Wenn Unternehmen plötzlich »sozial wirtschaften« sollen und mit einem Teil ihrer Gewinne »der Gemeinschaft etwas zurück geben«, schwankt man als LinkeR zwischen Gleichgültigkeit und mildem Ärger - nichts als sozialdemokratischer Humbug meint man. Handelt es sich doch um die Neoliberalisierung des »sozialen Sektors«, mit all dem faulen Zauber von »Eigenverantwortung«, »sozialem Engagement« und »tragfähigen, nachhaltigen Lösungen«, natürlich immer im Einklang mit der Logik der Warengesellschaft und nur so lange gefördert, wie sie deren grundsätzliche Spielregeln nicht in Frage stellt und mögliche Unruhestifter noch zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft macht. Alltägliche Verbesserungen mögen sich durch solche Projekte im Leben mancher Menschen auch manchmal ergeben, da käme es auf den Einzelfall an. Ein neuer oder anderer Kapitalismus wäre das keineswegs, nur ein mehr oder minder wirksames Pflaster auf die Wunde, die er schlägt.
Diese Einschätzung ist grundsätzlich richtig. Die Kritik, dass vorgeblich »soziales« Wirtschaften den Kapitalismus nicht abschaffe, scheint aber etwas ins Leere zu laufen, ist das doch gar nicht der Anspruch solcher Modelle. Gegenüber früheren Vorstößen in dieser Manier, wie etwa der viel beschworenen Corporate Social Responsibility, Etwa: Unternehmerische Sozialverantwortung; die Förderung künstlerischer und wohltätiger Zwecke durch Unternehmen. interessiert an der neueren Erscheinungsform Social Business oder auch Social Entrepreneurship vor allem die Verknüpfung mit einer Subjektivierungsform und einer spezifischen Ideologie. Hier richten sich die Forderungen nicht an bereits etablierte Unternehmen, sondern vielmehr an Einzelpersonen, die ihr soziales Engagement zum Wohle aller nun unternehmerisch organisieren sollen. In der Ideologie des Social Entrepreneurship steckt also ein spezifisches Modell des Verhältnisses von Staat, Gesellschaft und Individuum, und der Form, die der oder die Einzelne in diesem Gefüge einzunehmen hat. Es ist weniger die Naivität, mit der ein sozialer Wandel innerhalb des Kapitalismus hier gedacht wird, als vielmehr die strategische Postulierung einer Aktivierungsideologie, die an dieser Stelle zu kritisieren ist, umso mehr, als einige Elemente der Social-Business-Ideologie über die Maßen anschlussfähig für Entwicklungen im neuen Deutschland nach 1989 sind.
Wie groß das Interesse an dieser seit etwa 30 Jahren in den USA propagierten Idee inzwischen auch hierzulande ist, zeigt das Beispiel des »Vision Summit 2008« in Berlin. Im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin gaben sich bereits zum zweiten Mal VertreterInnen aus Wirtschaft und Politik ein Stelldichein mit einer bunten Mischung aus SozialwissenschaftlerInnen, Aktiven der Jugend- und Sozialarbeit, UnternehmensgründerInnen, MedienvertreterInnen und Bürgerinitiativen. Der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus wurde mit einem Preis geehrt und sprach über sein Konzept der Mikrokredite. Neben einem Grußwort des regierenden Berliner Bürgermeisters, demonstrierte auch die Anwesenheit der Ex-Bundespolitiker Genscher und Geißler das Interesse der Politik an der Veranstaltung. Allenthalben wurde auf der zweitägigen Zusammenkunft, einer Mischung aus wissenschaftlicher Tagung, Kongress und Messe, Social Business als neue Form des Unternehmertums gepriesen. Nicht nur neue Arbeitsplätze und Märkte verspricht das Konzept, vielmehr biete es auch einen Weg, auf zeitgemäße Weise soziale Veränderungen herbeizuführen und Bürgerbewegung mit gesellschaftlicher Teilhabe zu verschmelzen. Am Ende stehe so tatsächlich eine Art marktförmige Graswurzelbewegung, die Deutschland neben dem dringend benötigten wirtschaftlichen Aufschwung auch eine ebenso dringend fällige geistig-moralische Wende im Zeichen von Optimismus, sozialer Verantwortung, Gemeinsinn und Eigenverantwortung bescheren könne. Sowohl die Öffentlichkeitsarbeit als auch so mancher Redebeitrag auf dem »Vision Summit« waren durchdrungen von derlei standesgemäß visionärer Rhetorik, in der viel von einer »neuen Generation von Unternehmerpersönlichkeiten«, »werteorientiertem Wirtschaften« und »unmittelbarer unternehmerischer Initiative von immer mehr Menschen« die Rede war. http://www.visionsummit.org/193.html.
