Ironischerweise wurde das Label, mit dem sich die wohl toxischste und frauenfeindlichste der derzeit populären Internet-Subkulturen schmückt, das erste Mal von einer queeren Frau verwendet. Alana, die ihren Nachnamen nicht bekannt geben möchte, hatte versucht, eine länger andauernde Phase ihres Lebens in Worte zu fassen, in der sie keinen Sex hatte und sich selbst als Incel—involuntary celibate, also unfreiwillig enthaltsam Lebende, bezeichnet. Inzwischen ist Incel zur Selbstbezeichnung einer Gruppe vor allem junger Männer geworden, deren Ideologie sich aus Hass gegen sich selbst, Hass gegen die Moderne, und vor allem Hass gegen Frauen konstituiert. Damit sind sie Teil einer global organisierten Neuen Rechten. Sie finden sich auf Foren wie Braincels oder Incels.is, in denen manchmal schon 14-Jährige in Berührung mit diesem menschenverachtenden Weltbild kommen.
Die treibende Kraft hinter der Incel-Ideologie ist Sex, oder vielmehr noch dessen vermeintliche Unerreichbarkeit—denn Incels nehmen an, dass er ihnen ganz selbstverständlich zustehen sollte. Frauen, im Incel-Jargon dehumanisierend als Stacys oder Femoids bezeichnet, tragen den Mitgliedern des Internetkults zufolge Schuld daran, dass Incels keinen Sex haben, da sie sich lieber sogenannten Chads hingeben. Ein Chad ist die projektiv aufgeladene Parodie von Hypermaskulinität, ähnlich der Klischeezeichnung eines Football-Spielers in Highschool-Filmen.
Es sind angeblich nur ein paar Millimeter Knochen, die Incels von Chads unterscheiden: Incels befassen sich obsessiv mit unveränderlichen biologischen Merkmalen wie ihrer Schädelform, ihrer Größe, gar den Handgelenken. Sind Letztere zu schmal, kann dies als vermeintlicher Grund für die Misserfolge im Liebes- und Sexualleben herangezogen werden. So können Incels aus einer von vornherein festgelegten Opferrolle heraus Frauen dafür anklagen, ihnen Aufmerksamkeit, Sex und Beziehungen mit ihnen zu verweigern.
Gleichzeitig sind die Incel-Anforderungen an die perfekte Frau Jungfräulichkeit, Minderjährigkeit, engelsgleiches Aussehen und absolute Unterwürfigkeit. Sexuell aktive Frauen werden etwa abwertend als Roasties bezeichnet, da ihre Labien Roastbeef ähneln würden.
Incels haben panische Angst vor selbstbewusster, weiblicher Sexualität, da diese ihre Vorstellung des männlichen Rechts auf Dominanz und auf Sex bedroht. Dass Frauen Incels Sex verweigern und ergo damit auch eine selbstbestimmte Entscheidung über ihr Sexualleben treffen, kann in den Augen der Frauenhasser nicht ungesühnt bleiben. Es wird ein Schuldzusammenhang konstruiert, nachdem Frauen, die selbstbestimmt über ihren Körper und ihre sozialen Beziehungen entscheiden, das Recht der Männer auf die permanente Verfügbarkeit ihrer Körper verletzen.
Diese aktuellste Form toxischer Männlichkeit lässt sich mit Sigmund Freud begreifen, der in Triebe und Triebschicksale zeigt, wie das Subjekt gegen alles, von dem ihm Unlust droht, oder ihm die Lust auch nur versagt, einen bis ins Eliminatorische mündenden Hass entwickelt. Die Theorie Freuds ist in der Incel-Community bereits auf tragische Weise in Praxis umgeschlagen. Neben zahlreichen Internetpostings, die dem Wunsch nach Vergewaltigung und Vernichtung, der selbst vor Kindern nicht Halt macht, Ausdruck verleihen, zeugen davon mehrere offene Terrorakte mit Todesopfern. Die Täter wurden für ihr Morden als Helden und Märtyrer in der Online-Community gerühmt.
