Auch wenn Arbeit allgemein im Kapitalismus identitätsstiftend ist,
als deutsche Wertarbeit formiert sie zusätzlich das nationale Kollektiv.
1. Arbeit als Zerstörung
Menschen können nicht leben, ohne in Beziehung zur übrigen Natur zu treten und sie ihren Bedürfnissen entsprechend umzuformen. In der Warengesellschaft hat der "Stoffwechselprozess mit der Natur" (Marx) freilich eine ganz spezifische Gestalt angenommen. Die Erzeugung von stofflichem Reichtum dient nicht der Entfaltung eines vielschichtigen Verhältnisses des Menschen zur sinnlichen Wirklichkeit, die Schaffung von Gebrauchswerten existiert nur als Mittel zu einem anderen Zweck. Sie ist zur bedauerlicherweise unverzichtbaren Durchgangsstation im Verwertungskreislauf des Kapitals degradiert. Die Warengesellschaft produziert und produziert. In ihrer Rastlosigkeit kann sie keinen Stein auf dem anderen lassen. Gerade diese Maßlosigkeit geht aber mit einem merkwürdig gleichgültigen Verhältnis zum geheckten stofflichen Inhalt einher, ja setzt es voraus. Bei Strafe des Untergangs ist das kapitalistische System darauf angewiesen, dass so viel wie möglich produziert wird, auf dass aufgehäufter Wert eine Darstellungsform finde; was die Fabrikhallen verlässt, ob Mohrenköpfe oder Maschinengewehre, aber ist völlig egal, solange es nur auf zahlungsfähige Nachfrage trifft.
Diese verquere Koppelung von Entfesselung der Produktion und Vergleichgültigung des konkreten Inhalts, beschränkt sich nicht auf die Ebene der erzeugten Güter. Schon die menschlichen Tätigkeiten, die sich im Warenreichtum vergegenständlichen, sind dieser Abstraktionslogik unterworfen und nehmen damit einen autistisch-maschinenhaften Charakter an. Jede Gesellschaft betreibt Ackerbau, sorgt für Bekleidung, kümmert sich um Kranke, Alte und Kinder; in der Warengesellschaft unterliegen aber all diese (re)produktiven Betätigungen dem immergleichen Entsinnlichungsdiktat - und erst das macht sie allesamt zur Erscheinungsformen des Selben, nämlich zu Arbeit.
Die Entsinnlichung betrifft zunächst einmal die Beziehung des Arbeitenden zu sich selber. Arbeit bezeichnet ein rigoros auf seinen funktionalen Kern reduziertes Tätigwerden. Über den Eingang zur Arbeitswelt steht in dicken Lettern: "Alles was nichts unmittelbar zur Sache tut, hat gefälligst draußen zu bleiben." Als Arbeitender funktionieren, heißt dementsprechend, sich zur eigenen Person als einem bloßen Instrument verhalten. Für Emotionen und soziale Bedürfnisse, für die Lust am Spiel mit den Dingen und Kontemplation lässt diese Zwangsreduktion keinen Platz; ein Existenzrecht haben solche Regung höchstens, wenn sie sich in ihr Gegenteil verwandeln, also in Arbeitsleistung, und als Rohstoff in das Maschinenwerk der Wertverwertung einspeisen lassen. An die Stelle des natürlichen Rhythmus von Anstrengung und Entspannung der Imperativ tritt mit der Arbeit die Nötigung zur kontinuierlichen Verausgabung von Lebensenergie.
Was der Arbeitende sich selber antut, ist nur die andere Seite dessen, was er dem Arbeitsgegenstand antut. Zum Kristallisationspunkt, an dem sich "tote Arbeit" niederschlagen kann, taugt der nur, indem er zum passiven Gegenstand degradiert wird, an dem sich der Arbeits-Mann entäußert. Naturaneignung schlägt in Naturbemächtigung um und der "anorganische Leib des Menschen" (Marx) löst sich in eine Ansammlung toter, der Arbeit allzeit verfügbarer Körper auf.
Die Erstformulierung dieses durch und durch herrschaftlichen und abstraktifizierenden, am Vorbild "phallischer Sexualität" (Fox-Keller) orientieren Zugriffsverhältnisses geht auf die Gründungsväter der modernen Naturwissenschaften (u.a. Bacon) zurück. Deren Erkenntniskonzept verband die Idee, der Wissenschaftler habe von allen eigenen Befindlichkeiten konsequent abzusehen, mit der Forderung, die Natur die Wahrheit so abzupressen, wie der Inquisitor seinem Opfer das Geständnis. Mit dem Siegeszug der Arbeit aber hat diese Bemächtigungsweise den engen Rahmen von Erkenntnisfragen gesprengt, um sich als millionenfaches Alltagsverhalten zu sedimentieren.