Was verbirgt sich aber hinter diesem Wust an unappetitlichem Jargon aus dem Selbst-Management-Seminar? Tatsächlich fällt es zunächst schwer, abzugrenzen, was genau mit »Social Business« oder auch »Social Entrepreneurship« Grob übersetzt: Soziales Unternehmertum, mit einer besonderen Bedeutung von »Entrepreneur« als Unternehmerpersönlichkeit im Gegensatz zum schlichten »Unternehmer«. gemeint ist und über welche Organisationsformen es mit welchen Methoden zu welchem Zweck umzusetzen ist. Aus der Betrachtung der Gästeliste des »Vision Summit« oder ähnlich gelagerter Veranstaltungen allein wird das auch nicht recht klar – von CSR-Verantwortlichen großer Unternehmen über hoffnungsvolle GeschäftsgründerInnen aus der Ökobranche und der Medienwelt bis hin zu SozialarbeiterInnen oder JugendzentrumsmitarbeiterInnen ist irgendwie alles dabei. Selbstverständnis, Zielsetzung und Tätigkeitsfeld dieser Organisationen scheinen zunächst auf keinen gemeinsamen Nenner gebracht werden zu können.
Etwas mehr Klarheit verschafft die Suche nach dem Ursprung der Idee vom Social Entrepreneurship. Die vom früheren McKinsey-Mitarbeiter Bill Drayton gegründete »Ashoka-Foundation« mit Sitz in Washington, D.C. propagiert das Konzept seit 1980 und fördert »Social Entrepreneurs« weltweit mit Stipendien, Preisgeldern und öffentlichkeitswirksamer Darstellung. Drayton hat seine Idee vom Social Entrepreneurship in mehreren Artikeln dargelegt, z.B: Drayton, Bill »Everyone a Changemaker: Social Entrepreneurships Ultimate Goal«. Online unter http://www.ashoka.org/sites/ashoka/files/InnovationsBookletSmall.pdf. und auch die Ashoka-Website gibt ausführlich Auskunft darüber, was man sich unter dieser »Sozialunternehmerin« vorzustellen hat. http://germany.ashoka.org/social_entrepreneur. Sinngemäß geht es um ein Marktmodell sozialen Wandels, in dem einzelne, besonders engagierte und führungsstarke Persönlichkeiten, die Changemakers, Etwa: Veränderer, Wandel-Anstoßer, im Sinne der Gerhard-Schröderschen »Machertypen«. die Initiative ergreifen. Sie entdecken und formulieren Probleme ihrer gesellschaftlichen Umgebung und schlagen Lösungsstrategien vor. So werden sie zu Kristallisationspunkten sozialer Bewegungen, indem sie für ihr Problemverständnis und die angepeilte Lösung um Unterstützung werben. Und zwar in erster Linie um Unterstützung durch andere Privatpersonen und nur nachrangig durch Politik und Wirtschaft, wie es bei klassischen Wohltätigkeitsvereinen der Fall wäre. Anders als bei diesen geht es auch nicht in erster Linie um das Einwerben und Verteilen von Spenden, vielmehr sind die Changemakers im Idealfall selbst Betroffene der sozialen Probleme, die sie angehen wollen und leisten also tatkräftige »Hilfe zur Selbsthilfe« durch den Aufbau von Social Businesses, deren Arbeit und Erträge direkt Betroffenen zugute kommt. Changemakers konkurrieren untereinander um die meiste Unterstützung und den größten Erfolg in der Durchsetzung ihrer Strategien, sodass per »unsichtbarer Hand« dank der Konkurrenz auf dem Markt der Ideen schließlich die tragfähigste Lösung gewinnt, die ihren Wert allein dadurch beweist, dass sie einen bestimmten Missstand am effektivsten bekämpft. Die Implikation des Modells ist zum einen, dass die Betroffenen besser als ein träger Staatsapparat in der Lage sind, ihre Probleme überhaupt erst einmal zu erkennen, und dass weiterhin