Nora Goldenbogen ist Historikerin, seit 2003 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Dresden und Leiterin des Bildungs- und Begegnungsvereins Hatikva. In Sachsen war sie 2004 in ihrer Position für die Jüdische Gemeinde in den Streit von Opferverbänden und Landesregierung zum neuen Sächsischen Gedenkstättengesetz involviert, an dessen Ende der Austritt aus der sächsischen Gedenkstättenstiftung stand. Die Opferverbände u.a. auch der Zentralrat der Juden kritisierten damals den »erinnerungspolitischen Paradigmenwechsel« des Projektes und die »Eingliederung« der NS-Erinnerung in ein gesamtdeutsches Gedenkkonzept. Die Aufkündigung der Mitarbeit in den Gremien der Stiftung setzte zwar Landes- und Bundesregierung unter Legitimationsdruck, trotzdem schaffte es 2007 das von Kulturstaatsminister Neumann initiierte Gedenkstättenkonzept des Bundes in die Ausschüsse und Gremien. Der Entwurf dieser Gedenkstättenkonzeption, der derzeit fortgeschrieben wird, findet ebenso, wie sein sächsisches Pendant das Element des »Totalitären«, um Nationalsozialismus und DDR zu verbinden. Die Waagschalenmentalität – die Rede von den Opfern beider deutscher Diktaturen – die ganz bewusst mit sprachlicher Nivellierung hantiert ist auch hier wichtiges Element zur Restaurierung der deutschen Geschichte.
Phase 2 befragte Nora Goldenbogen zum aktuellen erinnerungspolitischen Wandel, dem Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung und den daraus entstehenden praktischen Konsequenzen für die Opferverbände.
Phase 2: Ein von Kulturstaatsminister Bernd Neumann ausgearbeitetes Konzept, das das Gedenken an die DDR-Diktatur und die NS-Herrschaft regeln soll, sorgt seit Monaten für Konfliktstoff. Einen »geschichtspolitischen Überrumpelungsversuch« nannte es Volkhard Knigge, Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Ein Konzept, das eine Umkehr in der deutschen Erinnerungskultur impliziert. Von »beiden totalitären Systemen in Deutschland« war schon im Vorwort des Entwurfs die Rede, der sich auf neun Seiten mit der DDR-Geschichte befasst, mit der Zeit des NS jedoch nur auf zwei. Nehmen wir an, das Gesetz wird in der jetzigen Form verabschiedet, was ändert sich und was erwarten Sie im Bezug auf ihre tägliche Arbeit?
Nora Goldbogen: Das Problem, das jetzt im Zusammenhang mit dem Konzept auf Bundesebene sichtbar wird, gibt es schon seit Jahren in Sachsen. Es hatte auch den Konflikt innerhalb des Stiftungsbeirates mit dem darauf folgenden Austritt der Jüdischen Gemeinde (und auf Bundesebene des Zentralrats der Juden in Deutschland) gemeinsam mit allen anderen Opferverbänden der Verfolgten des Nationalsozialismus zur Folge. Die Gleichsetzung der »beiden totalitären Systeme« in Deutschland prägte in sehr starkem Maße die Diskussion und auch wenn in der weiteren Folge einiges abgeschwächt wurde – vor allem nach dem Amtsantritt der neuen sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst (Dr. Eva-Maria Stange - Anm. d. Red.) und deren Agieren – ist das Grundproblem eigentlich geblieben. Für die jüdischen Gemeinden sind in erster Linie die mit dieser Gleichsetzung einhergehende Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus, insbesondere der Shoah, und deren Singularität untragbar. Andererseits verunmöglicht die Gleichsetzung jedoch auch eine differenzierte historische Betrachtung DDR und der realsozialistischen Gesellschaft der DDR.
Phase 2: Sie meinen also, dass die Relativierung beiden Seiten nicht gerecht wird?
