Der grüne Schöpfungsmythos

Die Partei der wahren Religionswächter trägt kein C im Namen.

Wenn Grüne nach ihrem Verhältnis zur Religion gefragt werden, berufen sie sich großspurig auf die Bewahrung der Schöpfung, als hätte Gott persönlich ihnen den Auftrag erteilt, sein bedrohtes Werk zu retten. Wer mit der Rettung des Planeten um Stimmen wirbt und dabei auf den Kreationismus anspielt, will mit seiner religiösen Erleuchtung prahlen, ob aus Überzeugung oder wahlpolitischem Opportunismus. »Wir haben das C zwar nicht im Namen, aber wir haben es im Programm« (bayerische Grüne). Bei Politkadern, die von Berufs wegen auf Stimmenfang sind und deren Sprache zu einem Werbeslogan für die Ware Partei mutiert ist, lässt sich kaum feststellen, ob sie reinen Herzens religiös sind oder nur Religiosität heucheln, weil keine Stimme verloren gehen soll. Dabei geht es nicht nur um die Gläubigen, sondern um alle, die das christliche Abendland als Kulturraum begreifen, der vor fremden Einflüssen zu schützen sei, obwohl Fremde ihm erst Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht haben und es ohne den Juden Jesus aus dem Morgenland gar kein christliches Abendland gäbe.  

Wird die Bewahrung der Schöpfung zum Lebenssinn, verdrängt die bloße Natur soziale, solidarische und zivilisierte Kategorien. An der Rettung der Erde gemessen, ist alles, was das Leben erträglicher macht, Blasphemie. Das ist aber nicht der einzige Grund für das Desinteresse der Grünen an sozialen Fragen. Andere Gründe sind das hohe Einkommen der Anhänger:innen und der Alltag des Demeter-Landwirts, dem ein mit Kuhfladen gefülltes Stierhorn, das bei Mondschein zu vergraben ist, damit der Boden kosmische Kräfte sammelt, wichtiger ist als das Soziale. Kund:innen zahlen halt mehr für den Voodoo-Kult abendländischer Prägung, der dem herkömmlichen Grünkohl abgeht. 

Bei den Grünen geben Christ:innen, die sich im Programm unbescheiden einen »ökumenischen Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« bescheinigen, den Ton an. Laut Bundeszentrale für politische Bildung sind 21 Prozent der Parteimitglieder katholisch, 33 Prozent evangelisch, 46 Prozent sind konfessionslos oder glauben an etwas anderes. Die Christ:innen verbünden sich traditionell mit den Anthroposoph:innen in der Partei, die der Professor für Religionsgeschichte Helmut Zander als »esoterische Großmacht« bezeichnet, die Waldorfschulen, Demeter-Landwirtschaft, Ärzt:innen, Drogeriemärkte, Krankenhäuser und Banken umfasst. Gegenüber Muslim:innen, Buddhist:innen, Atheist:innen oder Agnostikern:innen verhalten sich grüne Christ:innen wie der tolerante Vormund. Doch seit sie »Kanzlerpartei« sind, blicken sie weniger wohlwollend auf ihre okkulten Flügel. Der grüne Sozialminister in Baden-Württemberg Manfred Lucha deutete in der FAZ das Dilemma an: »Wenn wir als Grüne die Homöopathie in Frage stellen, dann berührt das unsere programmatische DNA und ist etwa so, als wenn die CDU sich für die Abschaffung des Religionsunterrichts aussprechen würde«. Andererseits muss eine Kanzlerpartei unbedingt den Eindruck vermeiden, sie sei eine esoterische Sekte.  