die direkte Konkurrenz von Lösungsstrategien soziale Probleme effektiver bekämpft als ein von oben aufoktroyierter Plan. Die siegreiche Strategie wird schlussendlich – und das ist das Entscheidende – mit unternehmerischen Mitteln umgesetzt, also nicht etwa als basisdemokratische politische Gruppierung im Rahmen einer breiteren politischen Bewegung oder als Charity (Wohlfahrtsorganisation) herkömmlicher Machart. Dabei ist sie in bürgerlicher Geschäftsform verfasst und durch Planungs- und Evaluationsinstrumente gesteuert, wie sie in der Unternehmensführung zum Einsatz kommen. Geschäftszweck ist dabei durchaus das Erwirtschaften von Gewinn, allerdings wird im Umfeld der Social-Business-Bewegung gerne mit dem unklaren Begriff des »sozialen Mehrwerts« oder gar einem irgendwie gearteten »sozialen Kapital« argumentiert. Nicht um schnöden Mammon gehe es also der Sozialunternehmerin, sie wolle »sozialen Gewinn« machen und sich nicht selbst bereichern, sondern in erster Linie »der Gesellschaft« etwas Gutes tun. Wenn und falls ihr Unternehmen Geld erwirtschaftet, solle dies in die Aufrechterhaltung und den Ausbau seiner Strukturen fließen und in den eigentlichen Unternehmenszweck investiert werden, indem etwa die Löhne direkt sozial Benachteiligten zugute kommen, die im Unternehmen beschäftigt sind, oder Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen bezahlt werden, die den Beschäftigten bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschaffen. Ein typisches Projekt dieser Art wäre ein Betrieb, der hauptsächlich oder ausschließlich eine gesellschaftlich benachteiligte Gruppe Damit sind im Zusammenhang mit Social Business in erster Linie die Gruppierungen gemeint, denen immer schon sozialpädagogische Aufmerksamkeit gewidmet wurde: Menschen mit Migrationshintergrund, mit wenig schulischer oder beruflicher Ausbildung, mit Behinderung, oft auch pauschal »Frauen«. Diese nivellierende Zusammenstellung – und die Tatsache, dass die Misere dieser Gruppen oft schon ein Ergebnis des gleichen marktorientierten Wirtschaften ist, mit dem sie sich nun am eigen Schopf aus dem Sumpf ziehen wollen- kann man zu Recht zynisch finden. einstellt und sie zur Produktion bestimmter, gut verkäuflicher Güter qualifiziert. Die Löhne wären vergleichsweise hoch, weil der Unternehmensgewinn zu einem großen Teil den Arbeitenden zugute käme. Die Familien der Arbeitenden würden ebenfalls davon profitieren und der Betrieb den Arbeitenden Weiterbildungsmaßnahmen für höher qualifizierte Arbeitsplätze ermöglichen. Ein anderes Beispiel wäre ein Jugendprojekt, dass SchülerInnen dazu ausbildet, wiederum andere SchülerInnen über AIDS und Verhütungsmethoden aufzuklären, flankiert durch eine gemeinsame, ebenfalls »körperbezogene« Aktivität wie Sport, bei der sogenannte Schlüsselkompetenzen wie Teamfähigkeit, Selbst- und Fremdführung und Öffentlichkeitsarbeit vermittelt würden. Ähnliche Programme wie das von Ashoka vertretene haben sich in Europa die schweizerische »Schwab-Foundation« http://www.schwabfound.org/sf/index.htm oder das Skoll Centre for Social Business an der Oxforder Said Business School http://www.sbs.ox.ac.uk/skoll/ auf die Fahnen geschrieben, die mit einem jährlichen Gipfeltreffen zu diesem Thema auch das Vorbild des deutschen »Vision Summit« geschaffen hat, zu dem sich auch bekannte Gutmenschen vom Schlage eines Al Gore einfinden.
