Städte sind der Ausgangspunkt, der Kontext und das Produkt unserer Handlungen. Nicht nur als Begriffe auf die Stadt bezogen, sind suburbane oder periphere Räume Vgl. Henri Lefebvre, Die Revolution der Städte, Frankfurt a.M. 1990. von städtischer Ökonomie, Politik, Technologie, Kultur und Lebensstil ebenso durchdrungen wie die klassischen Städte oder die weltweit neu entstehenden Agglomerationen. Das Städtische ist zum Produktionsort des Kapitals und der sozialen Machtverhältnisse und damit zum politischen Raum schlechthin geworden. Und dennoch erscheinen die Städte ihren BewohnerInnen und NutzerInnen zunehmend als unvermeidliches Resultat von Prozessen, die anderswo stattfinden. Sie wirken determiniert von AkteurInnen und Umständen, die weit außerhalb der Reichweite alltäglicher Handlungen aber auch von Planung und Design liegen. Die Dominanz von Entscheidungen internationaler Konzernzentralen, individuellen Konsumpräferenzen, ökologischen Katastrophen, internationalen Politiken, kulturellen Differenzen und anderen Phänomenen der Globalisierung, lassen die Vorstellung sehr unrealistisch erscheinen, dass Städte durch kollektives Handeln oder gar durch Design bestimmt werden können. Wenn aber die Handlungsperspektive der Gestaltung – das Entwerfen – überhaupt ernsthaft in Betracht gezogen werden soll, muss zunächst die Frage gestellt werden, was diese wirkmächtigen und entfernten Kräfte sind und wie sie auf die Stadt wirken.
Stadt als strategischer Raum des Neoliberalismus
Trotz einiger Unstimmigkeiten hat sich in letzter Zeit in der Stadtforschung der Begriff des »Neoliberalismus« als Beschreibung des politischen Settings, in dem Städte produziert werden durchgesetzt. Vgl. Publikationen wie: David Harvey, Räume der Neoliberalisierung; Neil Brenner/Nik Theodore (Hrsg.), Spaces of Neoliberalism, Oxford 2008; Edward Soja, Postmetropolis, Oxford 2000; Mike Davis/Bertrand Monk (Hrsg.), Evil Paradises: Dreamworlds of Neoliberalism, New York 2008. Ursprünglich wurde dieser in den dreißiger Jahren als sozialphilosophisches und wirtschaftspolitisches Konzept konzipiert, das zwar den Einfluss des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen minimieren wollte, im Unterschied zum Laissez-faire des klassischen Liberalismus jedoch ein regulierendes staatliches Eingreifen zur Sicherstellung funktionierender Märkte als notwendig ansah. Es bildete damit unter anderem die konzeptionelle Grundlage für die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die inzwischen jedoch eher als Gegenmodell zum Neoliberalismus gehandelt wird. Denn, die in den achtziger Jahren sich international durchsetzende angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, redefinierte den Neoliberalismus als Politikmodell einer primär ökonomisch getriebenen Globalisierung. Ein neuer neokonservativer Marktradikalismus setzte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks weltweit auf Privatisierung, Deregulierung, Effizienzdenken, Abbau staatlicher Fürsorge und wirtschaftliche Globalisierung – kurz: auf einen weitgehenden Rückzug des Staates und die Auslieferung gesellschaftlicher Belange an die Kräfte des Marktes. Mit dem Ansturm des Neoliberalismus, der die Ökonomie zum Kern der Gesellschaft erhebt, ist das Gesetz von Nachfrage und Angebot auch zur Primärkraft städtischer Prozesse geworden.
Städte sind inzwischen aber auch zu den Schlüsselzonen dieser Neoliberalisierung geworden. Sie bilden den strategischen Raum der Implementierung und Ausformung neoliberaler Logiken. Im Kontext ihrer Strukturen und Dynamiken materialisiert sich dieses Politikmodell und determiniert auf je spezifische Weise den städtischen Alltag. Um diese städtische Kontextbezogenheit des Neoliberalismus gegenüber der reinen Theorie des Neoliberalismus als freies Spiel der Kräfte des Marktes herauszustellen, sprechen die US-amerikanischen Stadtforscher Neil Brenner und Nik Theodore von einem »actually existing neoliberalism«. Brenner/Theodore (Hrsg.), Spaces of Neoliberalism, 2. Sie betonen, dass neoliberale Restrukturierungen immer in nationalen, regionalen und lokalen Kontexten stattfinden und von ihren jeweiligen institutionellen und politischen Rahmenbedingungen, von lokalen Regulationspraktiken und politischen Auseinandersetzungen abhängen.
