»Hier ist es also das Glück! Es hat Raum in einem kleinen Löffel! das Glück mit all seinen Trunkenheiten, all seinen Tollheiten und Kindereien!«, notiert Charles Baudelaire im Angesicht einer bereitstehenden Dosis Haschisch. Charles Baudelaire, Die künstlichen Paradiese, Reinbek 1964. Alle folgenden Baudelaire-Zitate beziehen sich auf diese Ausgabe. Die Essays, die der lyrische Chronist von Paris, der »Hauptstadt des 19. Jahrhunderts«, Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Ges. Schriften Bd. V.1, Frankfurt a. M. 1991, 45. über die von Haschisch und Opium induzierten »künstlichen Paradiese« verfasste, zählen zu den literarischen Gründungsdokumenten der modernen intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Rausch. Das aus zwei Aufsätzen bestehende Werk bildet im zweiten Teil eine Auseinandersetzung mit Thomas de Quinceys früheren und ebenso zentralen Bekenntnissen eines englischen Opiumessers, München 1985. Baudelaire beschwört in der »Dichtung vom Haschisch« das uralte Versprechen eines »künstlichen Glücks«: Es sei, »in der Naturwissenschaft und der Pharmazeutik, in den schwersten berauschenden Getränken und in den feinsten Düften, unter allen Himmelsstrichen und zu allen Zeiten« gesucht worden, die dem Menschen als »Mittel […] zur Flucht – und möchte sie nur einige Stunden währen – aus seiner Kotbehausung« dienen sollten.
In der Hoffnung, dass wenigstens für kurze Zeit der Überdruss und das individuelle Leiden an den bestehenden Verhältnissen weniger akut, weniger spürbar und erdrückend sei, lag – liegt noch immer – die Motivation der meisten Menschen für das, was Baudelaire als Flucht in den Rausch beschreibt. Die gesellschaftliche Funktion rauschhafter Exzesse besteht damit vor allem in der Betäubung, die zwar aus leidvoller Erfahrung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit gesucht wird, diese in der Konsequenz allerdings keineswegs bedroht oder unterminiert. Ganz im Gegenteil – seit ihr Rhythmus die Welt bestimmt, sind die Fließbänder der industriellen Produktion nicht nur vom Maschinenöl geschmiert, sondern auch vom Inhalt der allgegenwärtigen Branntweinflaschen und Bierautomaten; die ohnehin die Einzelnen zu den Verantwortlichen ihrer Misere stempelnde Elendsverwaltung erhält tatkräftige Unterstützung durch den Alkoholismus, der sie vielleicht erst denk- und durchführbar macht. Rausch in diesem betäubenden Sinne war stets verlässlicher Komplize des Bestehenden und Komplement des Realitätsprinzips.
Baudelaire unterscheidet allerdings zwischen einer sozial erwünschten und einer antisozialen Wirkungsweise von Rauschmitteln: »Der Wein erhöht den Willen, der Haschisch vernichtet ihn. […] Wahrhaftig, wozu sollte man schon arbeiten, sich abmühen, schreiben, schaffen, was immer auch sei, wenn man doch auf einen einzigen Schlag das Paradies gewinnen kann? Kurz, der Wein ist für Leute, die arbeiten, und die ihn zu trinken verdienen. Der Haschisch hingegen […] ist geschaffen für die unglückseligen Müßiggänger.« Zit. nach Wolfgang Schivelbusch, Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genußmittel, Frankfurt a. M. 1997, 224. Deren weitaus radikalerer Fluchtversuch gerate automatisch auf einen Irrweg, der in die kulissenhafte Illusion der eben nur künstlichen Paradiese hineinführe. Doch bleibt Baudelaire nicht bei der Einsicht in die bloße Scheinhaftigkeit des Rausches stehen. Vielmehr spricht er ihm, jenseits der sozialen Sphären, in der gewöhnliche Motive den Konsum vom Rauschmitteln bestimmen, gar eine sublimere Funktion zu: Der vom »trüben Dunkel der gemeinen Alltagsexistenz« angewiderte Intellektuelle strebe nach einem seltenen und flüchtigen, »paradiesischen« geistigen Ausnahmezustand der Glückseligkeit – zu dem häufig gerade nicht Tugend und Vernunft einen Weg ebneten, sondern die Umwege, die »sündhaften Orgien der Einbildungskraft«, kurz: der Rausch führten. Baudelaire changiert damit zwischen einer scheinbaren Verurteilung der Drogenerfahrung als inauthentisch, verderblich und schädlich für Geist und Vernunft, einer deutlichen Ironisierung solchen Moralisierens und schließlich, erfüllt von tiefer Faszination für die »krankhaften Genüsse«, einer offen Anpreisung der geistigen und ästhetischen Mobilisierungspotentiale des Rausches.