Immer steht der Gedanke der individuellen Initiative zur Verbesserung gesellschaftlicher Probleme im Vordergrund, die von der Problemformulierung über die Organisation bis hin zum Arbeitsverhältnis in der Unternehmensform den idealen Rahmen zur Entfaltung finde. Mehr als um ein neues Geschäftsmodell geht es also um eine neue Form sozialen Engagements, das auf einem neuen Typus sozial engagierter Bürger fußt, die Problembewusstsein und Organisationstalent miteinander verbinden. Der Gedanke an neue Märkte ist im Social Entrepreneurship vorgeblich nicht entscheidend, vielmehr gerieren sich die AnhängerInnen als Speerspitze einer neuen sozialen Bewegung, die Themen und Ziele der »neuen sozialen Bewegungen« der achtziger Jahre jetzt mit geballter Innovationskraft angehen will. In Auftreten und Jargon gibt man sich weniger geschäftsmäßig-kühl als vielmehr jung, spaßorientiert, wertebewusst und sozial engagiert, sodass sich schnell Schnittmengen mit Ökobewegung, Bürgerinitiativen und der diffusen Rede von der sozialen Gerechtigkeit ergeben. Gerade der Persönlichkeitstypus des agilen, zwanglosen, aber starken moralischen Werten verpflichteten Individuums, der guten Gesellschaft, in der es sich unternehmerisch bewegt und dem Staat, von dem es sich abgrenzen muss, sind die wirksamen Bestandteile dieser Ideologie, die es, wie einleitend angedeutet, vor allem in ihrer Anverwandlung an deutsche Verhältnisse zu kritisieren gilt.
Was sich vor dem U.S.-amerikanischen Hintergrund von »Charity«, also der traditionell stärker privat und graswurzelförmig organisierten Hilfe für Bedürftige, von Empowerment, dem aus der Bürgerrechtsbewegung des letzten Jahrhunderts stammenden Begriff von »Selbstermächtigung« von Randgruppen, und einer historisch stärker entwickelten lokalen Gestaltung bürgerlicher Demokratie in Alltagsfragen entwickelt hat, muss sich beim Transport in gegenwärtige deutsche Zustände nicht nur Kritik stellen, sondern wird potentiell gefährlich. Es sind vor allem drei miteinander verknüpfte Elemente des Social-Business-Gedanken, die sich nur allzu gut in das große Projekt »Zivilgesellschaft« im Deutschland nach der Epochenwende 1989 einfügen: Erstens der Rekurs auf die »Unternehmerpersönlichkeit« mit der impliziten Abgrenzung gegen gesichtslose Organisationen, die angeblich weniger an den Volkswillen gebunden seien; zweitens die bedarfsgerechte Umdeutung von Empowerment im Sinne einer Aktivierungsideologie von »Fördern und Fordern«; und drittens die Inklusion von potentiellen sozialen Unruheherden – nicht nur in ein als alternativlos scheinendes kapitalistisches System, das auf diese Weise noch effektiver diejenigen an sich bindet, die doch eigentlich am meisten unter ihm zu leiden haben, sondern auch und gerade in eine nationale Gemeinschaft.