Der von Incels als »Supreme Gentleman« verehrte Elliot Rodger ermordete 2014 auf dem Campus der Santa Barbara University sechs Menschen und begründete dies in seinem Manifest als »Endlösung« und »vernichtende Rache […] an allen Frauen, die sich mir verweigert und mir Liebe und Sex entzogen haben«Zit. n. https://0cn.de/g1d1. Übersetzung Veronika Kracher.. Im April 2018 fuhr der Kanadier Alek Minassian mit einem Auto in eine Menschenmenge und ermordete zehn und verletzte 16 Menschen. Minassian war derjenige, der die Incel-Ideologie ins Licht der Öffentlichkeit rückte, indem er in einem Facebook-Posting von der »Incel-Rebellion« sprach. Im November 2018 drang Robert P. Beierle in ein Yogastudio ein und erschoss zwei Frauen, fünf weitere Menschen wurden verletzt. Er bezog sich auf seinen Social-Media-Profilen auf Elliot Rodger.
Es muss explizit darauf hingewiesen werden, dass Incels keine »schwarzen Schafe« im Geschlechterverhältnis sind, sie sind vielmehr eine, wenngleich schockierende, Zuspitzung der Mischung aus männlichem Anspruchsdenken, der narzisstischen Kränkung bei der Nichterfüllung desselben und genereller Frauenfeindschaft, wie sie vielen männlichen Subjekten unserer Gesellschaft zu eigen ist. Denn nach wie vor erfahren Männer von klein auf, dass ihr Geschlecht mit einer gesellschaftlichen Vormachtstellung einhergeht—eine Vorstellung, die angesichts erstarkender Frauenemanzipation und spätkapitalistischer Liberalisierung auch des »Heiratsmarktes« strukturell eine Kränkung erfährt.
Wie der Geschlechterforscher Rolf Pohl in seinem Werk Feindbild Frau deutlich macht, etabliert sich das Männliche über die Abwertung des Nicht-Männlichen, die tagtäglich, bewusst wie unbewusst, von den Subjekten ausgeübt wird, die das Männliche für sich reklamieren wollen. Auch die eigenen, weiblich konnotierten Merkmale müssen dabei abgespalten werden, oft in Form einer fast schon gewalttätigen Selbstzurichtung. Familie, Gesellschaft und Kulturindustrie suggerieren Männern, dass ihnen weibliche Anerkennung und das Recht auf den weiblichen Körper zustehen. Wird ihnen selbiges verweigert, bedeutet dies eine massive Kränkung des männlichen Selbstbildes. Anfang Januar wurde eine Frau in Wien fast totgeprügelt, nachdem ein Mann sie mit dem Fahrrad verfolgt hatte, um sie »anzusprechen« und sie, verständlicherweise, ablehnend reagiert hatte. In den Medien wurde die Sache als »Flirtversuch« verkauft. Alle drei Tage stirbt in Deutschland eine Frau durch ihren (Ex-)Partner, der es nicht ertragen kann, dass sich die Frau von ihm emanzipieren möchte. Weit über die Incel-Szene hinaus werden Frauen für eine selbstbewusste Sexualität diskreditiert.
Gewalt gegen Frauen hat System—deswegen sollte man nicht den Fehler begehen, Incels als »Einzeltäter« zu betrachten. Ihr Handeln wird durch das Kollektiv legitimiert oder entschuldigt; man bringt gekränkten und deshalb gewalttätigen Männern »Verständnis« entgegen und verlagert die Verantwortung für männliche Gewalt auf die Opfer. Im Mai 2018 erschoss der 17-Jährige Dimitrios Pagourtzis unter anderem eine Mitschülerin, weil diese seine Avancen nicht erwiderte, und mehr als genug Männer, wie auch Frauen, suchten die Schuld bei dem Opfer: »Wäre sie doch mit ihm ausgegangen, wäre all das nicht passiert!« Es sind diese Verhältnisse, die Incels hervorbringen: der Antagonismus zwischen Frauenemanzipation und der als Reaktion darauf umso härter ausfallenden Verteidigung der »männlichen Würde« und Vormachtstellung.