Nora Goldbogen: Für die jüdische Gemeinde ist das Problem der Verharmlosung natürlich das dringendere, weil daran eine ganze Menge hängt – aber natürlich betrifft uns auch die andere Seite, weil wir eine jüdische Gemeinde in Ostdeutschland sind und besonders unsere älteren deutschsprachigen Mitglieder somit auch eine DDR-Geschichte haben. Viele von ihnen entschieden sich damals nach Ende des Nationalsozialismus bewusst für ein Leben in der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR, weil sie eines ihrer Ziele darin sahen, ein anderes, ein antifaschistisches Deutschland aufzubauen. Sie standen auch später noch zu dieser Entscheidung, obwohl die Geschichte der jüdischen Gemeinden in der DDR natürlich ebenso durch Konflikte und sehr schwierige Phasen geprägt war. Desweiteren sind viele Biographien und Lebensleistungen unserer Gemeindemitglieder unmittelbar mit der Geschichte der DDR verbunden, und wurden mit dieser Gleichsetzung gleich mit abgewertet.
Dennoch ist die Relativierung des Nationalsozialismus natürlich das wesentlichere Problem. Es schlägt sich ja nicht nur in dem Entwurf für ein Gedenkstättengesetz nieder, sondern taucht in regelmäßigen Abständen auf, wie die Affäre um Bischoff Williamson und die Aufhebung seiner Exkommunikation durch Papst Benedikt XVI. zeigte. Mit solchen Versuchen der Relativierung sind wir immer wieder auch im Alltag konfrontiert, nicht zuletzt in den jährlich wiederkehrenden öffentlichen Diskussionen um den Umgang mit dem 13. Februar in Dresden. Hier wird uns als jüdischer Gemeinde vorgeworfen, immer nur darauf hinweisen, dass das Bombardement für die letzten Juden in Dresden die Chance für ihr Überleben war und würden nur unsere »eigenen Opfer« im Blick haben.
Phase 2: Auch wenn mittlerweile von dem Vorschlag abgerückt wurde, die Gedenkstättenpolitik von einer zentralen Stiftung aus zu lenken, bleibt das Problem der konzeptionellen Angleichung. Wie sehr stecken Sie im Dilemma des staatlich gelenkten Gedenkens? Inwiefern wirkt sich das finanziell auf Ihre Arbeit aus?
Nora Goldbogen: Ich glaube, die Finanzierung der jüdischen Gemeinden ist kein Problem, das in diesen Zusammenhang gehört. Diese ist nicht von dem Gedenkstättengesetzentwurf abhängig. Die finanziellen Förderungen sind in den einzelnen Bundesländern jeweils durch einen Staatsvertrag mit den Landesregierungen langfristig geregelt. Das Problem für die jüdischen Gemeinden liegt vielmehr in den noch virulenten antisemitischen Alltagsklischees, die man in Gesprächen, Fragen, Bildungsveranstaltungen und Begegnungen erlebt und spürt und auf die man reagieren muss. Immer wieder werden wir z. B. mit den Bildern vom »reichen Juden« oder von der gedanklichen Verbindung von Juden mit Geld konfrontiert. Nicht selten betrifft das auch die Vorstellung einer »internationalen jüdischen Macht«, die großen Einfluss auf die politischen Entscheidungen einzelner Regierungen, wie in den USA oder in Europa hätte. Häufig zu hören ist auch der Vorwurf einer so genannten »Opferegomanie«. Gerade im letztgenannten Kontext ist der 13. Februar, der Jahrestag der Bombardierung Dresdens, ein erinnerungspolitisch umkämpftes Datum, an dem der Einfluss der Geschichtsdeutung auf die Gegenwart offensichtlich ist.
Phase 2: Wie positioniert sich die Jüdische Gemeinde im Potpourri aus Protest und Gedenken?
Nora Goldbogen: Wir müssen uns mit dem Thema natürlich unter mehreren Gesichtspunkten auseinandersetzen. Zum einen wurde das Gedenken an die Opfer der Bombennacht in Dresden im letzten Jahrzehnt immer stärker von den Neonazis besetzt, die bei uns seit den letzten Wahlen auch im Stadtrat und im Landtag sitzen. Der hier so offensichtliche Geschichtsrevisionismus wurde jedoch auf der politischen Ebene lange nicht oder nur von einigen politischen Kräften zur Kenntnis genommen und kritisiert. Jahrelang wurden lediglich »die lauten Auseinandersetzungen der Linken und Rechten« thematisiert und verschwiegen, dass es um den Umgang mit dem 13. Februar, das Gedenken daran und seine historische Einordnung ging.