Nun mögen die vergangenen Erfahrungen intellektueller Haschisch- oder Opiumesser Heute eher ungewöhnlich anmutend wurde Haschisch zu Baudelaires Zeiten zumeist in Form verschiedener Zubereitungen eingenommen – und das in eindrücklich großen Mengen. – gerade vor dem Hintergrund der betäubenden Funktion, die dem Rausch für die überwältigende Mehrheit der vergesellschafteten Menschen zukommt – eine von besonderen sozialen Umständen bedingte historische Ausnahmeerscheinung gewesen sein; nichtsdestotrotz zeigt sich an ihnen, was Rauscherfahrung in einem prägnanten Sinne bedeuten kann. Dass sie heute mitunter anachronistisch anmutet, sagt mindestens soviel über die Zeit, in der solche Erfahrung gemacht wurde, wie über unsere gesellschaftliche Gegenwart. In dieser stehen auch Rauscherfahrungen jenseits bloß abstumpfender Betäubung unter dem Diktat einer umfassenden Funktionalisierung. Unter deren Vorherrschaft verliert selbst jene alte Betäubungsfunktion an Bedeutung – spielte auch sie schon als momentane Flucht vor der Realität der gesellschaftlichen Verhältnisse deren Reproduktion in die Hände, so wird nun noch der Rausch selbst zur Erfahrung des reibungslosen Funktionierens, in der das Konkurrenzsubjekt zu sich selbst kommt. Wo die intellektuelle Rauscherfahrung Anlass zu kritischer Reflexion nicht nur über das Erfahrene selbst, sondern gerade auch über seine gesellschaftliche Funktion bot, scheint heute ein leerer Gestus vorherrschend zu sein. Noch diejenigen, die heute erklärtermaßen jenseits des alltäglichen Massenkonsums mehr suchen im Rausch als die bloße Betäubung, scheinen zu solcher Erfahrung kaum mehr fähig. An die Stelle besagter Reflexion tritt die politische Aufladung oder esoterische Überhöhung des Rausches, die sich darüber belügt, dass dem Bestehenden auch durch den Rausch nie zu entkommen ist – und sich damit umso besser dessen Imperativen fügt. Vgl. Verf., »Alle Lust will Ewigkeit. Über ›Hedonismus‹ als linke Ideologie der Selbstbefreiung«, in: Phase 2.33 (2009).
Daher lohnt es sich, die »antisoziale« Fluchtfunktion von Drogen, Rauscherfahrung im emphatischen Sinne näher zu betrachten – und Baudelaire auf seiner »abenteuerlichen Expedition« zu begleiten. Deren Ertrag wird eine Phänomenologie des Haschisch-Rausches ebenso sein, wie tiefe Einsichten in die Zusammenhänge von Rausch, Realität und Reflexion umfassen – ein Ertrag, der am Ende merkwürdig schillert, Warnung vor den Gefahren des Rausches ebenso ist, wie er, dank der wortgewaltigen, poetischen Schilderung der Eindrücke, zum Nachahmen geradezu animiert.
»Rauschglück« statt »Bewusstseinserweiterung«
Zur solcher Nachahmung sah sich wohl auch Baudelaires Übersetzer und Interpret Walter Benjamin verleitet, um von seinen Exkursionen in illusionäre Gefilde nicht minder eindrücklich zu berichten. Von seinen Versuchen mit Haschisch und Meskalin, mit denen er dem »Rätsel des Rauschglücks« nachspürte, fertigte er Protokolle an und verarbeitete einige davon zu essayistischen Erfahrungsberichten. Vgl. die Sammlung im Band Über Haschisch, Frankfurt a. M. 1979. Alle folgenden Benjamin-Zitate entstammen dieser Ausgabe oder dem Aufsatz »Der Sürrealismus«, in: Ges. Schriften Bd. II.1, Frankfurt a. M. 1991, 295–310. Wie bei Baudelaire entsteht so eine detaillierte Phänomenologie des Rausches. Und wie seinem Wahlverwandten, der im Rauschzustand geschärften »künstlerischen Sinn« und »klarere Urteilskraft« suchte, geht es auch Benjamin dabei erklärtermaßen nicht um bloße Weltflucht oder Betäubung, sondern, im Gegenteil, um einen »rein filtrierten intellektuellen Ertrag des Unternehmens«. Eine Flucht ist das nur vor den Unlust stiftenden Angelegenheiten des Alltags mit dem erklärten Ziel, damit einen Raum für Kontemplation, fürs Philosophieren und für unverstellte Erkenntnis zu eröffnen. So wird der Rausch zum intellektuellen Experiment, zur »ganz besonderen Reise« (Baudelaire) in ungekannte »Bewußtseinswelten« (Benjamin) – und das noch lange bevor wichtigtuerische Drogengurus vom Schlage eines Timothy Leary ihr vermeintliches Geheimwissen verbreiteten, ein »psychedelisches Zeitalter« ausriefen und mit ihren »Trips« sich solcher, längst vorgeprägter und nun bald schon abgegriffener Metaphorik bedienten. Benjamins Experiment gilt nicht der pseudoreligiösen »Bewusstseinserweiterung«, die Hunter S. Thompson in seinem Drogenroman Fear and Loathing in Las Vegas treffend als die von Leary ventilierte, »essential old-mystic fallacy of the Acid Culture« beschreibt: »the desperate assumption that somebody – or at least some force – is tending that Light at the end of the tunnel.« Hunter S. Thompson, Fear and Loathing in Las Vegas, New York 1989, 179. Dt.: »die essentielle Fehlleistung der Acid Culture, die in archaisch-mystischem Gewand daherkam: die verzweifelte Hoffnung, dass das Licht am Ende des Tunnels, von irgendjemanden – wenigstens von irgendeiner Macht – genährt wird.« Vielmehr ist es von der »Sehnsucht, Neuem, Unberührtem, im Rausch nahezukommen« angetrieben – also dem Ringen um einem Erkenntnisertrag in strengem Sinne. Der Rausch, in dem man »an die intellektuelle Sphäre gebannt« sei »wie manchmal Besessene auf die sexuelle«, wird damit zur genuin geistigen Erfahrung erklärt. Der Vergleich mit der obsessiven Qualität von Sinnlichkeit ist hier kein Zufall: Denn im Rausch vergeht schließlich die strikte Trennung der Erfahrungsdimensionen, er findet in einem nicht abgegrenzten Zwischenreich statt, worin sinnlicher Genuss und intellektuelle Stimulans sich vielfach gegenseitig durchdringen.
