Golfkrieg 1991, Jugoslawienkrieg 1999, Krieg gegen den Terror 2001 - zu den letzten drei Kriegen mit weltgeschichtlicher Bedeutung hatte die Linke viel zu sagen und zu schreiben. Sie erlangte damit aber weder eine Diskursmächtigkeit noch konnte sie politisch wirksam intervenieren. Der von der Linken zurecht kritisierten Friedensbewegung ging es in dieser Dekade nicht besser - zum Glück, möchte man meinen. Allerdings gebar die linke Ohnmächtigkeit angesichts der Verhältnisse neben klugen Gedanken auch einige krude Theorien. Und die Debatten wurden umso heftiger ausgetragen, je stärker die eigene Bedeutungslosigkeit offensichtlich wurde. Eine Besichtigung der dabei angerichteten Sturmschäden und gezüchteten Stilblüten nimmt der folgende Text vor.
Mobilisierungsfähigkeit und emanzipatorische Propaganda leben von Gut-Böse-Dichotomien, die die Identifikation und Abgrenzung ermöglichen. In den Konflikten seit 1989 haben diese Raster allerdings an Erklärungskraft verloren. Zum einen ließen sich die weltpolitischen Entwicklungen nicht mehr mit klassischen antiimperialistischen Anschauungen in Übereinstimmung bringen. Andererseits setzte mit dem Untergang der Linken eine kritische Reflexion ein, die die alten Anschauungen auch rückwirkend für verkürzt oder gar falsch erklärte. D.h. es gab real keine Subjekte, Bewegungen, Staaten, Klassen oder andere Formationen mehr, auf die sich positiv bezogen werden konnte - und selbst wenn, war die StellvertreterInnen- und Solidaritätspolitik gründlich diskreditiert. Dass sich einige Unverbesserliche dennoch in alte Gewissheiten zu flüchten versuchten, machte es für den Rest immer schwieriger, politisch zu agieren und zu argumentieren. Dieser Prozess wird bei einem Blick auf das Verhältnis der antimilitaristischen Linken zu den drei erwähnten Kriegen deutlich. Der Friedensbewegung hingegen, die dem gleichen Abwärtstrend unterworfen war, lässt sich nicht einmal nachsagen, für das vermeintlich Gute eingetreten zu sein. Denn das, worauf sich die Friedensbewegung mehrheitlich bezogen hat, hat sich nicht etwa verflüchtigt, sondern in deutscher Regierungspolitik verfestigt. Während die kommunistisch geprägten Teile der Friedensbewegung in den 80ern prosowjetisch argumentierten, halluzinierten sich die anderen als Opfer eines "atomaren Holocaust" und der Blockkonfrontation. Als Ausweg wurde mehr nationale Friedenssouveränität propagiert. Dieser ist nun mit den humanistischen Kriegseinsätzen zur Verhinderung eines "Auschwitz'" in Jugoslawien an sein Ende gelangt.
Die "Holocaust"- und "Auschwitz"-Metaphern waren weder von Friedensbewegung noch von den Friedenskriegern zufällig gewählt. Neben dem eigentlichen Kriegsschauplatz ging es auch immer darum, sich aus der eigenen historischen Verantwortung zu stehlen, die eigene Kriegsschuld auf die damaligen Alliierten oder Israel zu projizieren und Deutschland wieder kriegsfähig zu machen. Inwieweit auch die deutsche Linke latent oder offen antisemitisch war und ist, wurde zu einer der meistdiskutierten Fragen seit dem Golfkrieg.
Golfkrieg: Okzidentaler Rassismus vs. Antisemitismus
"Man wird doch auch das Engagement der USA im Ersten und Zweiten Weltkrieg zurecht beschreiben können als Ausdruck von Konkurrenz um Weltmacht- und Vormachtpositionen, und gleichwohl sagen können, wir haben gute Gründe, zumindest das Engagement der USA im Zweiten Weltkrieg nicht auf diesen Aspekt zu reduzieren, sondern es ist auch, ja vor allem, die Niederwerfung des deutschen Faschismus gewesen, und darüber können wir den anderen Aspekt vernachlässigen. Es gab damals eine amerikanische Friedensbewegung, eine Linke, die mit dem Argument, das sei ein Krieg um Weltmachtpositionen, gegen den Kriegseintritt der USA gewesen ist."
