Die im Adocs-Verlag herausgegebene Reihe Grundlagenforschung für eine linke Praxis in den Geisteswissenschaften widmet sich in ihrer zweiten Ausgabe den Architekturen unserer Arbeit. In den »Editorischen Bemerkungen« erläutern die Herausgeber Morten Paul und Felix Vogel, dass »unsere Arbeit« – durchaus selbstreferenziell – das geisteswissenschaftliche Arbeiten meint, jedoch die heteronome Zusammensetzung aller in diesem Prozess involvierten Personen (von Reinigungskräften bis zu Verwaltungsangestellten) mit einbezogen werden soll. Laut der Ausgangsthese der Herausgeber hat die spezifische Verräumlichung von Geisteswissenschaften Auswirkungen auf alle Subjekte, die in dieser Sphäre arbeiten, womit sie letztlich das dort hergestellte Wissen beeinflusst. Die elf Beiträge des Heftes beschäftigen sich – überwiegend aus architekturtheoretischer sowie kunst- und kulturwissenschaftlicher Perspektive – mit den innerhalb einer sich herausbildenden »Wissensgesellschaft« entstehenden Räumen immaterieller Arbeit nach 1945.
Zunächst bietet das Buch relativ abstrakte Annäherungen an den Gegenstand: Der Architekt und Architekturtheoretiker Andreas Rumpfhuber beschreibt in Anlehnung an Gilles Deleuzes Textsammlung Unterhandlungen, wie Geisteswissenschaften – über ihren Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse – an der Verschiebung gesellschaftlicher Machtstrukturen teilhaben. Auch der architektonische Entwurf gehe solcherart in Unterhandlung mit jenen Mächten, die die Architektur ursächlich definieren. In westlichen Industrienationen habe eine veränderte Produktionsweise neue Machtstrukturen im Bereich der Aus- und Weiterbildung zur Folge gehabt wobei der Besitz von Wissen und die Reproduktion von Arbeitskraft in Universitäten, den »Edufactories«, ständig neu ausgehandelt würden. Der Beitrag endet mit einem Plädoyer für die Schaffung von Universitätsräumen, die dialogische Unterhandlungen ermöglichen. Rumpfhuber folgend, bleibt fraglich, was schwerer wiegt: die Kunst der Unterhandlung, vermittels derer WissensarbeiterInnen sich aus dem ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Raum emanzipieren können, oder die reproduktive Logik der unternehmerischen Edufactory. Konkreter zeichnet die Kulturanthropologin Ines Hülsmann den Weg zur massentauglichen Hochschule in der Wissensgesellschaft anhand der Entstehungsgeschichte der Reformuniversität Bielefeld nach. Der in den 1960er Jahren geplante Campus sollte Kommunikation in verdinglichter Form darstellen und sie zugleich ermöglichen. Doch zur Enttäuschung der Planungsgruppe, die federführend von dem Soziologen Helmut Schelsky geleitet wurde, entstand keine fürstliche Parkanlage mit hübschen Zonen für Austausch und wettbewerbsfähige Forschung in Kleingruppen, sondern ein kompakter »Kommunikationsklotz«. Die Konzentration der Bauform habe sich ganz logisch aus der organisatorischen Struktur der Universität ergeben.
Die in Yale als Professorin lehrende Peggy Deamer nähert sich, wie viele Beiträge des Heftes, dem Narrativ der Wissensgesellschaft, beschreibt die Monetarisierung von Wissen als »neuer Ware« und den Blick auf ArchitektInnen als economic agents. Deamers theoretischer Parforceritt am Beginn des Heftes erschwert den Einstieg in das Thema. Die Zusammenschau der Artikel macht einen historischen Übergang erkennbar, von der Rationalität und dem hohen Organisierungsgrad der Reformuniversitäten, die das Versprechen auf Bildung für alle implizierten, hin zum Fluiden: Die in Entwürfen von Hochschulgebäuden gerne visuell dargestellte Flexibilitätsmetapher entspreche der »heute nahezu universelle[n] Flexibilität und Prekarität von Arbeit«, kommentiert Reinhold Martin Peggy Deamers Beitrag. Eine atemberaubende Realisierung der Flexibilitätsmetapher ist das von Anselm Wagner analysierte Rolex Learning Center der Universität Lausanne. Die repräsentative Bildungsstätte tarne sich als Freizeitpark, als alpine Architekturlandschaft en miniature, die zum Wandern, Flanieren und Dösen einlade. Bücher finde man erst nach längerem Suchen. Die zentral exponierten Arbeitsplätze »vermitteln das Gefühl des Provisorischen, eines Sich-nur-kurz-Niederlassens um gleich weiterzuflanieren«. Es handle sich um die formvollendete Ästhetisierung des Prekären.
Die AutorInnen des Entwurfskollektivs untersuchen in ihrem Beitrag die Gestaltung von Lernräumen und dokumentieren praktische innenarchitektonische Versuchsanordnungen, mit dem Ziel, Orte zu schaffen, die eine »herrschaftsfreie Diskussion« im Habermas'schen Sinne ermöglichen. Dieses Ansinnen scheint aber außer Acht zu lassen, dass sich gesellschaftliche Hierarchien nicht durch »alternative Atmosphären« in einer räumlichen Praxis auflösen lassen. Die Untersuchung der ökonomischen, politischen, technologischen und diskursiven Bedingungen der sichtbaren und unsichtbaren Räume immaterieller Arbeit anzustreben, mutet hingegen wie ein schier uferloses Unterfangen an. Auch wenn Architekturen unserer Arbeit deshalb bei weitem nicht alle Fragen, die der Band aufwirft, zu beantworten weiß, bietet er doch einen inspirierenden Blick auf den gesellschaftlichen Stellenwert von Architektur.
Norika Rehfeld
Morten Paul, Felix Vogel (Hrsg.): Grundlagenforschung für eine linke Praxis in den Geisteswissenschaften #2: Architekturen unserer Arbeit, Adocs Verlag, Hamburg 2016, € 18,00.