Der ideologische Fußabdruck des Kapitalismus

Die Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse, individualisierter Konsumkritik und unpolitischer politischer Bildung

In der ökologischen, sozialen und ökonomischen Dauerkrise des Kapitalismus ist es gegenwärtig vor allem die fortschreitende Zuspitzung des anthropogenen Klimawandels, die für viele ein Handeln notwendig erscheinen lässt. Dass es unaufhaltsam ›so weitergeht‹, ist die Katastrophe für eine jüngere Generation, die sich in verfinsternden Zukunftsvisionen um ihr Glücks- und Fortschrittsversprechen betrogen sieht: »It's like we are stuck in a hamster wheel, everyone is blaming each other« (Greta Thunberg). Weder Klimakonferenzen noch staatliche Reformen oder corporate responsibility konnten bisher einen effektiven Beitrag zur Lösung der sozialökologischen Krise leisten, geschweige denn ein Gefühl von Zuversicht oder Hoffnung verbreiten. Stattdessen erleben wir eine gesteigerte Ideologieproduktion, die im notwendig falschen Bewusstsein neoliberaler Vergesellschaftung, in individueller Verantwortung und individuellem Handeln, vermeintliche Auswege aus dieser Krise sucht. In Herrschaftsverhältnissen, die die ökonomische Strukturlogik eines expansiven Wachstums fortwährend (re-)produzieren, erscheinen diverse Formen der Moralisierung und Individualisierung auch im Kontext der Klimabildung von Kindern und Jugendlichen als populäre Methoden. 

Welche Ausmaße dies annimmt, lässt sich beispielhaft durch die überall beliebte Anwendung des CO2-Fußabdrucks-Prinzips verdeutlichen, das von Pädagog*innen, NGOs, Stiftungen und Unternehmen freudig in einer Vielzahl von Unterrichtsmaterialien zur ökologischen Bildung verwendet wird. Durch die emotionalisierende Schuldzuweisung à la »Wenn alle Deinen Lifestyle hätten, bräuchten wir x Erden!« soll zum Nachdenken über das eigene Konsumverhalten angeregt werden. Ungeachtet der Tatsache, dass kaum ein Kind selbstständig über seine Konsumentscheidungen verfügen kann, basiert diese Herangehensweise auf der falschen Annahme, dass ein höheres Bewusstsein über die Auswirkungen des eigenen Konsums gleichbedeutend mit nachhaltigeren Konsumentscheidungen ist. Letztlich ist die Quantität des Konsums und der Produktion von Waren entscheidend für die Klimakrise und nicht die Qualität des Bewusstseins, wie eine Studie des Umweltbundesamts gezeigt hat. vgl. https://t1p.de/sigam.

Die Anwendung diverser CO2-Fußabdruck-Rechner konfrontiert seine Nutzer*innen stattdessen vor allem mit einem ernüchternden Gefühl der Ohnmacht. Niemand kann so wenig heizen, essen, fliegen, fahren oder arbeiten, dass er laut Rechenmethode nicht trotzdem zu viele Treibhausgase ausstößt. Doch das Problem ist nicht unbedingt das wissenschaftliche Konzept der Fußabdruckberechnungen, sondern deren Anwendung auf individuelle Verantwortung und individuelles Verhalten, die ursprünglich auf eine Kampagne des Ölkonzerns BP im Jahr 2004 zurückgeht. Mathis Wackernagel, der Nachhaltigkeitswissenschaftler hinter der Konzeption, würde die Fußabdruckberechnung deshalb heute am liebsten wieder abschaffen. 