Die Arbeit ist nichts der modernen, immer schon strukturell männlichen Subjekt- und Identitätskonstitution äußerliches; sie bildet vielmehr deren eigentliches Zentrum. Was Descartes mit seinem "ich denke, also bin ich" vorgedacht hat, die Halluzination eines autarken, sowohl der eigenen Sinnlichkeit wie der äußeren Sinnenwelt fremd gegenüberstehenden Subjekts, ist als "ich arbeite, also bin ich" soziale Massenpraxis geworden und den modernen Menschen in Fleisch und Blut übergegangen.
2. Die Frühgeschichte der Arbeit
Seit den Tagen Adam Smiths behauptet die Volkswirtschaftslehre stur, die moderne Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation verdanken ihre Entstehung ihrer Überlegenheit bei der Schaffung von Reichtum. Die durchrationalisierte Arbeit warengesellschaftlicher Prägung soll sich in der Konkurrenz mit vorkapitalistischen Produktionsweisen als die effizientere Form der Gütererzeugung durchgesetzt haben. Der Marxismus hat diese Sichtweise im Kern übernommen, was in der Formel von der "zivilisatorischen Mission des Kapitals" seinen Niederschlag gefunden hat. Zu Unrecht! Zumindest für die Frühgeschichte des Arbeitsregimes handelt es sich um einen Mythos, der die reale Entwicklung auf den Kopf stellt. Nicht nur insofern, als die Installation der frühen Marktwirtschaft keineswegs vermehrten allgemeinen Wohlstand bedeutete und mit einem gigantischen Schub der Massenverarmung einherging; (selbst in den Weltmarkt-Zentren dürfte der Wendepunkt, an dem das System der abstrakten Arbeit mehr kapitalistischen Warenreichtum schuf als sein Siegeszug an nichtwarenförmigen Reichtum vernichtete, kaum vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anzusiedeln sein.) Die Karriere des Selbstzwecks Arbeit und der Siegeszug dieser neuen Form von Weltbezug nahm gar nicht, wie unterstellt, die Güterproduktion zum Ausgangspunkt.
Das früheste Element, das in den modernen Arbeitsfanatismus Eingang fand, entstammt bezeichnenderweise der religiösen Sphäre. Zur christlichen Negativhaltung gegenüber dem Diesseits gehörte es, Schicksalsergebenheit angesichts von Mühsal und Pein zu predigen. Ihre klassische Formel fand dieses Weltflucht- und Selbstkasteiungspathos im klösterlichen "ora et labora", gemeinhin übersetzt mit bete und arbeite. Um seines jenseitigen Seelenheils willen, soll sich der Mensch erniedrigen und dazu gehört auch die bereitwillige Akzeptanz von Verrichtungen, die dem mittelalterlichen Menschen als Plackerei erschienen. Ihren Nimbus zog Arbeit keineswegs aus ihrer Potenz, Reichtum zu schaffen; einen hohen Stellenwert genoss sie vielmehr als eine Spielart selbstvergessener, jede Sinnenfreude negierender religiöser Kontemplation.
Aber auch die zweite Quelle des modernen Arbeitsregimes will nicht so recht zur volkswirtschaftlichen Legendenbildung passen. Wo die Apotheose von Arbeit erstmals nicht als Medium der geistigen Abwendung von den weltlichen Dingen diente, sondern Arbeit sich dem Diesseits zuwandte und dort Erfolg zeitigen sollte, misst sich dieser Erfolg nicht in optimierter Reichtumsproduktion, sondern ausgerechnet in optimierter Vernichtung. Die Urform der abstrakten Arbeitsverausgabung ist nirgendwo anders zu suchen als im kollektiven Morden der europäischen Armeen der Frühmoderne und ihr erstes Betätigungs- und Experimentierfeld fand sie auf dem Schlachtfeld.