Das Konzept der UnternehmerIn als »Entrepreneur« geht auf Joseph Schumpeter zurück, der in den vierziger Jahren kapitalistisches Wirtschaften als Prozess fortwährender Innovation beschrieb, die durch unablässige »kreative Zerstörung« und Wiederaufbau zustande komme. Joseph Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942). Stuttgart 2005. »Unternehmerpersönlichkeiten« treiben neben der Gewinnmaximierung den gesellschaftlichen Fortschritt voran, indem sie als erste unbefriedigte Bedürfnisse erkennen, und dafür innovative Lösungen in Form von Produkten und Dienstleistungen entwickeln. Schumpeter macht die Unternehmerpersönlichkeit zum Motor gesellschaftlichen Fortschritts und eines Wandels, der letztendlich allen zugute kommt. Unter großen persönlichen Risiken breche sie aus gewohnten Denkmustern aus, lasse eingefahrene Wege hinter sich und liefere sich auch der Möglichkeit des Scheiterns aus. Nur durch Menschen, die im Wortsinn »etwas unternehmen«, kommt bei Schumpeter das Neue in die Welt, das letztendlich das Leben aller verbessert. Was sich nicht nur aus marxistischer Sicht alles dagegen einwenden ließe, soll uns an dieser Stelle gar nicht weiter interessieren. Wichtig für einen genaueren Blick auf die (deutsche) Social-Business-Bewegung ist eher, wie leicht die Idee eines ? zumindest dem Ideal nach ? demokratischen sozialen Fortschritts über Innovationen auf dem Feld eines als Manifestation des allgemeinen Willens verstandenen Marktes umgedeutet werden kann in ein völkisches Konzept von am Gemeinwohl orientierten Unternehmerpersönlichkeiten, die im Gegensatz zu anonymen, internationalen Konzernen von »uns« legitimiert sind und für »uns« wirtschaften. Die Rede vom »sozialen Mehrwert« des Social Business erweist sich gerade in ihrer Unbestimmtheit als nützlich, weil sie je nach Adressat und Situation eher basisdemokratisch akzentuiert werden kann oder doch eher vom Gemeinnutz spricht, der vor Eigennutz geht, wie er skrupellose undeutsche Geschäftemacher und Blutsauger umtreibe. Je nach Grad an Naivität oder bösem Willen verdichtet sich diese Idee entweder zum Bild des gemütlichen Firmenpatriarchen, der noch jeden Arbeiter beim Vornamen kennt - oder im popkapitalistischen Zeitgeist zur kleinen geilen Agentur mit Kickertisch, wo jeder die Chefin duzt – oder eben doch zur raffenden Heuschrecke, die die am Volkswohl orientierten deutschen MacherInnen aussaugt. Offener Antisemitismus ist bisher aus Social Business-Kreisen nicht bekannt, der altbekannte Anti-Amerikanismus mit Heuschreckenmetaphorik und Deutung der internationalen Finanzkrise als persönliche Verantwortungslosigkeit amerikanischer geldgeiler Manager hingegen schon. »Social Entrepreneurs« sind im bewegungshaften Jargon gerade der deutschen Szene auch Motor einer sozialen Erneuerung, die aus »unserer« Mitte entspringt, und sich gegen Interessen von Außen richtet – da ist die völkische Empörung nicht weit.