Der wissenschaftliche Hintergrund der Fußabdruckmodellierungen verweist tatsächlich auf äußerst relevante quantitative Aspekte gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Diese führen in einer rein bürgerlich-positivistischen Deutung und Anwendung allerdings zu einer problematischen Individualisierung von Lösungsstrategien, die in der Bezeichnung »Fußabdruck« schon angelegt ist. Denn unabhängig von ihrer historisch-spezifischen Einrichtung können sich gesellschaftliche Naturverhältnisse nur dann ökologisch nachhaltig reproduzieren, wenn die sogenannte Biokapazität unserer Umwelt nicht überschritten wird; wenn also sowohl die Nutzung von Ressourcen aus der Natur (fossile Rohstoffe, Wasser, Fläche, Biomasse, usw.) als auch die Emissionshöhe und Abfallmenge (Treibhausgase, Toxine, Feinstäube, usw.) gewisse Schwellwerte nicht übersteigen. Unter dem Titel der planetaren Grenzen, der seinen Ursprung in den Erdsystemwissenschaften hat, werden sichere Handlungsspielräume diskutiert und eingegrenzt, die durch biophysikalische Schwellwerte repräsentiert werden und nicht unter- bzw. überschritten werden dürfen, wenn die Resilienz und Stabilität des Erd- und Ökosystems nicht gefährdet sowie unkalkulierbare Risiken vermieden werden sollen.Vgl. https://t1p.de/dtnio. In der Anwendung dieser Konzepte ist es jedoch entscheidend, eine folgenreiche Verengung der Perspektive auf Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Die tatsächliche – wenn auch mit Unsicherheiten behaftete – Quantifizierbarkeit der Unter- bzw. Überschreitung dieser Grenzen muss aufgezeigt werden, gleichzeitig sind genau diese Grenzen nicht zu naturalisieren, sondern als Kompromiss eines wissenschaftspolitischen Diskurses zu verstehen: Es ist nicht »die Natur«, die Gesellschaften diese Grenzen setzt, sondern diese Grenzen sind als politisch verhandelte ebenso dynamisch, wie das Erdsystem und Gesellschaft selbst. Eine signifikante Überschreitung, wie bereits geschehen, hat aber in jedem Fall langfristig massive negative Auswirkungen auf die (Re-)Produktionsbedingungen und die Lebensqualität jedweder Gesellschaft. Trotz aller notwendigen Kritik an populär-wissenschaftlichen Anwendungen von Konzepten wie dem CO2-Fußabdruck, muss daher festgehalten werden, dass die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse in kapitalistischen Kernländern die nachhaltige globale Ressourcenverfügbarkeit um das 2,5- bis 3-fache überschreiten. 

Das eigentliche politische Bildungspotenzial des ökologischen Fußabdrucks bestünde also darin, diesen Missstand sichtbar zu machen, um mögliche politische Lösungsstrategien abzuleiten. Tatsächlich werden aber, wenn der Fokus einmal nicht auf individueller Rechnungslegung liegt, bestenfalls makroökonomische und verteilungspolitische Rückschlüsse gezogen, beispielsweise über die Anzahl an Erden, die nötig wäre, wenn alle Menschen ein ähnlich hohes Konsumniveau hätten wie die Bevölkerung der USA oder Europas. Die daran häufig anschließende Forderung nach Klimagerechtigkeit verbleibt so in einem distributiven Konflikt, anstatt die normativen Voraussetzungen selbst in Frage zu stellen. Stattdessen wird sich mit einem Gefühl von moralischer Schuld und Sühne und mit dem persönlichen Kassenzettel in der Hand darauf geeinigt, dass wir ein Leben auf Pump führen und selbst Kinder schon auf Kosten ihrer ungeborenen Kinder leben würden. 

Eine politische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel leistet die institutionalisierte Klimabildung dagegen selten, wie Kranz et al. in einer systematischen Literaturstudie zeigen.Johanna Kranz/Martin Schwichow/Petra Breitenmoser u.a., The (Un)political Perspective on Climate Change in Education – A Systematic Review, in: Sustainability 14 (2022), Nr. 7, https://t1p.de/6kg2s.Die Studie fasst Untersuchungen zu schulischen Projekttagen zusammen, also zeitlich begrenzten Lernabschnitten zum Thema Klimawandel, und stellt unter anderem dar, auf welcher Ebene Strategien zu Bekämpfung des Klimawandels gelehrt werden. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass sich der Unterricht auf basale naturwissenschaftliche Aspekte des Klimawandels wie dem Treibhauseffekt konzentriert, um die möglichen Maßnahmen auf die persönliche Ebene zu beschränken. Wenig überraschend reduziert auch das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), das auf die Sustainable Development Goals der Pariser Klimakonferenz zurückgeht und die staatliche Antwort auf die Frage nach Bildung gegen den Klimawandel darstellt, die Lernenden in erster Linie auf ihre Rolle als Konsument*innen. Kindern und Jugendlichen wird vermittelt, dass Bioeinkäufe, Stromsparen und Plastikvermeidung die einzig wirksamen Instrumente gegen den Klimawandel seien. 