Jan Philipp Reemtsma
Zu Beginn des Golfkrieges gab es letztmalig eine starke Mobilisierung der Friedensbewegung. In allen Städten kam es fast täglich zu kleineren Spontandemonstrationen, Straßenblockaden etc.; die Total- und Kriegsdienstverweigerungszahlen schnellten in die Höhe; an den großen Demonstrationen nahmen zehntausende Menschen der verschiedensten Spektren teil. Die radikale Linke war innerhalb dieser Proteste zwar nicht dominierend, aber immerhin präsent. Es schien recht einfach: Der alte Hauptfeind aller Antiimperialisten und Friedensfreunde, die USA, führte Krieg gegen ein Land im Trikont. Dass das irakische Regime nicht gerade als Sympathieträger dienen konnte, wurde durch den Glauben an die stringente ökonomische Herleitung der Kriegsgründe (Öl, Neue Weltordnung) wettgemacht.
Neben der üblichen Kriegspropaganda gab es allerdings eine Kriegsbefürwortung, die nicht so einfach vom Tisch zu wischen war. Saddam Hussein hatte angedroht, Israel zu vernichten - und wie real diese Drohung war, schien unklar. Linksliberale, wie Enzensberger, Diner und Broder, aber auch Linksradikale, wie die Redaktion der Zeitschrift konkret, verteidigten den Krieg, der zwar mit den falschen Motiven geführt, aber dem richtigen Ziel - dem Schutz Israels - dienen würde. Enzensberger verglich Saddam mit Hitler und konkret-Herausgeber Gremliza sah eine Analogie zum Krieg gegen Nazi-Deutschland. Diner und Broder unterstellten der Friedensbewegung, aufgrund antisemitischer Motive auf die Straße zu gehen. Dass in der Friedensbewegung "...der unbewußte, aber überaus heftige Wunsch am Werke war, Saddam Hussein möge ... den Job vollenden, den die Nazis nicht zuende bringen konnten, ... (die) zweite Endlösung der Judenfrage." Dagegen attestierte Broder der deutschen Rüstungsindustrie, die den Irak mit Waffen beliefert und somit Israel direkt bedroht hatte, keinen Antisemitismus sondern nur eine "kriminelle Unschuld". Die konkret beharrte darauf, dass die Tatsache, dass der Krieg ein imperialistischer wäre, ihn nicht hinreichend beschreibt. Er sei eben auch einer gegen die irakische Diktatur und für Israel. Die Friedensbewegung, so z.B. die Kritik der konkret, wäre staatstragend, da Deutschland auch gegen diesen Krieg wäre und "sich aus dieser bequemen Lage nicht befreien will." Richtig war die Analyse, dass große Teile der Friedensbewegung latent antisemitisch eingestellt waren. Demonstrationen für das Existenzrecht Israel wurden während des Golfkrieges nur von einigen Antideutschen und CDUlern besucht - und die wurden von anderen "Linken" dann auch tätlich angegriffen. Es gab auch genügend Meinungsäußerungen aus der Friedensbewegung, die als Schuldige Israel und USA ausgemacht hatten. Richtig war ebenfalls, dass Deutschland im Golfkrieg erstmals versuchte, gegen die USA zu opponieren und sich als Partner der arabischen Welt anzudienen. Falsch war es allerdings, dabei zu übersehen, dass Deutschland den Golfkrieg gleichzeitig genutzt hat, sich aus der "bequemen Lage" zu befreien. Während der polarisierenden Debatte mit wechselseitigen Antisemitismus- und Kriegstreibervorwürfen schien niemand auf den Gedanken zu kommen, dass Deutschland sowohl Militärmacht mit den USA werden, als auch sich als Friedenskraft gegen die USA profilieren wollte. Falsch war die Analogie zum Dritten Reich insofern, dass der Irak nicht das Potential zur Vernichtung Israels hatte - und dies auch kein ursächliches Kriegsziel darstellte. Falsch war es auch, der Friedensbewegung als treibendes Motiv den Antisemitismus und die Übereinstimmung mit der Bundesregierung zu unterstellen. Falsch war, dass suggeriert wurde, die deutsche Friedensbewegung sei antisemitisch, weil sie Friedensbewegung wäre - dabei ist sie so antisemitisch, weil und wie sie Deutsch ist. Außerdem waren die, die sich pro Israel positionierten, nicht automatisch frei von Antisemitismus. Und fraglich bleibt, ob der Krieg - vor allem auf lange Sicht - wirklich zum Schutz Israels beigetragen hat.
