Wenn Thilo Sarrazin von Menschen spricht, die »ökonomisch nicht gebraucht werden«, sagt er die Wahrheit über die kapitalistische Krise: Sie macht in der Tat immer mehr Menschen »überflüssig«. Selbst Marktwirtschaftsinsass_innen, denen es noch relativ gut geht, ängstigen sich zusehends vor dem Fall ins Bodenlose und grenzen sich panisch gegen die Looser ab, von denen sie wähnen, sie hätten sie zu alimentieren.
Wer a priori als »nicht von uns« stigmatisiert ist und zudem vermeintlich kaum anderes tut, als »ständig neue kleine Kopftuchmädchen (zu) produzieren«, bietet da eine ideale Angriffsfläche. Die Schweizer Minarettabstimmung – deren Ergebnis hierzulande womöglich noch übertroffen würde, wären »Volksentscheide« nicht glücklicherweise untersagt – belegt das ebenso wie der erschreckende Zulauf für Hassprediger_innen um das Internetforum Politically Incorrect (PI) und die diversen »Pro«-Parteien.
Schwieriger als diese Feststellung erweist sich allerdings eine begriffliche Einordnung jener Vorgänge, handelt es sich doch um in vieler Hinsicht neue Phänomene. Kramt man etwa die alte linke Denkschablone von »Nazis und Rassisten« hervor, so erweist sie sich schnell als eine stumpfe Waffe im Kampf gegen jene Befindlichkeiten, deren Träger_innen sich oft entschieden von Nazis abgrenzen, sich als Verteidiger_innen von Menschenrechten und »westlicher Zivilisation« verstehen und nicht selten gar demonstrativ eine vermeintliche »Israelsolidarität« vor sich hertragen. Theoretisch wie praktisch steht man heute vor dem Problem, moderne Phänomene regressiver Krisenverarbeitung zu fassen, die sich im Zuge der Post-9/11-Ära herausgebildet haben und die nicht mehr mit gängigen Begriffen erfasst werden können. Die Verwirrung in linken Köpfen ist groß und beim Versuch, die neuen Erscheinungen einzuordnen, werden derzeit in erster Linie Holzwege beschritten.
Vielbeschrittene Holzwege
Die älteste und scheinbar unausrottbare Fehlinterpretation hängt mit der verbreiteten oberflächlichen Vorstellung zusammen, Antisemitismus sei lediglich so etwas wie das spezifische »Vorurteil gegen die Juden«. Nur wer die Rolle des Antisemitismus als voll entfalteter, regressiv antikapitalistischer Krisenverarbeitungsform nicht verstanden hat, nur wem nicht klar ist, dass das Phantasma vom Kampf der verschlagenen Raffgier gegen die ehrliche Arbeit, die Personalisierung unpersonaler Herrschaft, die Gleichsetzung des Juden mit dem Geld, die Halluzinierung des wurzellosen Übermenschen, der mittels seiner Macht über das Geld die Welt beherrscht und »uns alle« aussaugt – kurz, wem unklar ist, dass dieser spontan unreflektierte Aufschrei gegen die Verhältnisse mit der Vorstellung von »den Schaffenden und den Raffenden« beginnt – wie auch immer dieses vermeintliche Gegensatzpaar konkret benannt wird – und im Vernichtungswahn endet, nur der kann auf die absurde Idee kommen, dasjenige, was er »Antiislamismus« nennt, sei »der Antisemitismus von heute«.
Weder »Antiislamismus« noch gar »Islamophobie« sind analytische Begriffe. Insbesondere bei letzterem handelt es sich vielmehr um eine Kampfparole, die erst im Zuge der Unterdrückungskampagnen gegen unbotmäßige Untertan_innen des islamistischen Regimes in Teheran historische Wirkmächtigkeit erlangte. Die Übernahme der Begrifflichkeiten eines Gottesstaates führt denn auch umgehend in Teufels Küche: Wo mit Marx (»Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen sei«Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 1, 385.) gerade auf Religionskritik zu insistieren wäre, betreiben Linke, die den genannten Begriffen aufsitzenSo etwa die linke und friedensbewegte Fanszene der Islamwissenschaftlerin Sabine Schiffer. Auch findet der Begriff der Islamophobie leider regelmäßig Eingang in die Analysen des Forschungsprojekts »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« von Wilhelm Heitmeyer. Doch selbst die Vermeidung des Islamophobiebegriffs darf in vielen Fällen als rein taktisches Manöver abgetan werden: »Ich habe […] gelernt, dass es ganz schrecklich und ganz schlimm ist, wenn man ›islamophob‹ sagt. Ich weiß nicht, warum das so schrecklich schlimm ist, aber man steht dann in einem Lager und muss furchtbar bekämpft werden.« Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, zit. n. Kay Sokolowsky, Feindbild Moslem, Berlin 2009, 187f., das genaue Gegenteil von Emanzipation: Sie beteiligen sich am Versuch, eine Religion unter Kritikverbot zu stellen. Von da ist es nicht weit, den Marx'schen Imperativ in diskursrelativistischem Geschwafel zu einer Art »westlichem Rassismus« umzubiegen und ein de-facto-Bündnis mit Islamist_innen einzugehen.