Auch das Element des Empowerment versieht Social Business mit einer strategischen Unschärfe, die gerade vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen in Deutschland seit 1989 wertvoll für die Integration gesellschaftlicher Unruhen in ein nationales Kollektiv ist. Der Soziologe Ulrich Bröckling beschreibt Empowerment als Kernbestandteil neoliberaler Politik, Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt a. M. 2007, 174 ff. der seinen Ursprung in der U.S.-Bürgerrechtsbewegung hat. Seit dem ersten Auftauchen in den frühen siebziger Jahren hat Empowerment Karriere in den Programmen unterschiedlichster Parteien, NGOs, Entwicklungshilfeorganisationen und selbst der Weltbank und der U.N. gemacht. Der prominente afroamerikanische Bürgerrechtler Jesse Jackson bringt den Grundgedanken auf den Punkt: »You are not responsible for being down, but you are responsible for getting up.« Sinngemäß: »Du kannst nichts dafür, wenn du am Boden liegst, aber es liegt allein an dir, dass du wieder hochkommst«. Auf gut deutsch würde man vielleicht mit den Ärzten singen: »Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist, es wäre nur deine Schuld wenn sie so bleibt.«. Die Zwiespältigkeit dieser Position ist offensichtlich. Einerseits kann, wer mag, ein Echo des »wir können uns nur selbst befreien« darin hören, eine emanzipative, kämpferische Position, die zur Änderung des schlechten Vorgefundenen aufruft. Andererseits lässt sich genau so leicht ein hämisches »Selber schuld!« hineinlegen – »Andere können es doch auch!«. Mit der Forderung nach Empowerment lassen sich von Fall zu Fall soziale Kämpfe wie auch die Hartz-Gesetze rechtfertigen, und das Jesse Jackson-Zitat kann eine Streikführerin ebenso im Mund führen wie Gerhard Schröder. Bröckling formuliert das im soziologischen Jargon so: »So vieldeutig der Begriff, so heterogen sind die Bereiche, in denen Empowerment als normative Richtschnur, Handlungskonzept und analytische Kategorie zum Einsatz kommt. Bürgerinitiativen und Graswurzelbewegungen berufen sich ebenso darauf wie neokonservative Politikberater, Adepten des New Age ebenso wie Apologeten des Klassenkampfs, das Konzept ist in der feministischen Bewegung verbreitet ebenso wie in den verschiedenen Praxisfeldern Sozialer Arbeit [...] Zu einem prominenten Baustein zeitgenössischer Gouvernementalität [Regierungstechnik – d.A.] wird Empowerment aber erst dadurch, dass Telos [Zielsetzung – d.A.], Theorie und Technologie »der Führung zur Selbstführung miteinander verschmelzen [...] ein Modus des Regierens, der sich dadurch definiert, dass all seine Interventionen die Fähigkeit zur Selbstregulierung steigern sollen.«, 184.
Für eine ideologische Erweckungsbewegung wie das deutsche Social Business liegt der Wert dieses Konzeptes erneut in seiner Unbestimmtheit – je nach Bedarf kann man sich als Speerspitze jungen, innovativen sozialen Engagements gerieren oder mit blitzschneller Akzentverschiebung den drohenden Unterton gegen diejenigen einschalten, die sich nicht ständig qualifizieren, weiterbilden, engagieren oder innovativ (selbst) ausbeuten können oder wollen. Social Business passt als Konzept damit wie Arsch auf Eimer zu den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen im neuen Deutschland und dessen spezifischer Organisationsform als Zivilgesellschaft.