Dass der Prototyp des Kapitalisten, der Condottiere, der Kriegsunternehmer, im Italien der Renaissance war und die ersten Lohnarbeiter deren Soldaten, wusste bereits Marx. Bezeichnenderweise gingen aber auch die Standardisierung und Disziplinierung von Tätigkeit zunächst vom Militärwesen aus. Der Weg zur vollständigen Zergliederung aller Arbeitsabläufe und zur Verwandlung von Menschen in mechanische Systeme beginnt mit Wilhelm von Oranien, dem Erfinder des Exerzierwesens. Sein von der Idee der Armee als eine einzige gigantische aus menschlichen Leibern gebildete Maschine besessener Erbe, Friedrich der Große, kann als Urvater der totalen Durchrationalisierung und Degradierung des Einzelnen zur Maschine gelten. Foucault charakterisiert das preußische Armee-Reglement folgendermaßen: "Man intensiviert die Ausnutzung des geringsten Augenblicks, als ob die Zeit gerade in ihrer Zersplitterung unerschöpflich wäre oder man durch eine immer feinere Detaillierung auf einen Punkt gelangen könnte, wo die größte Schnelligkeit mit der höchsten Wirksamkeit eins ist." Den Bereich der eigentlichen Güterproduktion erreichte dieses Prinzip in dieser Zuspitzung und Härte erst im 20. Jahrhundert mit dem auf Taylorsystem.
Die Spuren dieser blutgetränkten Entstehungsgeschichte ist die Arbeit nie losgeworden. Die Begeisterung der realsozialistischen Ideologen für "Produktionsschlachten" ist dementsprechend genauso wenig bloß metaphorisch zu nehmen, wie der penetrant militaristische Jargon der heutigen Managementstrategen und Markteroberer. Sie plaudern mehr aus, als sie wissen. Arbeit und Warenproduktion haben stets den Charakter einer Fortsetzung des Krieges unter Beimengung anderer Mittel bewahrt.
Arbeit heißt Zurichtung. Das entwickelte Arbeitssubjekt kann nur funktionieren, wenn es diese Zurichtung selbständig exekutiert. Der Selbstdressur geht historisch freilich eine lange Epoche der Fremddressur voraus. Der Takt der Arbeit, der Imperativ, kontinuierlich homogene Leistung zu erbringen, musste dem Menschenmaterial erst mühsam eingeprügelt werden. Das Zeitalter des äußeren physischen Zwangs war zugleich ein Zeitalter permanenter Renitenz. In die europäische Militärgeschichte ist das 18. Jahrhundert als das "Jahrhundert der Deserteure" eingegangen. Auf dem Feld der produzierenden Arbeit reicht die Ära der Fabrikflucht bis tief ins 19. Jahrhundert hinein. Seinen letzten Höhepunkt fand dieser weitgehend vergessene bzw. als reaktionär diffamierte Widerstand in der Bewegung der Maschinenstürmer. Etwas von seiner Zähigkeit und den Schweißperlen der Einpeitscher wird bei der Lektüre des Management-Gurus des 19. Jahrhunderts, Andrew Ure, sichtbar. Den Unternehmer und Erfinder der Spinnmaschine Arkwright würdigt er folgendermaßen:
"Meiner Ansicht nach war das Hauptproblem Arkwrights nicht so sehr, einen selbsttätigen Mechanismus zu erfinden, der die Baumwolle herausziehen und einen fortlaufenden Faden einflechten konnte, als vielmehr den Leuten ihren unsteten Arbeitstag abzugewöhnen und sie dazu zu bringen, sich mit der unveränderlichen Ordnung eines komplexen Automaten zu identifizieren. Es ging darum ein System der Fabrikdisziplin zu planen und zu verwalten. Es erforderte wirklich einen Mann von der Nervenkraft und dem Ehrgeiz eines Napoleons, um mit dem widerspenstigen Charakter von Arbeitern fertig zu werden, die bis dahin nur ihren unregelmäßigen Anfällen von Arbeitslust gehorcht hatten."
Mit dem Übergang zum Maschinensystem stellte sich das Problem der Zurichtung auf eine entmenschte Arbeit verschärft. Er bedeutet langfristig aber zugleich dessen Lösung. Dass der Zwang in der Maschine eine objektive versachlichte Gesellschaft annahm, machte die Peitsche im gleichen Maße überflüssig, wie die Arbeiter lernten, sich mit dem übermächtigen Apparat zu identifizieren, zu dessen lebendigen Anhängsel und Fortsetzung sie degradiert worden waren. Der Hass auf die Arbeitszumutungen machte einer Art Hassliebe gegenüber dem Apparat Platz, den man bediente und von dem man bedient wurde. Die Identifikation mit dem Gesamträderwerk und der eigenen Funktion in ihm erlaubte dem weißen Arbeiter die Teilnahme an der modernen Subjekt-Herrlichkeit. Gleichzeitig fand der Zurichtungsschmerz in der Abwertung der vom Standpunkt der abstrakten Arbeit Minderwertigen, in Sexismus und Rassismus, sein Ventil.