Den Heranwachsenden wird damit zwar eine individuelle Selbstwirksamkeit vermittelt, nicht aber eine kollektive. Entsprechend der neoliberalen Ideologie, in der es so etwas wie eine Gesellschaft bestenfalls als Aggregation individueller Verantwortung gibt, sollen sich alle einfach um ihren eigenen Konsum kümmern, um durch besseren Einkauf die Klimakrise aufzulösen. Im Zuge dieser Individualisierung wird die politische Bildung entpolitisiert und komplexe Problematiken, die offensichtlich radikaler politischer Lösungen bedürften, werden mithilfe eines Politikbegriffs verhandelt, der nicht über die Grenzen des eigenen Einkaufswagens hinaus geht. Diese Verkürzung zeigt sich auch in anderen Bereichen. Schüler*innen haben große Schwierigkeiten, politische Veränderungen außerhalb des Handlungsrahmens von Einzelpersonen zu denken. Als Maßnahme gegen Meeresverschmutzung nennen sie »weniger Plastik kaufen«, die Hungersnot in Somalia soll durch private Geldspenden gelöst werden und auch Obdachlosen wäre am besten mit Geld- und Sachspenden geholfen oder indem man sie einfach mal freundlich grüßt. Hier wird neben einem unzureichenden Verständnis von Politik ein Phänomen sichtbar, das Mark Fisher »reflexive impotence«Mark Fisher, Capitalist Realism: Is There No Alternative?, Winchester 2009. nannte. Er beschreibt damit die Unfähigkeit, sich eine Gesellschaft außerhalb der bestehenden Normen vorzustellen: »They know things are bad, but more than that, they know they can’t do anything about it«Ebd., 21.. Die Dissonanz zwischen dem Wissen um die Grausamkeiten des Systems und der Überzeugung, dass es unveränderlich sei, befördert den Drang, Problemlösungen in dem vermeintlich einzig verbleibenden persönlichen Handlungsfeld zu suchen: dem Konsum.  

 

Heißzeit der Ideologieproduktion 

Mit der moralistisch-konformistischen Problematisierung von Lebensstilen und Konsumverhalten ist ein neuer Wachstumsmarkt für ökologischen Ablasshandel entstanden. Der Handel mit CO2-Zertifikaten, Klimaneutralitätsversprechen und gegebenenfalls gepflanzten Bäumen soll vor dem Fegefeuer der drohenden Heißzeit schützen. Als ob nicht etwa die Produzent*innen über den Einsatz von Pestiziden, die Ausbeutung von Arbeitskräften, katastrophale Arbeitsbedingungen, die Abholzung von Wäldern und Vergiftung von Gewässern entscheiden würden, nicht der Staat über Regulierungen oder den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern die wundersame Verbrauchermacht der Konsument*innen am Regal. Ein Nationales Programm für nachhaltigen Konsum gibt es daher bereits seit 2016, ein effektives Lieferkettengesetz aber wohl auch in absehbarer Zeit nicht.  