Die Gegenseite kehrte die Fehler der Bellizisten-Fraktion nur um, anstatt sie zu vermeiden. Im Golfkrieg wäre der linke Rassismus und Ethnozentrismus zum Durchbruch gekommen, so die Antimilitaristen. Den linken Kriegsbefürwortern wurde unterstellt, Teil eines allgemeinen Kriegstreiberdiskurses zu sein, als ob sie sich nicht davon abgegrenzt hätten. Von Israel war bei den Friedensfreunden nie die Rede und wenn doch, dann nur als "Vorpostens des Westens", der aufgrund der arabischen Kolonialkränkung den Hass auf sich ziehen müsste. Der größte Feind Israels sei die unversöhnliche und kriegerische Politik der israelischen Regierung - und nicht etwa die der arabischen Staaten. Den "Freunden Israels" - so nannten sich einige Aktionsgruppen während des Golfkrieges - wurde unterstellt, sie wären als Wohlstandschauvinisten nur entsetzt darüber, dass Opfer des Kapitalismus sich wehren würden.
Diese Debatte, die auch in den großen Zeitungen (Zeit, Frankfurter Rundschau, Spiegel) geführt wurde, war gleichzeitig das Ende der Friedensbewegung. Dies zeigt, dass sie zum einen nicht so antisemitisch war, um resistent gegen die Anwürfe zu sein, andererseits politisch so diffus, um nicht darauf reagieren zu können. Die Linke traute sich nicht mehr über den Weg, die Theoriebildung hatte es geschafft, Rassismus gegen Antisemitismus, die Parole "Nie wieder Krieg" gegen "Nie wieder Auschwitz" auszuspielen.
Die Antideutschen interpretierten jede Ablehnung ihrer Kriegsbefürwortung als Beweis für den Antisemitismus der Linken; der Rest war gehörig verunsichert und brauchte Jahre, um den Bruch zu verarbeiten. Elsässer (konkret-Autor) gab erst 1999 zu, dass "mit der falschen Begründung, nämlich pro Krieg, das Richtige getan (wurde), nämlich innerhalb der Linken ... eine notwendige Diskussion provoziert: über den Antisemitismus innerhalb der Friedensbewegung und über die besondere Rolle, die Deutschland in Konkurrenz, teilweise in Feindschaft zu den USA bei der Entfesselung von Kriegen nach dem Ende der Bipolarität spielt." Diesem Schema, mit falschen und provokanten Thesen, Diskussionen provozieren zu wollen, oft aber eher zu verhindern, blieben die Antideutschen bis heute treu. Die Kriegsbefürwortung im Golfkrieg war politisch gesehen kontraproduktiv, weil sie eine Handlungsmächtigkeit der Linken suggerierte, die auf beiden Seiten nicht vorhanden war: weder konnte der Antisemitismus der Friedensbewegung Israel gefährlich werden, noch die Kriegsbejahung Israel retten. Eine Linke, die sich ihre Ohnmacht eingesteht, hätte besser analysieren und kritisieren müssen, anstatt sich Scheingefechte zu liefern und realpolitische Ratschläge zu erteilen. Es wäre sowohl eine Kritik an den deutschen Ambitionen (die sich in außenpolitischer Zurückhaltung und innergesellschaftlicher Militarisierung ausdrückte) als auch an der imperialistischen Politik der USA sowie am irakischen Regime und ein Bekenntnis für das Existenzrecht Israels notwendig gewesen. Eine logische Folge davon wäre gewesen, "Nie wieder Krieg" richtig als "Nieder wieder Krieg von deutschen Boden aus" zu interpretieren und nicht vom "Nie wieder Auschwitz" abzutrennen. Somit wäre das Feindbild auch wieder klar gewesen: nicht die deutsche Friedensbewegung ist bei aller berechtigten Kritik gefährlich, sondern die deutsche Rüstungsindustrie und Friedensdiplomatie, die das Existenzrecht Israels zwar nicht so offenherzig in Frage stellt, dafür umso wirksamer.
Jugoslawienkrieg: Antinational vs. Antideutsch
"Im Sommer 1998 regten sich die Grünen, noch als Opposition, darüber auf, dass Rühes Kriegsministerium die Bundeswehruniformen in einer Weltmarktfabrik in Rest-Jugoslawien nähen ließ. Dabei protestierten die Grünen nicht gegen die miesen Arbeitsbedingungen in der ‚Freien Produktionszone' Rest-Jugoslawien. Sie wollten, dass NäherInnen in anderen Ecken Europas ausgebeutet werden, wo die Regierungen der deutschen Außenpolitik und deren Menschenrechten folgen."