3. Das Vaterland der Arbeit
Arbeit und Geld stehen für zwei Seiten der gleichen Selbstzwecklogik. Die Kategorie Arbeit bezeichnet die gegen ihren eigenen sinnlichen Inhalt gleichgültige, auf die Schaffung abstrakten Reichtums gerichtete warengesellschaftliche Praxisform; im Geld findet dieser abstrakte Reichtum eine von seinen Güterträgern getrennte Erscheinungsform. Das herrschende Bewusstsein hat diese Binnendifferenz immer wieder als einen grundsätzlichen Gegensatz missverstanden. Die herrschaftliche Gewalt des Wertverhältnisses wurde einseitig der Macht des Geldes zugeordnet und die Arbeit zum lebensprallen Gegenprinzip verklärt. In dieser ideologischen Figur ging die Identifikation mit der Arbeit, die Bereitschaft zur Selbst- und Fremdkasteiung, mit antikapitalistischen Ansprüchen einher.
Bereits für die klassische Arbeiterbewegung war diese sadomasochistische Grundhaltung, die Sinnlichkeit und Reichtum mit dem identifizieren, was die Diktatur der Warenform aus ihnen macht, bereits konstitutiv. "Das Pech produktiver Arbeiter zu sein" (Marx), verwandelte sich in der Interpretation der Anhänger der 2. Internationale und ihrer Erben in einer besondere Ehre. Der Traum vom Ende der Ausbeutung verschmolz mit der Idee verallgemeinerten Arbeitszwangs. Die Fabrik sollte die Gesellschaft erobern.
Gerade in Deutschland blieb die Verschränkung von antikapitalistischem Duktus und Arbeitsethos keineswegs ein linkes Phänomen. Die Parole "die Arbeit hoch", stand hierzulande nicht nur für den Schrei der unterständischen Massen nach Anerkennung als gleichberechtigte Geld- und Warensubjekte. Die Arbeitsinbrunst speiste sich noch aus einer anderen, zusätzlichen Quelle. Dem industriellen Newcomer im Herzen Europas diente sie als Feldzeichen im Kampf gegen die etablierten kapitalistischen Mächte. Der falsche Gegensatz von deutscher Arbeit und westlicher Plutokratie fügte die ideologische Absetzbewegung von der westlichen Zivilisation in ein Programm praktischen beschleunigten Einholens und Überholens ein. Als Vaterland der Arbeit, als die Inkarnation des vermeintlich konkret Lebensprallen, stand Deutschland seinem eigenen nationalen Selbstverständnis nach in Frontstellung zum Westen und dessen "abstrakten Werten"; gleichzeitig sorgte die zusätzliche ideologische Aufladung des kapitalistischen Arbeitsprinzips und des dazugehörigen Technikenthusiasmus für ein soziales und ideologisches Klima, das den realen Modernisierungsprozess auf höchste Touren brachte. Dass die Mobilisierung der Arbeit gegen die Herrschaft des Geldes, das Kernstück der "deutschen Ideologie", immer ein Phantasma bleiben musste, tat deren historischer Wirksamkeit keinen Abbruch. Nirgendwo in Europa hat die Unterwerfung unter die Arbeit sich dermaßen schnell und rigoros durchgesetzt wie zwischen Rhein und Oder, nirgendwo hat sie gründlicher die traditionellen sozialen Schranken umgeworfen wie hierzulande und nirgendwo wurde der Gedanken, dass es jenseits der Arbeit noch so etwas wie eine lebenswerte menschliche Existenz geben könnte, gründlicher ausradiert.