Die Illusion einer Ethik des Konsums ist heute zu einem Massenphänomen der Selbstoptimierung geworden. In ihr drückt sich der Wunsch aus, die Realität nicht so nehmen zu wollen, wie sie ist. Zugleich lässt aber das Wissen um die gesellschaftliche Destruktivität eine Endzeitstimmung aufkommen, in der die Möglichkeit gesamtgesellschaftlichen Fortschritts insgesamt abhandengekommen zu sein scheint und Vorstellungen von apokalyptischen Szenarien die Runde machen. Wenn Geschichte und Fortschritt als rasender Stillstand erscheinen, bei dem alles beständig im Wandel ist, ohne dass sich ein Sinn oder eine Richtung ausmachen ließen, dann macht Zukunft Angst. Der Blick des Engels der Geschichte, der einst in die Vergangenheit gerichtet war, in der er verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenzufügen möchte, hat sich zumindest für die Klimabewegung der Zukunft zugewendet, von der die letzte, alles vernichtende Katastrophe erwartet wird.Vgl. Alexandra Schauer, Mensch ohne Welt. Eine Soziologie spätmoderner Vergesellschaftung, Berlin 2023, 625 ff. Für die Mehrheit der Menschen ist es schon zu einer allgemeinen Gemütslage geworden, dass eher ein Ende der Welt, als ein Ende des Kapitalismus vorstellbar ist.Vgl. Fisher, Capitalist Realism, 2. So bestärkt das Bild einer bedrohlichen Zukunft und deren scheinbare Ausweglosigkeit nostalgische Rückwendungen und verklärende Blicke auf eine angeblich ehemals versöhnliche Beziehung zur Natur. Nicht gegen die gesellschaftlichen Bedingungen, sondern gegen die Technik, Kultur und Moderne selbst richtet sich dabei die Sehnsucht nach einem einfachen und authentischen Leben, die letztlich auch völkische Siedler in Brandenburg und die Kämpfer des Islamischen Staates vereint. 

Der ökologische Mainstream bekennt sich dennoch hauptsächlich weiterhin zur Marktwirtschaft und träumt vom »grünen« Kapitalismus, einer Art ökologischer Modernisierung von Verhalten, Konsum, Technologien und Ressourcenbasis, vielleicht sogar bei gedrosseltem Wirtschaftswachstum. Wem nur ein kleiner Teil der Welt als veränderbar erscheint, der hofft, dass alltägliches Handeln im Kleinen dann eventuell etwas ändern könnte. Als ausschlaggebend für Veränderungen gelten vorrangig individuelle Werte, Lebensstile, Einstellungsmuster usw. Dahinter steckt ein Kulturdeterminismus, der strukturelle Ursachen ausblendet und verdunkelt. Da die Hoffnung auf politische Regulierung wenig aussichtsreich scheint, fängt man bei sich an und macht sich selbst zum leuchtenden Exempel der geistig-moralischen Wende. 

Die Grundlogik der politischen Ökonomie des Kapitalismus bleibt dabei allerdings immer vorausgesetzt und wird überhistorisch mystifiziert: Menschen seien schon immer Tauschwesen und gesellschaftliche Beziehungen warenförmig gewesen. Dafür steht beispielhaft der populärwissenschaftliche Epochenbegriff des Anthropozäns, der das Zeitalter des Menschen und der mit ihm verbundenen (negativen) globalen Auswirkungen auf das Erdsystem bezeichnen soll. Richtig ist zwar die Kennzeichnung von Menschen als Akteure der ökologischen Krise und Gestalter gesellschaftlicher Naturverhältnisse; falsch ist allerdings die Essentialisierung und Historisierung der ökologischen Krise als Wesensmerkmal des Menschen. Die ökologische Krise trat nicht seit Menschheitsbeginn auf – sie dürfte selbst John Locke und Adam Smith noch unbekannt gewesen sein –, sondern eben erst im 19. Jahrhundert. Statt Anthropozän sollte daher treffender von Kapitalozän die Rede sein. 

Nicht nur die individuelle Verantwortung und dass jeder seines Glückes Schmied sei, sondern auch die Annahme allwissender Konsument*innen sind Axiome des Neoliberalismus und seiner Ökonomie- und Gesellschaftsmodelle. Eine individualisierte Verhaltens- und Konsumkritik als Zeitphänomen steht also nicht im Widerspruch zum Neoliberalismus, sondern ist ein immanenter Teil desselben.  