Was Zivilgesellschaft im Rahmen des neuen Deutschland bedeutet und wie sie mit dem Ende real existierender Alternativen zum Kapitalismus zusammenhängt, haben schon vor sechs Jahren Mitglieder des Bündnis gegen Rechts aus Leipzig in der Phase 2 beschrieben, damals noch unter dem Schwerpunkt »Die Linke und die soziale Frage«. Dieses Projekt zielt auf [...] auf die Durchdringung und damit Umgestaltung der gesamten Gesellschaft. [...] Der derzeitige Sozialabbau wird zur Auflösung der bis jetzt noch vertraglichen Beziehung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft führen. Diesen neuen sozialen Verhältnissen wird nun das Modell der Zivilgesellschaft entgegengesetzt, welche genau diese verloren gehenden Verbindungen neu konstituieren soll. [...] Es geht hier wesentlich darum, politische Willensbildungsprozesse, politische Partizipation, soziale und gesellschaftliche Fürsorge vom Staat abzukoppeln und an die Gesellschaft zurück zu geben.[...] Die Zivilgesellschaft soll nicht nur die gesellschaftliche Identität gewährleisten, sondern gleichzeitig Innovationsmotor des Standorts Deutschland sein. [...] In der deutschen Adaption des zivilgesellschaftlichen Konzepts [aus den USA – d.A.] wird nun versucht, das lokale und regionale Konzept wieder an die Konstituierung einer nationalen Einheit rückzubinden. [...] Die Zivilgesellschaft ist [....] die legitimatorische Stütze der aktuellen Bundesregierung und damit des neuen rot-grünen kriegführenden Deutschlands« Bündnis gegen Rechts (Leipzig).«Das Projekt Zivilgesellschaft. Ziviles Engagement als Leitkultur«. Phase 2. Nr. 8 (2003). Auch online im Archiv unter http://phase2.nadir.org/. Ihre Analyse ist heute noch genau so richtig, allenfalls hat das von Rot-Grün begonnene Projekt im Zuge von Weltmeisterschaft, Popnationalismus und Finanzkrise noch an Stärke gewonnen. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs von Zivilgesellschaft und Social Business ist von besonderem Interesse, dass es sich hier wie dort um von U.S.-amerikanischen Konzepten inspirierte Formationen handelt, die beim Transport in deutsche Verhältnisse ganz anderen Interessen dienstbar gemacht werden.
Social Business in Deutschland zeigt sich vor diesem Hintergrund als neues Steinchen im Mosaik der deutschen Zivilgesellschaft, als Projekt, das nach dem Wegfall des Blockkonflikts nationalen Zusammenhalt organisieren soll, nachdem der dort dem Kapitalismus noch abgetrotzte Anschein sozialer Sicherung und gesellschaftlicher Mitbestimmung ebenfalls Geschichte ist. Hier fallen potentiell die Illusion gesellschaftlicher Teilhabe mit Einpassung ins Bestehende, völkische Ressentiments mit poppiger »interkultureller Kompetenz«, ständige Selbstdisziplinierung und die Freiheit, keine Hilfe erwarten zu dürfen, aufs Schönste mit den Erfordernissen einer nationalen Bewegung aufständischer Anständiger zusammen.
Dass wir von Social Business und Social Entrepreneurship in Zukunft noch mehr hören werden, liegt nicht nur an diesem traumhaften Einklang mit nationalen Zielsetzungen, sondern auch daran, dass die Career-Center und Gründerprogramme der Universitäten den Ruf schon vernommen haben, und sich verstärkt Mühe geben, vor allem GeisteswissenschaftlerInnen und weibliche Studierende zu Social Entrepreneurs weiterzubilden, bevor sie auf den Arbeitsmarkt entlassen werden. Kein Wunder – so viele Leute, die was mit Medien oder was mit Tieren machen wollen, braucht ja kein Staat mehr, dem der Rechtfertigungsdruck gegenüber einer wie auch immer gearteten Alternative abhanden gekommen ist, und sich nicht mehr per Kunst und Kultur als mit höheren Zielen ausgestattet verkaufen muss. UnternehmerInnen aus der Volksmitte, die die in langen Semestern als Schlüsselkompetenz erworbene Selbst- und Fremdführung noch mit der vielfältig auszuschlachtenden Aura des sozialen Engagements versehen und zudem noch lieber in prekärer Selbständigkeit wirtschaften, als dem Staat auf der Tasche zu liegen, sind dafür umso nützlicher. Hier könnte die vorgestellte Ideologie wirkmächtig werden, wo sie in Förderprogramme umgemünzt, in Ausbildungsverhältnissen angewandt und noch den individuellen Willen zum Engagement und zum Protest den Erfordernissen des neoliberalen Kapitalismus dienstbar gemacht werden kann. Hier wäre auch der Ort, von der Ideologiekritik zum praktischen Widerstand gegen die modernisierte Vorstellung vom Gemeinnutz, der vor Eigennutz geht, zu schreiten.
~ Von Jasper Nicolaisen. Der Autor lebt und arbeitet in Berlin.