Angesichts der großen Verwerfungen und Krisen, mit denen der Siegeszug der Arbeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einherging, bewährte sich das Vaterland der Arbeit auch als das Vaterland von Krieg und Destruktion. Das ist alles andere als zufällig, sondern wirft ein Schlaglicht auf den (selbst)zerstörerischen Charakter der Arbeitsreligion. Selbst der Inbegriff irrationaler Vernichtung, die "Endlösung der Judenfrage" lässt sich als die andere Seite der spezifisch deutschen Form von Arbeitsreligiosität begreifen. Um die Arbeit als vermeintlich lebenspralles göttliches Prinzip aus dem realen Zurichtungs- und Abstraktionsprozess herauszuimaginieren, bedarf es eines die Gewalt der Abstraktion verkörpernden Pendants. Der moderne Antisemitismus hat dieser manichäischen Projektion Name und Adresse gegeben. Die Shoa markierte den Umschlagspunkt, an dem die Volksgemeinschaft die unmögliche Erlösung der Arbeit von der Macht der Abstraktion zelebrierte, während die Arbeiter der Stirn und der Faust gleichzeitig millionenfache Rache für ihr uneingestandenes Leiden an der Unterwerfung unter die Arbeit nahmen. In der fabrikmäßigen Vernichtung der als Verkörperung der Nicht-Arbeit definierten Juden fand die Arbeit ihren ultimativen Gegenstand.
Nach dem großen irrationalen Blutrausch und der Niederlage im 2. Weltkrieg fanden die deutschen Teilstaaten im goldenen Zeitalter des großen fordistischen Booms erstaunlich schnell einen honorigen Platz in der internationalen kapitalistischen bzw. realsozialistischen Arbeitsteilung. Das Welteroberungsprojekt, an dem die deutschen Waffen gescheitert waren, setzte der bundesrepublikanische Exportweltmeister fast unmittelbar mit anderen Produkten deutscher Arbeit fort. Die Leichtigkeit, mit der die Vernichtungsgemeinschaft zur Wertschöpfungsgemeinschaft mutierte und die Umstandslosigkeit, mit der die Erzeugung von Werten wieder die Stelle der Vernichtung der Verkörperung des Werts einnahm, sollte zu denken geben. Sie kündet von innerer Verwandtschaft.
Das heißt freilich nicht, dass Deutschland seinen "Sonderweg" schnurstracks weiterverfolgt hätte. Eher ist die Vorstellung zu relativieren, zwischen dem deutschen und dem westlichen Muster, existiere ein unüberbrückbarer, ewiger Abgrund. Dass ausgerechnet das Volk, das die Juden als Verkörperung des Geldes in Gas schickte, alsbald in seiner Währung, der D-Mark, den Inbegriff seiner nationalen Identität fand, ist mehr als eine unbedeutende zynische historische Fußnote. Diese seltsame Wendung, die plötzliche Liebe zur bis dahin ideologisch verpönten ausgesonderten Abstraktion des Geldes, deutet eine tiefergehende Konvergenz zwischen der deutschen und der allgemeinen warengesellschaftlichen Entwicklung an.
4. Selbstunternehmertum und Arbeitszwang
Konvergenz ist freilich nicht einseitig zu verstehen, als Anpassung der hypertrophen deutschen Arbeitsreligion an den üblichen warengesellschaftlichen Standard. Umgekehrt haben auch ganz zentrale Momente der ursprünglich spezifisch teutonischen Arbeitsreligion weit über die deutschen Grenzen hinaus Karriere gemacht. Gerade in das postfordistischen Arbeitsethos sind wesentliche Motive des deutschen way of work eingegangen. "Deutschsein, heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun", "andere Völker arbeiten um zu leben, wir Deutsche leben, um zu arbeiten." Die Aussagen mögen so formuliert reichlich anachronistisch klingen; ihr Kern aber, der emphatische vorgetragene Anspruch, individuelle Existenz und Arbeits-Dasein hätten deckungsgleich zu sein, kehrt im neuen Leitbild der "Lebensunternehmerin", wenn auch leicht variiert, wieder. Der klassischen Arbeitskraftverkäufer des Fordismus hatte "lediglich" mit seiner technischen Kompetenz acht Stunden am Tag voll präsent zu sein. Alles an seiner Person, das mit dem unmittelbaren Arbeitsvollzug nichts zu tun hatte, musste bzw. durfte draußen bleiben. Ihm blieb damit die Chimäre einer abgespaltenen Privatsphäre, in der sein eigentliches Leben stattfindet. Die postmoderne Selbstunternehmerin dagegen hat sich mit Haut und Haaren zu verkaufen und ihre gesamte Persönlichkeit, unter Einschluss sämtlicher softer Faktoren, einzubringen. Die Trennwand zwischen Privatheit und Arbeit wird im Sinne der Verallgemeinerung der Arbeit durchlöchert.