Bei den Grünen tummeln sich alle religiösen Verblendungen, nur eines kommt nicht mehr vor: Kritik des Christentums. Das war nicht immer so. Der Sprecher der BAG Christen Friedrich Battenberg blickte 2013 für katholisch.de zurück: »Am Anfang gab es eine gewisse Reserve innerhalb der Grünen Partei, man war gegenüber […] Christen kritisch eingestellt.« Die Christen seien »in klarer Unterzahl« gewesen und »das Christentum war als rundweg rückwärtsgewandt verschrien«. Das stimmt. Dass Kardinal Joseph Höffner die Grünen 1987 als »unwählbar« angriff, wurde in der Partei als Kompliment gefeiert. 1997 trafen sich dann Joschka Fischer und Antje Vollmer mit dem katholischen Bischof Lehmann, um den Abbau von Ressentiments zu erörtern, und heute muss die AG säkulare Grüne in Hamburg gegen »die Diskriminierung von konfessionsfreien Menschen« kämpfen. Die Metamorphose hat mehrere Ursachen. Aus der Friedensbewegung sickerten Christ:innen in die Partei ein, der Widerstand und mit ihm die Kritik von außen schrumpften, mit den Erfolgen kamen immer mehr gut situierte Bürger:innen in die Partei, das Regieren fordert Respekt vor allen herrschaftlichen Institutionen, auch christlichen, und verformt den eigenen Charakter zu einer Verwaltungseinheit, ergänzt wird das Ganze durch wahlpolitischen Opportunismus.

Grüne Religionswächter  

Winfried Kretschmann ist der Wächter des Katholizismus und dessen karnevalistischer Riten, Katrin Göring-Eckardt repräsentiert die evangelisch-lutherische Unbarmherzigkeit, Annalena Baerbock und Robert Habeck betreuen die Halb-Christ:innen. Das sind Menschen, die nicht an Gott glauben, aber die Zivilisation als christliche Tradition missdeuten, oder solche, die an Gott glauben, aber lieber steuerfrei beten. Baerbock übernimmt die praktische, Habeck die philosophische Anbiederung. Sie erzählt zum Beispiel, dass Kirchen als »stabile Ankerplätze den Zusammenhalt festigen«, besonders auf dem Land, »wenn der Dorfladen, die Arztpraxis oder die Kneipe schließen«Die Kirche, 06.12.2020. Der Altar ersetzt selbstverständlich nicht den Tresen. Habeck erzählt, er habe sich zwar von Gott »langsam entfernt«, sei aber erfüllt von einem »tiefen Respekt« vor den »Werten des Christentums«, zu denen er »die Bewahrung der Schöpfung«, die »Barmherzigkeit gegenüber Mensch und Tier« und die »Mitleidsethik« zählt. Dass das Christentum »der absoluten Macht das Mitgefühl und die Barmherzigkeit« entgegengestellt habe, »beeindruckt mich bis heute«.Christ und die Welt, 18.06.2019 Alle Attribute sind Lügen. Wo waren Barmherzigkeit, Frieden und Mitleidsethik bei der christlichen Judenverfolgung, den Kreuzzügen, der Inquisition, den Hexenmorden, der Eroberung von Kolonien, bei Pakten mit Faschisten, Nazis und südamerikanischen Diktatoren? Wo sind sie heute, wenn die Kirchen ihre Pfaffen, die Kinder missbrauchen, vor Strafverfolgung schützen? Ethische Werte und zivilisatorischer Fortschritt haben viel mit Aufklärung, Wissenschaft, Humanismus, mit Kämpfen der Frauen, Kommunist:innen, Sozialist:innen, Anarchist:innen und Gewerkschaften zu tun, aber nichts mit Päpsten oder Martin Luther, für den Kopernikus »ein Narr« war. Hätten christliche Dogmen sich durchgesetzt, wäre die Erde heute noch eine Scheibe und bürgerliche Rechte ein Verstoß gegen gottgewollte Sitten.  