Schon Baudelaire notiert, wie sich diese eigentümliche Erfahrung insbesondere im veränderten Verhältnis des Berauschten zur Objektivität niederschlage. In der »Betrachtung der äußeren Dinge« gehe zunehmend die Distanz zum Objekt verloren, dessen Repräsentation werde von der Sache selbst ununterscheidbar, bis sich die eigene Existenz aufzulösen beginne und man schließlich zum betrachteten Ding selbst zu werden scheint: Man wird zur Pfeife, die man raucht. Und er wird nicht müde zu betonen, dass der Rausch kein übernatürliches »Wunderland […] voll Zauberei und Gaukelei« erschließe, sondern dass seine Besonderheit in eben jener erhöhten Sensibilität des Subjekts und der eigentümlichen Veränderung der Intensität seiner Wahrnehmungen und Objektbeziehungen bestünde. Die Dinge zeigen sich dem Berauschten so in einem Licht, das bis dato unbesehene Mehrdeutigkeiten, Analogien, Schattierungen etc. plastisch hervortreten lässt.
Für Benjamin werden unter Einwirkung der Droge »die banalsten Dinge der Merkwelt« tatsächlich zum Sprechen gebracht, offenbaren scheinbar von sich aus »Sinn und Bedeutung«. Bedingt ist dieses Gefühl des berauschten Subjekts, einer wahren Erkenntnis der Sachen, ja einer »Erleuchtung« nahezukommen, auch für Benjamin durch ein verändertes Verhältnis des Selbst zu den Dingen: Statt durch einen instrumentellen Umgang die Dinge beherrschbar und verwertbar zu machen, konzentriert sich der Berauschte nun auf deren Besonderes, auf die oft übergangenen und vermeintlich für unwichtig befundenen Nuancen – unverkennbar kommt hier Benjamins erkenntnistheoretisches Programm einer »Mikrologie« ins Spiel, einer Fixierung auf Kleinstes und Subtilstes, an dem das Allgemeine erkannt werden soll. Auch die Qualität der Wahrnehmung verändert sich gänzlich. Benjamin berichtet vom »Hochgefühl« einer »Zärtlichkeit gegen die Dinge und vor allem die Worte«, die sich im Rausch einstelle. Alle äußeren Eindrücke werden von dieser Zärtlichkeit eingehüllt, die Sorge gilt der Unversehrtheit des Papiers durch den Schatten, der auf es fällt, oder der vernachlässigten Höflichkeit gegenüber den nicht vom Menü ausgewählten Speisen, die der heißhungrige Berauschte im Restaurant nicht durch seine Ablehnung beleidigen will. Die Sehnsucht, ja ein Gefühl von Liebe gilt sonst für leblos erachteten Dingen und alles wird ins Licht einer besonderen Schönheit getaucht, die auch Baudelaire im Rausch vor dem »inneren Auge« begegnet – kurz: alles wird ästhetisiert.
Rausch als ästhetische Erfahrung
Was von Baudelaire und Benjamin im Rausch registriert worden ist, erinnert, insbesondere in der »Liebe« zu den Dingen, an die ästhetische Erfahrung. Die Begegnung mit dem ästhetischen Gegenstand ist getragen von sinnlichem Genuss ebenso, wie von einem intellektuellen Erkenntnisprozess. Beide sind jedoch nicht etwa voneinander unabhängige oder zeitlich auseinanderliegende Momente, sondern durchdringen sich: Ästhetischer Genuss stellt sich her über die sinnliche Erfahrung des Erkenntnisgegenstands und die Aktivierung der Einbildungskraft; so wird Erkenntnis zu mehr als einem Substrat intellektueller Verfahren wie dem rationalen Begreifen, Kategorisieren oder Definieren von Objekten. Das ästhetische Spiel der Phantasie ermöglicht Erkenntnis, treibt diese aber zugleich weit über die Grenzen der Registrierung dessen, was in der Wirklichkeit existiert, hinaus. In den ästhetischen Gebilden der Kunst erscheint diese in veränderten Konstellationen; sie sind reale Dinge ohne unmittelbaren Sinn und Zweck, Dinge wie sie die alltägliche Welt nicht kennt, und doch führen sie eine Existenz mitten in ihr.