In der westlichen Welt sind tradierte Geschlechterrollen inzwischen vielfach aufgeweicht, Frauen und LGBTQs erkämpfen sich zunehmend Rechte und Sichtbarkeit, geschlechtsspezifische Gewalt wird angeklagt und sanktioniert. Kurz: Es wird Männern zunehmend erschwert, sich aus einer Machtposition heraus gegenüber Frauen zu definieren. Anhänger der maskulinistischen und verschwörungstheoretischen Red-Pill-Ideologie wie Pick-Up-Artists, Men going their own way oder die neofaschistischen Proud Boys versuchen die vermeintlich natürliche Vorherrschaft des Mannes wiederherzustellen, indem sie sich selbst als Alpha Male inszenieren und Gewalt gegen Frauen zum Lifestyle erklären. Die Ideologen sehen sich, trotz aller gegenteiligen Beweise, als Opfer der Gesellschaft, der Emanzipation von Frauen, der Migration und einem vermeintlichen jüdischen Kulturmarxismus, der hinter all diesen Problemen stecke. Dieser vermeintliche Opferstatus ist das Resultat einer doppelten Kränkung: Zum einen fühlen sich Incels als Männer narzisstisch gekränkt, zum anderen können sie jedoch nach den von ihnen selbst aufgestellten Regeln gar keine richtigen Männer sein, da es ihnen dazu an Körpergröße oder Handgelenksumfang fehlt.
Diese Erfahrung ist eine Kränkung durch die Moderne; die bisher so selbstverständliche Herrschaft der Männer wird infrage gestellt und ihre Privilegien auch durch andere eingefordert. Die eigene Besonderheit verliert sich zunehmend in der Allgemeinheit—ein Phänomen, das für alle Subjekte in der Moderne auch unabhängig der Emanzipationsbestrebungen Einzelner ausgemacht werden kann. Dies steht in krassem Widerspruch zu den Ansprüchen, die die neoliberalen Verhältnisse an ihre Arbeitskräfte stellen: Einerseits muss sich permanent mit Exzellenz und überragenden Leistungen hervorgetan, andererseits soll sich voll und ganz der Existenz als Mehrwert produzierendes Rädchen im Getriebe unterworfen und die eigenen Bedürfnisse und Triebe zugunsten der ideologisch vermittelten Selbstoptimierung aufgegeben werden. Dem so konstruierten Idealbild zu entsprechen ist jedoch für einen Menschen unmöglich. Im Incel verbinden sich männliche Ich-Schwäche und die Suche nach Halt in einem Kollektivgebilde, das für seine Ziele eintritt und aus ähnlich Ich-geschwächten Subjekten besteht. So wird in einer Kurzschlussreaktion dazu übergegangen, das individuelle Selbst gänzlich aufzugeben und an dessen Stelle die äußere Autorität eines Kollektivs treten zu lassen. Dieses Kollektiv ist in diesem Falle der Männerbund, welcher durch das Teilen der erfahrenen Kränkung zumindest ansatzweise Wiedergutmachung und das Aufgehobensein in der Masse unter Gleichen verspricht.
Der Incel hat seinen vermeintlichen Opferstatus anerkannt und internalisiert. Incels sehen sich als zweifellose Opfer von Frauen, Chads, Juden, muskulösen und attraktiven Geflüchteten, der eigenen Biologie. Die Blackpill-Ideologie der Incels ist dabei von absolutem Nihilismus und Selbsthass geprägt. Liebe, Beziehungen oder auch nur Freundschaften werden als bloße Illusionen verlacht. Während sie Frauen gleichzeitig und gerade deswegen hassen, erliegen sie der Vorstellung, ihre komplette eigene Existenz sei von ihnen determiniert: Sie fühlen sich von selbstbestimmten Frauen ausgelacht, verhöhnt und erniedrigt und somit in ihrer Ideologie bestätigt. Frauen werden nicht als Subjekte gedacht, sondern fungieren lediglich als Projektionsfläche des eigenen Hasses. Jede einzelne Frau ist für den Incel nieder-
trächtig, bösartig und hat es auf die Erniedrigung seinesgleichen abgesehen, weshalb es legitim ist, sie zu verachten.
Die paranoide Weltsicht von Incels ist da-bei der des klassischen Antisemitismus ähnlich. Frauen wird eine übermächtige Herrschaftsposition zugesprochen. Diese Herrschaftsposition rührt jedoch, anders als beim klassischen Antisemitismus, von der weiblichen Triebhaftigkeit und Sexualität her—hier wiederum dem Rassismus gleich. Andererseits findet sich bei Incels auch die abstruse Vorstellung, die selbstbestimmte Frau sei Agentin der Juden, womit dann doch wieder klassisch antisemitisches Denken hervorgeholt wäre. Juden und »Kulturmarxismus« stecken für einige Incels als alles beherrschende und zersetzende Elemente hinter allem, was die bisher hegemoniale Männlichkeit attackiert: die schwarze Bürgerrechtsbewegung, die Frauenemanzipation, die Universitäten, die Kulturindustrie.