Im Grundsatzprogramm 2020 definieren die Grünen ihr Verhältnis zu Staat und Kirche: »Der säkulare Staat muss sich am Neutralitätsprinzip ausrichten […] Das bedeutet aber nicht ein Kooperationsverbot zwischen Staat und Religionsgemeinschaften.« Kooperation kann alles sein! Im Wahlprogramm 2021 verifizieren sie: »Die besondere Beziehung zwischen Staat und den christlichen Kirchen wollen wir erhalten.« Es soll dabei bleiben, dass christliche Kirchen als Staaten im Staat darüber befinden, ob ihre kriminellen Pfaffen vor der Gerichtsbarkeit geschützt werden – im Unterschied zu allen anderen Berufsgruppen. Der Staat duldet keine »rechtsfreien Räume«, erlaubt sie aber den Kirchen, die in Deutschland über eine Million Menschen beschäftigen. Bei einem Verdacht dürfen Hundertschaften die Gebäude der Islam-Gemeinden stürmen. Katholische Einrichtungen bleiben tabu, auch wenn Straftaten nachgewiesen und hundertfach bezeugt sind. Die christliche Leitkultur, die sich darin spiegelt, findet sich auch im grünen Programm. Darin werden »Islamische Gemeinschaften« nur unter Bedingungen toleriert, die Christentum oder Anthroposophie nicht zu erfüllen haben. Geduldet werden islamische Gemeinschaften nur dann, »wenn sie die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllen: orientiert am religiösen Bekenntnis und nicht politisch oder sprachlich begründet. Es ist […] inakzeptabel, wenn Verbände aus dem Ausland gesteuert […] werden.« Der römisch-katholische Priester darf Anweisungen aus Rom erhalten, Dogmen in lateinischer Sprache verkünden und sich politisch einmischen, Steiner-Schüler:innen dürfen dummes Zeug reden, ohne ihre Nazi-Ideologie zu reflektieren, die Evangelische Kirche darf Martin Luther würdigen, der zur Brandschatzung der Synagogen aufrief und aufständische Bauern erschlagen wollte. 

Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), gehört zu den aufrechten Christ:innen. Er posierte einen Tag vor Weihnachten 2020 für Fotograf:innen neben einem großen Adventskranz und sprach: »Die Corona-Krise hat meinen Glauben nicht verändert, definitiv nicht« (zeit-online, 23.12.20), denn Gott habe die Menschen mit Kreativität ausgestattet »und die Menschheit bewältigt eine solche Krise kreativ«. Er will Religion und Naturwissenschaft versöhnen, blendet aber aus, dass Gott eher dafür bekannt ist, dass er Menschen hinrichtete, statt sie mit einem lebensrettenden Impfstoff zu versorgen. Kaum hatte er Mann und Frau gesegnet und ihnen befohlen, sich zu vermehren, sprach er: »Ich will vertilgen alles Lebendige, das ich gemacht habe« von der Erde und ertränkte die Menschheit mit Ausnahme der Familie Noah sowie alle Wildschweine und anderes Getier, dem nichts vorzuwerfen war, in der Sintflut. 

Kretschmann hat seine Wahlsiege natürlich nicht allein seinem Glauben zu verdanken. Er bietet alles, was konservative Christdemokrat:innen an der Merkel-CDU vermisst haben. Er ist im Schützenverein, im Kirchenchor, er wandert, ist in katholischen Vereinen und Abteien, sitzt in seiner Tracht beim »traditionsreichen Froschkutteln-Essen der Narrenzunft Gole in Riedlingen« und sagt: »Die Landschaft, in der man aufwächst […] hat etwas Prägendes. Das gibt Heimat.«Stuttgarter Nachrichten, 05.03.2019 Da schwärmte sogar seine CDU-Gegenkandidatin von seinen »schönen philosophischen Ansätzen«.  

Die selbstverschuldete Unmündigkeit der Lutheranerin Göring-Eckardt 

Katrin Göring-Eckardt war von 2009 bis 2013 Präses der Synode der Evangelischen Kirche (EKD), sie sitzt in der Martin-Luther-Stiftung, im Präsidium des Evangelischen Kirchentags und schwärmt wie ein Teenie von Luther. »Manchmal« denkt sie sogar: »ein bisschen mehr Luther würde mir wahrscheinlich guttun«EKD.de, 07.04.2017. Was täte ihr gut? Luther begrüßte die Hexenverbrennung, hasste Jüdinnen und Juden und hob ebenso wie der Islam den Gegensatz von Staat und Religion auf, indem er »die geistige Freiheit unmittelbar mit der Bejahung der realen Unterdrückung« gleichsetzte, wie es in der Dialektik der Aufklärung heißt. Luthers Freiheit meinte die Freiheit, sich der staatlichen Ordnung fügen zu dürfen, ohne die Last, die Welt verbessern zu müssen. Göring-Eckardt predigt viel und wendet dabei einen didaktischen Trick an. Sie flößt Leuten Angst ein, um sie am Ende mit einem Gotteswort zu trösten. Im Dom zu Münster tröstete sie die Gemeinde damit, dass Gott uns nach der Sintflut sein Wort gegeben habe, »die Erde nicht zu vernichten«Katholisches Online-Magazin Kirche + Lesben, 22.02.2018. Immerhin. Er tötet die Menschen, aber nicht die Erde – damit irgendwo ein Apfelbäumchen wachsen kann. 