Auch in den Rauscherfahrungen, wie Baudelaire und Benjamin sie beschreiben, verschränken sich ästhetischer Genuss, intellektuelle Neugier und eine stimulierte Einbildungskraft, lassen die Welt in einem anderen Licht erscheinen, machen bis dato Unsichtbares sichtbar, Ungeahntes erfahrbar ohne dabei die bisherigen »Wege des Denkens« gänzlich zu verlassen: »Nur«, so hält Benjamin fest, »sie scheinen mit Rosen bestreut.« Dabei verfällt man nicht einfach unmittelbaren Halluzinationen. Diese, so betont Baudelaire, erscheinen fast wie gewollt, seien Produkt der »Tätigkeit der Einbildungskraft« und ihres mehr oder minder bewussten Spiels mit den im Rausch auseinandergerissenen Wahrnehmungsfetzen der alltäglichen Welt, die nach anderen, eben ästhetischen statt instrumentellen Imperativen neu zusammengesetzt werden.
Trotz der kontemplativen Natur des Rauschzustandes ist, wie in der ästhetischen Erfahrung, der Berauschte dabei nicht einfach passiver Betrachter, sondern vollzieht sie Kraft seiner stimulierten Phantasie selbst mit. So gerinnt retrospektiv die Erfahrung, wird der Rausch selbst dinghaft, zum ästhetisches Gebilde, an dem der Berauschte als schöpferisches »Prosawesen höchster Potenz« strickt. Benjamin deutet den Rausch als »Figur«, die sich mit »schönen, prismatischen Rändern gegen den Alltag« absetze und »Blumenform« annehme. Und Baudelaires Rauscherfahrung gleicht sich gar einem »phantastischen Roman« an, »der lebendig wäre, statt geschrieben zu sein« und in dessen Handlung der Berauschte sich unlösbar verstrickt.
Die von solchen Metaphern bestimmten Erfahrungsberichte offenbaren noch ein weiteres Moment der ästhetischen Qualität des Rausches: seine Bildhaftigkeit und Affinität zum Traum. Benjamin beschreibt, wie im Rausch das Gesagte einer assoziativen Logik folgt und »dichterische Evidenz« bekommt, wie sich Worte in Dinge und Bilder verwandeln und wie sich schließlich die Erfahrungen der Sprache entziehen. Es komme zu einer sich aus dem Unbewussten speisenden, unwillkürlichen und »stürmischen Bildproduktion« voller Schönheit, Merkwürdigkeit und Exotik, die mit Gewalt über den Berauschten hereinbricht. Die Bilderwelt des Rausches – zugleich gegenständlich und ornamental – erscheine mitunter als undeutbar und rufe die »Gemälde der Surrealisten« ins Gedächtnis.
Rausch als Reflexionsform
Die »sürrealistische Erfahrung« von der Verselbstständigung der Bilder und Laute hat Benjamin andernorts mit dem im Traum oder unter der Einwirkung von Drogen statthabenden Zurücktreten der Individualität und dem Verlust ihrer Herrschaft über die Sprache verglichen. Eine Feier der Überwältigung des Individuums und der rauschhaften Regression also? Keineswegs. Benjamin hält dort vielmehr fest: »Diese Lockerung des Ich durch den Rausch ist eben zugleich die fruchtbare, lebendige Erfahrung, die diese Menschen [gemeint sind die Surrealisten, S. T.] aus dem Bannkreise des Rausches heraustreten ließ.«
Die »Resignation« seiner Sprache, die den Berauschten im Angesicht der Bilderwelt und der eigentümlich übermächtigen Objektivität des Rausches befällt, lässt ihn nicht in Ehrfurcht erstarren und verstummen. Sie wird vielmehr Anlass zur Reflexion von »Drogenerfahrung« in einem Sinne, der den banalen Beiklang, den diese allgegenwärtige Vokabel heute begleitet, nicht kennt. Benjamin und Baudelaire zielen so auf einen Erkenntnisertrag besonderer Art ab, der sich statt im gewohnten Gang über Begriff und Vernunft wie auf Umwegen über den Rausch einstreichen lässt. Man könnte nun meinen, damit werde dem esoterischen Geschwätz von der »höheren Bewusstseinsform« oder Ähnlichem das Wort geredet, oder als unzureichend verschriener rationaler Erkenntnis gar die Rückwendung auf eine pseudoreligiös überhöhte Erleuchtung kontrastiert. Doch hält Benjamin unmissverständlich fest, dass die »Ekstasen der Drogen« weder Surrogat für religiöse Erleuchtung und Transzendenz, noch deren letztliche Überwindung sein könnten. Zu einer »profanen Erleuchtung« – profan, weil es sich dabei eben nicht auf ein religiöses oder mystisches Erlebnis ankommt, sondern auf eine »materialistische, anthropologische Inspiration« jenseits rationalistischer Methodik – könnten die Erfahrungen des Drogenrausches allenfalls eine »Vorschule« abgeben.
