Er trägt Vollbart und Hornbrille, Karohemden oder T-Shirts mit witzigem Aufdruck und radelt mit schmalem Lenker durch Berlin-Friedrichshain. Sein weibliches Pendant hat die Haare zu einem nachlässigen Dutt gebunden, zieht die Karottenjeans ihrer Mutter wieder an und ist ihrer männlichen Entsprechung ansonsten recht ähnlich. Der Hipster mauserte sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts zum Feuilleton-Phänomen. Sein zum Scheitern verurteilter Versuch, Avantgarde und alles, bloß nicht Mainstream, zu sein, brachte ihm einiges an Spott ein.
Seit ein paar Jahren ist das Interesse am Sozialtypus des Hipsters abgeklungen, das 2000er-Phänomen mittlerweile in einen Wikipedia-Artikel gegossen. Doch er hält sich beharrlich. Weil er Symptom größerer kultureller Verwerfungen ist, meinen die Herausgeber des Sammelbandes Destruktive Charaktere. Hipster und andere Krisenphänomene. In elf Essays zeichnen Robert Zwarg, Chris W. Wilpert und neun weitere AutorInnen Momente einer gesellschaftlichen Krise nach, die sie in der Veränderung der Arbeitsverhältnisse, der Erosion des Bürgertums, dem Schwinden politischer Urteilskraft und der Modifikation geschlechtlicher Identitäten zu erkennen glauben.
Titelgeber und Deutungsrahmen ist Walter Benjamins Schrift Der destruktive Charakter, die zwar im Kontext der ausgehenden Weimarer Republik entstand, in der Beschreibung der Eigenschaften dieses Charakters aber nahe an das herankommt, was im 21. Jahrhundert als wesenhaft für den Hipster gilt: Er ist »jung und heiter«, »immer frisch bei der Arbeit«, vermeidet aber die »schöpferische«. »So wie der Schöpfer Einsamkeit sich sucht, muss der Zerstörende fortdauernd sich mit Leuten, mit Zeugen seiner Wirksamkeit umgeben. […] Dem destruktiven Charakter schwebt kein Bild vor. Er hat wenig Bedürfnisse, und das wäre sein geringstes: zu wissen, was an Stelle des Zerstörten tritt.«
Wie sich Benjamins Abhandlung auf das 21. Jahrhundert übertragen lässt, machen die Texte des Bandes an verschiedenen Phänomenen, mal beschreibend, mal scharf analysierend und immer wieder mit ausführlicher theoretischer Unterfütterung deutlich. Vincent Gengnagel skizziert den Hipster – nicht ganz frei von Klischees – als »die konsequenteste Ausprägung der allgemeinen und permanenten Entwertung von Kultur«. Er suche ständig nach dem jeweils neuesten Ding, bis es ihm vom Mainstream entrissen werde. Vom Geheimwissen über die unbekannte Band, den besonderen Kaffee, die abgefahrene Ausstellung oder den heißen Internet-Scheiß verspreche er sich Individualität, Selbstverwirklichung und Chancen. Doch die böten sich ihm – im Gegensatz zu seinen Babyboomer-Eltern – nur noch in Form von Projekten, Praktika und prekären Jobs. Die hippen Fixies der Berufsjugendlichen sind da nur die notwendige Entsprechung auf der Straße: »Für jeden Arsch ein Sattel, kein Schutzblech, keine Bremse, jeder strampelt für sich alleine.«
Leo Roepert und Sandro Holzheimer greifen in ihren Überlegungen die Ironie als Wesensmerkmal des Hipsters heraus. Roepert, indem er dieTrash-Kultur in den Blick nimmt, die Folge der kapitalistischen Produktionsweise, ihrer Profit-Fokussierung und der damit einhergehenden Gleichgültigkeit gegenüber den Gebrauchswerten sei, und heute in Form von Trash-Partys oder Trash-Filmabenden ironisiert werde. Darin äußert sich zwar eine gewisse Distanz und Reflexion zum Gegenstand , schreibt er, eine eigene Positionierung bleibt aber aus. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Welt werde vermieden. Zu einem ähnlichen Schluss kommt Sandro Holzheimer: Ironie sei der postmoderne Königsweg des Hipsters, um sich der Verantwortung für seine Entscheidungen zu entziehen. Aber: Eine völlige Apolitizität lasse sich dem Hipster nicht unterstellen, allerdings das Fehlen einer kritischen Analyse gesellschaftlicher Schieflagen zugunsten eines eilfertigen Moralismus. Als Beispiel führt Holzheimer den Blog your fave is problematic an, der kleinere und größere homo- und transphobe, chauvinistische, sexistische und rassistische Äußerungen von Celebrities auflistet.
Der Platz lässt es nicht zu, die anderen Momente gesellschaftlicher Krisenhaftigkeit zu spiegeln, die in dem Sammelband durchleuchtet werden. Es geht um das Subjekt, das sich in ein permanent verletzbares, zu schützendes Objekt verwandelt, um safe spaces und Triggerwarnungen, es geht um die Infantilität des Hipsters, das Zentrum für Politische Schönheit als Beispiel für die Krise der Kunst, um Literatur, T-Shirts, Serien und die Anziehungskraft des Handgemachten und es geht um einen aussterbenden Zustand: Das Warten, »eine Form des Protests, eine im Sinne der Menschlichkeit bewahrenswerte Fähigkeit, ein Modus der Freiheit und Insubordination«.
Vieles in diesem Buch ist erhellend, von einem gründlichen Blick geprägt, einer Sensibilität für die kapitalistische Durchdringung der Realität. Nur manchmal drängt sich die Frage auf, ob dem Hipster und seiner Lebenswirklichkeit, gezeichnet von Prekarität, Selbstoptimierung und Distinktionsbedürfnis, zu viel Bedeutung beigemessen wird. Ob die AutorInnen, die als PublizistInnen, SoziologInnen, PhilosophInnen, Literatur- und GeisteswissenschaftlInnen ihr Geld verdienen, nicht vielmehr ein Bild ihres eigenen überschaubaren Kreises zeichnen und den Rest der Gesellschaft ausblenden. Ein Verdacht, der die Lektüre des Bandes nicht weniger anregend macht.
Lydia Jakobi
Chris W. Wilpert, Robert Zwarg (Hrsg.): Destruktive Charaktere. Hipster und andere Krisenphänomene, Ventil Verlag, Mainz 2017, 144 S., € 14,00.