Ihr Meisterwerk ist die Bibelstunde auf dem Dortmunder Kirchentag 2019.Die folgenden Zitate stammen alle aus dieser Bibelstunde. Nachzulesen: https://bit.ly/3D653qr Sie wählte als Thema das Lehrbeispiel der christlichen Eintracht von Grausamkeit und Barmherzigkeit, den Kindsmord, den Gott von Abraham verlangte. Göring-Eckardt schwärmte: »Für mich war dieser Text eine Entdeckungsreise in die Düsternis des Lebens.« Für uns alle! Gott sprach: »Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast […] und opfere ihn zum Brandopfer«. Abraham nahm, wie ihm befohlen, »Feuer und Messer« und belud seinen Sohn mit dem Brennholz. Isaak fragte ängstlich: »Wo ist das Schaf zum Brandopfer?« Abraham schwieg und Isaak musste »erleben, wie ihn sein eigener Vater fesselt und schon das Messer zückt, um ihn […] zu schlachten«. Ein Engel beendete das Geschehen, Gott segnete Abraham und versprach ihm Nachkommen »wie die Sterne am Himmel […] weil du meiner Stimme gehorchet hast«. Welch ein Zwiespalt, begeisterte sich Göring-Eckardt. Hätte Abraham sich geweigert, »wäre es aus mit Gottes Segen«. Er aber sei der Stimme gefolgt, »die sonst niemand hören kann […] Was für ein Vertrauen!«. 

Eine »große Befreiungsgeschichte« mit einem »faszinierenden Text«, der »vielleicht älteste Thriller der Weltliteratur […] Abraham greift das Messer […] Wir sind mitten im Showdown!« Ja, ja, »wir hätten gern einen bequemen Gott«, aber »Gott ist ganz anders, deswegen ist er Gott«. Er könne »retten im letzten Moment, heilen in tiefster Ausweglosigkeit«. Und das Schöne sei: »Gott will das Opfer ja von vornherein gar nicht«. Stopp! Wie kommt sie darauf? Gott hat seine Ankündigung, alle Lebewesen zu tilgen von der Erde, wahrgemacht. Etwas später ließ er »Schwefel und Feuer regnen auf Sodom und Gomorra«, bis alle Frauen, Kinder und Männer qualvoll verbrannt waren. Gott hat immer wieder Menschen, die ihm nicht gehorchten, um die Ecke gebracht. Warum hätte er bei Abraham eine Ausnahme machen sollen? Gott verhält sich wie der Diktator, der, um sich seiner Macht zu vergewissern, Abweichungen mit dem Tod bestraft. Heute würde man jemanden, der von anderen – nur als Unterwerfungsgeste – die Ermordung der Verwandten verlangte, als Psychopathen entlarven. Aber warum quälte er das Kind, wenn er doch Abraham testen wollte? Isaak musste Todesängste ausstehen und mit dem Trauma leben, jederzeit vom eigenen Vater erstochen und verbrannt zu werden. Und »sein Vater wird auch noch gelobt dafür«. 

Wir sollten Gott dafür danken, sagt sie, dass er das Kind retten ließ – das freilich ohne ihn gar nicht in Gefahr geraten wäre. Und wir sollten »von Gott noch viel tiefer, abgründiger, unbegreifbarer sprechen« und lernen: »Auch wenn du Gott im Moment nicht verstehst, auch wenn er grausam scheint und sich selbst widerspricht – vertraue!« Führer befiehl, wir folgen dir! Wer will den Abgrund ermessen, der Menschen dazu treibt, die blinde Gefolgschaft bei dem von Gott befohlenen Kindsmord als Offenbarung zu feiern. Am Ende wird sie zum Fremdschämen banal. Wir sollen lernen, so wie Gott das Kind rettete, die Erde zu retten! Wir aber lernen, dass im Protestantismus die Angst vor der Obrigkeit größer sein soll als die Liebe zum eigenen Kind, und dass weder mit Erich Honecker, noch mit Katrin Göring-Eckardt Sozialismus zu machen war.  