Worin aber besteht nach diesem Vorbehalt dann überhaupt noch der besondere Ertrag des Rausches? Die Rede von der »Vorschule« weist zurück auf die hier versuchte ästhetische Bestimmung des Rauschzustandes. Die Metapher der Schule, die noch nicht das Lebens selbst ist, in der sich jedoch – im Idealfall – für dieses lernen lässt, in der Erfahrungen gemacht werden können, die über sich selbst hinausweisen, auf noch zu machende reale Erfahrungen erinnert an eine emphatische Funktionsbestimmung der Kunst: Etwas wird intellektuell und sinnlich erfahrbar, das anders ist; anders ist es aber nur im Rausch respektive im gemalten oder gedichteten Bild; beides ist nicht schon Transzendenz, sondern verweist auf die Möglichkeit einer solchen als gesellschaftlicher. Das ist der Ertrag, den Benjamin und Baudelaire dem Rausch abgewinnen, sein Versprechen von Glück. Und für Benjamin noch mehr: Den drogeninduzierten Rausch stellt er in Korrespondenz mit der »rauschhaften Komponente in jedem revolutionären Akt«, lässt ihn dessen »Vorfeier« und »Übung« sein. Die »Kräfte des Rausches für die Revolution gewinnen« ist folglich das gar nicht mehr ästhetisch begrenzte Programm, das er den Surrealisten zuschreibt und das mit wenig Gewalt der Umschreibung auch sein eigenes genannt werden darf.
Zweifellos lassen sich daraus die Züge einer – noch unverstellten – Begeisterung sowohl für die revolutionären Umtriebe der Zeit, als auch für die Experimente mit relativ neu entdeckten Drogen herauslesen. Doch Letzteres betreffend hebt sich Benjamins kritisches Erkenntnisinteresse am Rausch von einer pseudoreligiösen oder revolutionären Überhöhung auch durch folgendes Eingeständnis ab: »Die passionierteste Untersuchung des Haschischrausches wird einen über das Denken (das ein eminentes Narkotikum ist) nicht halb so viel lehren, wie die profane Erleuchtung des Denkens über den Haschischrausch.« Das Denken wird eben nicht zugunsten der Rauscherfahrung suspendiert, sein Primat bleibt unhinterfragt, und Erkenntnis verspricht allein die Erkundung des Verhältnisses beider. Damit wendet sich Benjamin selbst schon gegen die mystifizierende Aufladung und Fetischisierung des »Rätselhaften« oder vermeintlich »Übernatürlichen« am Rausch. Er votiert für einen Abgleich der »phantasmagorischen« oder »sürrealistischen« Phänomene des Rausches mit dem »Alltäglichen« mit dem Ziel, ihre »dialektische Verschränkung« aufzuzeigen. Demnach fördert der Rausch immer nur Seiendes, Gesellschaftliches zutage – wenn auch in veränderter Konstellation, die von der Möglichkeit solcher Veränderung ebenso zeugt, wie durch die Entstellung im Rausch die gewaltvolle Entstellung dessen, was als Realität tagtäglich hingenommen wird, sichtbar gemacht werden kann. Die Reflexion der Rauscherfahrung kann hier ähnlich aufklärend agieren, wie die Freud’sche Methode der Traumdeutung.
Nur ein Spiegel
Die Sichtbarmachung durch die Rauscherfahrung bestimmt auch Baudelaire als deren wertvollsten Ertrag – in seinen Reflexionen greift er dafür immer wieder die Metapher des Spiegels auf. Zunächst preist er den geistigen Ausnahmezustand des Rausches als »Zauberspiegel« an, vor den der Mensch trete, »damit er sich in Schönheit sehe, das heißt so, wie er sein sollte und könnte.« Das erinnert an das ästhetische Glücksversprechen, das die momenthafte Erfahrung der Möglichkeit, oder, so Baudelaire, gar die »Gewißheit eines besseren Daseins« impliziere. Doch bleibt auch er nicht bei solcher Glorifizierung des Rausches stehen, sondern deutet, im metaphorischen Assoziationsfeld verbleibend, den Rausch zugleich als bloßen »Vergrößerungsspiegel«, in dem das berauschte Individuum sich selbst begegne, wie unterm Brennglas die »gesteigerte eigene Natur« wiederfinde. Ernüchternd liest sich damit das Resümee von Baudelaires Phänomenologie: Der Mensch ist im Rausche »ausgeliefert, aber leider nur sich selbst, will sagen dem, was ihn ohnehin beherrscht.« Er entkommt weder sich selbst noch der ihn umgebenden und prägenden sozialen Welt.