In dem Forum Truecels.org, das im Laufe der Entstehung dieses Artikels gesperrt wurde, gab es ein Board, in dem den »gefallenen Helden« der Incel-Bewegung gehuldigt wurde: Elliot Rodgers, Alek Minassian, oder auch Incels avant la lettre wie dem Amokläufer von Winnenden, Tim Kretschmer, dessen Opfer in erster Linie MitschülerInnen und LehrerInnen waren, oder dem Islamisten Omar Shafik Hammami, dem, laut einem Forumseintrag, »größte[n] Incel, der jemals gelebt hat«. Hammami war ein amerikanischer Salafist, der sich dem somalischen Jihad angeschlossen hatte und schnell zu einer Art jihadistischen Ikone aufgestiegen war. Auch Anders Breivik, dessen Tempelritterfantasie 2011 auf Utoya 77 Menschen zum Opfer fielen, wird von Incels bewundert und verehrt. Man attestiert ihm eine »faszinierende Persönlichkeit«, deklariert ihn zum »Nelson Mandela Europas«, erfreut sich an Videos, in denen er auf Utoya Menschen erschießt. Ein User macht ihn sogar als einen ehemaligen Incel aus: »Anders Breivik war ein Incel, der zum Gymcel»Gymcels« sind Incels, die versuchen, der Unerfülltheit ihres Sexuallebens ein Ende zu setzen, indem sie einen Fitnessstudiowahn ausbilden. wurde«. Laut eines Artikels des Time Magazine finden die Truecels-User zahlreiche Parallelen zwischen dem Mann, der es »dem sozialistischen Pack, dem Kulturmarxismus und der Moderne« so richtig gezeigt habe, und sich selbst.Zit. n. https://0cn.de/cuge.
Ein anderer Typ Mann, der es den Incels angetan hat, ist der islamistische Gotteskrieger. In dem Forum incels.is und auf dem Subreddit Braincels grübeln User darüber nach, ob das Kalifat nicht die Erfüllung der Ziele ihrer »Incel Rebellion« und der Islam nicht die angemessen kriegerische Religion sei, um sich gegen Feminismus, Juden und Gender Mainstreaming zu verteidigen. Es wird gefragt: »Ist der Islamische Staat eine Option für Incels?«Zit. n. https://0cn.de/sqo9. Die Parallelen zwischen frauenverachtender Neuer Rechter und Islamismus führen dazu, dass Islamisten in Incel-Foren rekrutieren und jedem, der sein Heilsversprechen im politischen Islam einzulösen sucht, eine minderjährige Braut versprechen.https://0cn.de/i977.
Aber auch wenn sie der Hass auf die Moderne, Frauen und Juden eint: Es gibt doch einige entscheidende Unterschiede zwischen dem Terror der Incels, der sich eher noch mit den Gewalttaten Breiviks vergleichen lässt, und dem islamistischen Terror. So versammeln sich Incels in erster Linie im Internet, während Islamisten oft im unmittelbaren Umfeld rekrutiert werden, welches gekränkten jungen Männern ein Heldentum als Jihadist verspricht. Des Weiteren agieren Islamisten im Namen des Religionskollektivs Umma, das den Islam, und damit zwar implizit, aber nur sekundär die männliche Vorherrschaft verteidigen will, während der Zorn darüber, dass eben jene Herrschaft verweigert wird, die explizit ausformulierte treibende Kraft hinter der Incel-Gewalt ist. Der politische Islam ist der Kampf gegen den »Westen« und »Ungläubige«, Incels geht die religiöse Komponente und Legitimation jedoch vollkommen ab. Herauszustellen ist jedoch, dass Incels und islamistische Attentäter zu ähnlichen Mitteln greifen oder sie in Betracht ziehen, um Gewalt gegen Frauen auszuüben: sei es mit einem Auto in eine Menschenmenge zu fahren, oder, wie zunehmend in Foren diskutiert wird, Säureattentate auf Frauen zu verüben. Es werden eben die Waffen und Mittel gebraucht, die für das allein agierende frauenverachtende Individuum, das Terror in Zeiten des Spätkapitalismus verübt, am ehesten zugänglich und zielführend sind.