Ausgewählte Quacksalber 

Neben den Christ:innen haben diverse esoterische Quacksalber die Grünen in eine aufklärungsfeindliche Partei verwandelt. Dafür stehen bekannte Gestalten: Otto Schily bezeichnete die Waldorfschulen als »zukunftsweisend« und erzählte gern von homöopathischen Wunderheilungen, Renate Künast ist »Ehrenpatin« von Demeter, die ehemalige Gesundheitsministerin in NRW, Barbara Steffens, kämpft für die Homöopathie. Esoterische Ideolog:innen verbreiten die Mär, dass die Naturwissenschaft, speziell die »Schulmedizin«, kein Fortschritt sei, sondern nur Schaden angerichtet hätte. Die Braunschweiger Grünen erklärten 2018: »Glauben, Religion und Philosophie können Orientierung und Perspektive in der unübersichtlichen Gegenwart liefern. Die Fokussierung auf die rein naturwissenschaftliche Sicht war ein zentraler Fehler.« 

Während Schulmedizin ein Schimpfwort wurde, genoss Rudolf Steiner, der sich als Wiedergeburt von Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin vermarktete und den Der Spiegel nicht zu Unrecht als einen »der großen Irren der deutschen Kulturgeschichte« bezeichnete, großes Ansehen. Steiners Anthroposophie verbreitet den Glauben an die »arische Wurzelrasse«, seine Waldorfschulen schworen dem NS-Staat, ihre Pädagogik leiste »die Pflege des völkischen Gedankens« und stehe mit der Gesinnung »des nationalsozialistischen Staates« im Einklang. Die Vereinigung anthroposophischer Ärzte war eine Stütze der NS-treuen »Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde«. 

Im Bemühen um einen Kompromiss zwischen Wissenschaft und Okkultismus beschlossen die Grünen, dass die Krankenkassen Leistungen zu übernehmen hätten, »die medizinisch notwendig sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist«. Danach entscheidet jede:r selbst, was er oder sie für notwendig und bewiesen hält. Ein Antrag, der die Finanzierung von Leistungen ausschloss, »deren Wirksamkeit über den Placebo-Effekt hinaus nicht wissenschaftlich bewiesen ist«, wurde abgelehnt. »Die klassischen Methoden« sollen »sich der Herausforderung der […] Homöopathie und Anthroposophie stellen«. Das ist die Empfehlung eines Wettstreits unter Gleichen. 

Auch der Buddhismus ist in den Grünen verankert. Seine Anhänger:innen predigen nur nicht so laut wie die Lutheranerin. Gemäß Kurzbiografie der Heinrich-Böll-Stiftung fand Petra Kelly »im tibetanischen Buddhismus Werte und Vorstellungen«. In Traunstein kandidierte Martin Czepan, der buddhistische Abt und Leiter des Zentrums Yun Hwa Dharma Sah für die Grünen fürs Bürgermeisteramt. Die Grünen Oberallgäu versammelten sich 2018 zu einer Mahnwache für einen friedlichen Buddhismus. »Buddhismus Ja! – Rechtspopulismus Nein!« stand auf Transparenten. Der Protest richtete sich gegen Lama Nydahl, der vor afrikanischen und asiatischen »Stämmen« warnt und jede Hilfe für Migrant:innen als »verwirrten Humanismus« diffamiert. Warum werben Grüne für den Buddhismus, statt darüber aufzuklären, dass Nydahl dessen logische Konsequenz ist. Der Buddhismus ist Stichwortgeber aller durch die Reinkarnationstheologie Verwandten, die die Manien des positiven Denkens aufweisen: Buddhist:innen, Anthroposoph:innen, Esoteriker:innen. In dem Buch Der Mönch und der Philosoph erklärt der Buddhist Matthieu Ricard seinem Vater die Vorteile seines Glaubens: »Der buddhistische Weg« führe zu »einer weit größeren Widerstandsfähigkeit gegenüber unliebsamen Überraschungen des Daseins«. Er lehre, die Wirklichkeit so wie sie sei »mit Freude« zu nehmen. Besser lässt sich kaum erklären, dass der Buddhismus als geistiges Fundament für jede Staatsform und jede Machtstruktur taugt. Ricard bekräftigt den Egoismus der Buddhist:innen, denen das eigene Wohlergehen viel und das Elend auf der Welt nichts bedeutet: »Der spirituelle Weg besteht darin, sich von den negativen Gefühlsregungen […] zu befreien.« Der Mensch solle nicht das Elend beseitigen, sondern sich zu einem positiven Blick darauf bequemen. »Die Indolenz (Abstumpfung) gegenüber den äußeren Umständen wird zu einem Panzer, den man im Kampf wider das Leid der anderen anlegt.« Der Panzer umschreibt das Dogma der Empathielosigkeit. Dass Menschen verhungern, verstehen Buddhist:innen sogar als Vorteil, weil der frühe Tod die Chance bietet, in der Kette der Wiedergeburten auf dem Weg ins Nirwana, dem Nichts, schneller höher zu kommen. Frauen haben im Übrigen erst Zutritt, wenn sie vorher zu Männern inkarnieren. Die Kälte gipfelt in die Lehre: »Für das, was wir sind, sind allein wir zu tadeln, wir sind das Resultat unserer Vergangenheit« Die Armen haben ihre Armut, die Kranken ihre Krankheit, die Juden ihre Vernichtung selbst zu verantworten, weil sie in einem früheren Leben Schuld auf sich geladen hätten.  