Wie Benjamin, so streicht auch Baudelaire damit zwei widersprüchliche Momente des Rausches heraus: Er verspricht ein zeitweiliges Entkommen aus der Wirklichkeit und beglückende Blicke auf künstliche Paradiese; doch diese sind eben künstlich, bestehen nur aus Elementen einer gesellschaftlichen Realität, die nie verlassen wird. Es ist der alte Fluch einer im Rausch oder in der Kunst inszenierten Transzendenz, die aller solchen Erfahrung zu Grunde liegende Dialektik des ästhetischen Scheins: Am Ende sind die Paradiese nur eine Illusion, bleiben als materielle bisher unerreichte Möglichkeit, lösen ihre Versprechen nicht ein. Als Medium der Selbstreflexion – und so ließe sich wohl die Intention der Experimente verstehen – führt der Rausch dem Individuum seine und die gesellschaftlich ungenutzten Potentiale ebenso vor Augen, wie die Kläglichkeit und soziale Gefangenschaft seiner Existenz.
In einem hellsichtig-berauschten Moment findet Benjamin für den Schwellenzustand des Rausches das treffende Bild vom »Spitzentanz der Vernunft«. Mit der Einführung der Technik des Spitzentanzes wurde im 19. Jahrhundert das Ballett revolutioniert – heute sind beide fast miteinander synonym. Im Spitzentanz wird die Überwindung der Schwerkraft inszeniert; sie scheint für die virtuosen Tänzerinnen und Tänzer keine Gültigkeit mehr zu besitzen. Und doch wissen wir, dass auch sie bei all ihren Sprüngen und Pirouetten stets dem Gesetz der Masse unseres Planeten unterworfen bleiben. Einen solchen Tanz vollführt die Vernunft und mit ihr das Individuum im Rausch – sie lösen sich vom Boden des Bestehenden und bleiben doch durch das Gesetz seiner Schwerkraft an die Schwelle gebunden.
Vom Ende der Rauscherfahrung
Im Rausch kommt es stets darauf an, wer berauscht ist, wann und wo er stattfindet sowie welches Rauschmittel zum Zuge kommt. Bei der Lektüre der Erfahrungsberichte von Baudelaire und Benjamin tritt das überdeutlich zu Tage: Benjamins Philosopheme sind allgegenwärtig – auch auf Meskalin; Baudelaires sich als abgründig inszenierende Faszination für den moralisch verwerflichen Rausch stimmt zu seinem Image des poète maudite, (dt. verworfener Poet) wie zu seinem poetischen Programm. Beide betonen außerdem die Rolle, die die individuelle Konstitution für die Ausgestaltung des Rausches spielt, der immer, so Baudelaire, »auf den besonderen Ton der Persönlichkeit gestimmt« sei. Zum von ihm selbst geschilderten sinnlich-intellektuellen Feuerwerk soll er allein dem dafür sensiblen Menschen werden – für ihn ist das natürlich der Dichter –, während er von einem bürokratischen Beamten zu berichten weiß, den die gleiche Droge zum Vieh hätte regredieren lassen. Dass Drogen, zumal zu Baudelaires hochindustriellen Zeiten, für die arbeitenden Massen noch eine ganz andere Funktion hatten, sei hier nur erinnert. Entsprechend werden auch äußere Faktoren, wie Zeitpunkt, Milieu usw. als entscheidend für den Gang des Rausches gewertet – darin noch eine Einsicht, die in Learys Schlagwort von Set & Setting populär geworden ist, vorwegnehmend. Dass jedoch trotzdem eine »Einheit in der Verschiedenheit« (Baudelaire) der individuellen Rauscherfahrungen besteht, das wird zur Voraussetzung, um überhaupt allgemeine Erkenntnisse darüber zu formulieren, ihn hier als eine besondere Form der Erfahrung – eine Erfahrung ästhetischer Qualität – begreifen zu können. Damit soll jedoch nicht versucht werden, unter Anrufung von Autoritäten eine zeitlose Wesensbestimmung des Rausches vorzunehmen, um sie etwa unreflektiert auf die Drogenrealität der Gegenwart zu übertragen. Was Rausch ist, was er sein kann, das lässt sich nur in Form einer historischen Frage beantworten, die die Wandlungen von Individualität und gesellschaftlichen Verhältnissen, gerade in ihrer gegenseitigen Bedingtheit, begreift. Der Ausflug zu den beiden Experimentatoren vermag eine historische Kontrastfolie zu schaffen, vor der die Realität von Rausch in der Gegenwart an Kontur gewinnt: die eigentümliche Nüchternheit, die heute einen bewussten Umgang mit Drogen bestimmt.