Gaston Kirsche (gruppe demontage)
Friedensbewegung und Antimilitarismus während des Jugoslawienkriegs? Da fällt einem auf Anhieb nicht viel ein. Außer ein Gysi, der bei Sabine Christiansen auf dem Völkerrecht besteht, ein Farbbeutelwurf auf Fischer auf dem Parteitag der Grünen, ein Aufruf zum Desertieren, der mal abgesehen von der Kriminalisierung keine Folgen zeitigte, Demonstrationen der Nazis und Sonderausgaben linker Zeitschriften.
Die im Golfkrieg auseinandergeflogenen Fraktionen der Linken waren in der Ablehnung des Jugoslawienkriegs plötzlich wieder vereint - wenn auch nur formal. Die Antideutschen erlebten allerdings das Dilemma, einerseits ihre Kritik an der Friedensbewegung bestätigt zu sehen: diesmal führte auch Deutschland Krieg und anstelle von größerem Protest gab es de facto gar keinen. Andererseits sahen sie auch, dass ihre Instrumentalisierung von Auschwitz während des Golfkrieges inzwischen in die Kriegspropaganda der Bundesregierung Eingang gefunden hatte.
Nichtsdestotrotz wurde die alte Debatte lediglich den neuen Bedingungen angepasst und fortgesetzt. Die Reste der Friedensbewegung meinten, einem allgemeinen Antinationalismus frönen zu müssen, der gleichberechtigt amerikanischen, deutschen, serbischen und kosovarischen Nationalismus kritisiert - manchmal kamen auch andere Regionalmächte wie Italien oder die Türkei ins Spiel. Auf den kleinen Friedensdemonstrationen kam es wieder zu Handgreiflichkeiten, diesmal weil MigrantInnen aus Jugoslawien proserbische Parolen riefen oder jugoslawische Fahnen trugen. Sie wurden kurzerhand von den Demos ausgeschlossen.
Im Gegenzug nahmen die Antideutschen Abschied vom Antinationalismus. Nicht linke und dissidente Strömungen in anderen Ländern dienten als Bezugspunkt, sondern nur noch die Frage, ob ein Land Opfer und Gegner Deutschlands wäre. So konnte die Bahamas sich positiv auf die faschistischen serbischen Tschetniks beziehen (nur weil sie am Anfang der nationalsozialistischen Besatzung geringen Widerstand leisteten) und gleichzeitig nahtlos an die rassistischen Diskurse über die "kriminellen Albaner", die aus der Migrationsabwehr und Inneren Sicherheit stammen, anknüpfen.
Beide Fraktionen bedienten sich dem vereinfachten Denken von Hauptwidersprüchen und -schuldigen. Serbien wurde mit Israel gleichgesetzt, Deutschland hätte die Kriege in Jugoslawien inszeniert. Oder: die USA zieht Deutschland in einen Krieg gegen den serbischen Diktator, der lieber mit Wirtschaftsblockaden oder der UNO zu bekämpfen sei. Im Gegensatz zum Golfkrieg lässt sich allerdings konstatieren, dass sich viele Linke der polarisierenden Diskussion entzogen und versuchten, ausgewogene Artikel zu verfassen, die alle Positionen ein bisschen kritisierten und ein bisschen gut fanden. Die Verstrickung und Vertiefung in die komplizierten Zusammenhänge des Jugoslawienkriegs führte aber auch zu einer politischen Lähmung und produzierte Papierberge, die jedoch über die Linke hinaus nicht rezipiert wurden. Wie sehr sich die Autonomen marginalisiert hatten, wird daran deutlich, dass die autonome L.U.P.U.S.-Gruppe als einzige wirksame und realistische antimilitaristische Aktion einen Appell an die kriegskritischen grünen Bundestagsabgeordneten ansah, die "die deutsche Beteiligung an diesem Krieg kippen" könnten.
Zivilisation vs. Barbarei
"Einige Antideutsche vermitteln Antinationalismus heute allerdings nicht mehr mit Antikapitalismus, sondern diffamieren letzteren als nationalen Sozialismus. Antideutsch, um antikapitalistisch gekürzt, wird reaktionär und gelegentlich proimperialistisch."