Der Politologe Johannes Greß hat den Zusammenhang von historischer und gegenwärtiger Konsumideologie und -kritik treffend beschrieben.Vgl. Johannes Greß, Konsumideologie, Stuttgart 2022. Für Herbert Marcuse galten im Zeitalter des aufscheinenden fordistischen Umbruchs solche Bedürfnisse als falsch, welche der Reproduktion der Herrschaftsverhältnisse im Kapitalismus dienten und ideologischer Selbstzweck waren. Ideologie mystifizierte demnach partikulare (falsche) Interessen als universelle (richtige) Interessen. Ideologiekritik bestand in der Entlarvung dieser Falschheit. Heute hingegen ist die dominante ideologische Form die des Zynismus, denn es ist nicht mehr davon auszugehen, dass die Menschen nicht um die Falschheit ihrer Bedürfnisse wüssten, sondern sie wissen sehr wohl, was sie tun, und tun es trotzdem. Gegenwärtige Gesellschaften wissen um die sozialen und ökologischen Konsequenzen, die die Produktion von Konsumgütern mit sich bringen; gekauft werden (müssen) sie trotzdem. Und zwar nicht nur, weil es sich lediglich um elementare Bedürfnisse wie Nahrung oder Kleidung handelt, sondern weil Konsumobjekte zum »Objekt klein a« (Jacques Lacan) geworden sind: zu diskursiv aufgeladenen Mythen, Narrativen und Versprechen rund um konkrete Waren, die einen Mangel, eine Lücke im Subjekt zu füllen verheißen. Diese Lücken und Mängel sind zunehmend jene, die die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Subjekten hinterlassen: Freiheit, Abenteuer, Sicherheit, Geborgenheit, Zuneigung, soziale Beziehungen. Mittels einer spezifisch sozialpsychologischen Form der Werbung werden diese Mängel auf Produkte projiziert. Der Mangel an Freiheit, Individualität und reichen sozialen Beziehungen wird umgedeutet in einen Mangel an einem Produkt, welches jenseits konkreter Eigenschaften genau jene Lücken und Sehsüchte zu füllen verspricht. Nicht der materielle, sondern der immaterielle Charakter ist entscheidend für den Kauf und Verkauf moderner Konsumobjekte. Da die einsetzende Befriedigung aber immer nur partiell ist und letztlich nicht gelingen kann, sind dem immateriellen Konsumbedürfnis auch keine Grenzen gesetzt. Und obwohl doch den meisten Menschen klar ist, dass ein Auto keine Freiheit bedeutet, ein Schuh keine Individualität herstellt und Mobilfunkverträge keine Menschen verbinden, funktionieren diese Suggestionen. Ein Konsumverzicht wird daher auch deshalb gesellschaftlich und individuell aggressiv abgewehrt, weil es nicht der drohende Verlust von materiellen Gütern ist, sondern die Infragestellung sowieso schon prekärer Versprechen, ganzer Subjektkonstitutionen und Identitäten, die auf diesen Konsumobjekten beruhen. Diese ideologische Bedeutung des neuen Warenkonsums steht aber keineswegs im Widerspruch zur klassischen systematischen Funktionsweise der kapitalistischen Produktion als Selbstzweck der Warenproduktion, sondern fügt der Stufenleiter, auf der sich die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise immer weiter potenzieren, nur eine weitere sozialpsychologische Sprosse hinzu.  