Die historische Fallhöhe der »Drogenerfahrung« in einem die schlichte Betäubung übersteigenden Sinn wird schon an späteren Erfahrungsberichten ablesbar. Während Aldous Huxleys in den fünfziger Jahren begonnene Experimente mit Meskalin und LSD zwar noch vergleichbare Einsichten zu Tage förderten, kippt sein Bericht davon zunehmend in Richtung esoterischer Überhöhung um. Aldous Huxley, Die Pforten? der Wahrnehmung. Himmel und Hölle. Erfahrungen mit Drogen, München 2012. Vgl. das Kapitel »Begegnung mit Aldous Huxley« in: Albert Hoffmann, LSD – Mein Sorgenkind, Frankfurt a.M.?/Wien/Berlin 1980, 193–199. Das sich in den sechziger und frühen siebziger Jahren entwickelnde, breite gesellschaftliche Interesse an psychoaktiven Substanzen resultierte schließlich in einem Eso-Drogen-Boom, der an Stelle gesellschaftlicher Befreiung die individuelle Erleuchtung zum Programm erhob und von Lifestyle-Ideologen wie Leary oder unerträglich poetisierenden Popikonen vom Schlage eines Jim Morrison getragen wurde; Damit soll nicht die gesamte von Drogen inspirierte Popkultur seit der Beat Generation diskreditiert werden. Es wäre gerade hier im Abgleich mit der Gegenwart nach ästhetischen Potentialen inmitten der ins Esoterische abdriftenden Drogensubkultur zu fragen. als auch er mit dem Ende der großen Illusionen der Spätsechziger zum erliegen kam, wurden die »grim meat-hook realities« Thompson, Fear, 178. Dt.: »die düstere Fleischerhaken-?Realität«. der vermeintlichen Bewusstseinserweiterung sichtbar. Übrig blieben vor allem der Schick und die Sexiness der Selbstdestruktion, die sich schließlich zu einem lange bestimmenden Motiv des Drogenkonsums entwickelten.
Dass der Rausch bei allen lockenden Versprechungen zugleich eine Degradierung des Selbst bedeuten kann, ja vielleicht immer auch bedeutet, davor warnt schon Baudelaire. Er spielt damit besonders auf die Gefahr der Sucht hin: Wenn ohne die künstliche Linderung der Schmerzen der Alltag nicht mehr ertragen werden könne, dann drohe der Verlust der »Willensfreiheit«. Die Sucht gleiche so einem »langsamen Selbstmord«. Zum Zusammenhang von Sucht und Selbst(-verlust) vgl. den Text von Alexandra Schauer in diesem Heft. Doch nicht nur den Süchtigen droht der Selbstverlust. In jedem Rausch verschwindet hinter der oben beschriebenen Übermacht der Objektivität das Individuum; was Erkenntnischance ist und Einblicke in das Eigenleben der Dinge bietet, droht umzukippen, wenn das Individuum völlig davon überwältigt wird, sich darin verliert. Diese Übermacht der Objektivität, in der sich im Rausch die Übermacht des Seienden, der gesellschaftlichen Realität über das Selbst anmeldet, kann jedoch paradoxerweise zur Lustquelle werden: Auf die narzisstische Kränkung, die in der Erfahrung von der eigenen Ohnmacht für das Individuum liegt, reagiert es mit einer Affirmation eben dieser Übermacht, mit der es sich identifiziert und die es wahnhaft an sich selbst bewundert. Das meint Baudelaire wenn er festhält, dass man im Rausch stets nur einer überhöhten, potenzierten Version des Selbst wiederbegegne – das heißt aber vor allem dem, was das »selbst beherrscht.« Es ist dies die größte Gefahr, die er im Rausch erblickt: Der Berauschte »verwechselt vollständig den Traum mit der Tat, und indem er seine Einbildungskraft mehr und mehr berauscht an dem verführerischen Schauspiel seiner eigenen verbesserten und idealisierten Natur und dieses faszinierende Bild seines Selbst seiner tatsächlichen Individualität unterschiebt, die so arm ist an Willenskraft und so reich an Wahn« werde er zum Opfer seiner eigenen, »siegreichen Monomanie«.