De-Politisierung der Städte
Aber die Betonung der Bedeutung lokaler Rahmenbedingungen bei der Ausformung neoliberaler Politiken soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die politischen Rahmenbedingungen dieser Implementierung selbst einer homogenisierenden Redefinition unterliegen. Die radikale Marktorientierung neoliberaler Arrangements findet im Kontext der von Foucault geprägten Konzeption einer Regierungstechnik der Gouvernementalität statt, beziehungsweise schafft diesen Kontext. Dieser ersetzt die Auseinandersetzung und den Widerspruch durch Techniken, die auf Einvernehmen und Konsens zielen. Eine postfordistische Form urbanen Regierens, die primär an den Prinzipien betriebswirtschaftlicher Effizienz ausgerichtet ist, legitimiert Herrschaft über die Selbstverantwortlichkeit der in ihrem Rahmen Handelnden. Es etabliert sich eine Form der Regierung, die selbstbestimmtes und selbstverantwortetes Denken und Handeln zulässt, befördert und zunehmend auch verlangt. Angesichts der allgegenwärtigen Aufforderung, das Individuum als Ressource zu erschließen, verschwimmt die Unterscheidbarkeit zwischen Selbsttechniken und Herrschaftstechniken. Insbesondere im städtischen Kontext führt dies zu einer post-politischen und post-demokratischen Situation, in der Räume des demokratischen Engagements und damit des Widerspruchs verschlossen werden.
Städtische Politik ist in diesem Sinne nicht nur durch neoliberale und neokonservative Kräfte bedroht, sondern auch durch Ansätze des »Post-Planning« progressiver PlanerInnen und StadtforscherInnen. Der in solchen Ansätzen implizit formulierten, durchaus berechtigten Kritik an den totalitären Verfestigungen der Moderne, folgt oft die gänzliche Ablehnung jeder politischen Perspektive auf die Stadt. Paradoxerweise folgt hier aus einer herrschaftskritischen Haltung, die die Top-Down-Logik der totalen Planbarkeit und ihren Anspruch der Normierung und Reglementierung des Alltagslebens ablehnt, eine selbstgefällige Depolitisierung der Verfahren des Entwerfens. Stadt wird nun als das »Unplanbare« betrachtet, das von GestalterInnen lediglich beobachtet aber kaum beeinflusst, geschweige denn gestaltet werden kann. Für eine politische Geste bleibt dabei kein Platz. So wird beispielsweise die Kritik an städtischen Ungleichheiten oder Ungerechtigkeiten als Unfähigkeit interpretiert, die Komplexität zeitgenössischer urbaner Landschaften zu begreifen – eine weitere Form der De-Politisierung der Stadt. Bavo (Hrsg.), Urban Politics Now. Re-Imagining Democracy in the Neoliberal City, Rotterdam 2007, 229.
Das Politische aber bestimmt die französische Philosophin Chantal Mouffe genau als die Dimension des Antagonismus, der für die menschliche Gesellschaft als konstitutiv anzusehen sei. Chantal Mouffe, Über das Politische, Frankfurt a.M. 2007, 16.
»Daher kommen wir, wenn wir das demokratische Projekt verteidigen und radikalisieren wollen, nicht darum herum, das politische in seiner antagonistischen Dimension anzuerkennen und den Traum von einer versöhnten Welt, die Macht, Souveränität und Hegemonie überwunden hätte, aufzugeben.« Ebd., 170.
Mouffe analysiert, wie zeitgenössische westliche Politikmodelle die Möglichkeit des Konflikts und der Opposition negieren, indem sie auf einen moralisch konstruierten Konsens zielen. Sie negieren damit soziale Machtstrukturen und Konflikte und verschließen das Feld des Politischen. Hierin sieht Mouffe ein post-politisches Moment. Eine Regierungspraxis, die den Streit und die Auseinandersetzung liquidiert hat. Jeder Widerspruch wird dabei kategorisch ausgeschlossen. Insbesondere im Selbstverständnis des Neoliberalismus – es gäbe zur bestehenden Ordnung keine Alternative – liegt das Haupthindernis demokratischer und damit auf Konflikt und Widerspruch basierender Politik. Mouffe fordert für diese Auseinandersetzung einen »gemeinsamen symbolischen Raum«. Ebd, 70.