Die erschreckende intellektuelle Wehrlosigkeit vieler Linker gegenüber dem Islamismus, die sich u.a. in der kritiklosen Selbstbedienung aus dessen Wortschatz manifestiert, verweist darauf, dass die einstmals so engagierte Religionskritik der Linken seit langem schon friedlich entschlummert ist, wo doch ihre Wiederbelebung gerade in Zeiten eines Aufschwungs von Religiosität und »Spiritualität« dringend geboten wäre. Allerdings kann man hier auch den umgekehrten Fehler machen: Solange Religionskritik lediglich in der amputierten Form ahistorischer und außergesellschaftlicher »Islamkritik« wiederaufersteht, die nicht berücksichtigt, dass das moderne Phänomen des Islamismus mit dem Scheitern nachholender Modernisierung zusammenhängt, verhält sie sich in gewisser Weise nur seitenverkehrt zum »Islamophobie«-Vorwurf. »Islamkritik«, die unterhalb der Schwelle prinzipieller Religionskritik bleibt, läuft in die Ratzinger-Falle, der seine Religion zur besseren erklärt, weil sie – welch' schlechter Witz – »vernunftgeleitet« sei. Religionen sind prinzipiell unvereinbar mit Aufklärung und Emanzipation. Letztere können allerdings die Herausbildung säkularisierter religiöser Strömungen befördern, müssen es aber nicht zwingend. Denn es scheint nun einmal zu den unerforschlichen Ratschlüssen des Herrn zu gehören, seinen Gläubigen tausenderlei und sich mitunter auch vollkommen widersprechende Interpretationen seiner heiligen Schriften einzuflüstern. Das ist in keiner Religion anders. Grausame, frauenfeindliche, homophobe, judenfeindliche und allgemein menschenverachtende Aussagen lassen sich im Alten und im Neuen Testament ebenso problemlos finden wie im Koran und den Hadithen. Auch geschahen die diversen Reform(ation)en des Christentums nie wirklich aus eigenem Antrieb, sondern waren immer gesellschaftlichem Druck von außen geschuldet und allein die Namen Ratzinger, Mixa und Williamson mögen daran erinnern, dass dem Christentum die vermeintlich dauerhaft gezogenen Zähne bei nachlassendem äußeren Druck auch wieder nachwachsen können.
So falsch es also wäre, sich auf die Suche nach derjenigen Religion zu begeben, which has to be the very evil, so ist doch den Islamismus-Verharmloser_innen mit Recht die Tatsache vorzuhalten, dass es heute viele menschenverachtende Islaminterpretationen gibt, die politisch und ideologisch auftreten und nicht selten sogar die dominanten sind. Und obwohl es eine bedrohliches Anschwellen des religiösen Fundamentalismus auch in der »christlichen Welt« gibt und obwohl auch das Judentum nicht frei davon ist, bleibt es doch wahr, dass die extrem patriarchalen, antisemitischen und menschenfeindlichen religiösen Strömungen derzeit in keinem religiösen Umfeld dermaßen einflussreich sind wie im islamischen. Dies bedeutet aber nicht, dass Muslim_innen prinzipiell nicht ebenso säkularisiert sein können wie jüdische oder christliche Menschen. Die türkischstämmige Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ates möge hier stellvertretend für viele stehen. Und obwohl es in der gegenwärtigen islamisch geprägten Welt wesentlich mehr und gewalttätigeren religiösen Fanatismus und virulenten Antisemitismus gibt als derzeit im »christlichen Abendland«, bleibt es eine kulturalistische Zuschreibung, wenn »dem Muslim« unterstellt wird, er müsse zwangsläufig Islamist sein.In aller Deutlichkeit findet sich eine solche Generalisierung u.a. auf den Seiten von Politically Incorrect. Auf der Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus ist zu bestehen, wiewohl mit dieser notwendigen Differenzierung deren Zusammenhang nicht gleich mit entsorgt werden darf. Islamismus ist keine Ideologie jenseits von Religion. Wiewohl der Islam nicht zwangsläufig in den Islamismus führt, so ist letzterer allerdings nicht zu erklären ohne Koran, Scharia und ein Umfeld, in dem er toleriert wird. Religiöse Fundamentalist_innen entstehen nicht in völligem Widerspruch zu ihrer Umwelt. Sie werden begünstigt von einem Umfeld, das ihre Überzeugungen grundsätzlich teilt, etwa durch eine weit verbreitete konservativ-orthodoxe Islamauslegung. Wenn wir uns Adornos Analyse der Gefahren für die Demokratie vergegenwärtigen, die aus der Mitte der Gesellschaft potentiell größer sind als aus der offen demokratiefeindlichen Bewegung selbst, und wir berechtigterweise annehmen, dass eine Trennung zwischen pathischem Nationalgefühl und »gesundem Patriotismus« nur gradueller, nicht jedoch prinzipieller Art ist, warum sollte das nicht auch in ähnlicher Weise gelten für die Beziehung von Islam und Islamismus, für gewaltbereite Islamist_innen und Anhänger_innen einer orthodox-konservativen Islaminterpretation?