Christ:innen sind durchaus nicht weit entfernt von dieser Ideologie. Auch sie gehen davon aus, dass ihr Gott Menschen noch Generationen später bestraft – bis ins siebte Glied. Jüdinnen und Juden sogar für ewig. Dafür zeigt der evangelische Pastor Holger J. Lorenzen aus Grömitz (Ostholstein) in seiner Predigt zum Volkstrauertag 2017 Verständnis. Unter dem Titel: Zwischen Kaiser und Gott nimmt er sich der Jüdinnen und Juden an. »Warum greift Gott nicht ein, hätten die Juden sagen können, wir sind doch Gottes Volk. Luther interpretiert das so: Gott zieht sich zurück, wenn die Menschen eben nicht die Einladung hören, die er ausspricht und nicht Bürger seines Reiches […] werden wollen, sondern stur ihre eigenen Wege gehen. Warum sollte Gott dann eingreifen?«Die gesamte Predigt lässt sich hier nachhören: https://bit.ly/3B1H1el Wie der Buddhist, so gibt auch dieser Protestant den Juden und Jüdinnen eine Mitschuld an ihrer Vernichtung, weil sie »eben nicht Bürger seines Reiches« haben werden wollen.  

Zwischen Kaiser und Gott 

Ideologien sind mächtiger als Programme. Die Grünen fordern auf dem Papier die Streichung des Paragrafen 218, aber Kretschmann und Göring-Eckardt sind dagegen. Als Frauen in Baden Württemberg keine Ärztinnen und Ärzte fanden, die zum Schwangerschaftsabbruch bereit waren, forderten grüne Frauen, Personal einzustellen, das dazu bereit sei. Kretschmann verwandelte den Anspruch der Frauen in eine Debatte über die »Zwangsverpflichtung von Ärzten«, die er selbstverständlich ablehne. Göring-Eckardt erklärte im taz-Interview, sie würde »im Moment nicht dazu raten, diese Debatte zu öffnen. In der derzeitigen Konstellation mit einer starken AfD muss man sich fragen, ob die Situation für Frauen hinterher besser« wäre. Geht’s den Frauen besser, wenn sie die AfD über sich bestimmen lassen? Die taz: »Sie würden weder die Debatte führen noch Gesetzesinitiativen einbringen? Was bringt dann eine Forderung?« Nach der Abwiegelung, irgendwann werde es sicher eine Gesetzesinitiative geben, fügt Göring-Eckardt ihr Glaubensbekenntnis hinzu: »Ich würde aber immer sagen, das ungeborene Kind zu schützen, ist ein elementarer Aspekt«.»Die Zukunft ist feministisch« Interview mit Kathrin Göring-Eckhardt, 04.08.2019. https://bit.ly/3y7QoHm