Wir als Jüdische Gemeinde fühlen uns verpflichtet genau hinzuschauen, wessen hier gedacht wird und wie gerade die Geschichte des Nationalsozialismus, seines Wesens und seiner Verbrechen hierbei verkehrt wird. Zum zweiten sind wir unmittelbar betroffen, weil der Weg des so genannten Gedenkmarsches der Nazis seit Jahren in unmittelbarer Nähe der Synagoge vorbeiführte, mal mehr mal weniger abgeschirmt. Jahrelang blieben unsere Proteste dagegen ungehört und erst als wir uns sehr laut zu Wort gemeldet haben und in Kooperation mit anderen Initiativen wie dem Kulturbüro Sachsen und befreundeten Organisationen wie der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit nach neuen Wegen gesucht haben, ist es erträglicher geworden. Dennoch ist unsere Position zum 13. Februar immer noch nicht mehrheitsfähig in Dresden. Immer noch hält die bürgerliche Mehrheit daran fest, das Gedenken so zu begehen wie immer schon in unserer Stadt. Dabei wird einfach nicht zur Kenntnis genommen, dass der Tag schon lange von rechten Parteien und Organisationen besetzt wurde und dabei geistige »Andockstellen« zum Denken und Fühlen eben jener bürgerlichen Mehrheit bestehen.
Phase 2: Hat sich Ihre Situation verbessert, nachdem es zum 60. Jahrestag große antifaschistische Proteste gegen eine Gedenkkultur gab, die sich nur auf die Deutschen als Opfer bezieht?
Nora Goldbogen: Zu diesem Zeitpunkt 2005 noch nicht, es hat sich erst gebessert, nachdem im letzten Jahr unsere Proteste lauter geworden sind. Wir haben uns letztes Jahr zum ersten Mal nicht an der offiziellen Kranzniederlegung für die Bombenopfer auf dem Dresdner Heidefriedhof beteiligt. Diese Zeremonie wurde seit vielen Jahren als so genanntes stilles Gedenken durchgeführt, was immer mehr die Möglichkeit für rechtsextreme Kräfte bot, hier ihre geschichtsrevisionistischen Positionen deutlich zu artikulieren. Dies geschah in Form von Sprüchen auf den Kranzschleifen wie »Euer Opfer – unser Auftrag« oder »Den Opfern des alliierten Bombenholocaust« sehr explizit ohne mit Widerspruch und Protest rechnen zu müssen. Es gab von offizieller Seite bis zur Vorbereitungsphase des diesjährigen Gedenkens nicht einmal den Anschein einer Überlegung, es anders zu machen und sich von den Nazis abzugrenzen.
Mit unserem sehr deutlichen Protest, dem Protest vieler ziviler Gruppen und von Teilen der Grünen, der SPD, der Linken, den Gewerkschaften, kirchlichen Gruppen und dem Antifaspektrum wurde erstmalig auch medial sehr viel deutlicher sichtbar, dass hier etwas gründlich schief läuft. In diesem Jahr wurde nun erstmalig, vor allem aufgrund der Intervention unserer jüdischen Gemeinde, von der jetzigen Oberbürgermeisterin eine sehr deutliche Position in Form einer kurzen Rede auf dem Heidefriedhof vertreten. Das war ein guter Anfang, an dem es gilt weiterzuarbeiten. Aber sichtbar wurde auch in den Reaktionen der bürgerlichen Mehrheit auf die am nächsten Tag folgende Geh-Denken-Demonstration in Dresden, dass noch längst kein Ende der Diskussion um den 13. Februar in Sicht ist und dass wir wahrscheinlich noch keinen wirklichen Durchbruch in dieser Frage erreicht haben.
Phase 2: In Sachsen bleibt trotz einer Neuformulierung des Gedenkstättengesetzes der Zentralrat der Juden in Deutschland bei seiner Entscheidung von 2004, nicht in die Gremien des Stiftungsrates zurückzukehren. Hat bzw. hatte dieser Schritt für Sie negative Folgen?