Weder »antiislamisch« noch »rassistisch« oder »antisemitisch« – Anmerkungen zum antimuslimischen Ressentiment
Betrachtet man nun die eingangs thematisierten aktuellen Befindlichkeiten im Zusammenhang mit ihren diversen Fehlinterpretationen, so wird klar, dass bis dato eine angemessene Begrifflichkeit fehlt, um sie zu fassen. Wir schlagen dazu den Begriff des antimuslimischen Ressentiments vor. Der analytische Nutzen einer eigenständigen inhaltlichen und begrifflichen Definition besteht darin, dass Elemente des Phänomens verstanden werden können, die überhaupt nicht oder nicht so in anderen Feindbildern enthalten sind. Das liefert ein Instrumentarium, um neue Strömungen regressiver Krisenverarbeitung, die sonst allzu gern als »Rechte« oder »Neue Rechte« bezeichnet werden, begrifflich zu fassen und zielsicher zu kritisieren. Denn das antimuslimische Ressentiment ist eben mehr als eine bloße Neuauflage xenophober Strömungen.
Es ist antimuslimisch und nicht etwa antiislamisch, weil antireligiös zu sein kein Ressentiment ist. Nicht eine Religion, sondern Menschen sind zu schützen, die Anfeindungen, Verdächtigungen und Repressionen ausgesetzt sind, weil sie sich zu einer bestimmten Religion bekennen, in diesem Fall also die Muslim_innen.
Es geht um ein Ressentiment und nicht etwa um Rassismus deswegen, weil der Gebrauch des Rassismus-Vorwurfs einem zwar gefühlsgeladen vermittelt, auf der richtigen Seite zu stehen, der Begriff des Rassismus selbst jedoch zu einer Allerweltsschablone mutiert ist, deren Verwendung ohne Erläuterung und spezifische Analyse beliebiger Interpretation Tür und Tor öffnet. Dabei ginge es doch gerade darum, den Rassismus-Begriff vor seiner Verwässerung zu retten, indem man auf seinen primären Bezug auf Herkunft und Hautfarbe insistiert. Der Begriff des Ressentiments verweist zunächst in Abgrenzung zum Vorurteil auf die affektive Aufladung der Meinung und damit auf eine handfeste Aufklärungsresistenz; als antimuslimisches lässt sich Ressentiment zudem einer bestimmten Personengruppe zuordnen, ohne den Rassismusbegriff zu entwerten und die Spezifik des Feindbilds Moslem aus den Augen zu verlieren.Womit nicht gesagt werden soll, dass im antimuslimischen Ressentiment keine rassistischen Elemente enthalten seien. Die Verwendung des Rassismusbegriffs in der neueren Soziologie versucht zwar mit einem gewissen Recht aktuellen Varianten von Feindbildern Rechnung zu tragen, die ohne biologische Konstituierung auskommen (den Rassebegriff und die Blutideologie nicht mehr benötigen) und die angesichts gesellschaftlicher Ächtung und wissenschaftlicher Unhaltbarkeit des klassischen oder traditionellen Rassismus sich in neuen Formen zeigen. Dieses gewisse Recht speist sich aus der schlichten Tatsache, dass Denkformen und Begriffe nicht feststehen, sondern sich mit der Gesellschaft entwickeln und verändern und zielt auf die Kontinuität xenophober Strömungen, auf eine oftmals diffuse Abwehr ›herkunftsfremder‹ Menschen. Allerdings ist damit die Gefahr verbunden, die gesellschaftlichen Ursachen des Wandels von Feindbildern, deren Inhalte und Vermittlung aus dem Auge zu verlieren – so wie etwa die antirassistische Referenz Etienne Balibar, für den der differentialistische Rassismus der »Form nach [...] ein verallgemeinerter Antisemitismus«Etienne Balibar, Gibt es einen Neo-Rassismus? In: Ders./Immanuel Wallerstein, Rasse – Klasse – Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg/Berlin 1990, 23–38. ist. Mal trifft's die Hottentotten, mal die Juden, dann die Italienerinnen und Türken und jetzt halt auch mal die Moslems. Eine solche »Analyse« bezeichnet Detlev Claussen zu Recht als »Kümmerform von Gesellschaftskritik«.Detlev Claussen, Was heißt Rassismus?, Darmstadt 1994,15.