So wie sich hier das Instrumentarium der Gestaltung zur Konstruktion eines gemeinsamen Raums als politisches Werkzeug andeutet, stellte jüngst der US-amerikanische Autor Mike Davis die bewusst optimistische Forderung nach einem utopischen Denken und Handeln auf. Mike Davis, Wer wird die Arche bauen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2 (2009), 41-59. Er verbindet darin die für ihn eigentlich unumkehrbare Umweltkatastrophe mit den sich massiv ausweitenden globalen sozio-ökonomischen Ungerechtigkeiten, die beide durch die Weltwirtschaftskrise in ihrer katastrophalen Tendenz bestärkt würden. Davis fokussiert dabei auf die Stadt: so wie die weltweit rasant fortschreitende Urbanisierung die Ursache dieser Entwicklung ist, könne sie auch den Weg zu ihrer Lösung bereithalten.
Der sehr realistischen Entwicklungsvariante segregierter Zonen des Überflusses einer ansonsten ökologisch und ökonomisch desaströsen Umwelt stellt Davis sein Idealbild der Stadt gegenüber. In der Fortschreibung der utopisch-ökologischen Stadtkritik der SozialistInnen und AnarchistInnen des frühen 20. Jahrhunderts und der sozialen Experimente der frühen Moderne, insbesondere der sozialistischen Stadtkonzepte der Konstruktivisten der Sowjetunion, liegt für ihn ein Ansatz, Städte eines demokratischen Gemeinschaftsdenkens zu erfinden. Die Umwelteffizienz städtischer Dichte und die Notwendigkeit effizienter kollektiver urbaner Systeme bilden die Alternative zur suburbanen Zersiedelung und deren negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen. Davis sieht einen engen Zusammenhang zwischen Sozial- und Umweltverantwortung, zwischen kommunaler Gesinnung und einem ökologischem Urbanismus. Er verbindet so gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen mit den drängenden Umweltproblemen. Die entscheidende Grundlage für eine umweltfreundliche Stadt wären daher weniger neuartige Technologien umweltfreundlichen Städtebaus, sondern, »dem allgemeinen Wohlstand eine Priorität gegenüber persönlichem Reichtum einzuräumen.« Ebd., 281. In diesem kollektiven Charakter der Stadt und seiner Infrastruktur liegt das Potential zur Überwindung der sich abzeichnenden sozialen und ökologischen Katastrophe. Nachhaltige Stadtmodelle zu schaffen, erfordert für Davis daher sich der »Notwendigkeit zu verschreiben anstatt dem Machbaren« und »eine kompromisslose Bereitschaft, über den Horizont des Kapitalismus hinauszublicken«. Ebd., 283f.
Post-neoliberales Design
Es ist kaum davon auszugehen, dass das offenkundige Versagen der »Selbstkontrolle des Marktes« zu einem raschen Ende neoliberaler Politiken führt. Der neue Staatsinterventionismus zielt eher darauf, die Instrumente zur Stabilisierung und zum Schutz der Selbstentfaltung der Märkte zu erneuern. Dennoch zehrt die weltweite Krise an der Glaubwürdigkeit des Dogmas der vollständigen ökonomischen Regulierung des Sozialen. Die Vernichtung von Vermögen und Renten, von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen sowie der Verlust von Wohnhäusern wird als Folge dieser Politik erlebt. Die alte und gedemütigte Idee des Wohlfahrtsstaates gewinnt an Plausibilität, staatliche und internationale Politik definiert sich wieder stärker als ein Gegenüber der Wirtschaft und der Finanzmärkte. Und ebenso wenig wie es absehbar ist, wie sich die Systemkrise des Neoliberalismus entwickelt, herrscht Unklarheit darüber, welche Modelle sich zu ihrer Überwindung durchsetzen. Klar ist lediglich, dass eine Debatte über demokratische und soziale Korrekturen und Alternativen eröffnet ist. Dies betrifft insbesondere die Städte als strategische Räume der Implementierung neoliberaler Regierungstechniken. Sie könnten zu einem politischen Raum demokratischer Experimente werden, die auch eines neuen Designs bedürfen.