Die Religion verleiht Ideologien und Taten irdischer Machthaber durch fiktive Himmelskräfte höhere Weihe und torpediert das, was von den guten Seiten der Aufklärung übrig ist. Immanuel Kant definierte Aufklärung als den »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« und Unmündigkeit als »das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen«. Indem Göring-Eckardt den blinden Gehorsam Abrahams als Offenbarung feiert, negiert sie den Gedanken, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Der Mensch, der sich vom Streben nach Autonomie und von der Kritik der Verhältnisse entfernt, ist durch seinen Mangel an kritischer Reflexion eher geneigt, den Sinn des Lebens im Himmel zu suchen und sich religiösen und ebenso weltlichen Führer:innen auszuliefern. 

Nicht, dass die Aufklärung nur Gutes angerichtet hätte. Sie hat die alten Dämonen der Natur und die Hierarchie des Himmels, die an ihre Stelle trat, nicht allein durch Humanismus und Wissenschaft vertrieben, sondern auch durch die Herrschaft der berechenbaren Produktivität und Wertsteigerung, der Sklaverei und Ausbeutung. Sodass Menschen, die unter dem aufgeklärten Kapitalismus und dem Sklavenhandel besonders zu leiden hatten und keinen revolutionären Ausgang sahen, in den religiösen Blues verfielen, der die Unbarmherzigkeit der Klassengesellschaft bejammert und, wie die Kirchen es wünschen, die Barmherzigkeit im Himmel sucht. Sofern der aufgeklärte Pragmatismus Menschen zu Sklav:innen machte, trieb er sie in die Revolution hinein oder zurück in die Hände der Prediger:innen und ihren religiösen Hokuspokus.  

An Stelle der eisigen Kälte, mit der Buddhist:innenen und andere Esoteriker:innen den Menschen Hunger, Krankheit, Folter und alles Elend als gerechte Bestrafung einbläuen und ihnen empfehlen, in jedem Schicksalsschlag zuerst das »Positive« zu entdecken, setzen Christ:innen den Mitleidstrick, der Ausbeutung und Sklaverei mit der christlichen Moral in Einklang bringt. Jesus habe den Juden und Jüdinnen, die gegen die römische Herrschaft aufbegehrten, gepredigt: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.« Nach dem Tod würde dann eher ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel kommen. Große Jesus-Worte, die Christ:innen mit jeder Diktatur versöhnen. Unterwerft euch zu Lebzeiten, denn Gott wird nach dem Tod für einen Ausgleich sorgen. Luther machte daraus die frühe Mehrwerttheorie: »Dass der Herr im Haus mehr Güter hat denn sein Knecht, und doch der Knecht mehr arbeiten muss denn der Herr, […] das will Gott also haben.« Arme sollten »noch lohn zugeben und fro werden«, dass sie einen Herrn hätten. 

Die Legitimation der irdischen Macht durch die himmlische entlarvt die religiöse Barmherzigkeit genauso als Lüge wie die Eintrübung der Kritik an Pfaffen aus demselben Verein, ob sie Kindesmissbrauch betreiben oder decken, gegen das Judentum predigen oder die Aufklärung mit Füßen treten und Mitmenschen dazu anstacheln, sich neben den kapitalistischen Leistungszwängen und Diktaten auch noch den religiösen Ballast aus Sünde, Unterwerfung, Gefolgschaft, Karma, Vorsehung, Verschwörung, Subordination aufzuladen. Wenn die Grünen in ihrem Programm zur Bundestagswahl die Vergesellschaftung der Umbaukosten für die Modernisierung des Kapitalismus über die Erhebung von CO2-Sondersteuern als Rettung der Schöpfung preisen, die für viele eine »große Herausforderung, ja Zumutung« sein werde, und wenn sie folgerichtig die alte Losung »Wohlstand für alle« von Ludwig Erhard durch den »klimagerechten Wohlstand«, der keiner mehr sein wird, ersetzen, dann geschieht das hauptsächlich in blindem Gehorsam gegenüber den ökonomischen Mächten. Aber der Himmel klopft ihnen dabei auf die Schulter. 

Rainer Trampert 

Der Autor lebt und schreibt in Hamburg u.a. für konkret und Jungle World, von ihm erschien 2014 Europa zwischen Weltmacht und Zerfall im Schmetterling Verlag.