In kulturalistischer Tradition wähnen die Moslemhasser_innen sich im Zeichen von Aufklärung und »westlichen Werten«. Ihre Referenz ist das christliche Abendland (gerne und aus durchsichtigen Gründen kleben sie diesem auch das Suffix »-jüdisch« an), das vom Islam überrannt werde. Israel und Amerika werden dabei als Verbündete angesehen. Die Moslemhasser_innen artikulieren in ihrem antimuslimischen Ressentiment durchaus Bedenken gegen rigide Sexualmoral, Homosexualitäts- und Frauenfeindlichkeit, gegen Rückständigkeit und gesellschaftliche Organisation in Clans oder anderen archaischen Gemeinschaften. Assoziiert man die politische Rechte mit Traditionalismus und Rückwärtsgewandtheit, überrascht diese Ausrichtung und es wird klar, dass sich jenes Phänomen gerade nicht als Rassismus fassen lässt. Aber auch nicht als Anti-, sondern – als mit diesem eng verwandt – Philosemitismus.
Das antimuslimische Ressentiment beinhaltet durchaus Elemente einer Verschwörungstheorie. Die Vorstellung, eine islamische Weltverschwörung habe es auf die Weltherrschaft abgesehen und strebe die Ausrottung aller Un- und Andersgläubigen an, weist oberflächlich Elemente des Antisemitismus auf. Doch diese Analogie übersieht zweierlei. Zum einen gelten die Juden gemäß den antisemitischen Zuschreibungen als intelligent, verschlagen und listig. Ihre Herrschaft errichtet sich in der pathischen Projektion entgegen ihrer geringen Zahl und ihrer starken Verstreutheit. Solch Intelligenz wird den als minderwertig imaginierten Muslim_innen und ihren archaisch-traditionalistischen Gemeinschaften nicht zugetraut. Ihre Verschwörung basiert in der Vorstellung der Moslemhasser_innen auf ihrer zahlenmäßigen Ausbreitung durch die Gebärmutter als Geheimwaffe einer Islamisierungswelle, die den Westen schleichend überrollt. Herrschaft der Muslim_innen errichtet sich im antimuslimischen Ressentiment gerade wegen der demographischen Entwicklung. Zum anderen verbirgt sich hinter der antisemitischen Phantasie einer jüdisch-zionistischen Weltverschwörung bloße pathische Projektion, bar jedweder empirischen Rechtfertigung. Pathisch am antimuslimischen Ressentiment hingegen ist nicht, dass islamischen Strömungen Weltherrschaftsansprüche zugeschrieben und Islamisierungstendenzen ausgemacht werden. Gewalttätige, islamisch-fundamentalistische Selbstmordattentate hat es zuhauf gegeben ebenso wie es den Djihad realiter gibt. Pathisch hingegen ist, dass diese Zuschreibung allen islamischen Strömungen, faktisch »dem Islam« selbst, gilt. Pathisch ist ferner, dass ein Wesen des Islam imaginiert wird, das böse an und für sich sein soll. Pathisch projizierend am antimuslimischen Ressentiment ist die Unfähigkeit, darauf zu reflektieren, dass auch der Islam – ebenso wie das Christentum – säkularisierende Strömungen hervorgebracht hat und weiterhin hervorbringen kann. Die Angst vor gewissen islamischen Strömungen, nämlich den politischen, den islamistischen, hat durchaus ihre Berechtigung, wohingegen Angst vor jüdischer Allmacht theoretisch und empirisch stets wahnhafte Projektion war und ist. Im Gegensatz zum Antisemitismus geht mit dem antimuslimischen Ressentiment auch keine Vernichtungsdrohung einher. Ist ersterer wesenhaft eliminatorisch und sieht in »dem Juden« das Antiprinzip des Menschen verkörpert, gibt sich letzterer – schlimm genug – mit der Ausgrenzung der Muslim_innen zufrieden.