Während mit allen Mitteln der Werbung versucht wird, noch mehr Begehren, Bedürfnisse zu schaffen und zu vermitteln, sollen die Konsument*innen nun allerdings zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie diesen Anrufungen folgen. Folglich ist Nachhaltigkeit selbst ein Objekt des Begehrens vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Krise geworden, sodass Waren vordergründig mit der immateriellen Eigenschaft beworben werden, nachhaltig zu sein. Die immer tiefere Verstrickung in Widersprüchlichkeit ist der wachsende ideologische Fußabdruck des Kapitalismus: zusätzlicher nachhaltiger Konsum und Produktion suggeriert einen Beitrag zu geringeren Umweltauswirkungen. Doch da immer neue Felder der Kapitalverwertung erschlossen werden, werden auch immer mehr Menschen zu Arbeitskräften, während sich Natur weiter zur Ressource reduziert. Die ökologische Modernisierung und ihre technischen Innovationen werden im »grünen« Kapitalismus einen zusätzlichen Wachstumsmarkt und verlagern die Erschöpfung einer Ressource zu einer anderen. Je größer die dabei produzierten sozialen Ungleichheiten werden, desto mehr wird demonstrativer Statuskonsum zur begehrten Form gesellschaftlicher Teilhabe. 

 

Politische politische Bildung 

Diese Dialektik der Nachhaltigkeit ist eine Dialektik der Aufklärung, in der die miteinander verflochtene Naturbeherrschung, soziale Herrschaft und Herrschaft im Subjekt Ausdrücke einer spezifischen Einrichtung von Gesellschaft sind. Ein emanzipatorischer und produktiver Begriff gesellschaftlicher Naturverhältnisse müsste sich gegen den scheinbar überhistorischen Antagonismus von Mensch und Natur wenden, in dem eine mit sich im organischen Einklang befindliche Natur als moralischer und ästhetischer Maßstab durch das In-die-Welt-Treten des Menschen bedroht wird und in Reaktion darauf als ein den Menschen erscheinendes Quasi-Subjekt »zurückschlägt«. In dieser nicht zufällig an religiöse Vorstellungen von Natur erinnernden Konstellation steht Natur im Gegensatz zu gesellschaftlichen Prozessen wie Institutionen und ist ein projektives Anderes der Gesellschaft: einerseits in Form einer grundlegenden Ordnung zur Bewertung gesellschaftlicher Zustände, andererseits als bedrohliche Unordnung. 

Tatsächlich besitzt Natur natürlich keine Subjektivität, sondern was Natur ist, ergibt sich erst aus dem, was Gesellschaft, Kultur, Technik etc. nicht ist – und umgekehrt. Die Natur als Gegensätzliches zur Gesellschaft bedarf also erst einer gesellschaftlichen Subjektivität, um überhaupt als Natur konstruiert zu werden. Die unberührte Natur als romantische Vorstellung eines Zustandes, den es wiederherzustellen und dem es sich unterzuordnen gelte, hat es folglich nie gegeben. Ein solches Naturverständnis verweist eher auf autoritäre und faschistoide Sehnsüchte als auf eine Möglichkeit zur langfristigen Sicherung der gesellschaftlichen Reproduktionsgrundlagen. Es gilt daher den vermeintlich alternativlosen Gegensatz der Unterwerfung unter oder Beherrschung von Natur ebenso zu überwinden, wie die falsche und ideologische Naturwüchsigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse selbst. Oder wie es Christoph Görg formuliert: »Dem ›Naturzwang‹ kann der Mensch nur entkommen, wenn er nicht Natur sich zu unterwerfen versucht, sondern sie als eigenständige Bedingung seiner eigenen Geschichte anerkennt und gleichzeitig seine noch durch Herrschaftsverhältnisse verkürzten Fähigkeiten zur reflexiven Gestaltung seiner sozialen Verhältnisse wie seiner Naturverhältnisse freisetzt«Christoph Görg, Gesellschaftliche Naturverhältnisse, Münster 1999, 127.

