego von Tätern wird in diesen Ansätzen schnell zur Forderung an die Opfer, sich an der Re-Integration von manipulativen und gewalttätigen Männern zu beteiligen. 

Insgesamt, so lässt sich Possters Kritik resümieren, scheitern Profeminismus und kritische Männlichkeit nicht nur am Anspruch, gegen patriarchale Herrschaft vorzugehen, sondern unterlaufen diesen sogar. Im Ergebnis bewirken sie eine Blockade feministischer Politik und eine Resouveränisierung von Männlichkeit. Männern wird erklärt, wie sie trotz feministischer Kritik Männer bleiben können. Das Buch ist insofern eine gelungene Intervention: In linke Debatten um Männlichkeit und gegen eine Pseudopraxis, die in der festen Überzeugung, das Richtige zu tun, alles nur noch schlimmer macht. 

 

Merlin Hintrich 

 

Kim Posster, Männlichkeit verraten! Über das Elend der ›Kritischen Männlichkeit‹ und eine Alternative zum heutigen Profeminismus, Neofelis Verlag, Berlin 2023, 112 S., € 12,00.