Der von Christin Jänicke und Benjamin Paul-Siewert herausgegebene Sammelband 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland widmet sich der antifaschistischen Bewegung Ostdeutschlands von ihren Ursprüngen in den achtziger Jahren bis in die Gegenwart. Vereint sind elf Beiträge von zwölf AutorInnen, die laut Untertitel Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung aufzeigen wollen. Dem Hauptteil vorangestellt findet sich eine ereignisgeschichtliche Darstellung der Gründerjahre des nichtstaatlichen organisierten Antifaschismus in der DDR. Hervorgegangen aus der Punk- und HausbesetzerInnenszene befand sich dieser, wie die AutorInnen schildern, in einem besonderen Dilemma: Auf der einen Seite war die Bewegung mit dem vermeintlich antifaschistischen Staat konfrontiert, der eine hohe Toleranz gegenüber Neonazis aufwies und die als »negativ-dekadente Jugendliche« geführten AntifaschistInnen mit Repressionen drangsalierte. Auf der anderen Seite waren die späten Jahre der DDR von einer Rehabilitation rechter Strukturen geprägt, die in den neunziger Jahren brutale Kämpfe um Räume und gesellschaftliche Repräsentanz nach sich zog. Die Antifa in der DDR und schließlich in Ostdeutschland konzentrierte sich, so die Hauptthese des Buches, aufgrund der doppelten Bedrohungslage vornehmlich auf eine militante Selbstverteidigung und weniger auf eine gesellschaftsverändernde Praxis – ein Aspekt, der im Zusammenkommen ost- und westdeutscher AntifaschistInnen nach der Wende zu großen Diskrepanzen führte und dessen Konsequenzen sich die unterschiedlichen Beiträge immer wieder zuwenden.
Geprägt ist der Band allgemein von dem Umstand einer schlechten Quellenlage und der fehlenden Aufarbeitung der Geschichte der ostdeutschen Antifa. Die AutorInnen leisten dem Abhilfe, indem sie einerseits im ersten Teil jene historiographische Arbeit selbst vollführen – durch die Auswertung von Stasi-Akten, Flyer- und Demomaterial –, andererseits, wie in Teil zwei und drei des Buches, sich vornehmlich auf Interviews und subjektive Erzählungen stützen. Mit dem Anspruch, möglichst viele Perspektiven auf jene Geschichte zu geben, handeln die letzten zwei Teile von den geopolitischen Konsequenzen des Stadt-Land-Gefälles, der antifaschistischen Gedenkpolitik oder der Geschichte der Antideutschen und den Formen von Bildungsarbeit.
Der Konnex zwischen subjektiver Deutung und gesellschaftlichem Gehalt wird dabei nicht immer deutlich: Hilde Sanft lud sich für ihren Beitrag »Antifa und feministische Politik im Osten« vier Aktivistinnen zum Gespräch ein, die mittels ihrer Erfahrungen in der Antifa die Bedingungen feministischer Politik auszuloten versuchen. Es zeigt sich, dass in Ostdeutschland die Verteidigung linker Zentren gegen Nazis gegenüber feministischen Ansprüchen Vorrang hatte. Zu einer wirklichen Ausformulierung jener Bedingungen oder einer kritischen Kontextualisierung kommt es allerdings nicht; die Interviewrunde bleibt für sich stehen und kann eines Stammtischcharakters nicht entbehren.
Auch der Beitrag »Von der aufgezwungenen Selbstverteidigung zur Gegenmacht. Subjektive Militanzverständnisse in Zeiten des Umbruchs« von Jänicke und Paul-Siewert stützt sich auf Gespräche mit AktivistInnen der achtziger und neunziger Jahre, die einen Übergang der einfachen Selbstverteidigung gegen Naziübergiffe zu einem Militanzverständnis der Gegenmacht konstatieren. Hier gelingt zwar eine explizite Kontextualisierung in den jeweiligen Formen staatlicher Repression und dem Erstarken neonazistischer Strukturen, jedoch entpuppt sich der Artikel als basale Forschungsarbeit: Mit dem nicht weiter begründeten Anliegen angetreten, ein »möglichst nahes Herankommen an individuelles Selbstverständnis« zu garantieren, kulminiert das Resümee gleichermaßen in solch basalen Erkenntnissen wie: »Handlungsleitend waren Bedeutungen wie Emotionalität.« Andere Beiträge sind gelungener, so jener von Marek Winter zum Thema »Antideutsch in Ostdeutschland«, der eine Rekonstruktion der Geschichte der Antideutschen aus involvierter Position wagt, und vermittelt über die verschiedenen Etappen politischer Auseinandersetzung innerhalb der antifaschistischen Szene Kontinuitäten und Diskontinuitäten der vergangenen 30 Jahre aufzeigt.
Wie jeder Sammelband hat auch 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland seine Stärken und Schwächen. Zweifelsohne gelingt dem Buch eine Perspektiverweiterung auf die unzähligen Aspekte ostdeutscher Antifageschichte und es leistet dadurch eine wichtige und interessante historiographische Arbeit. Doch bleibt ein gewisser schaler Beigeschmack, der sich womöglich aus der dezidierten Weigerung ergibt, eine »nachträgliche politische Bewertung der Entwicklungen« vorzunehmen. Es ist der Beigeschmack falscher Neutralität, den man ansonsten vor allem aus der bürgerlichen Wissenschaft kennt.
Lilli Helmbold
Christin Jänicke, Benjamin Paul-Siewert (Hrsg.): 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2017, 209 S., € 20,00.