Wurde solcher Narzissmus von Baudelaire – oder »Egozentrismus« von Benjamin – noch als ein Moment des Rausches bestimmt, dem jedoch immer das widerstreitende Moment der individuellen Erfahrung der Nähe zu den fremden Dingen, und der davon ermöglichten Selbstreflexion beigegeben war, so ist heute eine Verschiebung im Verhältnis der beiden Momente zu beobachten. Schon in der häufig als »subversiv« missverstandenen Verklärung der Drogenerfahrung zum Vehikel einer psychedelisch-esoterischen »Selbstfindung«, die das Subjekt seit den sechziger Jahren gegenüber der geschmähten Außenwelt und ihren Zumutungen immunisieren und »positiv« stimmen sollte, die tatsächlich aber vor allem mit den zunehmend individualisierten Anforderungen einer im Wandel begriffenen Arbeitswelt korrespondierte, klingt das an. Heute, so scheint es, geht die vormals entscheidende Dimension der reflektierten Erfahrung völlig zugunsten der narzisstischen verloren. Statt jener sucht das längst von der gesellschaftlichen Übermacht beschädigte, überwältige und notwendig stetig scheiternde Konkurrenzsubjekt im Rausch nach Bestätigung seiner Ohnmacht und nach einer Kompensation dafür. Beides findet es darin: Was bei Baudelaire und Benjamin als die Wiedergewinnung von kindlichen Erfahrungshorizonten im Rausch geschildert wird, schlägt um in die reine Lust an der Regression und die bewusst vorangetriebene Infantilisierung. Im Konsum von Anästhetika wie Ketamin wird die freiwillige Selbstreduktion auf eine Nervenbündel ebenso lustvoll zelebriert wie die Aufgabe der Individualität zugunsten einer Wohlfühlgemeinschaft. Und was in der Dialektik des Rausches als dessen Grenze sichtbar wurde, die Erfahrung einer nur scheinhaften Überwindung des Seienden, das wird nicht mehr Anlass zu kritischer Einsicht, sondern mit der Fetischisierung der »Drogenerfahrung« affirmiert. Wo der Rausch als Form ästhetischer Erfahrung solcher narzisstischen Selbstbestätigung des Immergleichen weicht, da stellt sich die Frage, ob eine rauschhafte Qualität jenseits bloßer Abstumpfung und dem sich »Einfach Gutfühlen« überhaupt noch das entscheidende Motiv für Drogenkonsum ausmacht.
Die Attraktivität von Drogen beruht jedenfalls in erster Linie nicht mehr im wie auch immer illusionären Glücksversprechen des Rausches, sondern im narzisstischen Kompensationsmechanismus, den sie in Gang setzen: Unter der Wirkung von gezielt dazu eingesetzten Substanzen – die Karriere gerade von Kokain ist dafür mehr als aufschlussreich Schon Freuds mit medizinischem Interesse durchgeführte Kokainexperimente zeigten die »gegen Hunger, Schlaf und Ermüdung schützende und zur geistigen Arbeit stählende Wirkung« lange bevor Kokain als viraler Egopusher und Leistungssteigerer galt. Sigmund Freud, Schriften über Kokain, Frankfurt a. M. 2004, 63. Dass Kokain, wie Freud ebenfalls betont, auch als intellektuelles Stimulans dienen kann, wusste schon Sherlock Holmes, der seine »science of deduction« davon beflügeln lässt. Arthur Conan Doyle, The Sign of the Four, Ware 2004, 109. – unterwirft sich das Restindividuum der momentanen Illusion seiner Allmacht und fühlt sich so endlich einmal den gesellschaftlich diktierten Anforderungen gewachsen, vor denen es sonst immer versagen muss; es kann sich und sein »Narzissus-Antlitz« (Baudelaire) nunmehr in einem gefälligen Zerrspiegel bewundern, denn es scheint unter Drogen wirklich und reibungslos das eine zu können, auf das es ankommt: zu funktionieren. So vermittelt, wird die »wirtschaftliche Seite der Intoxikation« (Benjamin), die Funktionalisierung von Drogen im gesellschaftlichen »Existenzkampf« zum Hauptmotiv noch des »Freizeit«-Konsums. Nicht zufällig gewährleisten Medikamente wie Ritalin und Prozac die subjektive Leistungsfähigkeit im Arbeitsalltag, während engverwandte Substanzen wie Speed und MDMA als populärste Partydrogen gelten. Das selbstgefällige Geschwätz von der »Drogenerfahrung«, dem nie recht zu trauen war, gerät vollends zur Farce, denn der Rausch kommt herunter zum berechneten Erfahrungssurrogat der entindividualisierten Funktionsglieder der Gesellschaft. Sie wissen, was sie nehmen und wissen, was sie erwartet. Was sie feiern, gerade all die drogenaffinen »Fusionisten« und anderen vermeintlichen Utopisten, die zur Stilisierung und ideologischen Aufladung ihres Drogenkonsums neigen, ist nicht mehr das Wetterleuchten vom Glück, für das sie kein Sensorium mehr haben, sondern die gestillte Sehnsucht nach der Überwindung ihres Selbst in der Erfüllung noch des letzten seiner – d.h. der gesellschaftlichen – Imperative, für die der leistungskonforme, stolze Sieg über den Schlaf eindrückliches Sinnbild ist. Zur »totalen Vergesellschaftung des Schlafes« vgl. Magnus Klaue, »Augen zu und durch«, in: Jungle World, 25, 21. Juni 2012. Hatte Huxley das Bedürfnis nach »chemischen Ferien vom eigenen unerträglichen Selbst und von der abstoßenden Umgebung« Huxley, Die Pforten, 50. – und damit auch Baudelaires künstliches Glück, das auf den Löffel passt – noch als Motiv für den Drogenkonsum verteidigt, so gilt dieser heute nur noch der chemischen Optimierung eben dieses unerträglichen Selbst und der endlosen Reproduktion seiner wahrhaft abstoßenden Umgebung.
~ Von Sebastian Tränkle. Der Autor lebt in Berlin.