Während aber die negativen Auswirkungen des übermächtigen Primats ökonomischer Logiken in Politik und Alltag, die damit verbundenen Umweltfolgen, die Vertiefung sozialer Segregation und die Depolitisierung städtischer Praxen offen zutage treten, halten sich die GestalterInnen weiter mit Kritik und Vorschlägen zurück. Haben sie in jüngerer Vergangenheit jede Distanz gegenüber dem Markt aufgegeben und ihre zunehmende Bedeutung bei der Ausgestaltung der übergangslosen Kreisläufe der Produktion und Konsumtion in der postfordistischen Wirtschaft gefeiert, herrscht gegenwärtig bestenfalls irritiertes Schweigen. Eine Inflation des Designs, das zum Agent der totalisierten Konsumgesellschaft geworden ist, verunmöglichte, einen Freiraum der Gestaltung überhaupt denken zu können. Vgl. Hal Foster, Design and Crime, London/New York 2002. Es scheint aber an der Zeit, die Rolle des Designs für eine soziale Stadt neu zu bestimmen und aktiv zu werden. Dabei scheint dem Design wieder ein unscharfes Versprechen innezuwohnen. Gerade in seiner Entgrenzung bei der es mit einem utopischen Hang zur Totalität das Feld des Gesellschaftlichen oder auch des Politischen streift, liegen Ansätze einer Gestaltung und damit Thematisierung sozialer Krisen.
Wie ein solcher politischer Designansatz aussehen kann, deutet der an der HfG Ulm ausgebildete sowie lehrende und in Argentinien lebende Designer und Theoretiker Gui Bonsiepe an, indem er einen Demokratiebegriff ins Spiel bringt, den er im Sinne eines Abbaus von Abhängigkeiten hin zu echter Selbstbestimmung definiert. Gui Bonsiepe, Demokratie und Design, Vortrag, Chile 2002, 8. Ein Ideal, dass dem neoliberalen Verständnis von Demokratie entgegensteht, das »gleichbedeutend mit der Vorherrschaft des Marktes als gleichsam sakrosankter und ausschließlicher Instanz zu Regelung aller Beziehungen in und zwischen Gesellschaften« Ebd., 7. sei. Bonsiepe wendet sich in diesem Kontext gegen die Nutzung des Designs »als Instrument der Herrschaft« und spricht sich für eine emanzipative Praxis, »die sich gegen einen harmonisierenden, die Widersprüche vertuschenden Diskurs richtet«, aus. Ebd., 10. In dieser Hinsicht nahe bei Davis, fordert er einerseits tatsächlich eine nichtuniversalistische utopische Perspektive. Andererseits besteht Bonsiepe wie auch Mouffe, die einen Raum für Auseinandersetzungen einfordert und damit die Artikulation von Konflikten auch als Gestaltungsaufgabe definiert, auf dem Widerspruchscharakter von Design. An den Orten und Zonen des Widerspruchs können so, nach Bonsiepe, konkrete Ausgangspunkte utopischer gestalterischer Eingriffe liegen. Das Benennen und Artikulieren von Konflikten und ihre intentionale Transformation geht von einem gesellschaftlichen Bezug der Gestaltung aus, der weniger auf die Lösung von Problemen als auf die kritische Thematisierung sozialer Verhältnisse und Verwerfungen zielt. In einer solchen Designpraxis würden professionelle AkteurInnen dieser Disziplin ebenso wie die vielfältigen Alltagsgestaltungen oder informelle und »illegitime« Praxen des Design den städtischen Raum als Ort der Auseinandersetzung besetzen und ihren Beitrag zur Debatte und Verhandlung politischer Fragen leisten.
Das Aufsuchen und Bezeichnen dieser Orte und Zonen, die Konstruktion von Konflikten und Widersprüchen im systemischen Kontext der Krise des Spätkapitalismus kann als Ausgangspunkt eines neuen Designverständnisses dienen. Gerade in der sich in Bezug auf Fragen des Städtischen vorsichtig entwickelnden Disziplin des Designs liegen unerforschte Potentiale, eine intentionale Gestaltung von Raum zu entwickeln. Der Krise der zeitgenössischen Stadt ist mit den klassischen Instrumenten der großmaßstäblichen Planung von oben nicht mehr beizukommen. Zu komplex und heterogen, zu dynamisch und widersprüchlich sind die sozial-räumlichen Praktiken. Aber auch die Nicht- Planung, die darwinistisch die Betroffenen in ihrer Selbstverantwortlichkeit belässt oder das Agieren machtvoller städtischer AkteurInnen affirmiert, gibt das Projekt der Gestaltung zu leichtfertig auf. Es bedarf eines neuen Designs der Stadt, denn die Stadt ist ganz prinzipiell gestaltet. Sie ist gesellschaftlich produziert.
~Von Jesko Fezer. Der Autor ist Teil der Architekturkooperative ifau und Jesko Fezer, Mitbetreiber der thematischen Buchhandlung Pro qm und gibt die politische Architekturzeitschrift An Architektur mit heraus. Zur Zeit leitet er das Forschungsprojekt Civic City.