Ebenso ist die Idealwelt der Incels eine, die dem Kalifat nicht unähnlich ist. Frauen haben in ihr keinerlei Stimmrecht und lediglich der Befriedigung sexueller Bedürfnisse zu dienen. Homosexuelle, Transgender, Schwarze und Juden würden zu BürgerInnen zweiter Klasse erklärt oder direkt vernichtet werden. Man könnte spekulieren, dass das Kalifat Incels dabei sogar näher ist als etwa der historische Faschismus und Nationalsozialismus, die Frauen (die zum Volkskörper gezählt wurden) zwar einen untergeordneten, aber doch wertvollen Platz in der Gemeinschaft zuwiesen und in Teilen auch eine liberalisierte Sexualität beförderten.
Wie Klaus Theweleit in seinem Werk Das Lachen der Täter: Breivik u.a.—Psychogramm einer Tötungslust ausführt, sind trotz des Hasses auf den Westen, den der Islamismus propagiert, und des Hasses auf den Islam, den Breivik und seine Tempelritter vertreten, die beiden Ideologien gar nicht so verschieden. Hammami, Breivik oder Elliot Rodger vertreten alle den gleichen Typus eines Täters. Diese Männer sind nach eigener Auffassung keine Würmer im Kompost des Spätkapitalismus mehr, sie sind die Soldaten einer größeren Sache; sie sind Männer, die sich an der Moderne und all ihren Kränkungen rächen konnten, die sich über das Töten von Juden, Frauen und SozialistInnen auf regressive Weise von der bürgerlichen Gesellschaft und der Moderne emanzipiert haben. Diese Männer sind, aus der verqueren Sicht der Incels, Helden, da sie sich aus dem Status als Opfer einer Gesellschaft, in der Männer nur Opfer sein können, befreit haben.
Die herbeigesehnte »Incel Rebellion« ist nichts anderes als der Wunsch, das letzte bisschen Zivilisation aufzugeben, anderen im Terrorakt das Leben nehmen zu können und so eben kein bedeutungsloses Rädchen im Getriebe mehr zu sein, sondern eine Person, die durch Taten hervorsticht und sich Ruhm in der Gemeinschaft einhandelt. Es sind Männer, wie Theweleit schreibt, deren Handeln in den eigenen Augen »Ausdruck einer postulierten Notwendigkeit der Handlungen selbst gesetzter Vereinigungen übergeordneten Rechts«Klaus Theweleit, Das Lachen der Täter. Breivik u.a.—Psychogramm einer Tötungslust, Wien 2015, 26. ist. Bei allem Selbsthass ist sich der Incel einer Sache ohne Zweifel bewusst: Er kennt die Wahrheit, die er mit dem Gewehr und auf Reddit in die Öffentlichkeit tragen muss.
Integraler Bestandteil des Terrorakts ist es, abzuspalten, dass es sich bei den Ermordeten um Menschen mit Gefühlen, Zukunftsplänen, Träumen und Wünschen handelt. Das hat zur Vorbedingung, alles, was nicht bloß kalter Täter ist, im Moment der Tat von sich selbst abzuspalten. Incels sind Meister der Selbstzurichtung, jeden Tag erlegen sie sich selbst schon die Dehumanisierung auf, die sie ihren prospektiven Opfern antun müssen: »Du bist Untermenschen-Abschaum und nichts wert«, schreiben sie ihren Gleichgesinnten in unzähligen Forenthreads. Dies, wie auch die wahnhafte Abhängigkeit von weiblicher Anerkennung und Sexualität, die zum propagierten Frauenhass widersprüchlich erscheint und doch als seine Bedingung zu begreifen ist, steht der Entwicklung eines selbstständigen Subjekts entgegen.
Wie also mit Incels umgehen? Es scheint eine ausweglose Situation zu sein. Therapien werden größtenteils verweigert—laut Incel-Foren eine »jüdische Erfindung«, die die erleuchteten Frauenhasser wieder von der gefundenen Wahrheit abbringen und irreleiten soll. Die einzige Lösung kann daher sein, präventive Arbeit zu leisten: durch kritische Pädagogik, den Bruch mit den herrschenden patriarchalen Verhältnissen und die Erkenntnis der zwingenden Notwendigkeit, Jungen keine Täter werden zu lassen.
Veronika Kracher
Die Autorin lebt in Frankfurt am Main und weiß mehr über Incels, als eigentlich irgendjemand sollte.