Daneben besitzt das antimuslimische Ressentiment speziell in Deutschland eine weitere Funktion, die die grassierende völkisch geprägte »Überfremdungs«angst hinter einem Vorhang scheinbarer Moralität versteckt: nämlich die der Entlastung von Schuld – Ausdruck einer verkehrenden »Vergangenheitsbewältigung«, die sich einreiht in die lange Tradition deutscher Geschichtsrevision. Das antimuslimische Ressentiment wird dabei häufig begleitet von philoisraelischen oder philosemitischen Bekundungen. »Der Islam soll als genozidale Religion erscheinen und Muslim_innen damit als die maßgeblichen Judenfeinde in Geschichte und Gegenwart. Aus einem solchen Fremdbild ergibt sich das moralisch sanierte Selbstbild der Deutschen, die so als Opfer an der Seite der Juden stehen.«Peter Widmann, Der Feind kommt aus dem Morgenland, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 17 (2008), 45–68, hier 63. Und mehr noch: Hans-Peter Raddatz spricht – stellvertretend für die Gedanken vieler – vom deutschen Täter_innenvolk, an dem »sich das Schicksal des Opfervolkes Israel […] vollenden sollte«Hans-Peter Raddatz, zit. n. ebd., 62f., wenn es den Deutschen nicht gelänge, sich von Islamisierungstendenzen zu befreien. Entlastung bietet das antimuslimische Ressentiment also auch dadurch, dass es Deutschen ermöglicht, den originären Antisemitismus woanders auszumachen und so deutsche Identität zu rehabilitieren. Der oberflächliche projüdische und proisraelische Duktus ist dabei nicht etwa Resultat von Erkenntnis, sondern allein von Projektion.
Ganz ähnlich verhält es sich übrigens auch mit dem vordergründigen Bezug des antimuslimischen Ressentiments auf individuelle Freiheiten, denn es rekurriert auf Leitkultur und nationale Identität. Islamisierungs- und Überfremdungsphantasien verlangen hysterisch Abschiebungen und härtere Gesetze – vom gleichen Staat, der dem Iran die Folter- und Mordtechnik gegen liberale und Ex-Muslim_innen liefert. Nicht ums Individuum geht es den Moslemhasser_innen, sondern um Gemeinschaft. Wir haben es mit einer durchaus modernen ressentimentgeladenen Befindlichkeit zu tun, die drauf und dran ist, zur Massenbewegung zu werden. Viel spricht dafür, dass es sich mit dem anderen dumpf in der Volksseele brodelnden Ressentiment amalgamieren wird – dem gegen »Bankster«, Heuschrecken, Gierige und Raffende, sprich dem tendenziell und bisweilen schon offen antisemitischen. In vielen krisenverwirrten Köpfen lebt und gärt jedenfalls schon beides munter nebeneinander.
Eine emanzipatorische Position muss das antimuslimische Ressentiment nicht zuletzt auch deswegen ernst nehmen: So wie Sarrazin seine fremdenfeindliche Hetze mit philosemitischem Geschleime über »intelligentere osteuropäische Juden«, die ihm »lieber« seien, garniert, findet sich bei PI, Pax Europa etc. eine nur vordergründige »Israelfreundschaft«, die einen allerdings nicht verwirren sollte. Denn diese Sorte »Freundschaft« speist sich mitnichten aus Solidarität mit den vom Antisemitismus verfolgten Jüdinnen und Juden, die ihr im Grunde herzlich egal sind, sondern allein aus der ideologischen Instrumentalisierung Israels als vermeintlichem Vorposten im Kampf »des guten Westens« gegen das verhasste Fremde. Ein vergiftetes Geschenk an den Judenstaat, das den Kampf gegen den Antizionismus noch einmal ein ganzes Stück erschwert.
Markus Mersault, Lothar Galow-Bergemann
Die Autoren leben in Stuttgart und sind aktiv bei Emanzipation und Frieden: emanzipationundfrieden.de.