In der Kinder- und Jugendbildung hieße dies, das derzeit vorherrschende unpolitische Politikverständnis zurückzudrängen, bei dem die allgemeingültigen Ziele der politischen Bildung, nämlich Emanzipation, Mündigkeit und Befähigung zum kritischen Denken, auf der Strecke bleiben. Für das Erreichen dieser Ziele wäre nicht nur ein umfassenderer Politikbegriff, sondern auch eine Überarbeitung des Emanzipationsbegriffes notwendig. Denn die vorherrschende Deutung von Emanzipation, der der bereits beschriebene Mensch-Natur-Dualismus zugrunde liegt, reproduziert Herrschaftsverhältnisse eher, als dass sie sie kritisiert. Die Aufgabe einer kritischen politischen Bildung wäre es, auf diese Reproduktion aufmerksam zu machen. Denn deren Nichtbeachtung ermöglichte bisher die Umkehrung intendierter Emanzipationsprozesse in ihr Gegenteil: Statt von der bestehenden Ordnung zu befreien, bindet die Klimabildung die Lernenden an sie, indem sie ihre Unumstößlichkeit propagiert. Es muss also ein Emanzipationsbegriff her, der Freiheit und Vernunft nicht als individuelle Tugenden ansieht, sondern auf gesellschaftliche Veränderungen abzielt. Malte Suhr schlägt einen Rückgriff auf den von Marcuse geprägten Begriff der dreifachen Emanzipation vor.Malte Suhr, Bildung für die dreifache Emanzipation? Zum Potential von Herbert Marcuses Emanzipationsbegriff für die transformative sozial-ökologische Bildung, in: Religionspädagogische Beiträge. Journal for Religion in Education 44 (2021), 39−48. Diese fordert die Befreiung der Menschen von der Kontrolle, die die drei Dimensionen der Natur über sie ausüben: Die zunehmend zerstörte äußere Natur bedeutet nicht nur Einschränkung menschlichen Handelns, sondern ist auch konstitutiver Bestandteil des Verwertungsprozess des Menschen. Die innere Natur, also die »Grundtriebe und Sinne des Menschen als Basis seiner Rationalität und Erfahrung«Herbert Marcuse, Konterrevolution und Revolte, Frankfurt a.M. 1973, 73. werden im Kapitalismus unterdrückt und fördern so die Ausbildung regressiver, systemstabilisierender Triebbefriedigung. Und schließlich ist die Emanzipation der Menschen nur durch eine Emanzipation von den Formen gesellschaftlicher Verhältnisse möglich, die den Menschen zur zweiten Natur geworden sind. Mit dieser Trias der Emanzipation liefert Suhr in Anschluss an Marcuse eine philosophische Basis für eine transformative sozial-ökologische Bildung, die den Mensch-Natur-Dualismus überwinden und die politische Bildung repolitisieren will. Ziel dieser Bildungstransformation ist die Schaffungen eines neuen Bedeutungsrahmen für die Wahrnehmung und Interpretation von Informationen für die Lernenden, das heißt die vorherrschenden Bedeutungsperspektiven sollen nicht nur erkannt und reflektiert, sondern auch verändert werden. Als Auslöser dieser Transformation gelten Irritationen, Krisen oder Differenzerfahrungen, welche den Lernenden aufzeigen sollen, dass ihre bisherigen Bedeutungsperspektiven begrenzt sind und dass Wissen nie frei von Wertung ist. Dafür sollten, anders als im momentan vorherrschenden Modus der Klimabildung, zum einen nicht nur individuelle Handlungen in Beziehung zu politischen Prozessen gesetzt werden, sondern vor allem stärker auf strukturelle Perspektiven einer Nachhaltigkeitstransformation eingegangen werden. Denn Konsumkritik läuft ins Leere, wenn sie an die Stelle von gesellschaftlicher Kapitalismuskritik gesetzt wird. Falsch ist nicht die Frage danach, was man persönlich für gesellschaftliche Veränderungen tun kann, sondern es bei dieser Frage einfach zu belassen. Daher sollte eine wachstums- und ideologiekritische Perspektive nicht ohne eine theoretisch fundierte Ökonomiekritik auskommen.  

 

Lisa Marie Mast und Walther Zeug 

Die Autor:innen leben in Leipzig. Walther Zeug arbeitet am Helmoltz-Zentrum für Umweldforschung (UFZ). Lisa Marie Mast ist Lehrerin für Gemeinschaftskunde und Deutsch an einer sächsischen Oberschule.