Der notorische Zwang, Arbeit auf fun zu reimen, mag auf den ersten Blick als das genaue Gegenteil des altdeutschen Pflichtethos erscheinen. Unverkennbar aber hat diese Art von "Spaß" etwas von zusammengebissenen Zähne, und damit urdeutsche Züge. Wer als Manager seines eigenen Humankapitals nach Möglichkeit auch noch die stupidesten Verrichtungen und endlose "selbstbestimmte" Arbeitszeiten vor sich und anderen als Selbstentfaltung verkaufen muss, und ein permanentes Siegerlächeln als Arbeitskluft zu tragen hat, erledigt individualisiert, was in der Urfassung noch die gruselige Heimeligkeit des volksgemeinschaftlichen Wahns hatte.
Insbesondere in ihren Avantgardesektoren treibt die postfordistische Version der Arbeitsgesellschaft die Selbstzurichtung auf die Spitze. Die betriebswirtschaftliche Logik will hier den "ganzen Menschen" und die Verkäuflichkeit der Arbeitskraft wird zunehmend davon abhängig, dass sie sich darüber beglückt zeigen kann. Diese Art von Übergipfelung der Arbeitsdiktatur wirkt auf die gesamte Gesellschaft zurück. Nicht dass sich die Ich-AG-Unkultur verallgemeinern ließe; sie bleibt letztlich an die Aussicht auf monetäre Gratifikationen gebunden und kommt außerhalb der New Economy immer nur gebrochen zum Tragen; dafür treten gerade im Windschatten des Selbstmanagements aber auf breiter Front die offen repressiven Momente der Arbeitszurichtung umso deutlicher hervor. In der hochmobilen postfordistischen Arbeitsgesellschaft, in der das "Humankapital" ständig mit Entwertung rechnen muss, steht hinter der Selbstmanager-Herrlichkeit immer auch die Hintergrunddrohung kaum verhüllten Zwangs. In der Überidentifikation mit dem Arbeits-Glück schwingt stets etwas von schlecht verdrängter Panik mit. Zweifel verbieten sich, weil und solange die einzige individuellen Alternativperspektive zum freiwilligen Mitmachen, soziale Ächtung und Elendsbeschäftigung heißt.
Als sich Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre abzuzeichnen begann, dass "der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht", unterstellten Soziologen und Zukunftsforscher, die Erwerbsarbeit einem allmählichen Bedeutungsschwund unterliegen und ihre Stellung als Zentrum der sozialen Existenz schließlich verlieren. Ralf Dahrendorf, einer der damaligen Stichwortgeber, prognostiziert und propagierte den Übergang "von der Arbeitsgesellschaft zur Tätigkeitsgesellschaft". Insbesondere für diejenigen, deren Vernutzung als Arbeitskraft sich nach den Kriterien betriebswirtschaftlicher Rationalität nicht mehr rentiert, würde der Arbeitszwang erlöschen.
Die Diagnose von der Krise der Arbeitsgesellschaft war völlig richtig, die daran geknüpfte emanzipatorische Hoffnung freilich, sie hat sich in keiner Weise erfüllt und konnte sich nicht erfüllen. Eine Gesellschaft, für die Reichtum nur Gültigkeit hat, solange er als Darstellungsform aufgehäufter toter Arbeit, alias Kapital, taugt, kann die Bedeutung der lebendigen Arbeit als die zentrale Tätigkeitsform gar nicht relativieren, ohne ihre eigene Grundlage in Frage zu stellen. Die Diktatur der Arbeit lässt sich weder domestizieren noch ist ihr Gültigkeitsbereich auf ein soziales Kernsegment rückführbar, sie muss umso härter ausfallen, je deutlicher sich ihre Unhaltbarkeit abzeichnet. Der Feldzug gegen "Faulheit" hat groteske Züge. Alles Eindreschen kann nichts daran ändern, dass Millionen und Abermillionen vom Standpunkt betriebswirtschaftlicher Logik unverwertbar geworden sind; als Ablassventil für all diejenigen, die im Betrieb erst einmal verbleiben und denen nicht einmal mehr das Recht zum Stöhnen vergönnt ist, scheint es aber schwer verzichtbar.
Die Herrschaft der Arbeit begann ihre Karriere im außerökonomischen Bereich. Ihre Hauptträger fand sie zunächst in der unmittelbaren Gewalt der frühmodernen Administrationen. Am Ende ihrer Laufbahn deutet sich so etwas wie eine partielle Rückkehr zum Ursprung an. Die Arbeitsdiktatur beginnt sich von den Imperativen unmittelbarer ökonomische Rationalität zu lösen.
Ernst Lohoff
Gruppe Krisis