Jutta Ditfurth
Die Debatte nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon sowie während des Krieges der USA gegen Afghanistan glich der während des Golfkrieges. Allerdings mit dem Unterschied, dass sie nicht mehr in der linksliberalen Presse, sondern lediglich in den marginalisierten Zeitschriften der Linken (Bahamas, konkret, jungle World) geführt wurde. Es fällt auch auf, dass viele einem gewissen Schattenboxen frönten: Die konträren Positionen wurden nicht mehr so vehement und umfassend vertreten wie während des Golfkrieges. Dominant war vielmehr eine vermittelnde Haltung geworden, die sich die zwei vermeintlichen extremen Einstellungen zum Konflikt "Zivilisation gegen Barbarei" erst konstruierte, um sich davon abgrenzen zu können und die eigene Position als der Weißheit letzter Schluss dastehen zu lassen. Die Bahamas wusste schon wenige Tage nach dem Anschlag, wie die Linke ihn deuten würde: nämlich als Befreiungsschlag der Unterdrückten gegen die USA. Die Linke tat der Bahamas allerdings nicht den Gefallen - wie es während des Golfkrieges noch der Fall war. Die Taktik der selbsterfüllenden Prophezeiung ging nicht auf. In den zahlreichen Stellungnahmen betonten alle ernstzunehmenden linken Gruppen, dass die Anschläge natürlich keinen emanzipatorischen Charakter hätten und eine Gleichsetzung mit anderen Protesten von unterdrückten Menschen letztere diffamieren würde. Dieses Bekenntnis schien aber als Abgrenzung in der Regel auszureichen, eine weitere Beschäftigung mit den Ursachen für islamistischen Terrorismus fand oft nicht statt - und wenn, dann immer mit dem Hinweis, dass die USA sich die Terroristen selbst gezüchtet hätten. Dagegen wurde lang und breit auf die Strategien der USA, die Geheimdienste, die Kriegspropaganda, geostrategische Interessen eingegangen etc. Gleiches wäre auch bei den Terroristen möglich gewesen. Aufschlussreich ist also nicht, was gesagt wird (denn dies ist nicht falsch), sondern was nicht gesagt wird. In keinem der linken Papiere fehlte außerdem die reflexhafte Ablehnung der Bahamas-Stellungnahmen, ohne eine kritische Würdigung vorzunehmen, was daran wohl wahr sein könnte. Zu der Frage des Golfkrieges, nämlich, wie Israel zu schützen und Deutschland auf seinem Sonderweg auszubremsen sei, kam eine neue hinzu: nämlich, inwieweit die westliche Zivilisation gegen religiösen Fundamentalismus zu verteidigen sei, obwohl sie diesen hervorbringt. Die einen konnten keinen Unterschied zwischen "Barbarei" und "Zivilisation" erkennen, für die anderen wurde aus dem kleinen Unterschied einer ums Ganze, der ein bedingungsloses Bekenntnis zur "Zivilisation" nach sich zog. Eine dritte Position schien nicht möglich. Das Café Morgenland kritisierte, dass die linken deutschen Möchtegern-Schreibtischtäter (die einen wollen Afghanistan und andere Länder bombardieren, die anderen der USA eine Niederlage bereiten), deren weltpolitischen Ambitionen niemand ernst nimmt, genau da versagten, wo sie doch eine Relevanz hätten haben können: beim Kampf gegen die antiislamische Hetze in Deutschland und gegen die neuen Anti-Terror-Gesetze.
Die Friedensbewegung zeigte sich unbeirrt von all den Diskussionen wieder auf der Straße - jedoch nicht nach den Anschlägen, sondern erst nach den Angriffen auf Afghanistan. Die Bewegung war nicht so stark wie zu Zeiten des Golfkrieges, aber deutlich stärker als während des Jugoslawienkrieges. Die Linken hielten sich allerdings fast vollständig von den Aktionen und Demonstrationen fern. Somit konnten sich antisemitische, antiamerikanische und völkische Parolen noch leichter in der Friedensbewegung verbreiten. Die konkret war sich nicht einig: Einige Autoren nahmen mal wieder die Kriegsbefürworter in Schutz, weil die einzige Alternative dazu die nationalistische Friedensbewegung von Walser, Schönhuber und Augstein wäre, die "Deutschlands dritten Griff nach der Weltmacht propagandistisch absichert". Andere Autoren polemisierten gegen die antideutsche Position und propagierten einen linken Antiamerikanismus. Die Diskussion geht also in eine neue Runde und wer kein Geld für die neuen Zeitschriften hat, dem sei einfach die Lektüre der alten empfohlen.
Mark Schneider
Bündnis gegen Rechts Leipzig