Deutsche Männer in Kriegssituationen

Bis vor wenigen Jahren galten die Soldaten der Wehrmacht im 2. Weltkrieg, insbesondere in der Sowjetunion, als »normale« Soldaten. Das deutsche Nachkriegsgedächtnis konstruierte ein Bild vom einfachen und heldenhaften deutschen Soldaten, der unschuldig in einen Krieg geriet, der keine Verbrechen geduldet oder beobachtet hat und schon gar nicht daran beteiligt war. Erst mit der Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 geriet diese öffentliche Sichtweise ins Wanken und führte gegen massive Widerstände aus der Politik und Bevölkerung zu einer partiellen Korrektur innerhalb deutscher Geschichtsdebatten. Insbesondere die aktive Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust und am Vernichtungskrieg im Osten wurde im Rahmen dieser Auseinandersetzung thematisiert. Ein Aspekt, der bisher nur eine marginale Rolle in diesen Debatten spielte, wird durch die aktuelle wissenschaftliche Arbeit von Regina Mühlhäuser näher beleuchtet. Sie versucht in ihrem Buch verschiedene wissenschaftliche Aspekte der Thematik Sexuelle Gewalt durch deutsche Soldaten während des 2. Weltkrieges in der Sowjetunion darzustellen. Das Ausmaß kann rückblickend nicht mehr ermittelt werden, es zeigt sich aber, dass diese Verbrechen keine Ausnahme darstellten.

Unter dem zentralen Begriff des »sexuellen Zusammentreffens (sexual encounters)« subsumiert die Autorin »das Erzwingen von Nacktheit, unterschiedliche Formen sexueller Folter, Vergewaltigung und sexuelle Versklavung ebenso wie sexuellen Tauschhandel, gewerbliche Prostitution, einvernehmliche Affären und romantische Verhältnisse« und versucht damit eine Analyse dieses Phänomens zu vollziehen.

Dieses sexuelle Zusammentreffen vollzog sich im gesamten Alltag, sowohl in Gewaltakten gegenüber Frauen im Rahmen von Kampfhandlungen, aber auch in der Zeit der Besatzung. Die Arbeit wird in drei Kapitel unterteilt: sexuelle Gewalt, sexuelle Tauschgeschäfte, einvernehmliche Verhältnisse und Besatzungskinder. Im ersten Kapitel werden vor allem Berichte von Wehrmachtsangehörigen über Vergewaltigungen, Erniedrigungen und Folter dokumentiert. Mühlhäuser zitiert dabei Ann Cahill und führt dann zum Begriff Vergewaltigung an: »Eine Person wird zum Opfer, weil sie im Moment der Tat auf ihre körperlichen Eigenschaften als Frau oder Mann reduziert wird. Und genau diese Reduktion macht den Angriff immer auch sexuell. Dabei erachtet Cahill es als zweitrangig, ob die Motivation des Täters primär sexuell ist oder in seinem Bedürfnis nach Macht begründet liegt. Sie macht vielmehr deutlich, dass beide untrennbar miteinander verwoben sind«. Schlussfolgernd spricht Mühlhäuser dann von sexueller Gewalt.

Dabei zeigen sich zwei Dinge: erstens, dass sexuelle Gewalt in verschiedenen Ausformungen von Anfang an Teil des Vernichtungskriegs war und zweitens, dass das Verhalten der Täter von Verrohung, einem Machtgefühl und Hemmungslosigkeit geprägt war. Die Täter prahlten nicht selten gegenüber ihren »Kameraden« mit den Taten. Trotzdem sieht Mühlhäuser dort eine Ambivalenz, da die Taten auch als Rassenschande oder Disziplinlosigkeit gewertet werden konnten. Berichte von Opfern gibt es kaum, die meisten wurden ermordet, bei anderen analysiert sie dies vor allem in Bezug auf das Tabu der Vergewaltigung, welches häufig zu einer massiven Ausgrenzung führte.

Im Kapitel über sexuelle Tauschgeschäfte werden insbesondere Abhängigkeits- und Machtverhältnisse und daraus folgende Prostitution beschrieben. Es gab auch längerfristige intime Beziehungen mit dem Versuch die Frauen zu ehelichen. Dies wurde oftmals von den offiziellen Stellen abgelehnt.

Sexuelle Kontakte insbesondere zu Jüdinnen waren offiziell verboten, wurden aber im Rahmen des Krieges zunehmend toleriert. Bereits vor dem Beginn des 2. Weltkrieges diskutierte die Wehrmachtsführung den Umgang der Soldaten in den besetzten Gebieten mit der einheimischen Bevölkerung und dabei insbesondere mit den Frauen. Daraus folgend wurden wenige Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion Wehrmachtsbordelle eingerichtet. Ziel war einerseits eine Motivation für eine Steigerung der Kampfkraft zu schaffen und andererseits sexuelles Verlangen zu kontrollieren und kanalisieren. Mühlhäuser diskutiert in diesem Zusammenhang die fließenden Grenzen zwischen Zwang und Freiwilligkeit der Opfer. Gesicherte Information über die Anzahl und das Leben der Frauen in den Bordellen existieren allerdings nicht.

Zusammenfassend ist die Arbeit von Regina Mühlhäuser ein wichtiger Beitrag zur Frage sexueller Gewalt von Soldaten der Wehrmacht in der Sowjetunion. Dabei wird insbesondere das Zusammentreffen von Militär- und Zivilgesellschaft näher beleuchtet. Die militärischen und staatlichen Organe duldeten zum größten Teil die sexuelle Gewalt und versuchten die sexuellen Bedürfnisse der Soldaten zu kanalisieren. Die Ausübung sexueller Gewalt diente auch dazu, die Opfer im Sinne der Rassenideologie vor der Ermordung zu quälen und zu erniedrigen, um damit absolute Macht auszuüben. Dass dieses Phänomen erst in den letzten Jahren diskutiert und thematisiert wird, zeigt, wie wenig Wissen über diese Vorgänge existiert. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft ist bis zum heutigen Tag vor allem durch die Diskussion über Vergewaltigungen von deutschen Frauen durch Soldaten der Roten Armee oder den angeblichen Verrat von deutschen Frauen an deutschen Männern, welche Beziehungen mit Alliierten eingingen, geprägt. Dieses Buch liefert einen Beitrag dazu, diese Blickweise zu ändern.

Regina Mühlhäuser: Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941 – 1945, Hamburger Edition , Hamburg 2010, 416 S., € 32,00.

PETER MEYER