Nora Goldbogen: Es ist in sofern problematisch, als dass wir das Geschehen nur noch von außen betrachten können und nicht genau wissen, was aktuell abläuft, somit auch keine Entscheidungen beeinflussen können. Die Bedingung für unseren Wiedereinstieg wäre – und so lautete auch die Forderung des Zentralrates vor dem Austritt – dass eine grundlegende Neuformulierung des Gedenkstättengesetzes im Sinne einer Kritik an der Gleichsetzung von NS und DDR und der damit verbundenen Relativierung der Einmaligkeit der Verbrechen des Nationalsozialismus vorgenommen werden müsste. Eine weitere Forderung war, dass auch die Arbeit der Beiräte der Stiftung in getrennten Gremien für die Zeit vor und nach 1945 erfolgen müsse, um die »Vermischung« von Problemen im obigen Sinne zu vermeiden. Die Zusammenarbeit der VertreterInnen der Opferverbände im bisherigen gemeinsamen Beirat aus beiden Perioden unserer Geschichte war aufgrund dieser Gleichsetzung sehr häufig von schlimmen persönlichen Kontroversen überschattet, die vor allem für die Vertreter der Opferbände der Verfolgten des Nationalsozialismus fast unerträglich wurden und deshalb ebenfalls zur Ursache des Austritts wurden. Aber zu einer Veränderung dieser Situation ist es bisher nicht gekommen. Ich denke, das wird auch nicht mehr vor den Wahlen kommen. Solche Dinge sind leider auch sehr abhängig von den Legislaturperioden und den konkreten Machtverhältnissen.
Phase 2: Es gab eine parlamentarische Aussprache im November 2008 zur Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption auf Bundesebene. Darin wurde ja ein – wenn man es überhaupt so nennen kann – kleines Zugeständnis gemacht, in dem festgelegt wurde dass bedeutsame Gedenkstätten des NS eine intensivere Förderung erfahren sollen. Dieses Zugeständnis beschränkte sich jedoch nur auf die vier Gedenkstätten Bergen-Belsen, Dachau, Flossenbürg und Neuengamme. Bewerten Sie dies als einen in der Debatte erreichten Fortschritt oder ist das Zugeständnis an die vier genannten Erinnerungsorte nur ein sehr schwaches, das in konzeptioneller Hinsicht gar nichts ändert?
Nora Goldbogen: Ich denke, es ist wichtig, dass neben den großen, zentralen Gedenkstätten der Blick auf die scheinbar kleineren erfolgen soll, wir haben ja generell eine Abstufung auf verschiedene Ebenen. Ich denke mir, dass dieses Zugeständnis an der Gesamtkonzeption wenig ändert. Solange es weiterhin eine inhaltliche Schieflage gibt, wird dieses Problem immer wieder aufkommen.
Phase 2: Das heißt, diese Zugeständnisse sind nicht Grund genug für den Zentralrat zurückzukehren? Es geht um eine grundlegende Neuformulierung?
Nora Goldbogen: Ja, es ist nicht ausreichend, nur die Präambel zu ändern, sondern das gesamte Gesetz muss überarbeitet werden. Ich glaube, dass es schon Fortschritte in der Diskussion gab, aber ein Problem ist leider auch, dass so ein Gesetz am Ende im Parlament durchkommen und genehmigt werden muss. Dem Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, dem die Stiftung Sächsische Gedenkstätten und ihre Beiräte unterstehen, ist die Situation mit Sicherheit nicht angenehm. Das ist natürlich auch ein Stück Ansehensverlust. Es ist aber in den letzten Jahren, auch in der letzten Phase unter der neuen Ministerin, noch zu wenig passiert und geändert worden.
Phase 2: Die Gedenkstätte Dachau hat in den letzten zwei Jahren immer wieder eine Aufstockung ihrer finanziellen Mittel gefordert, da der Zustand der Einrichtung desolat ist. Denken Sie, dass eine Neuformulierung des Gedenkstättengesetzes dazu führen wird, das bestehende Einrichtungen der Erinnerungskultur, die als Gedenkstättenkonzepte funktionieren, möglicherweise in Schwierigkeiten geraten könnten?
Nora Goldbogen: Das kann ich jetzt so direkt nicht beurteilen. Ich denke, das Hemd ist im Moment immer zu kurz, um alles zu machen, was man für notwendig erachtet. Meine Rede ist, dass der Blick auf die konkreten Bedürfnisse, Projekte und Pläne der einzelnen Gedenkstätten gerichtet werden muss, um dann festzulegen, was mit wie vielen Mitteln gefördert werden kann. Außerdem muss man wahrscheinlich überlegen, aus welchen anderen Töpfen solche Gedenkstätten auf unterschiedlichsten Ebenen gefördert werden können. Aber dazu bedarf es anfangs erstmal des Willens – und nicht sofort der Diskussion um's Geld.
Phase 2: Vielen Dank für das Gespräch.