Es gibt Theorien des Denkens, die dessen Inhalte durch die Medien geprägt sehen, in denen es stattfindet. Das Verfertigen der Gedanken beim Schreiben ist ein anderes als beim Reden, der Eintrag in einen Blog funktioniert anders als das Verfassen eines Buchs. Bei Frank Engsters Das Geld als Maß, Mittel und Methode handelt es sich ebenfalls um eine Medientheorie des Denkens. Aber die überraschende Grundthese des Buches lautet, dass das Medium Geld unser Denken und unser Verständnis davon prägt, was eine Gesellschaft ist und wie die Einzelnen in sie eingebunden sind.
Diese These beruht auf der Marx‘schen Wertformanalyse. Im Kapitalismus erscheinen die gesellschaftlichen Verhältnisse als Verhältnisse von
Waren, denn die Erhaltung des eigenen Lebens gelingt heute nur durch die Vermittlung der eigenen Arbeit mit der aller anderen Gesellschaftsmitglieder. Diese Vermittlung geschieht über den Tausch der Arbeitsprodukte als Waren auf dem Markt und nimmt so »die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen« (Marx) an. Engster argumentiert, dass gesamtgesellschaftlich dieses Verhältnis der Waren zueinander nur realisiert werden kann, wenn das Geld als allgemeines Medium der Wertmessung vorhanden ist. Mithilfe des Geldes wird deutlich, »wie die kapitalistische Gesellschaft sich bewusstlos-naturwüchsig überhaupt mit sich ins Verhältnis setzt und wie sie dadurch auf blinde Weise die eigene Objektivität in eins herstellt und gleich einer Reflexion realisiert«.
Wie problematisch eine solche »bewusstlos-naturwüchsige«, »blinde« Weise gesellschaftlicher Reflexion ist, versucht der letzte Teil des Buches aufzuzeigen. Nicht nur, dass die Messung des Warenwerts immer erst im Nachhinein einsetzt, wenn die Tätigkeit zur Herstellung der Ware auf einen sich ständig wandelnden gesellschaftlichen Durchschnitt bezogen wird; manche Werte, die das Geld misst, verändern sich mit der Zeit. Das Geld ist nämlich nicht nur Tauschmittel, sondern auch ein Maß der produktiven Kraft der Verwertungsverhältnisse. Wenn also im Kredit aus Geld mehr Geld wird und dabei Sicherheiten beurteilt werden, als würden sie tatsächlich verkauft, wenn in Aktienkursen zukünftige Gewinn- und Wachstumserwartungen eingepreist sind, wenn Staatsanleihen, denjenigen, die sie kaufen, einen Anteil am gesellschaftlich produzierten Mehrwert versprechen, der über Steuern abgeschöpft werden wird, wenn also Geld »ohne Verwertung vermehrt worden ist, dann muss es […] früher oder später diese Verwertung von Kapital und Arbeit mobilisieren und noch ›nach sich ziehen‹«. Und das kann misslingen. Börsencrashs, Banken- und Staatsschuldenkrisen sind das Resultat einer solchen fehlgegangenen Vorwegnahme der Zukunft im Medium Geld. Die Krise, so Engster, entsteht nicht, wenn sie hereinbricht, sondern in den »guten Zeiten«, wenn die Zukunft antizipiert wird.
Doch das Medium Geld beeinflusst nicht nur die gesellschaftliche Vorwegnahme der Zukunft, eine Vorwegnahme, für die (außerhalb Chinas, wo Journalisten wegen Beeinflussung der Börse verurteilt werden) niemand allein verantwortlich gemacht werden kann. Es wirkt auch auf das Selbstverständnis der Einzelnen. Engster kritisiert etwa die von Georg Lukács entwickelte Vorstellung, das Proletariat habe ein besonderes Erkenntnisprivileg, weil seine Arbeitskraft nicht nur Ware unter Waren sei, sondern als produktives Vermögen die Gesellschaft hervorbringe und so deren prinzipielle Veränderbarkeit erfahrbar mache. Dagegen beharrt Engster darauf, »dass das Kapital die Arbeit produktiv in Kraft setzt und dass es sie als an-sich unproduktiv setzt«. Erst die Verbindung von Kapital und Arbeit ermöglicht die Verwertung. Doch damit ist das Geld »unmittelbar im Bewusstsein des Arbeiters insofern anwesend, als der Arbeiter sich auf die gesellschaftliche Bestimmung und die produktive Kraft seiner Arbeit bezieht und sie wie ein Objekt zum Gegenstand des Verkaufs macht«. Nicht die Arbeit könne folglich einen Standpunkt der Kritik begründen, sondern nur die Auseinandersetzung mit dem Geld als dem Medium der Vergesellschaftung und des gesellschaftlichen Selbstbezugs durch die Zeit hinweg.
Gegen diese Auseinandersetzung auf fast 800 Seiten ließe sich im Detail vieles einwenden: die Ungenauigkeiten bei der Darstellung der Geldvermehrung etwa, die Fraglichkeit der Hegelinterpretationen oder die Vagheit des verwendeten Maßbegriffs. Aber trotz solcher Schwächen und trotz der beachtlichen Geduld des Autors bei der Entwicklung seiner Thesen, handelt es sich um ein ausgesprochen interessantes Buch, dessen Fußnotenapparat zudem stellenweise als kommentierte Bibliographie des marxistischen Diskurses verwendet werden kann.
Christian Schmidt
Frank Engster: Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit. Neofelis Verlag, Berlin 2014, 790 S., € 32,00.